Stellvertretende in den Parlamenten von Gemeinden, Städten, Kantonen – Eine Ent- oder Belastung für das schwächelnde Milizsystem?

Das Miliz­sys­tem — lan­ge Zeit ein wich­ti­ger Pfei­ler des schwei­ze­ri­schen Erfolgs­mo­dells — kommt in Kan­tons- und Stadt­par­la­men­ten zuneh­mend unter Druck, weil immer weni­ger Per­so­nen zu einem Enga­ge­ment bereit sind. Wäre eine Rege­lung, die es Gewähl­ten erlaubt, auch ein­mal eine Stell­ver­tre­tung ins Par­la­ment zu schi­cken, die Lösung? Wir sind die­ser Fra­ge nachgegangen. 

Ruf und Rea­li­tät klaf­fen zuneh­mend aus­ein­an­der: Miliz­äm­ter sind in ers­ter Linie zeit­rau­bend. So beklagt die Hälf­te der von Frei­tag et al. befrag­ten Miliz­tä­ti­gen, sie könn­ten nicht mit einem Ent­ge­gen­kom­men des Arbeit­ge­ben­den für ihre poli­ti­schen Akti­vi­tä­ten im Miliz­sys­tem rech­nen. Der easy­vo­te-Polit­mo­ni­tor zeigt ein wei­te­res Pro­blem auf: Wie Abbil­dung 1 zeigt, wer­tet eine Mehr­heit der nach­wach­sen­den Poli­tik­ge­nera­ti­on Z das Miliz­sys­tem nicht als wich­ti­gen poli­ti­schen Aspekt der Schweiz.

Abbildung 1: Wichtigkeit Merkmale politisches System

Fra­ge an die Genera­ti­on Z (die jüngs­ten Stimm­be­rech­tig­ten im Alter von 18 bis 24): Das poli­ti­sche Sys­tem kennt bestimm­te Merk­ma­le. Wie wich­tig sind in dei­nen Augen fol­gen­de Merk­ma­le des poli­ti­schen Sys­tems für die Zukunft der Schweiz.” (in % Schü­le­rIn­nen zwi­schen 15 und 25 Jahren)

Stellvertreterlösungen aus Sorge um den Nachwuchs

Der Prä­si­dent des Gemein­de­prä­si­den­ten­ver­ban­des bilan­ziert die­se Ent­wick­lung durch die Pro­gno­se, dass es in der Schweiz des Jah­res 2040 nur noch Pro­fi-Behör­den geben wird.

Der­zeit sind in der Schweiz 15’000 Per­so­nen als Gemein­de­rä­te und Gemein­de­rä­tin­nen enga­giert, 17’000 amten in Gemein­de­par­la­men­ten. Der Rück­gang der frei­wil­lig in der Poli­tik enga­gier­ten Bür­ge­rin­nen und Bür­ger seit den 1980er-Jah­ren wird nur noch durch die Dyna­mik der Gemein­de­fu­sio­nen über­trof­fen: Von rund 3’000 in den 1980er-Jah­ren gibt es der­zeit gera­de noch 2’212 unab­hän­gi­ge Gemein­den. Und weni­ger Gemein­den bedeu­tet auch weni­ger Freiwilligenämter.

Die Nach­wuchs­pro­ble­me sind gross und sie wer­den grös­ser wer­den. Für die Legis­la­ti­ven kann eine Stell­ver­tre­tungs­re­ge­lung Abhil­fe schaf­fen. In der Schweiz prak­ti­zie­ren dies die Kan­to­ne Wal­lis, Neu­en­burg, Jura, Genf und Grau­bün­den sowie ein­zel­ne Gemein­den wie z.B. Mou­tier. Die Stell­ver­tre­ten­den heis­sen Sup­ple­an­ten. Die Model­le vari­ie­ren je nach Parlament.

Als Stell­ver­tre­te­rin­nen und Stell­ver­tre­ter gel­ten jeweils die­je­ni­gen Kan­di­die­ren­den auf den ent­spre­chen­den Wahl­lis­ten, die nach den gewähl­ten Reprä­sen­tan­ten und Reprä­sen­tan­tin­nen am zweit­meis­ten Stim­men auf sich ver­ei­nen konn­ten. Eine Vari­an­te stel­len spe­zi­el­le Par­tei-Stell­ver­tre­tungs­lis­ten dar, wie es bei­spiels­wei­se im Kan­ton Wal­lis prak­ti­ziert wird. Die Zahl der Stell­ver­tre­ter/-innen pro Lis­te wird im Wal­lis in den meis­ten Fäl­len über den Anteil der gewon­ne­nen Sit­ze ermit­telt, sodass es je nach Frak­ti­ons­stär­ke mehr oder weni­ger Stellvertreter/ ‑innen geben kann.

Tabelle 1: Suppleanten und Abgeordnete in den Kantonen

Quelle: Büro des Grossen Rates des Kanton Bern auf das Postulat Markwalder, eingereicht am 10.09.2007 vom 3. Dezember 2007 / Grosser Rat Kanton Genf Liste der Abgeordneten für die Legislatur Mai 2018 bis Mai 2023.

Die exis­tie­ren­den Pra­xis­mo­del­le wei­sen gros­se Ähn­lich­kei­ten auf: Die Stell­ver­tre­tun­gen sind nicht expli­zit auf län­ge­re Absen­zen ange­legt und die Grün­de für die Benen­nung von Stell­ver­tre­ten­den wer­den nicht detail­liert aus­ge­führt oder abschlies­send benannt. Die Stell­ver­tre­ten­den ver­fü­gen dafür weit­ge­hend über die­sel­ben Rech­te wie die gewähl­ten Abge­ord­ne­ten selbst. Im Vor­der­grund ste­hen einer­seits prag­ma­ti­sche Lösun­gen für die Pro­zess­ord­nung klei­ne­rer Gemein­we­sen und ande­rer­seits die höhe­re Fle­xi­bi­li­tät, die durch eine Stell­ver­tre­tungs­lö­sung erreicht wird.

Wie beurteilt die Bevölkerung das Stellvertretendensystem?

gfs.bern konn­te 2017 im Rah­men der Arbei­ten zur Total­re­vi­si­on der Bie­ler Stadt­ver­fas­sung erst­mals Bür­ge­rin­nen und Bür­ger befra­gen, um her­aus­zu­fin­den, was die Bevöl­ke­rung vom Sup­ple­an­ten­sys­tem hält.Die Beur­tei­lung einer kom­mu­na­len Stell­ver­tre­ter­lö­sung für die Stadt Biel wur­de zunächst in Fokus­grup­pen­ge­sprä­chen und anschlies­send mit­tels einer reprä­sen­ta­ti­ven Umfra­ge bei der Bevöl­ke­rung in Erfah­rung gebracht.

Die Reform­ar­bei­ten wur­den durch einen par­ti­zi­pa­ti­ven Bür­ger­dia­log beglei­tet. Dazu wur­den die Ein­woh­ne­rin­nen und Ein­woh­ner zu ins­ge­samt drei­zehn Reform­ele­men­ten befragt. Die Ver­fas­sung des Kan­tons Bern bie­tet kei­ne Grund­la­ge für Stell­ver­tre­ter­lö­sun­gen. Den­noch woll­ten die Behör­den in Biel die Bereit­schaft der Bevöl­ke­rung dazu tes­ten, denn die Absen­zen in der Stadt­bie­ler Legis­la­ti­ve wir­ken sich häu­fig stark auf das poli­ti­sche Kräf­te­gleich­ge­wicht aus. Die Stell­ver­tre­ten­den­lö­sung soll in die­sem Fall bei län­ge­ren Abwe­sen­hei­ten der Miliz-Stadt­rä­te greifen. 

Abbildung 2: Parlamentarische Stellvertretung

Fokus­grup­pen — “Was den­ken Sie zu so einer Lösung, ist sie sinn­voll oder nicht? Was spricht dafür, was dage­gen oder gibt es ande­re Lösun­gen, die völ­lig anders aus­se­hen könnten?”

Obi­ge Fra­ge wur­de vier Fokus­grup­pen gestellt (Abbil­dung 2). Zwei Grup­pen ent­stamm­ten der fran­zö­si­schen Sprach­ge­mein­schaft, zwei der deut­schen Sprach­ge­mein­schaft. Die Fra­ge spal­te­te die Dia­log­grup­pen­teil­neh­men­den unab­hän­gig vom Sprach­hin­ter­grund in jene, die die poli­ti­sche Wahl eines Reprä­sen­tan­ten als bin­dend betrach­ten und kein Dele­ga­ti­ons­recht ein­räu­men möch­ten, und jene, die eher die Pro­zesser­leich­te­run­gen in den Vor­der­grund stellen.

Letz­te­re gehen zudem durch die Ent­las­tungs­wir­kung davon aus, dass sich even­tu­ell mehr Leu­te für eine Ämter­über­nah­me inter­es­sie­ren könn­ten: Es könn­ten sich mehr Stim­men und Mei­nun­gen in die Legis­la­ti­ve ein­brin­gen und sie in die­sem Sin­ne demo­kra­ti­scher machen. Ähn­li­che Stim­men fin­den sich auch im Wal­lis. Die Fokus­grup­pen dis­ku­tier­ten aber auch die Gewin­ne, die eine par­la­men­ta­ri­sche Stell­ver­tre­tung erbrin­gen wür­de, wie z.B. die Schlies­sung der Lücken bei län­ge­rer Abwe­sen­heit und Vor­tei­le für berufs­tä­ti­ge Par­la­men­ta­rie­rin­nen und Par­la­men­ta­ri­er oder für jene mit Familie.

Eine Mehr­heit votier­te in bei­den Sprach­grup­pen dafür, eine ein­deu­ti­ge Rege­lung zu schaf­fen, um den Ein­satz von Stell­ver­tre­tun­gen klar fest­zu­le­gen. Als Bei­spiel wur­de die Beschrän­kung auf län­ge­re Abwe­sen­hei­ten der Abge­ord­ne­ten genannt und damit die Stoss­rich­tung der par­la­men­ta­ri­schen Vor­stös­se aus der Deutsch­schweiz gestützt. Ein­deu­tig waren auch die Bedin­gun­gen für die Wahl von Sup­ple­an­ten: Stell­ver­tre­ten­de sol­len ent­we­der vom Volk gewählt sein, aus der­sel­ben Par­tei stam­men, durch die Par­la­men­ta­rie­rin­nen und Par­la­men­ta­ri­er bestimmt wer­den oder Nach­rü­cken­de sein, um eine ange­mes­se­ne und legi­ti­me Ver­tre­tung zu darzustellen.

Gegen die par­la­men­ta­ri­sche Stell­ver­tre­tung sprach in den Augen eini­ger Teil­neh­men­der aber, dass der oder die Stell­ver­tre­ten­de aus Sicht der Wäh­len­den die­sel­be Mei­nung haben müss­te wie die zu ver­tre­ten­de Per­son, was jedoch in sämt­li­chen Belan­gen nicht mög­lich sei. Auch wird von eini­gen die Schwie­rig­keit gese­hen, über­haupt für jedes Par­la­ments­mit­glied eine Stell­ver­tre­tung zu fin­den. Ande­ren zufol­ge brau­che es die par­la­men­ta­ri­sche Stell­ver­tre­tung gar nicht, da bei Abwe­sen­hei­ten die Stim­men nach Anzahl der Par­tei­sit­ze aus­ge­zählt wer­den könn­ten. Auch wur­de argu­men­tiert, dass Per­so­nen, die ein Amt beklei­den, stets ver­su­chen soll­ten, anwe­send zu sein. Ein­zel­ne, beson­ders kri­ti­sche Teil­neh­men­de, befürch­te­ten, eine Stell­ver­tre­ter­lö­sung böte (zu viel) Spiel­raum für poli­ti­sches Kalkül.

Abbildung 3: Stellvertreterlösung für den Stadtrat

Die Stär­kung des Par­la­ments ist auch ein Mit­tel, um die poli­ti­sche MIt­wir­kung zu för­dern. Viel­fach sind die Stadt­rä­te aber beruf­lich abwe­send, im Aus­land oder z.B. im Mut­ter­schafts­ur­laub. Jetzt wird die Idee einer Stell­ver­tre­ter­lö­sung dis­ku­tiert. Es könn­ten Kan­di­da­ten der glei­chen Lis­te oder per­sön­li­che Stell­ver­tre­ter sein. Wie beur­tei­len Sie die fol­gen­den Aus­sa­gen?” (in % BielerInnen)

In der reprä­sen­ta­ti­ven Umfra­ge emp­fand eine rela­ti­ve Mehr­heit von sech­zig Pro­zent der Bie­ler und Bie­le­rin­nen das Sup­ple­an­ten­sys­tem als Lösung gegen die poten­zi­el­le Ver­schie­bung der poli­ti­schen Kräf­te, die durch län­ge­re und unge­plan­te Absen­zen ent­ste­hen kön­nen. Ein Sechs­tel der Bür­ge­rin­nen und Bür­ger hielt dage­gen den Vor­schlag eher oder aus­ge­prägt für unge­eig­net. Gleich­zei­tig teilt aber auch gut die Hälf­te der Ein­woh­ne­rin­nen und Ein­woh­ner von Biel die Ansicht, ein Stell­ver­tre­ten­der ent­schei­de nie gleich wie der direkt gewähl­te Abgeordnete.

In der Bilanz über alle drei­zehn Reform­mass­nah­men wird die Stell­ver­tre­tungs­lö­sung nur von elf Pro­zent über­haupt als wich­tig für die Gesamt­re­form der Stadt­ver­fas­sung ein­ge­stuft. Mit ande­ren Wor­ten: Abge­se­hen von einer gewis­sen Ambi­va­lenz gegen­über der prak­ti­schen Umsetz­bar­keit einer sol­chen Lösung bewer­tet die Bevöl­ke­rung die Dring­lich­keit sol­cher Mass­nah­men nicht gleich wie die ver­schie­de­nen Par­la­men­ta­ri­er und Par­la­men­ta­rie­rin­nen, die im Lau­fe der Jah­re das Stell­ver­tre­ten­den­sys­tem auf Kan­tons- und Bun­des­stu­fe vor­ge­schla­gen haben.

Das Suppleantensystem ist eine mögliche Antwort, aber keine Generallösung für die neuen Anforderungen an Milizvereinbarkeit
Abbildung 4: Haltung zur Politik im Allgemeinen
Nun geht es um deine Haltung zur Politik im Allgemeinen. Stimmst du folgenden Aussagen zu?” (in % SchülerInnen zwischen 15 und 25 Jahren)

Für eine Stell­ver­tre­tungs­lö­sung spre­chen ange­sichts der Ent­wick­lun­gen im schwei­ze­ri­schen Miliz­sys­tem fol­gen­de Argu­men­te: Gera­de in klei­nen Par­la­men­ten mit knap­pen Mehr­heits­ver­hält­nis­sen kön­nen schon Absen­zen ein­zel­ner Per­so­nen de fac­to zu einer ent­schei­den­den Ver­schie­bung des poli­ti­schen Kräf­te­ver­hält­nis­ses füh­ren. Ange­sichts die­ser – für klei­ne poli­ti­sche Gemein­we­sen – beson­ders star­ken Fol­gen kann eine Stell­ver­tre­tung reprä­sen­ta­ti­ve­re Ergeb­nis­se erzeugen.

Doch auch die Aus­wahl an geeig­ne­ten Kan­di­die­ren­den für poli­ti­sche Ämter ist gera­de in die­sen klei­nen Gemein­den oft sehr begrenzt. Hier wie auch für das eigent­li­che Man­dat bestehen die glei­chen Pro­ble­me, die auch das gesam­te Miliz­we­sen belas­ten. Poten­zi­el­le Kan­di­die­ren­de ver­zich­ten aus fami­liä­ren oder gesund­heit­li­chen, sowie aus beruf­li­chen Grün­den oder wegen all­ge­mei­nem Zeit­man­gel. Die­se Pro­ble­ma­tik könn­te die Stell­ver­tre­tungs­lö­sung allen­falls lang­fris­tig verändern.

Eine Stell­ver­tre­tungs­lö­sung kann dage­gen durch­aus die Fluk­tua­ti­on bei den Gewähl­ten redu­zie­ren, sei dies auf­grund von Mut­ter­schaft, beruf­li­chen Ver­än­de­run­gen oder einem Aus­lands­auf­ent­halt von Stu­die­ren­den. Damit eröff­net die Stell­ver­tre­tung für die ver­schie­de­nen gesell­schaft­li­chen Grup­pen in unter­schied­li­chen Lebens­pha­sen mehr Chancengerechtigkeit.

In der Bilanz kann die Stell­ver­tre­tungs­lö­sung wesent­lich dazu bei­tra­gen, Miliz­par­la­men­te zu diver­si­fi­zie­ren. Sie ist eine Mög­lich­keit, in eine legis­la­ti­ve Tätig­keit hin­ein­zu­wach­sen. Damit senkt sie die Schwel­le zur poli­ti­schen Akti­vi­tät. Ins­be­son­de­re Jun­ge kön­nen von einer «Ein­übungs­pha­se» ohne vol­le Ver­ant­wor­tung pro­fi­tie­ren. Vor­aus­set­zung dafür ist aller­dings eine ent­spre­chend erwei­ter­te Rol­le der Par­tei­en resp. ihrer Fak­tio­nen. Sie wären ver­ant­wort­lich den oder die Stell­ver­tre­ten­de zu begleiten.

Für jede Form des Stellvertretendensystems gilt: Die konkrete Ausgestaltung zählt.

In den Kan­to­nen Wal­lis und Grau­bün­den wer­den für die Sup­ple­an­ten eige­ne Wah­len durch­ge­führt. In den Kan­to­nen Jura und Neu­en­burg rekru­tie­ren sich die Sup­ple­an­ten aus den Ersatz­leu­ten der ent­spre­chen­den Haupt­wahl­lis­ten. Es ist das Sys­tem, das ent­lang der Erhe­bung aus Biel und aus demo­kra­ti­scher Sicht am meis­ten Zuspruch beim Wäh­len­den fin­den dürf­te. Aller­dings ist auch die Anzahl der Sup­ple­an­ten ein Poli­ti­kum: Im Wal­lis ist tat­säch­lich frag­lich, ob 260 Man­dats­trä­ger für einen Kan­ton ange­mes­sen sind, des­sen Bevöl­ke­rungs­grös­se der Stadt Zürich entspricht.

Denn auch die Qua­li­tät des Polit­be­triebs hängt wesent­lich von der Aus­ge­stal­tung der Stell­ver­tre­ten­den­lö­sung im kon­kre­ten kan­to­na­len Kon­text ab. Hier vari­ie­ren die Model­le und die Lösun­gen. In Biel zeig­te sich der Sou­ve­rän durch­aus offen für das Modell, wenn auch ohne Prä­ju­diz. Fest steht, dau­er­haf­te Stell­ver­tre­ten­de erwer­ben schnel­ler Erfah­rung und Dos­sier­fes­tig­keit als in einem Sys­tem, in dem auf ad-hoc Stell­ver­tre­tun­gen gesetzt wird. Ers­te­re gewähr­leis­ten die Ent­scheid­fä­hig­keit der Legis­la­ti­ve eher. Kla­re Bestell­re­ge­lun­gen für die Stell­ver­tre­ten­den kön­nen zudem Mani­pu­la­tio­nen, wie dem bewuss­ten Fern­blei­ben Abge­ord­ne­ter Vor­schub leis­ten. Ganz aus­schlies­sen kön­nen sie sie jedoch kaum.

Mit Blick auf das schwä­cheln­de Miliz­sys­tem ist die Stell­ver­tre­ter­lö­sung aber kein All­heil­mit­tel: Den schlei­chen­den Wan­del hin zu Berufs­par­la­men­ten wird sie nicht stop­pen. Sie kann allen­falls lang­fris­tig zusam­men mit ande­ren Mass­nah­men wirk­sam wer­den. Zur Stär­kung der Miliz­par­la­men­te gehö­ren Anrei­ze, wie höhe­re finan­zi­el­le Ent­schä­di­gun­gen oder Steu­er­erleich­te­run­gen für Miliz­po­li­ti­ker und Miliz­po­li­ti­ke­rin­nen. Bei Jün­ge­ren könn­ten zudem arbeits­markt­re­le­van­te Aner­ken­nun­gen, wie z.B. Zer­ti­fi­zie­run­gen für die Arbeit als Stell­ver­tre­ten­de eine bes­se­re Ver­ein­bar­keit mit beruf­li­chen Anfor­de­run­gen fördern.

Was unab­hän­gig von einer für Stell­ver­tre­ter­lö­sun­gen not­wen­di­gen Ver­fas­sungs­än­de­rung bleibt, ist die Fra­ge der demo­kra­ti­schen Legi­ti­mi­tät. Sie ist am ehes­ten dann gesi­chert, wenn die Zweit­plat­zier­ten auf den jewei­li­gen Par­tei­lis­ten schon im Bewusst­sein gewählt wer­den, dass es Stell­ver­tre­ter­lö­sun­gen gibt. Tat­säch­lich ist auch zu über­le­gen, ob Stell­ver­tre­ter­lö­sun­gen für bestimm­te wich­ti­ge Kom­mis­sio­nen (wie z.B. die Geschäfts­prü­fungs­kom­mis­sio­nen) aus­ge­schlos­sen wer­den sollten.


Refe­ren­zen:

  • Mar­kus Frei­tag, Pir­min Bun­di, Mar­ti­na Flick Wit­zig (2019): Miliz­ar­beit in der Schweiz. Zah­len und Fak­ten zum poli­ti­schen Leben in der Schweiz. Zürich: NZZ Libro.

Bild: Gross­rats­ge­bäu­de Kan­ton Wallis

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