Warum Gemeindefusionen kein Wundermittel sind

Lohnt es sich aus finan­zi­el­ler Sicht über­haupt, Gemein­den zu fusio­nie­ren? Ob durch sol­che Refor­men Ein­spa­run­gen rea­li­siert wer­den kön­nen, ist in der Lite­ra­tur umstrit­ten und von den Rah­men­be­din­gun­gen des Ein­zel­falls abhän­gig. Die Gemein­de­fu­si­on in Gla­rus 2011 bie­tet die Gele­gen­heit, sol­che finan­zi­el­len Aus­wir­kun­gen einer umfas­sen­den ver­ti­ka­len und hori­zon­ta­len Reform zu untersuchen.

Der inter­na­tio­na­le Trend zu loka­len Gebiets­re­for­men hat in den letz­ten Jah­ren auch die Schweiz erreicht. Sol­che Refor­men zie­len (neben ande­ren Moti­ven) oft dar­auf ab, grös­se­re Gemein­den zu bil­den und damit Grös­sen­vor­tei­le zu erzie­len. Die poli­ti­schen Dis­kus­sio­nen über eine Gemein­de­re­form in Gla­rus began­nen Mit­te der 90er-Jah­re und waren teil­wei­se durch finan­zi­el­le Schwie­rig­kei­ten moti­viert. Aus­ge­hend von den finan­zi­el­len und struk­tu­rel­len Per­spek­ti­ven bestand offen­kun­dig Handlungsbedarf.

Die Lands­ge­mein­de hat 2006 schliess­lich beschlos­sen, die Struk­tur der Gemein­den und ande­rer loka­ler poli­ti­scher Ein­hei­ten in Gla­rus radi­kal zu ver­ein­fa­chen. Die neue ter­ri­to­ria­le Struk­tur ab 2011 hat die intra­ka­n­to­na­le Auf­ga­ben­ver­tei­lung zwi­schen Kan­ton und Gemein­den grund­le­gend ver­än­dert: Die hori­zon­ta­le Gebiets­re­form lös­te indi­rekt auch eine ver­ti­ka­le Reform von Ver­ant­wort­lich­kei­ten, Auf­ga­ben und Ein­nah­me­quel­len aus. Die Reform und vor allem die ent­spre­chen­den Vor­ar­bei­ten über­schnit­ten sich zudem mit der NFA.

Es stellt sich die Fra­ge, ob Gemein­de­fu­sio­nen geeig­net sind, um wirt­schaft­li­che Zie­le wie Ska­len­ef­fek­te oder Kos­ten­ein­spa­run­gen zu errei­chen. Theo­re­ti­sche Über­le­gun­gen füh­ren zu unkla­ren Ergeb­nis­sen und die aktu­el­len empi­ri­schen Bele­ge sind gemischt. Wir nut­zen die Reform in Gla­rus, um die fis­ka­li­schen Aus­wir­kun­gen des Zusam­men­schlus­ses empi­risch zu quantifizieren.

Die wich­tigs­ten Ergeb­nis­se unse­rer Stu­die zei­gen, dass die hori­zon­ta­le Gebiets­re­form 2011 in aus­ge­wähl­ten Berei­chen und Auf­ga­ben zu gewis­sen Ein­spa­run­gen bei den Aus­ga­ben nach dem Zusam­men­schluss auf der Ebe­ne der Gemein­den führ­te. Im Ein­klang mit den Ergeb­nis­sen zu frü­he­ren Unter­su­chun­gen von Gemein­de­fu­sio­nen haben wir eini­ge Ein­spa­run­gen in der all­ge­mei­nen Gemein­de­ver­wal­tung fest­ge­stellt. Und dort, wo Umstruk­tu­rie­run­gen bei der Bereit­stel­lung loka­ler öffent­li­cher Güter vor­ge­nom­men wur­den, die über eine rei­ne ter­ri­to­ria­le Reform hin­aus­ge­hen (z.B. öffent­li­che Schu­len), sind eben­falls gewis­se Ein­spa­run­gen erkenn­bar. Das Aus­mass der Kos­ten­min­de­run­gen war ins­ge­samt jedoch beschränkt.

Abbildung 1: Synthetische Kontrollmethode — Reales vs. “Synthetisches” Glarus (Angaben in CHF)

Auch der Kan­ton erreich­te Ein­spa­run­gen, vor allem durch die ver­ti­ka­le Ent­flech­tung der Auf­ga­ben zwi­schen Kan­ton und Gemein­den im Vor­feld der Reform von 2008 bis 2011, nicht aber durch die Gebiets­re­form als solche.

Abschlies­send kön­nen wir anhand die­ser Reform in Gla­rus fest­hal­ten, dass durch ter­ri­to­ria­le Gemein­de­fu­sio­nen gewis­se Ein­spa­run­gen in Nischen mög­lich sind. Die­se sind aber rela­tiv gering. Die Effek­te der ver­ti­ka­len Auf­ga­ben­ent­flech­tung zwi­schen Kan­ton und Gemein­den, respek­ti­ve die Neu­ord­nun­gen von Auf­ga­ben und Ver­ant­wort­lich­kei­ten sind weit­aus ausgeprägter.

Die Reform war ein ein­zig­ar­ti­ges Ereig­nis in der Schweiz. Klei­ne und frag­men­tier­te poli­ti­sche Ein­hei­ten wur­den zusam­men­ge­führt. Zudem stan­den der Kan­ton und sei­ne Gemein­den unter wirt­schaft­li­chem Druck. Sowohl die Bür­ger als auch die Poli­ti­ker waren sich wahr­schein­lich bewusst, dass Refor­men nötig waren. Daher ist es schwie­rig, zu unter­schei­den zwi­schen Ein­spa­run­gen durch die Reform und der rei­nen Bereit­schaft zur Kos­ten­sen­kung. Ent­spre­chend soll­ten die Ergeb­nis­se die­ser Stu­die nicht ver­all­ge­mei­nert werden.

Das polit­öko­no­mi­sche Fazit bleibt so trotz aller metho­di­schen Fines­sen sim­pel: Es lohnt sich, öffent­li­che Aus­ga­ben von Zeit zu Zeit zu hin­ter­fra­gen und zu prü­fen, wel­che Staats­ebe­ne für wel­che Auf­ga­ben am bes­ten geeig­net ist. Obschon die Fusio­nen kein Wun­der­mit­tel waren, so sind sie doch ein Zei­chen dafür, dass die Glar­ner die­sen ent­schei­den­den Punkt des Föde­ra­lis­mus längst ver­in­ner­licht haben.

Metho­de

Für die hier vor­lie­gen­de For­schungs­fra­ge, ob die Reform zu Kos­ten­ein­spa­run­gen geführt hat, ist es nicht mög­lich, ein kon­trol­lier­tes Expe­ri­ment durch­zu­füh­ren. Ver­glei­chen­de Fall­stu­di­en sind jedoch ein guter Weg, um die Wir­kung von poli­ti­schen Ent­schei­dun­gen und Inter­ven­tio­nen zu schät­zen. Die Syn­the­ti­sche Kon­troll­me­tho­de (SCM) ermög­licht es, die Ent­wick­lung des «rea­len» Gla­rus mit der Ent­wick­lung eines «syn­the­ti­schen» (nicht refor­mier­ten) Gla­rus zu ver­glei­chen. Die­ses syn­the­ti­sche Gla­rus wird gebil­det, indem die Wer­te von ande­ren (nicht fusio­nier­ten) Kan­to­nen gewich­tet wer­den, bis sich die Ent­wick­lung von rea­lem und syn­the­ti­schem Gla­rus vor der Reform anglei­chen. Wir nut­zen Daten vor der Reform von 1995 bis 2010, um die bei­den Ent­wick­lun­gen anzu­glei­chen und Daten nach der Reform von 2011 bis 2016, um eine all­fäl­lig abwei­chen­de Ent­wick­lung dar­zu­stel­len. SMC kann als Erwei­te­rung des bekann­ten Dif­fe­rence-in-Dif­fe­rence Designs ver­stan­den werden.


Refe­renz:

Hof­mann, Roland und Nat­a­na­el Rother (2019). Was it Worth it? The Ter­ri­to­ri­al Reform in the Can­ton of Gla­rus, in: Swiss Poli­ti­cal Sci­ence Review 25(2).


Bild: Wiki­me­dia Commons

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