Altersvorsorge: Keine Reform ohne Kompensation!

In der aktu­el­len Alters­vor­sor­ge­re­form tun sich Grä­ben auf zwi­schen Par­tei­pa­ro­len und Wäh­ler­schaft: Die Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler der SP unter­stüt­zen ein höhe­res Frau­en­ren­ten­al­ter. Die Anhän­ger­schaft der SVP wehrt sich gegen Ren­ten­kür­zun­gen in der zwei­ten Säu­le. Die Sym­pa­thi­san­tin­nen und Sym­pa­thi­san­ten der Grü­nen hin­ge­gen befür­wor­ten sie. Ein Blick auf die Prä­fe­ren­zen der Par­tei­an­hän­ger­schaf­ten in der lau­fen­den Reform der Alters­vor­sor­ge zeigt Erstaunliches. 

Ver­si­on française

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Die Bevöl­ke­rung ist bereit, gewis­se Kür­zun­gen der Ren­ten­ver­si­che­rung in Kauf zu neh­men. Aller­dings gibt es gros­se Unter­schie­de zwi­schen den ein­zel­nen Par­tei­an­hän­ger­schaf­ten. Dies zei­gen die Resul­ta­te unse­rer jüngs­ten Umfra­ge zur Alters­vor­sor­ge 2020.

Reform ins Stocken geraten

Die vom Bun­des­rat ange­stos­se­ne Reform Alters­vor­sor­ge 2020 ist ins Sto­cken gera­ten. Die Vor­la­ge befin­det sich seit Dezem­ber 2016 im Dif­fe­renz­be­rei­ni­gungs­ver­fah­ren. Ein Kom­pro­miss scheint noch immer nicht in Sicht, obwohl in weni­gen Wochen die Schluss­ab­stim­mung im Par­la­ment ansteht.

Der Stän­de­rat hält an der von ihm ein­ge­brach­ten 70 Fran­ken höhe­ren AHV-Ren­te fest, der Natio­nal­rat möch­te die Sen­kung des Umwand­lungs­sat­zes hin­ge­gen aus­schliess­lich durch eine Erhö­hung des Alters­ka­pi­tals kom­pen­sie­ren. Immer­hin, die bei­den Räte schei­nen sich dar­in einig zu sein, dass die Sen­kung des Umwand­lungs­sat­zes in irgend­ei­ner Art und Wei­se kom­pen­siert wer­den soll­te. Denn letzt­end­lich geht es dar­um, eine Vor­la­ge zu ver­ab­schie­den, wel­che die Alters­vor­sor­ge fit für die Zukunft macht und auch reel­le Chan­cen hat, vor dem Volk zu bestehen.

Rentenalter 65 – Kürzung oder Gleichstellung?

Die Anglei­chung des Frau­en-Ren­ten­al­ters an das­je­ni­ge der Män­ner auf 65 Jah­re ver­hilft der Ren­ten­re­form grund­sätz­lich zum Erfolg. Bei den Anhän­ge­rin­nen und Anhän­gern der meis­ten Par­tei­en (SP, CVP, BDP, GLP, FDP) gene­riert die Erhö­hung des Frau­en­ren­ten­al­ters sogar zusätz­li­che Unter­stüt­zung für die Reform (Erhö­hung um durch­schnitt­lich 6 Pro­zent­punk­te). Dies ist durch­aus bemer­kens­wert, han­delt es sich dabei doch fak­tisch um eine Kür­zung der Renten.

Erstaun­li­cher­wei­se unter­schei­det sich die SP-Anhän­ger­schaft in die­sem Punkt nur wenig von den ande­ren Par­tei­en: Auch bei ihnen hat die Reform eine um 5 Pro­zent­punk­te höhe­re Erfolgs­chan­ce in der Abstim­mung, wenn das Ren­ten­al­ter der Frau­en erhöht wird, als wenn dies nicht geschieht. Dies könn­te als ein Resul­tat der sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Wer­te der Geschlech­ter­gleich­stel­lung zu inter­pre­tie­ren sein. Geschwächt wird die­ses Argu­ment mit einem Blick auf die Anhän­ger­schaft der Grü­nen, bei denen die­se Mass­nah­me, trotz ähn­li­cher Wert­vor­stel­lun­gen, kei­ne Unter­stüt­zung gene­riert. Aller­dings ist die sta­tis­ti­sche Unsi­cher­heit der Schät­zun­gen für die Grü­nen auf­grund der gerin­gen Fall­zahl ziem­lich hoch.

Die SVP hat in der Ver­nehm­las­sung zur Alters­vor­sor­ge ver­langt, eine Erhö­hung des Frau­en­ren­ten­al­ters „umge­hend vor­zu­neh­men“ und befür­wor­tet auch wei­ter­füh­ren­de Erhö­hun­gen des Ren­ten­al­ters. Dies steht jedoch im Kon­trast zu ihrer Wäh­ler­schaft. Bei den Sym­pa­thi­san­ten der SVP kommt der Vor­schlag der Ren­ten­al­ter­erhö­hung nicht gut an.

Kürzungen kommen nicht überall schlecht an

In der Gesamt­be­völ­ke­rung wir­ken sich aus­ser Ren­ten­al­ter 65 sämt­li­che unter­such­ten Kür­zungs­vor­schlä­ge nega­tiv auf die Akzep­tanz der Reform aus. Es gibt jedoch gros­se Unter­schie­de zwi­schen ein­zel­nen Par­tei­an­hän­ger­schaf­ten. Die Erhö­hung des Ren­ten­al­ters auf 67 Jah­re für Frau­en und Män­ner hat bei den Wäh­ler­schaf­ten der FDP und der GLP kei­nen nega­ti­ven Ein­fluss auf die Annah­me­wahr­schein­lich­keit der Reform.

Eben­falls bringt die Sen­kung des Umwand­lungs­sat­zes in der beruf­li­chen Vor­sor­ge nicht bei allen Par­tei­en nega­ti­ve Kon­se­quen­zen mit sich. So sind es vor allem die Anhän­ger­schaf­ten der Pol­par­tei­en SP und SVP, bei wel­chen die­se Mass­nah­me die Reform zu Fall brin­gen könn­te, min­des­tens dann, wenn kein fai­rer Aus­gleich der Kür­zun­gen ersicht­lich ist.

Auch bei der Ein­schrän­kung der Wit­wen­ren­te kann ähn­li­ches beob­ach­tet wer­den. Nur bei der SVP wirkt sich die­se Mass­nah­me signi­fi­kant nega­tiv auf die Erfolgs­chan­cen der Reform aus. Alle ande­ren Par­tei­en ste­hen die­ser Mass­nah­me indif­fe­rent gegenüber.

Dies zeigt, dass unter­schied­li­che Grup­pen selek­ti­ve Kür­zun­gen durch­aus zu tra­gen bereit sind. Mit Blick auf die Mehr­heits­fä­hig­keit in der gesam­ten Bevöl­ke­rung ist aber klar ersicht­lich, dass Kür­zun­gen nur mit ent­spre­chen­den Kom­pen­sa­tio­nen mehr­heits­fä­hig sind.

Welche Kompensationen sind möglich?

Doch wel­che Kom­pen­sa­ti­ons­mass­nah­men erzeu­gen bei wem wie viel Unter­stüt­zung für die Alters­vor­sor­ge­re­form? Ein Blick auf die Prä­fe­ren­zen der Gesamt­be­völ­ke­rung oder die Abbil­dun­gen zu den ein­zel­nen Par­tei­en zeigt, dass Kom­pen­sa­tio­nen (mit Aus­nah­me einer Mehr­wert­steu­er­erhö­hung von bis zu 2 Pro­zent) funk­tio­nie­ren. Das heisst, dass die Wahr­schein­lich­keit eines Erfolgs der Reform an der Urne mit geziel­ten Mass­nah­men erhöht und Kür­zun­gen somit poli­tisch kom­pen­siert wer­den kön­nen. Eine Erhö­hung der AHV-Ren­te um 70 Fran­ken pro Monat und Ein­zel­per­son bei­spiels­wei­se gene­riert am meis­ten Unter­stüt­zung für das Gesamt­pa­ket bei den Sym­pa­thi­san­ten der SP. Bei den Wäh­le­rin­nen und Wäh­lern ande­rer Par­tei­en bleibt die­se Mass­nah­me ohne signi­fi­kan­te Ver­än­de­rung in der Unterstützung.

Auch eine Ver­bes­se­rung der zwei­ten Säu­le für Gering­ver­die­ner und Teil­zeit­an­ge­stell­te mit­tels einer tie­fe­ren Ein­tritts­schwel­le bringt nie­man­den gegen die Reform auf. Im Gegen­teil gene­riert die­se Mass­nah­me bei allen Par­tei­en aus­ser der FDP und der SVP Unter­stüt­zung für die Reform. Die­se Kom­pen­sa­ti­ons­mög­lich­keit ist aller­dings bereits vom Tisch. Der Stän­de­rat und der Natio­nal­rat sind sich dar­in einig, den Aus­bau ledig­lich auf Teil­zeit­an­ge­stell­te zu beschrän­ken: Eine Mass­nah­me, die aber in kei­ner Par­tei signi­fi­kant zur Erhö­hung der Annah­me­wahr­schein­lich­keit führt.

Bei der Erhö­hung der Mehr­wert­steu­er um maxi­mal ein Pro­zent sind die Ver­hält­nis­se wie­der­um ähn­lich. Bei den Sym­pa­thi­san­ten der Grü­nen, der CVP und der BDP gene­riert die­se Mass­nah­me Unter­stüt­zung. Bei kei­ner Par­tei aber hät­te dies eine tie­fe­re Unter­stüt­zung für das Gesamt­pa­ket zur Folge.

Das Parlament muss den richtigen Mittelweg finden — in wenigen Wochen 

Es kann fest­ge­hal­ten wer­den, dass gewis­se Kür­zun­gen (ins­be­son­de­re Ren­ten­al­ter 65 für Frau­en) zum Gelin­gen der Ren­ten­re­form an der Urne bei­tra­gen kön­nen. Die Mehr­heit der Kür­zungs­vor­schlä­ge wirkt sich jedoch bei den meis­ten Par­tei­wäh­ler­schaf­ten nega­tiv auf die Unter­stüt­zung aus. Bei den Kom­pen­sa­ti­ons­mass­nah­men sind die Ver­hält­nis­se umge­kehrt. Wäh­rend eine all­zu gros­se Erhö­hung der Mehr­wert­steu­er die Annah­me­wahr­schein­lich­keit bei eini­gen Par­tei­wäh­ler­schaf­ten sogar senkt, haben die ande­ren Mass­nah­men einen posi­ti­ven oder kei­nen Effekt auf den Erfolg der Ren­ten­re­form. Die Auf­ga­be der Poli­tik muss es dem­nach sein, die­je­ni­gen Grup­pen, bei wel­chen vor­zu­neh­men­de Kür­zun­gen die Unter­stüt­zung schmä­lern, mit ent­spre­chend wirk­sa­men Mass­nah­men zu kompensieren.

Mit Blick auf den anfangs ange­spro­che­nen Haupt­dis­kus­si­ons­punkt des Dif­fe­renz­be­rei­ni­gungs­ver­fah­rens bedeu­tet dies zu fra­gen, wel­che Grup­pen für eine Sen­kung des Umwand­lungs­sat­zes kom­pen­siert wer­den müs­sen. Klar nega­tiv wirkt sich eine Sen­kung ohne Aus­gleich in ers­ter Linie auf die Unter­stüt­zung bei SP und SVP Wäh­lern aus. Durch einen Aus­gleich inner­halb der zwei­ten Säu­le (Erhö­hung des Spar­gut­ha­bens) wie dies der Natio­nal­rat vor­schlägt, lies­sen sich allen­falls die SVP Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler kom­pen­sie­ren (Annah­me­wahr­schein­lich­keit erhöht sich von ‑8 auf insi­gni­fi­kan­te ‑4 Pro­zent­punk­te), die SP-Wäh­ler­schaft hin­ge­gen nicht voll­stän­dig (Annah­me­wahr­schein­lich­keit erhöht sich von ‑12 auf ‑7 Pro­zent­punk­te und bleibt signi­fi­kant nega­tiv). Die­se könn­te durch den stän­de­rät­li­chen Vor­schlag der AHV-Ren­ten­er­hö­hung bes­ser zufrie­den­ge­stellt wer­den (um bis zu 9 Pro­zent­punk­te), was aber wie­der­um nicht für die SVP gilt. Ein Mit­tel­weg der bei­den Kom­pen­sa­ti­ons­mo­del­le in der ers­ten und zwei­ten Säu­le scheint daher zum jet­zi­gen Zeit­punkt im Hin­blick auf eine Volks­ab­stim­mung der erfolg­ver­spre­chends­te Weg. Dem Par­la­ment blei­ben nur weni­ge Wochen, die­sen Weg noch zu finden.

Ren­ten 2020 — Zukunft gestalten
Das For­schungs­pro­jekt „Ren­ten 2020 – Zukunft gestal­ten“ des Insti­tuts für Poli­tik­wis­sen­schaft Zürich beglei­tet den Pro­zess der Alters­vor­sor­ge-Reform mit einer Panel­stu­die und anhand einer Con­joint-Ana­ly­se (Hin­ter­grund­ar­ti­kel zum Pro­jekt). Die­se ermög­licht es, die Ein­stel­lun­gen der Bevöl­ke­rung abzu­bil­den und Aus­sa­gen zu den Erfolgs­wahr­schein­lich­kei­ten ver­schie­de­ner Reform­pa­ke­te zu machen (bei­spiels­wei­se, dass das Ren­ten­al­ter 67 im Volk einen schwe­ren Stand hat).

Span­nen­de und für die Reform auch wert­vol­le Ein­sich­ten lie­fern dabei soge­nann­te Sub­grup­pen­ana­ly­sen. Bei einer Sub­grup­pen­ana­ly­se wer­den nur die Ant­wor­ten eines Teils der Befrag­ten Per­so­nen ana­ly­siert, zum Bei­spiel ledig­lich die der CVP-Sym­pa­thi­san­ten, die der Rent­ne­rin­nen und Rent­ner oder die der Frau­en. Die Ein­stel­lun­gen der Bevöl­ke­rung sowie der ein­zel­nen Par­tei­wäh­ler­schaf­ten sind in der inter­ak­ti­ven Gra­fik dargestellt.

Gra­fik: Salim Brüggemann

Foto: Pixabay.

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