Rentenalter 67 hat im Volk schweren Stand

Ren­ten­al­ter 67 senkt die Erfolgs­chan­cen der Reform der Alters­vor­sor­ge an der Urne mas­siv. Das hat der Natio­nal­rat ein­ge­se­hen. Ein Reform­pa­ket mit Ren­ten­al­ter 65 für bei­de Geschlech­ter hät­te hin­ge­gen Chan­cen, vom Volk ange­nom­men zu wer­den. Um die Erfolgs­chan­cen einer Reform der Sozi­al­wer­ke zu erhö­hen, muss dem Volk auch etwas gebo­ten wer­den. Das zei­gen die ers­ten Resul­ta­te unse­rer mehr­jäh­ri­gen Unter­su­chung, die das vom Bun­des­rat initi­ier­te Reform­pro­jekt Alters­vor­sor­ge 2020 begleitet.

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Für Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­ker gibt es kaum unan­ge­neh­me­re Auf­ga­ben, als sozi­al­po­li­ti­sche Refor­men durch­zu­set­zen. Ren­ten­kür­zun­gen oder Bei­trags­er­hö­hun­gen kom­men im Volk meist schlecht an. Doch die zuneh­men­de Lebens­er­war­tung zwingt die Poli­tik, zu reagie­ren und Refor­men anzu­pa­cken. Aber wie kann eine Reform der Alters­vor­sor­ge gelin­gen? Das wol­len wir mit unse­rem For­schungs­pro­jekt herausfinden.

Bevölkerung wägt Präferenzen ab

Aus der poli­tik­wis­sen­schaft­li­chen For­schung wis­sen wir, dass die Bevöl­ke­rung nicht bloss für oder gegen eine sozi­al­po­li­ti­sche Reform ist. Die­se sind meis­tens kom­plex und umfas­sen häu­fig ver­schie­de­ne Ele­men­te. Die meis­ten Men­schen befür­wor­ten daher eini­ge Aspek­te der Reform, wäh­rend sie ande­re Aspek­te ableh­nen. Bei der Ent­schei­dung über das Gesamt­pa­ket, z.B. bei einer Abstim­mung, muss das Stimm­volk die­se Prä­fe­ren­zen gegen­ein­an­der abwägen.

Genau die­se Abwä­gun­gen ver­su­chen wir mit dem For­schungs­pro­jekt Ren­ten 2020 – Zukunft gestal­ten zu erfas­sen. Unse­re Befra­gung von knapp 2’000 zufäl­lig aus­ge­wähl­ten Schwei­ze­rin­nen und Schwei­zern aus allen Lan­des­tei­len zeigt, dass die Bevöl­ke­rung zu Kom­pro­mis­sen bereit ist. Ein Reform­pa­ket ist dann mehr­heits­fä­hig, wenn es gelingt, unpo­pu­lä­re Mass­nah­men mit popu­lä­re­ren zu kombinieren.

Unse­re Ana­ly­se zeigt, dass eine Ren­ten­re­form, wel­che den Vor­schlag zur Anglei­chung des Frau­en­ren­ten­al­ters an das gel­ten­de Män­ner­ren­ten­al­ter von 65 Jah­ren beinhal­tet, eine um etwa 6 Pro­zent­punk­te höhe­re Wahr­schein­lich­keit hat, vom Stimm­volk ange­nom­men zu wer­den. Dies im Ver­gleich mit einem Reform­vor­schlag, der beim Ren­ten­al­ter den Sta­tus quo – Frau­en­ren­ten­al­ter 64, Män­ner­ren­ten­al­ter 65 – bei­be­hält (Abbil­dung 1). Die­ses Ergeb­nis gilt in der Ten­denz für die Wäh­ler­schaf­ten der meis­ten Par­tei­en, mit Aus­nah­me der Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler der Grü­nen und der SVP.

Rentenalter 67 kostet das ganze Reformpaket an Unterstützung

Eine Erhö­hung des Ren­ten­al­ters auf 67 Jah­re hat aller­dings den gegen­tei­li­gen Effekt. Die­se Mass­nah­me ist in der Stimm­be­völ­ke­rung sehr unpo­pu­lär, aus­ser bei den Wäh­ler­schaf­ten der FDP und der GLP. Der Vor­schlag für Ren­ten­al­ter 67 kos­tet das Reform­pa­ket deut­lich an Unterstützung.

Abbil­dung 1 zeigt die Aus­wir­kun­gen ein­zel­ner Reform­be­stand­tei­le auf die Wahr­schein­lich­keit, dass das gesam­te Reform­pa­ket unter­stützt wird.

Abbildung 1:

Graph 1

Lese­hil­fe: Über­schnei­den die far­bi­gen, kur­zen Lini­en die gestri­chel­te 0‑Linie nicht, bedeu­tet das, dass eine Reform, wel­che die­ses Ele­ment ent­hält, signi­fi­kant mehr Zustim­mung bzw. Ableh­nung im Ver­gleich zum Sta­tus Quo erhält. In ande­ren Wor­ten: Eine Reform, wel­che das Ren­ten­al­ter auf 65 Jah­re für Män­ner und Frau­en fest­setzt, hat eine um ca. 6 Pro­zent­punk­te höhe­re Erfolgs­wahr­schein­lich­keit als eine Reform, wel­che beim Ren­ten­al­ter den Sta­tus quo beibehält.

Auch die Sen­kung des Umwand­lungs­sat­zes in der beruf­li­chen Vor­sor­ge ver­rin­gert ten­den­zi­ell die Unter­stüt­zung für das Reform­pa­ket. Vor allem bei den Wäh­le­rin­nen der gröss­ten Par­tei­en SVP und SP schmä­lert die­ser Vor­schlag die Zustim­mung zur Reform. Anders bei der Wit­wen­ren­te: Eine Reform, wel­che die Abschaf­fung der Wit­wen­ren­te vor­schlägt, wird eher abge­lehnt als eine Reform, wel­che die Wit­wen­ren­te bei­be­hält. Die­ser Vor­schlag stellt somit einen kla­ren Stol­per­stein für den Erfolg des gesam­ten Reform­pa­kets dar.

Vor­schlä­ge zum Ren­ten­aus­bau kom­men bei den Befrag­ten bes­ser an. Der erwei­ter­te Zugang zu Ren­ten aus der beruf­li­chen Vor­sor­ge für Teil­zeit­be­schäf­tig­te sowie Tief­lohn­be­zü­ge­rin­nen und Tief­lohn­be­zü­ger stei­gert die Unter­stüt­zung für die Reform um 2 bis 6 Pro­zent­punk­te. Der vom Stän­de­rat ein­ge­brach­te Vor­schlag der Erhö­hung der AHV-Ren­ten um 70 Fran­ken für Ein­zel­per­so­nen und bis zu 226 Fran­ken für Ehe­paa­re pro Monat wird je nach Wäh­ler­schaft unter­schied­lich bewer­tet. In der Wäh­ler­schaft der SP sowie in der Grup­pe der Pen­sio­nier­ten fin­det die­ser Vor­schlag Anklang (Zunah­me um 4 bis 9 Prozentpunkte).

Die Gene­rie­rung von Mehr­ein­nah­men durch eine Erhö­hung der Mehr­wert­steu­er um maxi­mal 1 Pro­zent trägt eben­falls zur Unter­stüt­zung der Reform bei. Eine stär­ke­re Erhö­hung der Mehr­wert­steu­er um höchs­tens 2 Pro­zent dürf­te sich hin­ge­gen nega­tiv auf die Unter­stüt­zung des gesam­ten Reform­pa­kets auswirken.

Kompromissbereites Stimmvolk

Die Stimm­bür­ge­rin­nen und Stimm­bür­ger sind also durch­aus bereit, Kom­pro­mis­se ein­zu­ge­hen. Im Gegen­zug zu einem Leis­tungs­aus­bau betref­fend Zugang zu Ren­ten aus der beruf­li­chen Vor­sor­ge und höhe­rer AHV-Ren­ten wür­de eine Mehr­heit auch einer Erhö­hung des Frau­en­ren­ten­al­ters auf 65 Jah­re zustim­men. Ren­ten­al­ter 67 für Män­ner und Frau­en sowie eine Abschaf­fung der Wit­wen­ren­te könn­ten hin­ge­gen kaum kom­pen­siert wer­den. Sie stel­len für die Bevöl­ke­rung eine rote Linie dar.

Alters­vor­sor­ge 2020 war in der Herbst­ses­si­on Gegen­stand der Bera­tun­gen im Natio­nal­rat. Die Ein­füh­rung einer Schul­den­brem­se, die auch eine schritt­wei­se Erhö­hung des Ren­ten­al­ters auf 67 Jah­re vor­sieht, wur­de dabei inten­siv debat­tiert. Am Ende wur­de die­ser Mecha­nis­mus aller­dings in einen sepa­ra­ten Ent­wurf her­aus­ge­löst. Das ist ange­sichts unse­rer Resul­ta­te sinn­voll, da die Erhö­hung des Ren­ten­al­ters auf 67 in gros­sen Tei­len der Bevöl­ke­rung auf Ableh­nung stösst und eine erfolg­rei­che Reform der Alters­re­form klar gefähr­den würde.

Wei­ter hat der Natio­nal­rat die Erhö­hung der AHV-Ren­ten um 70 Fran­ken, die der Stän­de­rat ein­ge­bracht und beschlos­sen hat­te, aus dem Reform­pa­ket ent­fernt. Statt­des­sen wur­de ein ande­res Kon­zept zur Kom­pen­sa­ti­on von Ren­ten­ein­bus­sen ein­ge­bracht, das die voll­stän­di­ge Abschaf­fung des Koor­di­na­ti­ons­ab­zu­ges vorsieht.

Unse­re Resul­ta­te zei­gen, dass ein Reform­pa­ket, das die Erhö­hung des Frau­en­ren­ten­al­ters und die Sen­kung des Umwand­lungs­sat­zes ent­hält, Erfolgs­chan­cen hat – sofern die­se Mass­nah­men ent­spre­chend kom­pen­siert wer­den. Dies kann ent­we­der in der ers­ten oder in der zwei­ten Säu­le geschehen.

Eine Erhö­hung der AHV-Ren­ten um 70 Fran­ken erhöht die Zustim­mung zu einem Reform­pa­ket in ähn­li­chem Aus­mass wie Ver­bes­se­run­gen der Pen­si­ons­kas­sen­leis­tun­gen für Tief­lohn- und Teil­zeit­er­werbs­tä­ti­ge (Senkung/Abschaffung des Koor­di­na­ti­ons­ab­zu­ges und Sen­kung der Ein­tritts­schwel­le). Bei­de Mass­nah­men kom­men Per­so­nen mit tie­fen Ein­kom­men entgegen.

Im aktu­el­len Kom­pen­sa­ti­ons­vor­schlag wird aller­dings auf eine Sen­kung der Ein­tritts­schwel­le ver­zich­tet. Für den Erfolg der Reform der Alters­vor­sor­ge wird es zen­tral sein, eine sub­stan­ti­el­le, grif­fi­ge und ver­ständ­li­che Kom­pen­sa­ti­ons­mass­nah­me ins Reform­pa­ket auf­zu­neh­men. Mit Blick auf unse­re Ergeb­nis­se hat der Stän­de­rat hier unter­schied­li­che Mög­lich­kei­ten zur Nachbesserung.

Hin­weis: Aus­führ­li­cher wer­den die Ergeb­nis­se der Befra­gung im dazu­ge­hö­ri­gen For­schungs­be­richt bespro­chen: Häu­ser­mann Sil­ja, Tra­ber Deni­se , Kurer Tho­mas und Ping­ge­ra Micha­el (2016): Alters­vor­sor­ge 2020. Wel­che Mass­nah­men erhö­hen bzw. sen­ken die Wahr­schein­lich­keit, dass die Reform in der Stimm­be­völ­ke­rung unter­stützt wird? Kurz­be­richt Sep­tem­ber 2016: Uni­ver­si­tät Zürich, Insti­tut für Politikwissenschaft.


Lek­to­rat: Sarah Bütikofer

Titel­bild: Public Domain

Gra­fik: Salim Brüggemann

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