Einfluss der Lobbygruppen auf Parlamentsarbeit

Inter­es­sen­grup­pen rekru­tie­ren für ihre Führungs‑, Aufsicht‑, und Bera­tungs­gre­mi­en oft Mit­glie­der des Natio­nal- und Stän­de­ra­tes. Sie ver­su­chen dabei, die für ihre Anlie­gen geeig­nets­ten Par­la­ments­mit­glie­der zu gewin­nen. Dass die­ses Kal­kül auf­geht, zeigt unse­re sys­te­ma­ti­sche Aus­wer­tung von Vor­stös­sen und par­la­men­ta­ri­schen Initia­ti­ven (sog. par­la­men­ta­ri­schen Hand­lungs­in­stru­men­ten) in Ver­bin­dung mit die­sen Interessenbindungen. 

Das Sys­tem der Inter­es­sen­bin­dun­gen in den eid­ge­nös­si­schen Räten stellt eine auf lan­ge Frist aus­ge­leg­te, enge Part­ner­schaft zwi­schen Rats­mit­glie­dern und Inter­es­sen­grup­pen dar. Getra­gen wird es durch Aus­tausch­be­zie­hun­gen: Par­la­men­ta­rie­rin­nen und Par­la­men­ta­ri­er die­nen «ihren» Inter­es­sen­grup­pen als Sprach­rohr, indem sie deren Anlie­gen im Rats­saal, in den Kom­mis­sio­nen und in der brei­te­ren Öffent­lich­keit Gehör verschaffen.

Im Gegen­zug stel­len ihnen die Lob­by­grup­pen Res­sour­cen zur Ver­fü­gung. So ver­sor­gen sie die Rats­mit­glie­der mit Exper­ti­se und Infor­ma­tio­nen für die Rats­ar­beit oder unter­stüt­zen sie im Wahl­kampf. Zudem wer­den vie­le Rats­mit­glie­der für ihre Funk­tio­nen in Führungs‑, Aufsicht‑, und Bera­tungs­gre­mi­en entschädigt.

Mehr Austausch, mehr Vorstösse

Für die erhal­te­nen Vor­tei­le zei­gen sich die Par­la­men­ta­rie­rin­nen und Par­la­men­ta­ri­er bei den Lob­by­grup­pen erkennt­lich. Sie nut­zen die neu gewon­ne­ne Exper­ti­se, um Vor­stös­se und par­la­men­ta­ri­sche Initia­ti­ven zuguns­ten ihrer Inter­es­sen­grup­pen zu ver­fas­sen – oder las­sen sich von die­sen gleich ein­rei­chungs­fer­ti­ge Hand­lungs­in­stru­men­te bereit­stel­len. Es zeigt sich daher, dass Rats­mit­glie­der, nach­dem sie Inter­es­sen­bin­dun­gen ein­ge­gan­gen sind, mehr Hand­lungs­in­stru­men­te aus den Poli­tik­fel­dern die­ser Lob­by­grup­pen einreichen.

Austausch endet, Vorstösse enden

Aller­dings beruht die­ser Aus­tausch auf Gegen­sei­tig­keit. Ein Rats­mit­glied reicht solan­ge Vor­stös­se und par­la­men­ta­ri­sche Initia­ti­ven zuguns­ten einer Inter­es­sen­grup­pe ein, wie es mit die­ser ver­bun­den ist. Endet das Man­dat, enden auch die gegen­sei­ti­gen Gefälligkeiten.

Unse­re Ergeb­nis­se zei­gen, dass ehe­ma­li­ge Inter­es­sen­bin­dun­gen (kon­ser­va­tiv berech­net) spä­tes­tens zwei Jah­re nach der Auf­lö­sung kei­nen Ein­fluss mehr auf die Nut­zung der Hand­lungs­in­stru­men­te eines Rats­mit­glie­des aus­üben (sie­he Abbil­dung 1). Damit zeigt sich, dass Inter­es­sen­bin­dun­gen pri­mär Zweck­be­zie­hun­gen sind, die den poli­ti­schen Fokus eines Rats­mit­glie­des nicht nach­hal­tig verändern.

Abbildung 1: Der Effekt von Interessenbindungen (IB) auf Vorstösse und parlamentarische Initiativen

Anmerkung: Die Abbildung gibt Inzidenzratenverhältnisse wieder. Der Effekt auf Handlungsinstrumente gilt als nachgewiesen (signifikant), solange die gestrichelte Linie bei 1 nicht überschritten wird.
Lesebeispiel anhand Gegenwärtige IB: Für jede zusätzliche Interessenbindung erhöht sich die erwartete Anzahl eingereichter parlamentarischer Handlungsinstrumente eines Ratsmitgliedes im Politikfeld der entsprechenden Lobbygruppe um den Faktor 1.075 (oder 7.5 Prozent).
Eigeninteresse mindert Lobbyeinfluss

Beim Ein­fluss der Inter­es­sen­bin­dun­gen auf die Nut­zung von Hand­lungs­in­stru­men­ten las­sen sich zudem deut­li­che Unter­schie­de zwi­schen den Par­la­ments­mit­glie­dern fest­stel­len. Par­la­ments­mit­glie­der, die bereits über eige­nes Fach­wis­sen und Inter­es­se an einem Poli­tik­feld aus ihrem Beruf oder ihrer Kom­mis­si­ons­ar­beit mit­brin­gen, sind weni­ger emp­fäng­lich für die Beein­flus­sung durch Lobbygruppen.

So lässt sich bei­spiels­wei­se eine Ärz­tin, die im Vor­stand einer Gesund­heits­lob­by­grup­pe sitzt, bei ihren gesund­heits­po­li­ti­schen Vor­stös­sen weni­ger stark von die­ser lei­ten als ihr Kol­le­ge, der eben­falls bei einer Gesund­heits­in­ter­es­sen­grup­pe im Vor­stand sitzt, aber kei­nen medi­zi­ni­schen Hin­ter­grund mit­bringt. Die­se Ein­schrän­kung ist nicht zu unter­schät­zen. Die­se the­ma­ti­sche Nähe zwi­schen Inter­es­sen­bin­dung und Beruf ist in 32 Pro­zent, jene zwi­schen Inter­es­sen­bin­dung und Kom­mis­si­ons­zu­ge­hö­rig­keit gar in 39 Pro­zent aller Fäl­le gegeben.

Nicht zu unterschätzender Einfluss

Nichts­des­to­trotz gilt es den Ein­fluss der Inter­es­sen­bin­dun­gen auf Vor­stös­se und par­la­men­ta­ri­sche Initia­ti­ven nicht zu unter­schät­zen. Jedes Rats­mit­glied ver­fügt im Durch­schnitt über 6.15 Inter­es­sen­bin­dun­gen. Zusam­men­ge­nom­men üben die­se einen genau so star­ken Ein­fluss auf die Nut­zung von Hand­lungs­in­stru­men­ten aus wie die Beru­fe der Rats­mit­glie­der. Der kol­lek­ti­ve Ein­fluss aller Inter­es­sen­grup­pen auf den Rats­be­trieb ist daher beträchtlich.

Daten und Analyse
In unse­rer Stu­die unter­su­chen wir, inwie­weit die Inter­es­sen­bin­dun­gen von Mit­glie­dern des Schwei­zer Par­la­men­tes deren Nut­zung von par­la­men­ta­ri­schen Hand­lungs­in­stru­men­ten (Fra­gen im Natio­nal­rat, Anfra­gen, Inter­pel­la­tio­nen, Pos­tu­la­te, Motio­nen, par­la­men­ta­ri­sche Initia­ti­ven) beein­flus­sen. Dazu berech­nen wir 15, nach Poli­tik­feld geson­der­te, Model­le zur Vor­her­sa­ge der Anzahl ein­ge­reich­ter Hand­lungs­in­stru­men­te. Um ein Gesamt­bild für das Par­la­ment zu erhal­ten, berech­nen wir dar­auf­hin ein Durch­schnitts­mo­dell über alle Poli­tik­fel­der hin­weg. Als Grund­la­ge die­nen Daten zu 524 Par­la­ments­mit­glie­dern von 2000 bis 2015, deren 6’342 Inter­es­sen­bin­dun­gen und 27’234 Handlungsinstrumente.

Refe­renz: Oli­ver Huwy­ler, Tomas Tur­ner-Zwin­kels und Ste­fa­nie Bai­ler (2022).“No Repre­sen­ta­ti­on Without Com­pen­sa­ti­on: The Effect of Inte­rest Groups on Legis­la­tors’ Poli­cy Area Focus”, Poli­ti­cal Rese­arch Quar­ter­ly, Sage: doi: 10.1177/10659129221137035

Bild: Autor

image_pdfimage_print