Wählerwanderungen rund um die Schweizer Sozialdemokratie

Fast die Hälf­te der Wähler:innen, die bei den natio­na­len Wah­len 2015 der SP Schweiz noch ihre Stim­me gege­ben hat­ten, ent­schie­den sich bei den natio­na­len Wah­len von 2019 anders. Wer der Urne 2019 nicht gleich gänz­lich fern­blieb, wan­der­te vor­nehm­lich von der SP zu den Grü­nen ab. Wie unse­re nach­fol­gen­den Ana­ly­sen zei­gen, sind die medi­al oft beschwo­re­nen Wan­de­run­gen von der SP zur SVP prak­tisch inexistent. 

1: Verluste an die Grünen, aber nicht an die SVP

Für eine Par­tei ist es bei jeder Wahl wich­tig, neue Wähler:innen zu mobi­li­sie­ren. Genau­so ent­schei­dend ist aber, dass sie Wähler:innen hal­ten kann, die sie bei den letz­ten Wah­len für sich gewin­nen konn­te. Abbil­dung 1 zeigt, dass die SP Schweiz letz­te­re Auf­ga­be bei den eid­ge­nös­si­schen Wah­len 2019 weni­ger gut erfüll­te als in jeder ande­ren Wahl seit 1995.

In Abbil­dung 1 steht jeder Bal­ken für eine der eid­ge­nös­si­schen Wah­len seit 1995. Der gesam­te Bal­ken umfasst alle Wähler:innen, die sich bei den Wah­len, die im unter dem Bal­ken ver­merk­ten Wahl­jahr vor­an­gin­gen, für die SP ent­schie­den hat­ten. Die Ein­fär­bung des Bal­kens in ver­schie­de­nen Far­ben gibt Auf­schluss dar­über, wem die­se bestehen­den SP-Wähler:innen in der unter dem Bal­ken ver­merk­ten Wahl­jahr ihre Stim­me gaben.

Abbildung 1. Wahlentscheid von Personen, die bei der letzten Wahl die SP Schweiz wählten, 1995–2019
 
Lesebeispiel: Im Jahr 1995 wählen etwa 70 Prozent der Personen, die 1991 SP gewählt hatten, wiederum die SP, während knapp 20 Prozent ins Lager der Nichtwähler:innen wechseln. Etwa 2 Prozent der SP-Wähler:innen von 1991 wechseln 1995 zur GPS, etwa 1 Prozent zur CVP, etwa 4 Prozent zur FDP und etwa 3 Prozent zur SVP.
Eigene Darstellung basierend auf Daten der Schweizer Wahlstudie Selects.

 

Wäh­rend Ver­lus­te ins Lager der Nichtwähler:innen (hell­grau­er Bal­ken­ab­schnitt) über die Zeit ten­den­zi­ell abneh­men, sticht in Abbil­dung 1 in ers­ter Linie die Zunah­me des mit­tel­grü­nen Bal­ken­ab­schnitts her­vor, der für Wäh­ler­wan­de­run­gen hin zur GPS steht. Ins­be­son­de­re bei der «Kli­ma­wahl» 2019 ist der Anteil die­ser Abwan­de­run­gen beacht­lich. Auch die zwei­te Gewin­ne­rin der Wah­len von 2019, die GLP, ent­wi­ckel­te 2019 eine viel stär­ke­re Sog­wir­kung auf ehe­ma­li­gen SP-Wähler:innen als in allen vor­an­ge­gan­ge­nen Wah­len – wenn auch auf klar tie­fe­rem Niveau als die GPS (im Poli­cy Brief zum «Wäh­ler­po­ten­zi­al der Schwei­zer Sozi­al­de­mo­kra­tie» zei­gen wir aber, dass die Attrak­ti­vi­tät der GLP unter aktu­el­len und poten­ti­el­len SP-Wähler:innen nicht zu unter­schät­zen ist). Umge­kehrt war es 2019 aber eben nicht so, dass sich unter den zuge­wan­der­ten SP-Wähler:innen vor allem ehe­ma­li­ge Wähler:innen der Grü­nen fanden.

Abbil­dung 2 macht deut­lich, dass es auch eini­ge Nicht-Wähler:innen sind, wel­che die SP von einer Wahl zur nächs­ten dazu­zu­ge­win­nen vermag.

Beim Abwer­ben von Wähler:innen ande­rer Par­tei­en wird die SP dem­ge­gen­über über die Zeit immer weni­ger erfolg­reich. Was uns Abbil­dun­gen 1 und 2 zudem leh­ren, ist, dass Abwan­de­run­gen von der SP ins rech­te Lager in den letz­ten drei Jahr­zehn­ten kaum statt­fan­den: Ver­lus­te an SVP und FDP sind seit Mit­te der 1990er-Jah­re mar­gi­nal. Am meis­ten Abwan­de­run­gen in ein ande­res ideo­lo­gi­sches Lager sehen wir hin zu den Par­tei­en der neu­ge­bil­de­ten «Mit­te», ins­be­son­de­re als die BDP 2011 als neue poli­ti­sche Kraft erst­mals zu natio­na­len Wah­len antrat.

Kurz: Die SP ver­liert immer häu­fi­ger Wähler:innen an die Grü­nen, ver­liert sie aber bestän­dig nicht an die SVP. Die SP ver­mag gleich­zei­tig immer weni­ger Wähler:innen der GPS davon zu über­zeu­gen, bei einer Fol­ge­wahl sozi­al­de­mo­kra­tisch zu wäh­len, was dazu führt, dass die GPS die SP über die Zeit als Net­to­ge­win­ne­rin der Wäh­ler­strö­me im lin­ken Par­tei­spek­trum ablöst. In den Daten von SELECTS zeigt sich, dass die SP vor­nehm­lich gut­ver­die­nen­de, hoch­ge­bil­de­te und weib­li­che Wähler:innen ver­liert. Und genau die­se Wäh­ler­grup­pen schei­nen sich bei den Grü­nen beson­ders gut auf­ge­ho­ben zu füh­len, wie der nächs­te Abschnitt zeigt.

Abbildung 2. Vorheriger Wahlentscheid zugewanderter SP-Wähler:innen, 1995–2019
 
Lesebeispiel: Von den im Jahr 1995 neu gewonnenen SP-Wähler:innen, wandern 17 Prozent von der GPS zu, 6 Prozent von der CVP, 21 Prozent von der FDP und 4 Prozent von der SVP. Über 50 Prozent der neu SP-Wählenden sind 1995 vormalige Nichwähler:innen oder Neuwähler:innen.
Eigene Darstellung basierend auf Daten der Schweizer Wahlstudie Selects.
 
2: Wer wählt heute SP?

Es sind Schweizer:innen über 60, Abgänger:innen von Unis und Fach­hoch­schu­len, Städter:innen, gut qua­li­fi­zier­te Arbeitnehmer:innen in inter­per­so­nel­len Beru­fen (also bspw. Lehrer:innen, Ärzt:innen oder Sozialarbeiter:innen) und Wähler:innen mit mitt­le­ren Ein­kom­men, die heu­te die Wäh­ler­schaft der SP prä­gen (sie­he Tabel­le 1). Die glei­chen Merk­ma­le machen auch die (im Schnitt aber jün­ge­re) Wäh­ler­schaft der Grü­nen aus. Erklä­ren also die Ähn­lich­kei­ten zwi­schen Wähler:innen von SP und Grü­nen die Wäh­ler­wan­de­run­gen von der SP zu den Grünen?

Tabelle 1. Vergleich zwischen Kernelektoraten der SP und anderer Schweizer Parteien

  Par­tei 
  SPGPSGLPMit­teFDPSVPNichtwähler:innen
Merk­malBil­dungHoch­ge­bil­det==.=TiefTief
Klas­seSozio­kul­tu­rel­le
Spezialist:innen
=Manager:innen.Manager:innenPro­duk­ti­ons-
arbeiter:innen/
Klein­ge­wer­be
Diens­leis­tungs-/
Pro­duk­ti­ons-
arbeiter:innen
Alter60+Jün­gerJün­ger===Jün­ger
GeschlechtBalan­ceFrau­en==Män­nerMän­nerFrau­en
Wohn­ortStadt=Agglo­me­ra­ti­onLandAgglo­me­ra­ti­onLand.
Legende:
= bezeichnet eine Übereinstimmung zwischen der Wählerschaft von SP und in der Spalte vermerkter Partei hinsichtlich des in der Zeile besprochenen Merkmals.
. signalisiert, dass es in der entsprechenden Spalte vermerkten Wählerschaft hinsichtlich des in der Zeile vermerkten Merkmals keine markante Gruppe gibt, bzw. die Wählerschaft hin-sichtlich der Merkmalverteilung hier der Gesamtwählerschaft gleicht.
Lesebeispiel: Die Wählerschaft der SP ist tendenziell hochgebildet. Bei GPS, GLP und FDP verhält es sich gleich. Wähler:innen von SVP und Nichtwähler:innen verfügen demgegenüber eher über ein tiefes Bidlungsniveau. Bei der Mitte sind alle Bildungsschichten inetwa gleich, bzw. so wie in der Gesamtwählerschaft, vertreten.
Eigene Darstellung basierend auf Daten der Schweizer Wahlstudie Selects.

 

In Tabel­le 1 sind eini­ge Merk­ma­le auf­ge­lis­tet, durch wel­che sich Wähler:innen zusam­men­fas­send beschrei­ben las­sen: Bil­dung, Berufs­klas­se, Alter, Geschlecht und Wohn­ort. Für jedes die­ser Merk­ma­le gibt die Tabel­le in einer ers­ten Spal­te an, wel­che Bildungs‑, Berufsklassen‑, Alters- oder Geschlech­ter­grup­pe in der SP-Wäh­ler­schaft am stärks­ten ver­tre­ten ist und wo SP-Wähler:innen vor­nehm­lich wohnen.

In wei­te­ren Spal­ten wer­den die­se Kern­elek­to­ra­te der SP mit den Kern­elek­to­ra­ten der ande­ren gröss­ten Schwei­zer Par­tei­en, sowie der Grup­pe der Nichtwähler:innen ver­gli­chen. Hat eine ande­re Par­tei die glei­che Kern­wäh­ler­schaft wie die SP, ist das durch ein Gleich­zei­chen mar­kiert. Ist eine Par­tei in der Ten­denz durch eine ande­re Wäh­ler­grup­pe domi­niert als die SP, so ver­merkt die Tabel­le das. Ein Punkt signa­li­siert, dass eine Par­tei auf die­sem Merk­mal kei­ne domi­nie­ren­de Grup­pe aufweist.

Tabel­le 1 zeigt ein­drück­lich, dass die SP Wähler:innen kei­nen ande­ren Wähler:innen so ähn­lich sind wie jenen der GPS: Bei­de Wäh­ler­schaf­ten sind vor­nehm­lich hoch­ge­bil­det, als sozio­kul­tu­rel­le Spezialist:innen tätig und in Städ­ten wohn­haft. Die Wäh­ler­schaft der Grü­nen ist ein­zig jün­ger und weib­li­cher als jene der SP. Auch sehen wir die gros­sen Unter­schie­de zwi­schen Wähler:innen von SP und SVP. Einen tut sie nur die Alters­struk­tur ihrer Wäh­ler­schaf­ten. Wie alle eta­blier­te Par­tei­en in der Schweiz (und anders­wo) sind es vor allem Wähler:innen im oder nahe am Ren­ten­al­ter, die sie über­durch­schnitt­lich anzu­zie­hen vermögen.

3: Was wollen SP-Wähler:innen?

Wie­der­spie­gelt sich die Ähn­lich­keit von Wähler:innen der SP und der GPS bezie­hungs­wei­se die Ver­schie­den­heit von Wähler:innen der SP und der SVP auch dar­in, was die ent­spre­chen­den Wäh­ler­schaf­ten wol­len? Oder gibt es The­men, bei denen sich die Ein­stel­lun­gen von SP- und GPS-Wäh­len­den unter­schei­den oder The­men, bei wel­chen sich Wäh­len­de von SP und SVP gar nicht so unei­nig sind?

Abbil­dun­gen 3 und 4 zei­gen basie­rend auf Daten des Euro­pean Social Sur­veys von 2016 die Wahl­wahr­schein­lich­keit für die SP und GPS (Abbil­dung 3) sowie für die SVP (Abbil­dung 4) in Abhän­gig­keit der Ein­stel­lun­gen zu sechs ver­schie­de­nen The­men­fel­dern an (Ein­stel­lun­gen zu Immi­gra­ti­on, Rech­ten von Frau­en und sexu­el­len Min­der­hei­ten, Euro­päi­scher Inte­gra­ti­on, Ren­ten, Arbeits­lo­sen­ver­si­che­rung und staat­li­cher För­de­rung von Kin­der­be­treu­ungs­plät­zen). Dabei geben die Abbil­dun­gen einer­seits Auf­schluss dar­über, ob die Wäh­ler­schaft die­ser Par­tei­en einem The­ma stär­ker zustim­mend oder ableh­nend gegen­über­steht als die Gesamt­be­völ­ke­rung. Ande­rer­seits lässt die Stei­gung der Linie erken­nen, wie stark Ein­stel­lun­gen zu einem bestimm­ten The­ma die Wahl für eine Par­tei vor­her­sagt: Je stei­ler die Linie, des­to stär­ker sind Ein­stel­lun­gen zu die­sem The­ma dafür ver­ant­wort­lich, dass jemand die ent­spre­chen­de Par­tei wählt.

In Abbil­dung 3 wird ersicht­lich, dass in allen hier unter­such­ten The­men­be­rei­chen sowohl ver­tei­lungs­po­li­tisch lin­ke als auch gesell­schafts­po­li­tisch pro­gres­si­ve Ein­stel­lun­gen die Wahl der SP wahr­schein­li­cher machen. Die SP ist belieb­ter bei Per­so­nen, wel­che für gross­zü­gi­ge Ren­ten, Leis­tun­gen für Arbeits­lo­se und staat­li­che Kin­der­be­treu­ung ein­ste­hen als bei Per­so­nen, wel­che den Staat in die­sen Berei­chen nicht in der Ver­ant­wor­tung sehen.

Auch wenn die Wäh­ler­schaft der SP – wie oben beschrie­ben – heu­te stark durch Per­so­nen mit hoher Bil­dung und mitt­le­rem Ein­kom­men geprägt ist und Per­so­nen mit tie­fer Bil­dung und Ein­kom­men in der SP nicht (mehr) über­ver­tre­ten sind, scheint ihre aktu­el­le Wäh­ler­schaft die SP nicht trotz, son­dern auch wegen ihrer ver­tei­lungs­po­li­tisch lin­ken Posi­tio­nen zu wäh­len. Eben­so ist die SP aber beliebt bei Per­so­nen, wel­che stark für die Rech­te von sexu­el­len Min­der­hei­ten und Frau­en, für eine stär­ke­re Anbin­dung der Schweiz an die EU sowie für Immi­gra­ti­on einstehen.

Dane­ben ste­chen ins­be­son­de­re Fra­gen zur Zuwan­de­rung als bedeu­tends­ter Fak­tor für eine SP-Wahl her­vor. Stark immi­gra­ti­ons­skep­ti­sche Hal­tun­gen ver­hin­dern die Wahl der SP fast gänz­lich (und sind ent­spre­chend in der SP-Wäh­ler­schaft kaum ver­tre­ten), wäh­rend die SP bei stark zuwan­de­rungs­freund­li­chen Per­so­nen auf einen Wäh­ler­an­teil von bei­na­he vier­zig Pro­zent kommt. Genau wie die ver­tei­lungs­po­li­tisch lin­ken sind also auch die gesell­schafts­po­li­tisch pro­gres­si­ven Posi­tio­nen für eine Wahl der SP ent­schei­dend. Zumin­dest im Aggre­gat scheint die aktu­el­le SP-Wäh­ler­schaft weder bereit, auf ver­tei­lungs­po­li­ti­sche lin­ke, noch auf gesell­schafts­po­li­tisch pro­gres­si­ve Poli­tik zu ver­zich­ten – sie will expli­zit beides.

Abbildung 3. Wahlwahrscheinlichkeit der SP und der Grünen Partei (GPS) in Abhängigkeit von Einstellungen zu verschiedenen Themen

Lesebeispiel: Eine Person, die findet, dass die Anbindung der Schweiz an die EU deutlich verstärkt werden soll, wählt die SP mit einer Wahrscheinlichkeit von knapp 30 Prozent. Je stärker jemand denkt, dass diese bereits zu weit gegangen ist desto tiefer sinkt die Wahrscheinlichkeit, SP zu wählen. Von den Personen, die eindeutig der Meinung sind, dass die Anbindung der Schweiz an die EU bereits zu weit gegangen ist, geben knapp 10 Prozent der SP die Stimme. Je steiler eine Kurve ansteigt, desto bedeutsamer ist die Einstellung zum entsprechenden Thema für die Wahl oder Nichtwahl der Partei.
Eigene Darstellung basierend auf Daten des European Social Survey (ESS 2016).

 

Abbildung 4. Wahlwahrscheinlichkeit der SVP in Abhängigkeit von Einstellungen zu verschiedenen Themen

Eigene Darstellung basierend auf Daten des European Social Survey (ESS 2016).

Der Ver­gleich der Ein­stel­lun­gen von SP‑, GPS– und SVP-Wäh­ler­schaf­ten, gibt wei­te­ren Auf­schluss dar­über, wie­so Wäh­ler­wan­de­run­gen zwi­schen SP und GPS häu­fig, zwi­schen SP und SVP aber sel­ten vor­kom­men. Auch die GPS schnei­det bei Wähler:innen mit ver­tei­lungs­po­li­tisch lin­ken und vor allem bei Wähler:innen mit gesell­schafts­po­li­tisch pro­gres­si­ven Posi­tio­nen beson­ders gut ab. Dem­ge­gen­über ver­tre­ten die Wäh­ler­schaf­ten von SP und SVP in jedem der sechs hier unter­such­ten The­men­be­rei­che gegen­sätz­li­che Hal­tun­gen. Kei­ne ein­zi­ge Ein­stel­lung erhöht sowohl die Wahr­schein­lich­keit einer SVP– als auch einer SP-Wahl. Inhalt­li­che Über­schnei­dungs­punk­te, wel­che Wäh­len­de von SP und SVP ver­bin­den, gibt es hier kei­ne, wie Abbil­dung 4 aufzeigt.

Wie stark sich die Wäh­ler­schaf­ten von SP und SVP unter­schei­den, ver­deut­licht das The­ma Immi­gra­ti­on ein­drück­lich. Wie bei der SP, nimmt die­ses The­ma auch bei der SVP eine zen­tra­le Rol­le ein. Unter den stark zuwan­de­rungs­skep­ti­schen Wähler:innen erreicht die SVP einen Wäh­ler­an­teil von fast acht­zig Pro­zent. SVP und SP punk­ten also bei­de stark mit dem The­ma Zuwan­de­rung, aber eben mit gegen­sätz­li­chen Posi­tio­nen zu die­sem Politikfeld.

Wäh­rend ein Ver­gleich zwi­schen den poli­ti­schen Ein­stel­lun­gen der Wäh­ler­schaf­ten von SP und GPS haupt­säch­lich Ähn­lich­kei­ten offen­bart, las­sen sich bei der Wich­tig­keit spe­zi­fi­scher The­men für den Wahl­ent­scheid doch auch Unter­schie­de fest­stel­len. Ins­be­son­de­re schei­nen Ein­stel­lun­gen zur Arbeits­lo­sen­ver­si­che­rung als klas­si­sche Sozi­al­po­li­tik (und etwas weni­ger klar zu staat­li­cher Kin­der­be­treu­ung) die Wahl der SP bes­ser vor­her­zu­sa­gen als die Wahl der GPS, wäh­rend Ein­stel­lun­gen zu Rech­ten von Frau­en und sexu­el­len Min­der­hei­ten einen leicht stär­ke­ren Ein­fluss auf die GPS- als auf die SP-Wahl aus­üben. Sol­che Unter­schie­de zwi­schen sozi­al­de­mo­kra­ti­schen und grü­nen Par­tei­en zei­gen sich auch im west­eu­ro­päi­schen Ver­gleich: sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Par­tei­en mobi­li­sie­ren ihre Wähler:innen eher auf­grund ver­tei­lungs­po­li­ti­scher The­men; grü­ne Par­tei­en pro­fi­lie­ren sich eher mit gesell­schafts­po­li­ti­schen The­men. Es ist aber bemer­kens­wert, dass Per­so­nen mit klar immi­gra­ti­ons­freund­li­chen Ein­stel­lun­gen häu­fi­ger die SP als die GPS wählen.

 4: Mit welchen Themen kann die SP punkten?

Nach­dem wir bis jetzt haupt­säch­lich Ähn­lich­kei­ten zwi­schen SP und GPS (bezüg­lich Zusam­men­set­zung und Ein­stel­lun­gen ihrer Wäh­ler­schaft) fest­ge­hal­ten haben, wel­che den Wech­sel von rot zu grün erklä­ren könn­ten, ist es natür­lich rele­vant zu wis­sen, was Wähler:innen denn zur Wahl der einen oder ande­ren Par­tei ver­an­lasst. Neben der unter­schied­li­chen Alters­struk­tur haben die vor­he­ri­gen Abschnit­te vor allem bezüg­lich der Wich­tig­keit ver­schie­de­ner The­men Unter­schie­de zwi­schen SP und GPS ans Licht gebracht. In die­sem letz­ten Abschnitt ver­tie­fen wir die­se Befun­de anhand einer Fra­ge aus SELECTS, wel­che alle Per­so­nen danach fragt, wel­che Par­tei sie in einem bestimm­ten Poli­tik­be­reich am kom­pe­ten­tes­ten einschätzen.

Abbildung 5. Themenkompetenz der Parteien

Lesebeispiel: In den Jahren 2011, 2015 und 2019 haben durchschnittlich 26 Prozent aller Befragten die FDP als kompetenteste Partei in der EU-Frage bezeichnet. 24 Prozent entschieden sich für die SVP und 16 Prozent nannten die SP als kompetenteste Partei. 23 Prozent der Befragten konnten sich nicht für eine Partei entscheiden oder nannten eine andere als die sechs aufgeführten Parteien.
Eigene Darstellung basierend auf Daten der Schweizer Wahlstudie Selects 2011, 2015 und 2019.

Abbil­dung 5 zeigt für fünf Poli­tik­be­rei­che den Anteil der Schwei­zer Stimm­be­rech­tig­ten, wel­che eine Par­tei in die­sem Bereich am kom­pe­ten­tes­ten wahr­nimmt (gezeigt wird der Durch­schnitt der Jah­re 2011, 2015 und 2019). Zwar sind sich Wähler:innen natur­ge­mäss nicht einig, wel­che Par­tei in wel­chem The­ma am kom­pe­ten­tes­ten ist, den­noch zei­gen sich span­nen­de Unter­schie­de zwi­schen den The­men. Mit einem Fokus auf die SP (rot ein­ge­färbt) lässt sich fest­stel­len, dass die SP eine her­aus­ra­gen­de Stel­lung im Bereich Sozi­al­po­li­tik ein­nimmt, wo sie von 44 Pro­zent und damit weit über ihre Wäh­ler­schaft hin­aus als kom­pe­ten­tes­te Par­tei (und sogar von 75 Pro­zent als die enga­gier­tes­te Par­tei in die­sem Bereich) wahr­ge­nom­men wird.

Dar­über hin­aus wird die SP aber auch in wei­te­ren The­men von einem rele­van­ten Teil der Bevöl­ke­rung als kom­pe­tent erach­tet, so bei­spiels­wei­se in der Euro­pa­po­li­tik (16%) und ins­be­son­de­re in der Migra­ti­ons­po­li­tik (26%), wo die SP wie­der­um über ihre Wäh­ler­schaft hin­aus bei Per­so­nen, wel­che der Immi­gra­ti­on gegen­über posi­tiv ein­ge­stellt sind, die kla­re The­men­herr­schaft inne­hat (ins­ge­samt teilt sie sich die­se mit der SVP). In all die­sen The­men­be­rei­chen schnitt die GPS im ver­gan­ge­nen Jahr­zehnt ver­gleichs­wei­se schlecht ab. Sie wird von jeweils weni­ger als fünf Pro­zent (und damit nicht ein­mal von ihrer eige­nen Gesamt­wäh­ler­schaft) als kom­pe­ten­tes­te Par­tei in die­sen Berei­chen wahr­ge­nom­men. Die The­men­herr­schaft im lin­ken Lager scheint in die­sen The­men eher bei der SP als bei der GPS zu liegen.

Dem­ge­gen­über zeigt Abbil­dung 5, dass die SP beim Umwelt­the­ma einen schwe­ren Stand hat. Ledig­lich vier Pro­zent nen­nen die SP als kom­pe­ten­tes­te Par­tei im Bereich Umwelt. Die GPS (mit 44%) und auch die GLP (mit 25%) haben in die­sem The­ma aus Sicht der Stimm­be­rech­tig­ten eine unan­ge­foch­te­ne Spit­zen­po­si­ti­on inne. Die­ser Befund dürf­te min­des­tens mit­ver­ant­wort­lich dafür sein, dass von Wäh­ler­wan­de­run­gen inner­halb des lin­ken Lagers in den ver­gan­ge­nen Jah­ren (und beson­ders stark natür­lich im Kli­ma­wahl­jahr 2019) zuneh­mend die GPS pro­fi­tiert und sich die SP eher mit Abwan­de­run­gen zur GPS anstatt mit Zuge­win­nen von der GPS kon­fron­tiert sieht.

Zusam­men­fas­send zeigt Abbil­dung 5, dass die SP zumin­dest in naher Zukunft wohl kaum auf Stim­men­ge­win­ne auf­grund der Umwelt­the­ma­tik hof­fen darf, dass sie aber auch nicht wie manch ande­re sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Par­tei­en in Euro­pa aus­schliess­lich mit sozi­al- und wirt­schafts­po­li­ti­schen The­men punk­ten kann. In vie­len west­eu­ro­päi­schen Län­dern wer­den gesell­schafts­po­li­ti­sche The­men wie Migra­ti­on, Mul­ti­kul­tu­ra­lis­mus oder euro­päi­sche Inte­gra­ti­on stär­ker mit grü­nen oder ande­ren sozi­al­li­be­ra­len Par­tei­en asso­zi­iert, wäh­rend sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Par­tei­en sich schwe­rer tun, kohä­ren­te und kla­re Posi­tio­nen zu die­sen The­men zu ver­mit­teln und Per­so­nen, denen die­se The­men beson­ders wich­tig sind, für sich zu gewinnen.

Für die SP in der Schweiz ist es sicher kein Nach­teil, the­ma­tisch breit auf­ge­stellt zu sein, wenn es dar­um geht, die Vor­macht­stel­lung im lin­ken Lager (die sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Par­tei­en in Zukunft alles ande­re als sicher ist) zu behal­ten. Im Ver­gleich zur GPS wird die SP in der öffent­li­chen Wahr­neh­mung deut­lich weni­ger als Ein-The­men-Par­tei wahr­ge­nom­men. Gleich­zei­tig bedeu­tet die­se grund­sätz­lich ange­neh­me Aus­gangs­la­ge für die SP aber auch, dass sie in etli­chen The­men eine bestehen­de Repu­ta­ti­on als kom­pe­ten­te Par­tei zu ver­tei­di­gen hat und sich durch mar­kan­te Kurs­kor­rek­tu­ren oder öffent­lich aus­ge­tra­ge­ne, inner­par­tei­li­che Kon­flik­te zu The­men wie Euro­pa- oder Migra­ti­ons­po­li­tik in Schwie­rig­kei­ten brin­gen könnte.

Ins­be­son­de­re eine Annä­he­rung an die SVP in die­sen The­men dürf­te auf die bestehen­de SP-Wäh­ler­schaft abschre­ckend wir­ken, ohne dass sie gleich­zei­tig eine Viel­zahl heu­ti­ger SVP-Wähler:innen für die SP zu begeis­tern ver­mag (sie­he dazu den Poli­cy Brief zum «Wäh­ler­po­ten­zi­al der Schwei­zer Sozi­al­de­mo­kra­tie»). Damit gibt es kei­ne Anzei­chen dafür, dass sich Wäh­ler­wan­de­run­gen zwi­schen SP und SVP in Zukunft inten­si­vie­ren wer­den. Wie in den ver­gan­ge­nen dreis­sig Jah­ren dürf­ten Wahl­er­geb­nis­se der SP auch künf­tig haupt­säch­lich davon abhän­gen, inwie­fern es der SP einer­seits gelingt, Neu­wäh­len­de und Nicht­wäh­len­de zu mobi­li­sie­ren und es ihr ande­rer­seits gelingt, Wäh­ler­wan­de­run­gen zwi­schen SP, GPS und (in klei­ne­rem Mas­se) GLP zu ihren Guns­ten zu entscheiden.

Hin­weis: Der vor­lie­gen­de Bei­trag beruht auf dem Poli­cy Brief “Wäh­ler­wan­de­run­gen rund um die Schwei­zer Sozi­al­de­mo­kra­tie”, her­aus­ge­ge­ben von der Anny-Kla­wa-Morf Stif­tung Bern. Es han­delt sich dabei um eine Zusam­men­stel­lung wich­tigs­ter Erkennt­nis­se aus dem soeben im NZZ Libro erschie­ne­nen Werk.


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Bild: Unsplash

 

 

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