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Einfluss der Lobbygruppen auf Parlamentsarbeit

Oliver Huwyler, Tomas Turner-Zwinkels, Stefanie Bailer
18th November 2022

Interessengruppen rekrutieren für ihre Führungs-, Aufsicht-, und Beratungsgremien oft Mitglieder des National- und Ständerates. Sie versuchen dabei, die für ihre Anliegen geeignetsten Parlamentsmitglieder zu gewinnen. Dass dieses Kalkül aufgeht, zeigt unsere systematische Auswertung von Vorstössen und parlamentarischen Initiativen (sog. parlamentarischen Handlungsinstrumenten) in Verbindung mit diesen Interessenbindungen.

Das System der Interessenbindungen in den eidgenössischen Räten stellt eine auf lange Frist ausgelegte, enge Partnerschaft zwischen Ratsmitgliedern und Interessengruppen dar. Getragen wird es durch Austauschbeziehungen: Parlamentarierinnen und Parlamentarier dienen «ihren» Interessengruppen als Sprachrohr, indem sie deren Anliegen im Ratssaal, in den Kommissionen und in der breiteren Öffentlichkeit Gehör verschaffen.

Im Gegenzug stellen ihnen die Lobbygruppen Ressourcen zur Verfügung. So versorgen sie die Ratsmitglieder mit Expertise und Informationen für die Ratsarbeit oder unterstützen sie im Wahlkampf. Zudem werden viele Ratsmitglieder für ihre Funktionen in Führungs-, Aufsicht-, und Beratungsgremien entschädigt.

Mehr Austausch, mehr Vorstösse

Für die erhaltenen Vorteile zeigen sich die Parlamentarierinnen und Parlamentarier bei den Lobbygruppen erkenntlich. Sie nutzen die neu gewonnene Expertise, um Vorstösse und parlamentarische Initiativen zugunsten ihrer Interessengruppen zu verfassen – oder lassen sich von diesen gleich einreichungsfertige Handlungsinstrumente bereitstellen. Es zeigt sich daher, dass Ratsmitglieder, nachdem sie Interessenbindungen eingegangen sind, mehr Handlungsinstrumente aus den Politikfeldern dieser Lobbygruppen einreichen.

Austausch endet, Vorstösse enden

Allerdings beruht dieser Austausch auf Gegenseitigkeit. Ein Ratsmitglied reicht solange Vorstösse und parlamentarische Initiativen zugunsten einer Interessengruppe ein, wie es mit dieser verbunden ist. Endet das Mandat, enden auch die gegenseitigen Gefälligkeiten.

Unsere Ergebnisse zeigen, dass ehemalige Interessenbindungen (konservativ berechnet) spätestens zwei Jahre nach der Auflösung keinen Einfluss mehr auf die Nutzung der Handlungsinstrumente eines Ratsmitgliedes ausüben (siehe Abbildung 1). Damit zeigt sich, dass Interessenbindungen primär Zweckbeziehungen sind, die den politischen Fokus eines Ratsmitgliedes nicht nachhaltig verändern.

Abbildung 1: Der Effekt von Interessenbindungen (IB) auf Vorstösse und parlamentarische Initiativen

Anmerkung: Die Abbildung gibt Inzidenzratenverhältnisse wieder. Der Effekt auf Handlungsinstrumente gilt als nachgewiesen (signifikant), solange die gestrichelte Linie bei 1 nicht überschritten wird.
Lesebeispiel anhand Gegenwärtige IB: Für jede zusätzliche Interessenbindung erhöht sich die erwartete Anzahl eingereichter parlamentarischer Handlungsinstrumente eines Ratsmitgliedes im Politikfeld der entsprechenden Lobbygruppe um den Faktor 1.075 (oder 7.5 Prozent).
Eigeninteresse mindert Lobbyeinfluss

Beim Einfluss der Interessenbindungen auf die Nutzung von Handlungsinstrumenten lassen sich zudem deutliche Unterschiede zwischen den Parlamentsmitgliedern feststellen. Parlamentsmitglieder, die bereits über eigenes Fachwissen und Interesse an einem Politikfeld aus ihrem Beruf oder ihrer Kommissionsarbeit mitbringen, sind weniger empfänglich für die Beeinflussung durch Lobbygruppen.

So lässt sich beispielsweise eine Ärztin, die im Vorstand einer Gesundheitslobbygruppe sitzt, bei ihren gesundheitspolitischen Vorstössen weniger stark von dieser leiten als ihr Kollege, der ebenfalls bei einer Gesundheitsinteressengruppe im Vorstand sitzt, aber keinen medizinischen Hintergrund mitbringt. Diese Einschränkung ist nicht zu unterschätzen. Diese thematische Nähe zwischen Interessenbindung und Beruf ist in 32 Prozent, jene zwischen Interessenbindung und Kommissionszugehörigkeit gar in 39 Prozent aller Fälle gegeben.

Nicht zu unterschätzender Einfluss

Nichtsdestotrotz gilt es den Einfluss der Interessenbindungen auf Vorstösse und parlamentarische Initiativen nicht zu unterschätzen. Jedes Ratsmitglied verfügt im Durchschnitt über 6.15 Interessenbindungen. Zusammengenommen üben diese einen genau so starken Einfluss auf die Nutzung von Handlungsinstrumenten aus wie die Berufe der Ratsmitglieder. Der kollektive Einfluss aller Interessengruppen auf den Ratsbetrieb ist daher beträchtlich.

Daten und Analyse
In unserer Studie untersuchen wir, inwieweit die Interessenbindungen von Mitgliedern des Schweizer Parlamentes deren Nutzung von parlamentarischen Handlungsinstrumenten (Fragen im Nationalrat, Anfragen, Interpellationen, Postulate, Motionen, parlamentarische Initiativen) beeinflussen. Dazu berechnen wir 15, nach Politikfeld gesonderte, Modelle zur Vorhersage der Anzahl eingereichter Handlungsinstrumente. Um ein Gesamtbild für das Parlament zu erhalten, berechnen wir daraufhin ein Durchschnittsmodell über alle Politikfelder hinweg. Als Grundlage dienen Daten zu 524 Parlamentsmitgliedern von 2000 bis 2015, deren 6'342 Interessenbindungen und 27'234 Handlungsinstrumente.


Referenz: Oliver Huwyler, Tomas Turner-Zwinkels und Stefanie Bailer (2022).“No Representation Without Compensation: The Effect of Interest Groups on Legislators’ Policy Area Focus”, Political Research Quarterly, Sage: doi: 10.1177/10659129221137035

Bild: Autor