Die Frauenwahl 2019 erklärt

Bei den eid­ge­nös­si­schen Wah­len 2019 gewan­nen so vie­le Kan­di­da­tin­nen einen Sitz im Par­la­ment wie noch nie zuvor. Im Natio­nal­rat stieg der Frau­en­an­teil auf 42 Pro­zent, im Stän­de­rat auf 26 Pro­zent — gleich zwei Rekor­de an einem Tag! Der Wahl­er­folg der Kan­di­da­tin­nen ist auf meh­re­re Fak­to­ren zurück­zu­füh­ren, wie unse­re Ana­ly­sen zeigen.

Die Wah­len 2019 waren his­to­risch: so vie­le Frau­en wie noch nie zuvor schaff­ten den Sprung in die Bun­des­ver­samm­lung. Im Natio­nal­rat stieg der Frau­en­an­teil um über zehn Pro­zent­punk­te im Ver­gleich zu 2015. Der bis­her zweit­höchs­te Anstieg des Frau­en­an­teils betrug Mit­te der 1990er Jah­re nur vier Pro­zent­punk­te (Seitz 2020). Mit einem Frau­en­an­teil von 42 im Natio­nal­rat gehört die Schweiz in die Top-Ten der weib­li­chen Ver­tre­tun­gen in Euro­pas Par­la­men­ten.

Wie kann die­ser mar­kan­te Anstieg des Frau­en­an­teil zwi­schen nur zwei Wahl­gän­gen erklärt wer­den? Die­ser Fra­gen gin­gen wir aus ver­schie­de­nen Blick­win­keln nach. Und wie unse­re Ana­ly­se zeigt, war ein Zusam­men­spiel von meh­re­ren gleich­zei­tig auf­tre­ten­den Fak­to­ren ent­schei­dend für die his­to­ri­sche Frau­en­wahl 2019. Auf der Ange­bots­sei­te, spe­zi­fisch das Kan­di­da­tin­nen- und Kan­di­da­ten­feld betref­fend, kann fest­ge­hal­ten wer­den, dass der Anteil der Frau­en auf den Par­tei­lis­ten im Ver­gleich zu 2015 gestie­gen ist und dass Kan­di­da­tin­nen im Durch­schnitt bes­se­re Posi­tio­nen auf den Par­tei­lis­ten hat­ten (dies sowohl im Ver­gleich zu Män­nern als auch im Ver­gleich zu den Kan­di­da­tin­nen im Jahr 2015). Auf der Nach­fra­ge­sei­te lässt sich zei­gen, dass gewis­se Par­tei­wäh­ler­schaf­ten bei den Wah­len 2019 Kan­di­da­tin­nen den Kan­di­da­ten vor­zie­hen und dadurch dafür sorg­ten, dass die Wahl­chan­cen von Frau­en 2019 sta­tis­tisch sogar leicht höher lagen als die von Männern.

1: Viel mehr Kandidatinnen

Bei den eid­ge­nös­si­schen Wah­len 2019 stell­te sich eine Rekord­zahl von Kan­di­die­ren­den zur Wahl. Ins­ge­samt stan­den 1’873 Kan­di­da­tin­nen und 2’772 Kan­di­da­ten auf den Wahl­lis­ten. Noch nie zuvor woll­ten so vie­le Schwei­ze­rin­nen und Schwei­zer ins Par­la­ment gewählt wer­den, im Ver­gleich zu den  Wah­len 2015 stie­gen die Kan­di­da­tu­ren um 857 Per­so­nen an. Dazu tru­gen vor allem die weib­li­chen Kan­di­da­tu­ren bei, denn 2019 kan­di­dier­ten 565 Frau­en mehr als im Jahr 2015. Ins­ge­samt stieg der Anteil weib­li­cher Kan­di­da­tu­ren auf den Wahl­lis­ten um 5,8 Pro­zent­punk­te und über­schritt damit zum ers­ten Mal die 40-Pro­zent-Mar­ke (Seitz 2019). Die­se Zunah­me erstreckt sich über alle Kan­to­ne (mit Aus­nah­me des Kan­tons Schwyz) und allen Lan­des­tei­len — aller­dings in der latei­ni­schen Schweiz stär­ker als in der Deutschschweiz.

Dabei zeigt sich, dass sämt­li­che Par­tei­en mehr Kan­di­da­tin­nen nomi­niert haben als zuvor. Zudem hat­ten Frau­en in eini­gen Par­tei­en bes­se­re Lis­ten­plät­ze und somit eine leicht erhöh­te Wahr­schein­lich­keit, gewählt zu werden. 

2. Wahlerfolg der Grünen Partei

Der Wahl­er­folg der Frau­en hängt auch mit der ver­än­der­ten Par­tei­en­land­schaft nach den eid­ge­nös­si­schen Wah­len 2019 zusam­men. Die öko­lo­gi­schen Par­tei­en konn­ten ihre Wäh­ler­an­tei­le näm­lich bedeu­tend aus­bau­en. Von die­ser “grü­nen Wel­le”, dem bei­spiel­lo­sen Anstieg der Grü­nen und Grün­li­be­ra­len, pro­fi­tier­ten auch die Frau­en. Etwa ein Drit­tel des Gesamt­an­stiegs des Frau­en­an­teils lässt sich auf die ver­än­der­te Par­tei­en­zu­sam­men­set­zung des Par­la­ments zurückführen.

3: Mehr Unterstützung der Kandidatinnen durch die Wählenden

Unse­re Ana­ly­se zeigt zudem, dass Kan­di­da­tin­nen im Ver­gleich zu den vor­he­ri­gen natio­na­len Wah­len durch die Wähler:innen mehr unter­sützt wurden.

Zum einen gaben die Mehr­heit der Par­tei­wäh­ler­schaf­ten von SP und Grü­nen an, bei glei­cher Qua­li­fi­ka­ti­on die Kan­di­da­tin­nen den Kan­di­da­ten der Par­tei vor­zu­zie­hen (Abbil­dung 1).

Abbildung 1: Übersicht pro Partei, ob bei Kandidierenden mit den gleichen Qualifikationen eher Frauen gewählt werden als Männer

Dies zeig­te sich bei­spiels­wei­se dar­an, dass die Mehr­heit der Par­tei­wäh­len­den der SP und Grü­nen anga­ben, auf ihren Wahl­lis­ten einen höhe­ren Frau­en- als Män­ner­an­teil gewählt zu haben (Abbil­dung 2). Dies führ­te ins­ge­samt dazu, dass Kan­di­da­tin­nen 2019 die Wahl in die Bun­des­ver­samm­lung sogar mit einer leicht erhöh­ten Wahr­schein­lich­keit schaff­ten als Kandidaten.

Abbildung 2: Übersicht pro Partei, ob mehr Frauen oder Männer auf den Wahllisten standen (nach manueller Änderung)

Kon­text der Frau­en­wahl 2019
Ein bemer­kens­wer­ter Fak­tor, der zur “Frau­en­wahl 2019” bei­getra­gen hat, war die Kam­pa­gne Hel­ve­tia ruft!, wel­che bereits 2018 ins Leben geru­fen wur­de. Ziel der Kam­pa­gne ist es, die Ver­tre­tung der Frau­en in der Poli­tik zu einem gesell­schaft­lich rele­van­ten The­ma zu machen und eine aus­ge­wo­ge­ne­re Geschlech­ter­ver­tei­lung in allen poli­ti­schen Insti­tu­tio­nen der Schweiz zu errei­chen. Dabei setz­te die Kam­pa­gne von Beginn an dar­auf, dass Kan­di­da­tin­nen Spit­zen­plät­ze auf den Par­tei­lis­ten erhal­ten. Denn die Lis­ten­po­si­ti­on ist im Schwei­ze­ri­scher Wahl­sys­tem ent­schei­dend (vgl. Gilar­di 2015).

Zudem ist es wich­tig, im Zusam­men­hang mit den natio­na­len Wah­len 2019 auch den zwei­ten natio­na­len Frau­en­streik nach 1991 zu erwäh­nen, der im Juni 2019 statt­fand. In allen Schwei­zer Städ­ten kam es zu Gross­de­mons­tra­tio­nen. Der Streik wur­de von den Gewerk­schaf­ten orga­ni­siert und von zahl­rei­chen Orga­ni­sa­tio­nen unter­stützt. Wäh­rend der Streik­wo­che war das The­ma der Ver­tre­tung der Frau­en in Poli­tik und Gesell­schaft in den Medi­en beson­ders präsent.


Refe­renz:

 

image_pdfimage_print