Wie die Themen Energie und Klima die Wahlen 2019 beeinflusst haben

Die Eid­ge­nös­si­schen Wah­len 2019 wer­den als Kli­ma­wah­len bezeich­net, was auf das star­ke Abschnei­den der Grü­nen und Grün­li­be­ra­len zurück­zu­füh­ren ist. Doch han­del­te es sich dabei um das Ergeb­nis jün­ge­rer Ent­wick­lun­gen wie der Fri­days for Futures Bewe­gung und ande­rer Kli­ma­pro­tes­te oder sahen wir 2019 die Kul­mi­na­ti­on eines län­ge­ren Trends? Die­sen Fra­gen gehen wir in unse­ren Ana­ly­sen nach.

Wir zei­gen in unse­ren Ana­ly­sen, wie sich die Wich­tig­keit, d.h. die Sali­enz von Kli­ma- und ener­gie­po­li­ti­schen The­men und die Posi­tio­nie­rung zu die­sen The­men für Par­tei­en und Wäh­ler­schaft über die Zeit ver­än­dert haben. Unse­re Ergeb­nis­se zei­gen, dass Ener­gie- und Umwelt­fra­gen zuneh­mend sowohl Par­tei­en als auch Wäh­ler­schaft pola­ri­sie­ren. Die­se Ent­wick­lung ist dabei haupt­säch­lich der rechts­po­pu­lis­ti­schen SVP zuzu­schrei­ben. Gleich­zei­tig nahm die Sali­enz des The­mas über die Zeit aber auch für Wäh­ler­grup­pen und Par­tei­en rechts der Mit­te zu.

Daten und Methoden
Die Ergeb­nis­se beru­hen auf eige­nen Daten (Aus­wer­tun­gen der Wahl­pro­gram­me der jewei­li­gen Par­tei­en) sowie der seit 1977 regel­mäs­sig durch­ge­führ­ten Befra­gun­gen von Wäh­le­rin­nen und Wäh­lern im Rah­men der Swiss Elec­tion Stu­dy (Selects). Dabei lag der Fokus auf der bekun­de­ten Wich­tig­keit sowie den Posi­tio­nen zu kli­mare­le­van­ten Mass­nah­men in der Ener­gie- und Umweltpolitik.
Die Wichtigkeit von Klima- und Energiepolitik über die Zeit

Bei der Wich­tig­keit des The­mas las­sen sich sowohl ein lang­fris­ti­ger Trend als auch Unter­schie­de zwi­schen Wähler*innen (Panel A in Abbil­dung 1) und Par­tei­en (Panel B in Abbil­dung 1) erken­nen. Wenn man die Wich­tig­keit kli­mare­le­van­ter Ener­gie- und Umwelt­po­li­tik aus dem Pro­zent­satz jener Wähler*innen ablei­tet, die die­ses The­ma als wich­tigs­tes gesell­schaft­li­ches Pro­blem anse­hen, kön­nen wir mit Aus­nah­me des Jah­res 2015 fest­stel­len, dass die Wich­tig­keit von Kli­ma- und Umwelt­po­li­tik für Wähler*innen seit 2007 ste­tig zuge­nom­men hat.

Es las­sen sich jedoch Unter­schie­de zwi­schen den Wähler*innen ein­zel­ner Par­tei­en fest­stel­len. Im Ver­hält­nis zur durch­schnitt­li­chen Wich­tig­keit (schwar­zer Punkt) ist zu beob­ach­ten, dass vor allem die Unterstützer*innen der Grü­nen und der GLP dem The­ma über­durch­schnitt­lich viel Bedeu­tung bei­mes­sen, wäh­rend Unterstützer*innen der SVP Kli­ma­fra­gen als weni­ger wich­tig betrach­ten. Die­ses Ergeb­nis zeigt deut­lich, dass es in der Schweiz hin­sicht­lich der Kli­ma­pro­ble­ma­tik einen Unter­schied zwi­schen poli­tisch eher links und eher rechts ein­ge­stell­ten Wähler*innen gibt.

Für Par­tei­en zeich­net sich ein weni­ger ein­deu­ti­ges Bild ab. Das Mass der Wich­tig­keit beruht in ihrem Fall auf dem jewei­li­gen Anteil des Wahl­pro­gramms, den sie den The­men Kli­ma und Ener­gie wid­men. Es las­sen sich dabei zwei par­al­le­le Trends beob­ach­ten (Sei­te B in Abbil­dung 1). Einer­seits steigt die Wich­tig­keit kli­mare­le­van­ter Ener­gie- und Umwelt­po­li­tik für Par­tei­en rechts des poli­ti­schen Spek­trums im Zeit­ver­lauf an, vor allem bei der SVP. Ande­rer­seits nimmt sie vor allem für die Grü­nen kon­ti­nu­ier­lich ab. Dafür kom­men zwei Erklä­rungs­an­sät­ze infrage.

Zum einen fin­den sich Hin­wei­se in der Lite­ra­tur, dass die Ver­knüp­fung von grü­nen Par­tei­en und Umwelt­fra­gen bei Wähler*innen so stark ver­haf­tet ist, dass es sich die­se Par­tei­en erlau­ben kön­nen, dem The­ma weni­ger Auf­merk­sam­keit zu wid­men, ohne dabei Stimm­ver­lus­te fürch­ten zu müssen.

Zum ande­ren ist an die­ser Stel­le auch die Trans­for­ma­ti­on eini­ger grü­ner Par­tei­en von Nischen- zu Main­stream­par­tei­en zu erwäh­nen. Eine Nischen­par­tei besteht oft aus Akti­vis­ten und fokus­siert sich auf weni­ge The­men, wäh­rend eine Main­stream­par­tei die gesam­te Band­brei­te poli­ti­scher Pro­ble­me abde­cken muss, wenn sie einen Regie­rungs­an­spruch erhe­ben will. Auf grü­ne Par­tei­en ange­wen­det bedeu­tet dies, dass mit zuneh­men­dem Wahl­er­folg der Druck steigt, sich auch mit ande­ren The­men aus­ein­an­der­zu­set­zen, was dazu führt, dass das ursprüng­li­che grü­ne Kern­the­ma einen gerin­ge­ren Anteil am Par­tei­pro­gramm ausmacht.

Abbildung 1: Der Schwarze Kreis gibt die durchschnittliche Wichtigkeit für Wähler*innen (und Parteien auf Seite B) an.

 
Positionierung im Bezug auf Energiewende

Eine mög­li­che Erklä­rung, war­um die SVP den The­men Ener­gie und Kli­ma mehr Raum gibt, könn­te die sein, dass sie als Gegen­pol zu den grü­nen Par­tei­en posi­tio­niert ist. Dies wür­de einer­seits erklä­ren, war­um SVP Wähler*innen das The­ma nicht als sehr wich­tig anse­hen, die Par­tei aber ande­rer­seits dem The­ma durch­aus Raum in Ihrem Par­tei­pro­gramm gibt.

Um dies zu über­prü­fen, müs­sen sowohl die Posi­tio­nen der Wäh­ler­schaft als auch die der Par­tei­en zu kli­mare­le­van­ter Ener­gie und Umwelt­po­li­tik betrach­tet wer­den. In Abbil­dung 2 sehen wir, dass sich ein lang­fris­ti­ger Trend beob­ach­ten lässt, bei dem Wähler*innen und Par­tei­en, wenn auch in unter­schied­li­cher Stär­ke, wei­test­ge­hend über­ein­stim­men. Für die Wäh­ler­schaft lei­tet sich die Posi­ti­on aus der Fra­ge ab, ob sie Maß­nah­men zum Umwelt­schutz über wirt­schaft­li­che Inter­es­sen stel­len[1]. Die Ergeb­nis­se auf Sei­te A von Abbil­dung 2 zei­gen, dass seit 2007 eine leich­te Pola­ri­sie­rung der Wäh­ler­schaft an den jewei­li­gen Enden des poli­ti­schen Spek­trum statt­ge­fun­den hat. Wähler*innen grü­ner Par­tei­en zei­gen eine zuneh­men­de Bereit­schaft, Kli­ma­fra­gen über wirt­schaft­li­che Inter­es­sen zu stell­len, wäh­rend die­se Bereit­schaft bei Wähler*innen der SVP ten­den­zi­ell abnimmt.[2]

Abbildung 2:

Für Par­tei­en (auf Sei­te B von Abbil­dung 2) ist die­ses Bild der Pola­ri­sie­rung deut­lich aus­ge­präg­ter. Bei ihnen lei­tet sich die Posi­ti­on aus dem Durch­schnitt der unter­stüt­zen­den und ableh­nen­den Aus­sa­gen zu kli­mare­le­van­ten Maß­nah­men in ihren Wahl­pro­gram­men ab. Auch hier fin­det die Pola­ri­sie­rung vor allem an den Enden des ideo­lo­gi­schen Spek­trums statt.

Wäh­rend grü­ne Par­tei­en leicht in ihrer Unter­stüt­zung kli­mare­le­van­ter Mass­nah­men stei­gen, nimmt die SVP erst eine neu­tra­le (bis 2011) und unge­fähr seit der Natio­nal­rats­wahl 2015 eine vor­wie­gend ableh­nen­de Hal­tung zu die­sen Mass­nah­men ein. Die SVP posi­tio­niert sich damit klar als Geg­ne­rin und Brem­se­rin in der Debat­te über die Schwei­zer Klimapolitik.

Was bedeutet die Erkenntnisse für die Schweizer Klimapolitik?

Die Fol­gen einer zuneh­men­den Pola­ri­sie­rung sowohl der Wäh­ler­schaft als auch der Par­tei­en in Bezug auf die Kli­ma­po­li­tik zeig­te sich in der Schweiz bei der Ableh­nung des CO₂-Geset­zes im Juni 2021. Trotz einer gros­sen gene­rel­len Unter­stüt­zung in der Bevöl­ke­rung für Kli­ma­po­li­tik und der Zustim­mung fast aller Par­tei­en sowie gewich­ti­ger Wirt­schafts­ver­bän­de schei­ter­te schluss­end­lich die – für die inter­na­tio­nal ver­ein­bar­ten Kli­ma­zie­le wich­ti­ge — Reform des Geset­zes an der Urne. Argu­men­te über mög­li­che nega­ti­ve Ver­tei­lungs­wir­kung des Geset­zes für ein­zel­ne Grup­pen (Land­be­völ­ke­rung, Mie­ter­schaft) ver­fin­gen inner­halb der Kam­pa­gne mehr und führ­ten zum vor­läu­fi­gen Ende des lan­ge ver­han­del­ten Klimapakets.

Für die Poli­tik wird es durch grös­se­re Pola­ri­sie­rung daher nicht leich­ter, drin­gend nöti­ge Fort­schrit­te zur Errei­chung des Pari­ser Abkom­mens zu machen. Die Beden­ken der Mehr­heit des Vol­kes, die eine ableh­nen­de Hal­tung vor allem gegen­über ein­zel­nen Mass­nah­men des CO₂-Geset­zes ange­nom­men hat, müs­sen ernst genom­men wer­den und mög­li­che Aus­wir­kun­gen der Vor­la­gen kla­rer kom­mu­ni­ziert werden.


[1] Es gibt kei­ne prä­zi­se­re Fra­ge in den SELECTS Umfra­gen zu Prä­fe­ren­zen bezüg­lich Kli­ma- und Ener­gie­po­li­tik im rele­van­ten Zeitraum.

[2] Es ist jedoch wich­tig dar­auf hin­zu­wei­sen, dass die­se Bereit­schaft bis­her für kei­ne Wäh­ler­grup­pe ins Nega­ti­ve (unter­halb der Null­li­nie in Abbil­dung 2) gerutscht ist (d.h. d.h.Wähler:innen stel­len durch­weg Kli­ma­fra­gen über wirt­schaft­li­che Interessen).


Refe­renz:

Bild: unsplash.com

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