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Die Frauenwahl 2019 erklärt

Nathalie Giger, Fabrizio Gilardi, Denise Traber, Sarah Bütikofer
31st August 2022

Bei den eidgenössischen Wahlen 2019 gewannen so viele Kandidatinnen einen Sitz im Parlament wie noch nie zuvor. Im Nationalrat stieg der Frauenanteil auf 42 Prozent, im Ständerat auf 26 Prozent - gleich zwei Rekorde an einem Tag! Der Wahlerfolg der Kandidatinnen ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen, wie unsere Analysen zeigen.

Die Wahlen 2019 waren historisch: so viele Frauen wie noch nie zuvor schafften den Sprung in die Bundesversammlung. Im Nationalrat stieg der Frauenanteil um über zehn Prozentpunkte im Vergleich zu 2015. Der bisher zweithöchste Anstieg des Frauenanteils betrug Mitte der 1990er Jahre nur vier Prozentpunkte (Seitz 2020). Mit einem Frauenanteil von 42 im Nationalrat gehört die Schweiz in die Top-Ten der weiblichen Vertretungen in Europas Parlamenten.

Wie kann dieser markante Anstieg des Frauenanteil zwischen nur zwei Wahlgängen erklärt werden? Dieser Fragen gingen wir aus verschiedenen Blickwinkeln nach. Und wie unsere Analyse zeigt, war ein Zusammenspiel von mehreren gleichzeitig auftretenden Faktoren entscheidend für die historische Frauenwahl 2019. Auf der Angebotsseite, spezifisch das Kandidatinnen- und Kandidatenfeld betreffend, kann festgehalten werden, dass der Anteil der Frauen auf den Parteilisten im Vergleich zu 2015 gestiegen ist und dass Kandidatinnen im Durchschnitt bessere Positionen auf den Parteilisten hatten (dies sowohl im Vergleich zu Männern als auch im Vergleich zu den Kandidatinnen im Jahr 2015). Auf der Nachfrageseite lässt sich zeigen, dass gewisse Parteiwählerschaften bei den Wahlen 2019 Kandidatinnen den Kandidaten vorziehen und dadurch dafür sorgten, dass die Wahlchancen von Frauen 2019 statistisch sogar leicht höher lagen als die von Männern.

1: Viel mehr Kandidatinnen

Bei den eidgenössischen Wahlen 2019 stellte sich eine Rekordzahl von Kandidierenden zur Wahl. Insgesamt standen 1'873 Kandidatinnen und 2'772 Kandidaten auf den Wahllisten. Noch nie zuvor wollten so viele Schweizerinnen und Schweizer ins Parlament gewählt werden, im Vergleich zu den  Wahlen 2015 stiegen die Kandidaturen um 857 Personen an. Dazu trugen vor allem die weiblichen Kandidaturen bei, denn 2019 kandidierten 565 Frauen mehr als im Jahr 2015. Insgesamt stieg der Anteil weiblicher Kandidaturen auf den Wahllisten um 5,8 Prozentpunkte und überschritt damit zum ersten Mal die 40-Prozent-Marke (Seitz 2019). Diese Zunahme erstreckt sich über alle Kantone (mit Ausnahme des Kantons Schwyz) und allen Landesteilen - allerdings in der lateinischen Schweiz stärker als in der Deutschschweiz.

Dabei zeigt sich, dass sämtliche Parteien mehr Kandidatinnen nominiert haben als zuvor. Zudem hatten Frauen in einigen Parteien bessere Listenplätze und somit eine leicht erhöhte Wahrscheinlichkeit, gewählt zu werden. 

2. Wahlerfolg der Grünen Partei

Der Wahlerfolg der Frauen hängt auch mit der veränderten Parteienlandschaft nach den eidgenössischen Wahlen 2019 zusammen. Die ökologischen Parteien konnten ihre Wähleranteile nämlich bedeutend ausbauen. Von dieser "grünen Welle", dem beispiellosen Anstieg der Grünen und Grünliberalen, profitierten auch die Frauen. Etwa ein Drittel des Gesamtanstiegs des Frauenanteils lässt sich auf die veränderte Parteienzusammensetzung des Parlaments zurückführen.

3: Mehr Unterstützung der Kandidatinnen durch die Wählenden

Unsere Analyse zeigt zudem, dass Kandidatinnen im Vergleich zu den vorherigen nationalen Wahlen durch die Wähler:innen mehr untersützt wurden.

Zum einen gaben die Mehrheit der Parteiwählerschaften von SP und Grünen an, bei gleicher Qualifikation die Kandidatinnen den Kandidaten der Partei vorzuziehen (Abbildung 1).

Abbildung 1: Übersicht pro Partei, ob bei Kandidierenden mit den gleichen Qualifikationen eher Frauen gewählt werden als Männer

Dies zeigte sich beispielsweise daran, dass die Mehrheit der Parteiwählenden der SP und Grünen angaben, auf ihren Wahllisten einen höheren Frauen- als Männeranteil gewählt zu haben (Abbildung 2). Dies führte insgesamt dazu, dass Kandidatinnen 2019 die Wahl in die Bundesversammlung sogar mit einer leicht erhöhten Wahrscheinlichkeit schafften als Kandidaten.

Abbildung 2: Übersicht pro Partei, ob mehr Frauen oder Männer auf den Wahllisten standen (nach manueller Änderung)

Kontext der Frauenwahl 2019
Ein bemerkenswerter Faktor, der zur "Frauenwahl 2019" beigetragen hat, war die Kampagne Helvetia ruft!, welche bereits 2018 ins Leben gerufen wurde. Ziel der Kampagne ist es, die Vertretung der Frauen in der Politik zu einem gesellschaftlich relevanten Thema zu machen und eine ausgewogenere Geschlechterverteilung in allen politischen Institutionen der Schweiz zu erreichen. Dabei setzte die Kampagne von Beginn an darauf, dass Kandidatinnen Spitzenplätze auf den Parteilisten erhalten. Denn die Listenposition ist im Schweizerischer Wahlsystem entscheidend (vgl. Gilardi 2015).

Zudem ist es wichtig, im Zusammenhang mit den nationalen Wahlen 2019 auch den zweiten nationalen Frauenstreik nach 1991 zu erwähnen, der im Juni 2019 stattfand. In allen Schweizer Städten kam es zu Grossdemonstrationen. Der Streik wurde von den Gewerkschaften organisiert und von zahlreichen Organisationen unterstützt. Während der Streikwoche war das Thema der Vertretung der Frauen in Politik und Gesellschaft in den Medien besonders präsent.


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