Digitalpolitik der Parteien zur Bundestagswahl 2021

Mit der sich fort­set­zen­den Digi­ta­li­sie­rung wer­den zahl­rei­che gesell­schaft­li­che Berei­che trans­for­miert. Die Poli­tik kommt dadurch längst nicht mehr dar­an vor­bei, sich dem The­men­be­reich anzu­neh­men. So wäh­len bei der anste­hen­den Bun­des­tags­wahl am 26. Sep­tem­ber 2021 in Deutsch­land die Bürger:innen eine neue Regie­rung, zu deren wesent­li­chen Tätigkeitsfeldern auch die akti­ve Gestal­tung der digi­ta­len Trans­for­ma­ti­on zählen wird. Wie set­zen sich die Par­tei­en also mit dem The­ma Digi­ta­li­sie­rung auseinander?

Als Mega­trend durch­dringt Digi­ta­li­sie­rung eine Viel­zahl von gesell­schaft­li­chen Berei­chen. Dabei kommt die Poli­tik längst mich mehr dar­an vor­bei, sich ange­sichts der vielfältigen Chan­cen und Her­aus­for­de­run­gen der tief­grei­fen­den Veränderungsprozesse – vom digi­ta­len Klas­sen­zim­mer über effi­zi­en­te­re Ener­gie­sys­te­me, Sicher­heit der (digi­ta­len) Infra­struk­tur bis zur Dis­kri­mi­nie­rung durch For­men von Künstlicher Intel­li­genz oder Hass­re­de und Cybermob­bing – dem The­men­be­reich Digi­ta­li­sie­rung anzu­neh­men. Bei der anste­hen­den Bun­des­tags­wahl am 26. Sep­tem­ber 2021 wählen die Bürger:innen eine neue Regie­rung, zu deren wesent­li­chen Tätigkeitsfeldern zwei­fels­oh­ne die akti­ve Gestal­tung der digi­ta­len Trans­for­ma­ti­on in Deutsch­land zählen wird. Dabei ist die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem The­ma Digi­ta­li­sie­rung auf poli­ti­scher Ebe­ne gera­de jetzt wich­tig, da heu­te zen­tra­le Wei­chen­stel­lun­gen für zukünftige Ent­wick­lun­gen in nahe­zu allen Lebens­be­rei­chen statt­fin­den, die nachträglich wohl schwie­ri­ger zu revi­die­ren sein dürften.

Dabei bestehen zwi­schen den Par­tei­en teils merk­li­che Unter­schie­de bezüglich der Bedeu­tung, die sie der Digi­ta­li­sie­rung zuwei­sen, sowie den The­men, die für sie bei der Gestal­tung des digi­ta­len Wan­dels im Vor­der­grund ste­hen. Unse­re Ana­ly­se der aktu­el­len Wahl­pro­gram­me sowie der Ver­gleich mit den vor­an­ge­gan­ge­nen Wah­len im Jahr 2013 und 2017 offen­bart, wie sich das The­ma Digi­ta­li­sie­rung in der Par­tei­po­li­tik ent­wi­ckelt und wo sich die Par­tei­en von­ein­an­der abgrenzen.

Unse­re Ana­ly­se der Daten zeigt, dass:

  1. die Bedeu­tung des The­mas seit der der Wahl im Jahr 2013 deut­lich zuge­nom­men hat;

  2. kla­re Ver­schie­bun­gen bei den wich­tigs­ten digi­tal­po­li­ti­schen The­men statt­ge­fun­den haben;

  3. sich die Par­tei­en zur Bun­des­tags­wahl im Jahr 2021 bei ihren digi­tal­po­li­ti­schen Schwer­punkt­set­zun­gen zwar unter­schei­den, aller­dings auch ein gemein­sa­mer Kern von prio­ri­sier­ten The­men besteht.

Daten und Methoden
Die­se Ana­ly­se basiert auf einem sys­te­ma­ti­schen Daten­satz auf Bun­des- und Län­der­ebe­ne, der alle Wahl­pro­gram­me der der­zeit im Bun­des­tag ver­tre­te­nen Par­tei­en seit 2010 umfasst. Mit­tels einer umfang­rei­chen Lis­te von Schlag­wör­tern (z.B. „digi­tal“, „Daten“, „Indus­trie 4.0“) wur­den hier­zu in einem ers­ten Schritt rele­van­te Sät­ze mit Bezug zum The­men­feld Digi­ta­li­sie­rung aus den Pro­gram­men mit Hil­fe einer Soft­ware gefil­tert. Die so iden­ti­fi­zier­ten Sät­ze wur­den dann in einem zwei­ten Schritt ent­lang eines eigens ent­wi­ckel­ten Kate­go­rien­sche­mas ins­ge­samt 18 The­men­be­rei­chen zuge­ord­net. Sät­ze ohne Digi­ta­li­sie­rungs­be­zug wur­den aus dem Daten­satz ent­fernt. Ins­ge­samt beinhal­tet der Daten­satz mehr als 20.000 Sät­ze zur Digi­tal­po­li­tik der Par­tei­en; auf Bun­des­ebe­ne wur­den 2.791 Sät­ze für die Jah­re 2013 (571 Sät­ze), 2017 (831) und 2021 (1.389) identifiziert.

1. Bedeu­tung von Digi­ta­li­sie­rung in den Wahlprogrammen

Wie viel Platz nimmt das The­ma Digi­ta­li­sie­rung in den Wahl­pro­gram­men der Par­tei­en ein? Hier­für kann man den Anteil der Sät­ze mit Bezug zu digi­tal­po­li­ti­schen The­men betrach­ten.[1] Abbil­dung 1 visua­li­siert die Wich­tig­keit von Digi­tal­po­li­tik im Par­tei­en­ver­gleich mit Blick auf die Bun­des­tags­wah­len 2013, 2017 und 2021.

Anhand die­ser Zah­len lässt sich ein kla­rer Bedeu­tungs­zu­wachs von Digi­tal­po­li­tik seit der Bun­des­tags­wahl 2013 fest­stel­len. Dem­nach hat sich die durch­schnitt­li­che Wich­tig­keit über alle Par­tei­en etwa ver­drei­facht und liegt zur Bun­des­tags­wahl im Jahr 2021 bei etwas unter zehn Pro­zent. Anders for­mu­liert: nahe­zu jeder 10. Satz in den Wahl­pro­gram­men der Par­tei­en weist einen Bezug zur Digi­ta­li­sie­rung auf, wobei sich ent­spre­chen­de Aus­sa­gen durch bei­na­he alle Abschnit­te der Wahl­pro­gram­me zie­hen. Zum Ver­gleich, von den über 60 Sei­ten des SPD-Pro­gramms machen die Abschnit­te zu Ren­te und zu bezahl­ba­re­rem Wohn­raum jeweils eine Sei­te aus, was rund zwei Pro­zent ent­spricht; und das gesam­te ers­te Kapi­tel zu Umwelt- und Kli­ma­po­li­tik der Grünen macht rund 15Prozent des gesam­ten Pro­gramms aus. Im Unter­schied zu die­sen rela­tiv klar kon­tu­rier­ten The­men­be­rei­chen und Poli­tik­fel­dern, zieht sich Digi­ta­li­sie­rung durch mehr oder min­der alle Felder.

Beim Ver­gleich der Par­tei­en fällt auf, dass die AfD und die Lin­ke 2021 das Schluss­licht bil­den und Digi­ta­li­sie­rungs­the­men – wie bereits bei den vor­an­ge­gan­ge­nen Bun­des­tags­wah­len 2017 und 2013 – das gerings­te Gewicht bei­mes­sen. Die Unter­schie­de zu den ande­ren Par­tei­en sind bezo­gen auf die Rela­tio­nen ähnlich geblie­ben, während sich das Niveau ver­scho­ben hat. Lagen noch im Jahr 2013 alle Par­tei­en bei einer Span­ne zwi­schen 0 und 5 digi­tal­po­li­ti­schen Sätzen auf 100 Sätze im Par­tei­pro­gramm, liegt die­se Span­ne im Jahr 2021 bei zwi­schen 5 (AfD) und 12 Pro­zent (CDU/CSU).

An der Spit­ze ste­hen im Jahr 2021, wie schon zur Bun­des­tags­wahl im Jahr 2017, CDU/CSU, FDP und SPD, wobei ins­be­son­de­re die Uni­ons­par­tei­en mit Blick auf Digi­ta­li­sie­rungs­the­men noch­mals einen gro­ßen Schritt nach vor­ne gemacht haben (+ 3% im Ver­gleich zu 2017). Hat sich also noch zur Wahl im Jahr 2017 die FDP als die Digi­ta­li­sie­rungs­par­tei präsentiert, was zu den Zah­len in Abbil­dung 1 passt, wird sie im Jahr 2021 durch die Uni­on überflügelt, wenn man die Beto­nung des The­mas im Wahl­pro­gramm betrach­tet. Während die Grünen im Jahr 2013 nach der CDU/CSU noch an zwei­ter Stel­le stan­den, sind sie mitt­ler­wei­le von FDP und SPD klar überholt wor­den. Die Links­par­tei hat im Ver­gleich zu 2013 deut­lich zu den ande­ren Par­tei­en aufgeschlossen.

Abbil­dung 1: Wich­tig­keit von Digi­tal­po­li­tik im Par­tei­en­ver­gleich, BTW 2013, BTW 2017 und BTW 2021

2. Die wich­tigs­ten digi­tal­po­li­ti­schen Themen

Tabel­le 1 rich­tet den Blick auf die The­men­wich­tig­keit (Durch­schnitt der Beto­nung über alle Par­tei­en). Hier zeigt sich seit 2013 eine star­ke Ver­schie­bung bei den Top-5-The­men. Kon­stant ist allein die gro­ße Bedeu­tung von Sicher­heits­aspek­ten, die über alle Bun­des­tags­wah­len auf Platz 1 lan­den. Dass die­se so weit oben ste­hen, liegt zum einen dar­an, dass dar­un­ter ver­schie­de­ne Poli­ti­ken und Ent­wick­lun­gen fal­len, etwa die Vor­rats­da­ten­spei­che­rung, Cybermob­bing sowie Daten­si­cher­heit. Zum ande­ren sind Pro­ble­me wie Schä­den durch Hacker­an­grif­fe, Cyber­kri­mi­na­li­tät oder Hate Speech über die Jah­re eher noch grö­ßer geworden.

Tabel­le 1: Top-5-The­men anhand der durch­schnitt­li­chen The­men­wich­tig­keit über Parteien

 

2013

 

2017

 

2021

 

                 1 

(Cyber-)Sicherheit

14%

(Cyber-)Sicherheit

13%

(Cyber-)Sicherheit

11%

                 2 

Pri­vat­sphä­re und Datenschutz

11%

Digi­ta­le Infrastruktur

11%

E‑Government

11%

                 3 

Digi­ta­le Infrastruktur

9%

Gesund­heit & E‑Health

9%

Wirt­schaft

11%

                 4 

Kul­tur & Medien

9%

Wirt­schaft

9%

Bil­dung & Wissenschaft

10%

                 5 

Offe­ner und glei­cher Zugang

8%

Bil­dung & Wissenschaft

9%

Gesund­heit & E‑Health

6%

 

Neu unter den Top‑5 fin­det sich im Jahr 2021 das The­ma E‑Government. Dabei hat sich die Bedeu­tung im Ver­gleich zu den Wah­len 2013 und 2017 nahe­zu ver­drei­facht, sodass das The­ma direkt auf Platz 2 der wich­tigs­ten The­men lan­det. Aus­sa­gen in der Kate­go­rie E‑Government dre­hen sich vor allem um die Fra­ge, wie die Ver­wal­tung mit­tels digi­ta­ler Tools moder­ni­siert und für Bürger:innen wie auch Unter­neh­men zugäng­li­cher gestal­tet wer­den kann. Dar­über hin­aus fin­den sich hier auch Aus­sa­gen dar­über, dass und auf wel­chem Wege öffent­li­che Daten nutz­bar gemacht wer­den sollen/können.

Wirt­schaft­li­che Aspek­te sowie Bil­dung und Wis­sen­schaft lan­den 2021 auf Platz 3 und 4 der wich­tigs­ten The­men. Damit setzt sich der Bedeu­tungs­zu­wachs die­ser bei­den The­men­fel­der, den man bereits in den vor­an­ge­gan­ge­nen Bun­des­tags­wah­len beob­ach­ten konn­te, wei­ter fort. Im Zen­trum von Bil­dung und Wis­sen­schaft ste­hen dabei vor allem Aspek­te der För­de­rung von Medi­en­kom­pe­ten­zen für das digi­ta­le Zeit­al­ter an (Hoch-)Schulen, der Aus­bau der digi­ta­len Infra­struk­tur im Bil­dungs­be­reich sowie Inves­ti­tio­nen in Wis­sen­schaft und For­schung mit Blick auf digi­ta­le Zukunfts­tech­no­lo­gien wie Künst­li­che Intel­li­genz oder Quan­ten­com­pu­ting. Bei den The­men mit Wirt­schafts­be­zug beto­nen die Par­tei­en u.a. das wirt­schaft­li­che Poten­zi­al von KI sowie von digi­ta­len Tech­no­lo­gien für die höhe­re Effi­zi­enz und Pro­duk­ti­vi­tät in der Land­wirt­schaft, aber auch Aspek­te wie eine Digi­tal­steu­er, Wett­be­werbs­ver­zer­run­gen durch Mono­pol­bil­dung und die Ein­füh­rung eines Digitaleuro.

Mit eini­gem Abstand und ganz knapp vor dem The­ma digi­ta­le Infra­struk­tur lan­det das The­ma Gesund­heit auf Platz 5 der wich­tigs­ten The­men im Jahr 2021. Über­ra­schen­der­wei­se scheint das The­ma im von der Covid-19-Pan­de­mie gepräg­ten Wahl­jahr gegen­über 2017 an Wich­tig­keit ver­lo­ren zu haben. Aller­dings erklärt sich die gro­ße Bedeu­tung im Jahr 2017 durch die AfD, wel­che dem The­ma in der vor­an­ge­gan­ge­nen Wahl eine enor­me Wich­tig­keit bei­gemes­sen hat (u.a. die Aus­wir­kun­gen von 5G). Berück­sich­tigt man die­sen Aus­rei­ßer, so hat das The­ma Gesund­heit und Digi­ta­li­sie­rung leicht hin­zu­ge­won­nen – aller­dings bei wei­tem nicht so stark, wie man hät­te ver­mu­ten können.

Zusam­men­ge­nom­men lässt sich über die Zeit hin­weg eine beacht­li­che Ver­schie­bung im The­men­feld Digi­ta­li­sie­rung beob­ach­ten: So tre­ten gesell­schafts­po­li­ti­sche The­men, die sich mit Fra­gen der von Pri­vat­sphä­re und Daten­schutz sowie dem offe­nen und glei­chen Zugang zur Digi­ta­li­sie­rung (u.a. Stich­wort „Netz­neu­tra­li­tät“) beschäf­ti­gen immer stär­ker in den Hin­ter­grund. Gleich­zei­tig nimmt die Bedeu­tung des „Fit­ma­chen“ für das digi­ta­le Zeit­al­ter von Staat (E‑Government), Wirt­schaft (Wirt­schaft und For­schung) und Bürger:innen (Bil­dung) zu. Sowohl E‑Government als auch digi­ta­le Bil­dung und Cyber-Sicher­heit sind wich­ti­ge Grund­la­gen für die wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung des Digi­tal­sek­tors. Gleich­zei­tig sind The­men wie Sicher­heit oder E‑Government unkon­tro­vers und unver­fäng­lich, da sie gene­rell auf Zuspruch sto­ßen dürften.

Stan­den Privatsphäre und Daten­schutz im Jahr 2013 noch an zwei­ter Stel­le (11%), haben sie schon 2017 (7%) und mehr noch im Jahr 2021 (5%) deut­lich an Bedeu­tung ver­lo­ren. Es liegt nahe, den Grund hierfür in der Ver­ab­schie­dung der Daten­schutz­grund­ver­ord­nung als wich­ti­ge recht­li­che Grund­la­ge auf EU-Ebe­ne im Jahr 2018 zu sehen. Aller­dings sind Fra­gen des Daten­schut­zes damit kei­nes­wegs vom Tisch, wie etwa die fest­ge­stell­ten Hand­lungs­be­dar­fe und Emp­feh­lun­gen der Daten­ethik­kom­mis­si­on zei­gen. Deren Vorschläge für effek­ti­ve­re Ver­wirk­li­chung infor­ma­tio­nel­ler Selbst­be­stim­mung sah der Ver­brau­cher­zen­tra­le Bun­des­ver­band ein Jahr nach dem Kom­mis­si­ons­be­richt als noch kaum umge­setzt (Ver­brau­cher­zen­tra­le Bun­des­ver­band 2021). Gleich­zei­tig ist zu beob­ach­ten, dass etwa die Uni­on im Sep­tem­ber 2019 eine „Digi­tal­stra­te­gie“ öffentlich mach­te, wel­che unter ande­rem die Abschwächung bestehen­der Daten­schutz­re­ge­lun­gen vor­sah, um persönliche Daten bes­ser für wirt­schaft­li­che Wertschöpfung nutz­bar zu machen (Koch und Neue­rer 2019). Dem­nach ist das The­ma Daten­schutz kei­nes­wegs abge­hakt, der Ziel­kon­flikt zwi­schen wirt­schaft­li­chem Poten­zi­al der Daten auf der einen, und persönlichen Rech­ten und indi­vi­du­el­ler Selbst­be­stim­mung auf der ande­ren bleibt wei­ter bestehen. Daher macht das The­ma zwar wei­ter­hin einen poli­ti­schen Streit­punkt aus, ver­schwin­det aber zuneh­mend aus der poli­ti­schen Öffentlichkeit.

Wenn man wei­ter­hin auf die The­men blickt, die bis­lang sehr wenig zur Gel­tung kom­men, wird das Bild einer zuneh­men­den Prio­ri­sie­rung der wirt­schaft­li­chen Bedeu­tung von Digi­ta­li­sie­rung für den Wirt­schafts­stand­ort Deutsch­land, der tech­no­lo­gi­schen Moder­ni­sie­rung der Ver­wal­tung (wobei vor allem Effi­zi­enz­stei­ge­run­gen betont wer­den) sowie der Her­aus­bil­dung von digi­ta­len Kom­pe­ten­zen noch deut­li­cher. So genie­ßen gesell­schafts­po­li­ti­sche The­men wie etwa Konsument:innenschutz (im Durch­schnitt 3,5%) oder digi­ta­le Arbeitsverhältnisse (5%) weit­aus weni­ger Auf­merk­sam­keit der Par­tei­en. Dies ist inso­fern beacht­lich, als etwa die Fol­gen von Auto­ma­ti­sie­rung oder veränderten Arbeits­pro­zes­sen inten­siv dis­ku­tiert wer­den. Glei­ches gilt für die Aus­wir­kun­gen von Mono­pol­bil­dun­gen in der sog. Daten- und Plattformökonomie oder die mögliche Dis­kri­mi­nie­rung von gesell­schaft­li­chen Grup­pen im Zuge des zuneh­men­den Ein­sat­zes von algo­rith­mi­schen Ent­schei­dungs­sys­te­men in unter­schied­li­chen Lebens­be­rei­chen. Es fin­den sich aller­dings Anzei­chen, dass die Par­tei­en sol­che Fra­gen eher als Auf­ga­ben für die Zusam­men­ar­beit auf europäischer und inter­na­tio­na­ler Ebe­ne sehen: Die Wahl­pro­gram­me ent­hal­ten im Ver­gleich zur vor­an­ge­hen­den Wahl als auffällige Neue­rung zahl­rei­che Ver­wei­se auf die Wich­tig­keit der Koope­ra­ti­on auf Ebe­ne der Europäischen Uni­on beim Umgang mit dem digi­ta­len Wan­del, sowohl im gesell­schafts­po­li­ti­schen als auch im wirt­schaft­li­chen Bereich.

Beacht­lich ist zudem, wel­chen The­men die Par­tei­en so gut wie kei­ne Bedeu­tung schen­ken: Dem­nach spie­len mehr Demo­kra­tie und mehr Bür­ger­be­tei­li­gung (0,1% der Aus­sa­gen) durch digi­ta­le Mit­tel kaum eine Rol­le in den Wahl­pro­gram­men. Zudem wird beim The­ma E‑Government die Digi­ta­li­sie­rung in der Regel als Ein­bahn­stra­ße ver­stan­den, im Sin­ne von ein­sei­ti­ger Bereit­stel­lung von Infor­ma­tio­nen durch die Ver­wal­tung und ein­sei­ti­gem Zugang der Bürger:innen zu Ämtern, nicht aber als Mög­lich­keit des stär­ke­ren Aus­tauschs der Bürger:innen mit der Poli­tik, und umge­kehrt. Fer­ner zeigt sich, dass Digi­ta­li­sie­rung bei zen­tra­len Zukunfts­the­men wie Umwelt und Ener­gie (3%) sowie Ver­kehr und Mobi­li­tät (2%) eine über­ra­schend nach­ge­ord­ne­te Rol­le in den Wahl­pro­gram­men der Par­tei­en spie­len. Mit Blick auf die The­men­wich­tig­kei­ten ist abschlie­ßend fest­zu­stel­len, dass Digi­ta­li­sie­rung zwar eine Viel­zahl von Berei­chen durch­zieht, sie aber trotz ihrer gestie­ge­nen Bedeu­tung bei eta­blier­ten The­men wie Ren­te, Immi­gra­ti­on oder Sozia­les nicht auf­taucht. Bei zen­tra­len poli­ti­schen The­men, die die Men­schen bewe­gen, spielt Digi­ta­li­sie­rung also kei­ne Rolle.

3. Par­tei­en­un­ter­schie­de bei The­men­schwer­punk­ten 2021

Tabel­le 2 legt dar, wel­che digi­tal­po­li­ti­schen The­men bei den Par­tei­en im Jahr 2021 an vor­ders­ter Stel­le ste­hen. Hier­bei zei­gen sich kla­re Unter­schie­de, aber auch uner­war­te­te Gemein­sam­kei­ten. So beto­nen die Uni­on, die FPD, aber auch die Grü­nen – aller­dings in varia­bler Rei­hung – pri­mär die The­men (Cyber‑)Sicherheit, E‑Government und Wirt­schaft. Die AfD legt eben­falls gro­ßen Wert auf Sicher­heits­aspek­te und E‑Government, fällt aber im Jahr 2021 als die Par­tei auf, die am stärks­ten das The­ma Pri­vat­sphä­re und Daten­schutz betont. Für die SPD stel­len wirt­schaft­li­che Poten­zia­le der Digi­ta­li­sie­rung zwar auch einen wich­ti­gen Aspekt dar, dane­ben lie­gen ihre Akzen­te aber bei Fra­gen, die Kul­tur und Medi­en (Jour­na­lis­mus, Öffent­lich-Recht­li­che im digi­ta­len Wan­del, neue For­ma­te etc.) sowie Bil­dung und Wis­sen­schaft betref­fen. Letz­te­res steht bei der Links­par­tei an ers­ter Stel­le, gefolgt von offe­nem und glei­chem Zugang in der digi­ta­len Gesell­schaft und dem The­ma Arbeits­ver­hält­nis­se in der digi­ta­li­sier­ten Welt. Ins­ge­samt zeigt sich somit, dass sich die SPD und vor allem die Links­par­tei mit ihren The­men­ak­zen­ten von den ande­ren Par­tei­en deut­lich absetzen.

Tabel­le 2: Wich­tigs­te The­men in den Wahl­pro­gram­men zur Bun­des­tags­wahl 2021 nach Par­tei­en (pro­zen­tua­ler Anteil am Wahl­pro­gramm in Klammern)

Par­tei

Platz 1

Platz 2

Platz 3

AfD

(Cyber-)Sicherheit
(12,3%)

E‑Government
(12,3%)

Pri­vat­sphä­re & Daten­schutz (12,3%)

CDU/CSU

(Cyber-)Sicherheit
(17,4%)

E‑Government
(14,7%)

Wirt­schaft
(10,8%)

FDP

E‑Government
(13,7%)

(Cyber-)Sicherheit
(12,9%)

Wirt­schaft
(11%)

Grü­ne

E‑Government
(14,8%)

Wirt­schaft
(10,3%)

(Cyber-)Sicherheit
(9,7%)

LINKE

Bil­dung & Wis­sen­schaft (13,7%)

Offe­ner & glei­cher Zugang (9,2%)

Arbeits­ver­hält­nis­se
(8,9%)

SPD

Kul­tur & Medi­en
(13,8%)

Wirt­schaft
(13,8%)

Bil­dung & Wis­sen­schaft (10,3%)

 

Eine sta­tis­ti­sche Ana­ly­se der Par­tei­en­pro­fi­le mit­tels Kor­re­spon­denz­ana­ly­se, die alle The­men mit mehr als 3 Pro­zent durch­schnitt­li­cher Beto­nung ein­be­zieht, unter­streicht die geschil­der­ten Unter­schie­de (Beschrif­tun­gen zur bes­se­ren Les­bar­keit ver­ein­facht). In Abbil­dung 2, wel­che die Affi­ni­tä­ten der Par­tei­en zuein­an­der und zu den The­men­fel­dern wider­gibt, zeigt sich klar eine domi­nan­te Ach­se, die den Par­tei­en­raum durch­zieht: Zwi­schen Sicher­heit, E‑Government und Wirt­schaft auf der einen Sei­te und Aspek­ten, die recht­li­che, infra­struk­tu­rel­le und bil­dungs­be­zo­ge­ne Vor­aus­set­zun­gen der Digi­ta­li­sie­rung betref­fen. Auf der zwei­ten Ach­se hebt sich vor allem die SPD durch ihre Beto­nung von kul­tu­rel­len und media­len Aspek­ten von den ande­ren Par­tei­en ab.

Abbil­dung 2: Posi­tio­nie­rung der Par­tei­en und The­men in einem gemein­sa­men Raum mit­tels Korrespondenzanalyse

Wel­che wei­te­ren Ent­wick­lun­gen und Spe­zi­fi­ka las­sen sich mit Blick auf die Par­tei­en zur Bun­des­tags­wahl 2021 finden?

Bei der AfD ist auffällig, dass sich das Port­fo­lio an The­men, die mit Digi­ta­li­sie­rung in Ver­bin­dung gebracht wer­den, im Jahr 2021 merk­lich aus­dif­fe­ren­ziert hat. Damit ein­her­ge­hend ist eine deut­li­che Ver­schie­bung der The­men­schwer­punk­te zu beob­ach­ten. Während (Cyber-)Sicherheit bereits in der letz­ten Wahl einen Fokus der AfD bil­de­te, hat sie die Digi­ta­li­sie­rung in den The­men­fel­dern E- Government, Wirt­schaft und Privatsphäre neu für sich ent­deckt. Wie bereits erwähnt, ging die­se Auf­merk­sam­keits­ver­schie­bung in ers­ter Linie zu Las­ten des The­mas Gesund­heit, das mit 38% aller Aus­sa­gen den übergroßen Anteil im Wahl­pro­gramm 2017 aus­mach­te. Auf­fal­lend ist auch der Schwer­punkt der AfD auf dem The­ma glei­cher und offe­ner Zugang zur Digi­ta­li­sie­rung, wobei hier beson­ders der Schutz der Mei­nungs­viel­falt im Inter­net her­vor­ge­ho­ben wird.

Bei der CDU/CSU lan­det neben den drei oben genann­ten Top-The­men Bil­dung und Wis­sen­schaft auf Platz 4, gefolgt von Fra­gen des Konsument:innenschutz. Bei letz­te­rem The­ma haben die Uni­ons­par­tei­en im Ver­gleich zu 2017 deut­lich zuge­legt und sind inter­es­san­ter­wei­se Spit­zen­rei­ter – gefolgt von der Lin­ken und der AfD. Eine wei­te­re inter­es­san­te Ent­wick­lung ist die bereits ange­spro­che­ne gestie­ge­ne Beto­nung auf inter­na­tio­na­le Zusam­men­ar­beit im Rah­men der EU sowie die außen­po­li­ti­sche Kom­po­nen­te der Digi­ta­li­sie­rung – was die CDU/CSU mit der FDP und den Grü­nen gemein­sam hat. Sicher­heits­the­men sowie E‑Government haben gegen­über 2017 stark an Bedeu­tung gewon­nen, wohin­ge­gen das ehe­ma­li­ge Top-The­ma digi­ta­le Infra­struk­tur mas­siv an Gewicht ver­lo­ren hat (2017: 16%; 2021: 3%). Gerin­ge Rele­vanz hat die Digi­ta­li­sie­rung zudem im Zusam­men­hang mit Zukunfts­the­men wie Ver­kehr und Mobi­li­tät sowie Ener­gie und Umwelt.

Auch bei der FDP haben Cyber­si­cher­heit und E‑Government im Jahr 2021 noch­mals an Bedeu­tung gewon­nen, aber weni­ger stark als bei der CDU/CSU, da die­se The­men bereits 2017 stark besetzt waren. Gestie­ge­ne Auf­merk­sam­keit erfah­ren haben zudem – wie bereits ange­spro­chen – Fra­gen der europäischen und inter­na­tio­na­len Zusam­men­ar­beit und inter­es­san­ter­wei­se die The­men­fel­der Umwelt und Ener­gie. Bei letz­te­rem ist auffällig, dass die Digi­ta­li­sie­rung als Schlüssel zur Bekämpfung der nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen im Umwelt­be­reich betont wer­den. Bemer­kens­wert ist zudem der Bedeu­tungs­ver­lust beim The­ma Privatsphäre und Daten­schutz (2017: 9,6%; 2021: 5,5%) – ein The­ma, das man zum Kern­be­reich der FDP als Bürgerrechtspartei rech­nen darf.

Bei den Grünen lässt sich eine ver­gleichs­wei­se star­ke Ver­schie­bung der The­men­schwer­punk­te beob­ach­ten. Auch bei ihnen hat das The­ma E‑Government erheb­lich an Bedeu­tung gewon­nen, eben­so wie die Berei­che Bil­dung und Wis­sen­schaft sowie Gesund­heit. Beson­ders inter­es­sant sind aber die The­men­fel­der, die von den Grünen 2021 deut­lich weni­ger betont wer­den als noch 2017: Kon­se­quen­zen der Digi­ta­li­sie­rung für Arbeitsverhältnisse (2017: 11,2%; 2021: 5,5%), Konsument:innenschutz (2017: 11,7%; 2021: 3,1%) und Privatsphäre und Daten­schutz (2017: 11,7%; 2021: 2,4%) – dabei ist der Bedeu­tungs­ver­lust gera­de bei den letz­ten bei­den The­men ja ein all­ge­mei­ner Trend über alle Par­tei­en hin­weg. Überraschend ist, dass die Grünen weder bei Umwelt und Ener­gie noch beim The­ma Mobilität und Ver­kehr unter den Par­tei­en auf dem ers­ten Platz der The­men­schwer­punk­te lan­den, son­dern in bei­den Fällen von der Lin­ken überholt werden.

Das Poli­tik­an­ge­bot der Lin­ken unter­schei­det sich in der Digi­tal­po­li­tik am deut­lichs­ten von den ande­ren Par­tei­en. Dies drückt sich zum einen in der ver­gleichs­wei­se gerin­gen Bedeu­tung von Wirt­schafts­the­men und E‑Government aus. Zum ande­ren zeigt sich die Beson­der­heit der Links­par­tei bei der star­ken Prio­ri­sie­rung der The­men Arbeitsverhältnisse und Arbeiternehmer:innenrechte (gemein­sam mit der SPD) sowie offe­nem und glei­chem Zugang zur digi­ta­len Welt (gemein­sam mit der AfD), wobei hier beson­ders Aspek­te der sozia­len Ungleich­heit im Vor­der­grund ste­hen. Bil­dung und Wis­sen­schaft ist mit Abstand das gewich­tigs­te The­ma der Lin­ken. Zudem macht sich die Lin­ke als ein­zi­ge Par­tei für Kon­zep­te und Stra­te­gien von Open Data & Open Source beson­ders stark. Wie bereits erwähnt ist inter­es­sant, dass Umwelt und Ener­gie sowie Mobilität – im Ver­gleich zu den ande­ren Par­tei­en – eine her­aus­ge­ho­be­ne Bedeu­tung einnehmen.

Auch die SPD hat eine ande­re Prio­ri­sie­rung als das bürgerliche Lager und die AfD, aller­dings weni­ger ausgeprägt als die Links­par­tei. Überraschenderweise ist Digi­ta­li­sie­rung bei der SPD im Bereich Kul­tur und Medi­en sehr stark ver­tre­ten – was ins­ge­samt eher als Rand­the­ma bezeich­net wer­den kann. Gemein­sam mit der Lin­ken hat die SPD einen Fokus auf Arbeitsverhältnisse und Arbeiternehmer:innenrechte, zugleich aber auch einen star­ken Fokus auf Wirt­schafts­the­men, was sie wie­der­um von der Lin­ken unter­schei­det. Eine nach­ge­ord­ne­te Rol­le spielt Digi­ta­li­sie­rung bei der SPD hin­sicht­lich Zukunfts­the­men wie Ver­kehr und Mobilität sowie Ener­gie und Umwelt – was sie mit der CDU/CSU und AfD gemein hat.


Refe­ren­zen

[1] Der Anteil berech­net sich wie folgt: Zahl der Sät­ze mit Digi­ta­li­sie­rungs­be­zug / Zahl der Sät­ze im Wahl­pro­gramm insgesamt.

Bild: unsplash.com

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