Wie freiwillige Vereine das politische Engagement zwischen Sprachregionen angleichen

Die Kohä­si­on zwi­schen Kan­to­nen und die akti­ve Betei­li­gung von Bür­ge­rin­nen und Bür­gern am poli­ti­schen Leben bil­den die Grund­la­ge des Schwei­zer Bun­des­staa­tes. Anhand der Daten des Schwei­zer Haus­halt-Panels wird gezeigt, dass die Betei­li­gung an frei­wil­li­gen Ver­ei­nen dazu bei­trägt, die Kluft in der poli­ti­schen Par­ti­zi­pa­ti­on zu über­brü­cken, die die Bür­ge­rin­nen und Bür­ger in den deutsch­spra­chi­gen Kan­to­nen von denen in den fran­zö­sisch- und ita­lie­nisch­spra­chi­gen Kan­to­nen unterscheidet.

Eines der cha­rak­te­ris­tischs­ten und wert­volls­ten Merk­ma­le des Schwei­zer Bun­des­staa­tes ist die Fähig­keit, eine Rei­he hete­ro­ge­ner Ein­hei­ten wie die Schwei­zer Kan­to­ne unter dem­sel­ben poli­ti­schen Dach zu ver­ei­nen. Die­se Kohä­si­on hängt von der akti­ven Betei­li­gung der Bür­ge­rin­nen und Bür­ger aller Kan­to­ne an dem gemein­sa­men demo­kra­ti­schen Pro­jekt ab. Trotz der föde­ra­len Ein­heit wis­sen wir aber, dass sich die Bür­ge­rin­nen und Bür­ger in den ver­schie­de­nen Kan­to­nen in sehr unter­schied­li­chem Mas­se in der Poli­tik enga­gie­ren. Am auf­fäl­ligs­ten ist das stär­ke­re poli­ti­sche Enga­ge­ment der Bür­ge­rin­nen und  Bür­ger in den deut­schen Kan­to­nen im Ver­gleich zu denen in den fran­zö­sisch- und ita­lie­nisch­spra­chi­gen Kan­to­nen. Wie kann die­se Kluft über­wun­den wer­den? Fol­gen­de Ana­ly­se zeigt, dass dies ins­be­son­de­re durch das Enga­ge­ment in frei­wil­li­gen Ver­ei­nen erreicht wer­den kann. Dies ist vor allem daher rele­vant, da demo­kra­ti­sche Ergeb­nis­se nur dann als gerecht ange­se­hen wer­den kön­nen, wenn alle davon betrof­fe­nen Bevöl­ke­rungs­grup­pen zu ihrer Ent­ste­hung bei­getra­gen haben.

Überbrückung der demokratischen Kluft? Die Rolle der freiwilligen Vereine

Eine umfang­rei­che wis­sen­schaft­li­che Lite­ra­tur beschreibt Ver­ei­ne als “Schu­len der Demo­kra­tie”, in denen die Bür­ge­rin­nen und Bür­ger die Ein­stel­lun­gen und Ver­hal­tens­wei­sen ein­üben kön­nen, die not­wen­dig sind, um akti­ve Bür­ge­rin­nen und Bür­ger zu sein. Anhand der Daten des Schwei­zer Haus­halt-Panels ana­ly­siert die­ser Bei­trag die­se Rol­le, die den Ver­ei­nen zuge­schrie­ben wird – ins­be­son­de­re ob Ver­ei­ne bei der Stei­ge­rung des poli­ti­schen Enga­ge­ments der Bür­ge­rin­nen und Bür­ger sowie bei der Ver­rin­ge­rung der Kluft zwi­schen deut­schen und latei­ni­schen Regio­nen helfen.

Die empi­ri­schen Resul­ta­te zei­gen, dass Ver­ei­ne bei Mit­glie­dern in latei­ni­schen Kan­to­nen deut­lich stär­ke­re posi­ti­ve Effek­te auf das poli­ti­sche Inter­es­se und die Nei­gung zur Betei­li­gung an direkt­de­mo­kra­ti­schen Initia­ti­ven haben als in deut­schen Kan­to­nen. Die­ses Mus­ter erklärt sich sowohl durch das all­ge­mei­ne Gefäl­le im poli­ti­schen Enga­ge­ment zwi­schen Sprach­re­gio­nen als auch durch die Tat­sa­che, dass Ver­ei­ne ein beson­de­res Umfeld dar­stel­len, das sich die­sem Gefäl­le ent­zie­hen kann.

Zudem zei­gen sich Unter­schie­de zwi­schen den Sprach­re­gio­nen hin­sicht­lich des Enga­ge­ments von neu­en und lang­jäh­ri­gen Ver­eins­mit­glie­dern. Einer­seits sind Neu­lin­ge in latei­ni­schen Kan­to­nen weni­ger poli­tisch enga­giert als ihre deut­schen Pen­dants, da sie aus einem regio­na­len Kon­text stam­men, der durch ein gerin­ge­res poli­ti­sches Enga­ge­ment gekenn­zeich­net ist. Ande­rer­seits enga­gie­ren sich lang­jäh­ri­ge Mit­glie­der in allen Sprach­re­gio­nen stär­ker in der poli­ti­schen Welt als Neu­lin­ge, und inner­halb von Ver­bän­den des­sel­ben Typs wei­sen sie über die Sprach­re­gio­nen hin­weg ein sehr ähn­li­ches Niveau der poli­ti­schen Betei­li­gung auf. Die­se Homo­ge­ni­tät erklärt sich dadurch, dass Ver­bän­de des­sel­ben Typs durch ähn­li­che inter­ne Dyna­mi­ken gekenn­zeich­net sind, die regio­na­len Unter­schie­de umge­hen. Hin­zu kommt, dass eini­ge Ver­bän­de föde­ra­lis­tisch orga­ni­siert sind, wobei die zen­tra­len Spit­zen­or­ga­ni­sa­tio­nen die Funk­ti­ons­wei­se der homo­ge­nen loka­len Sek­tio­nen beeinflussen.

Das gerin­ge­re poli­ti­sche Enga­ge­ment der Neu­lin­ge in den latei­ni­schen Kan­to­nen gibt ihnen einen grös­se­ren Spiel­raum, die­ses als Fol­ge des Ver­ein­s­en­ga­ge­ments zu erhö­hen. Aus die­sem Grund üben die lang­jäh­ri­gen Mit­glie­der über die Sprach­re­gio­nen hin­weg, mit denen Neu­lin­ge in den Ver­bän­den inter­agie­ren, einen stär­ke­ren posi­ti­ven Ein­fluss auf die Neu­lin­ge in den latei­ni­schen Kan­to­nen aus und zie­hen sie auf ein ähn­li­ches Betei­li­gungs­ni­veau wie ihre deut­schen Pen­dants. Der posi­ti­ve Ein­fluss ist in den deut­schen Kan­to­nen weni­ger aus­ge­prägt, da Neu­lin­ge bereits vor ihrem Bei­tritt rela­tiv stark poli­tisch aktiv sind.

Inter­es­san­ter­wei­se üben alle Ver­bands­typs einen sol­chen anglei­chen­den Effekt aus. Obwohl der Effekt bei Ver­ei­nen mit poli­ti­schem Cha­rak­ter, wie z.B. Umwelt­or­ga­ni­sa­tio­nen, deut­lich aus­ge­präg­ter ist, ver­rin­gern auch unpo­li­ti­sche Orga­ni­sa­tio­nen wie Sport­ver­ei­ne oder Kul­tur­ver­ei­ne die Unter­schie­de zwi­schen Sprachregionen.

In Gesundheit und Krankheit, immer nach Kohäsion und Inklusion streben

Die­se Ergeb­nis­se bedeu­ten, dass frei­wil­li­ge Ver­ei­ni­gun­gen als demo­kra­ti­sche Gleich­ma­cher zwi­schen latei­ni­schen und deut­schen Regio­nen wir­ken. Als sol­che stär­ken sie das Gefü­ge des schwei­ze­ri­schen Bun­des­staa­tes, indem sie die Kohä­si­on zwi­schen Kan­to­nen und die Gerech­tig­keit der poli­ti­schen Ergeb­nis­se durch die ver­stärk­te direk­te Betei­li­gung der Bür­ger stär­ken. Die­se bei­den Grund­sät­ze — die direk­te Betei­li­gung aller Bür­ge­rin­nen und Bür­ger und das Stre­ben nach Ein­heit statt nach Spal­tung — soll­ten im Mit­tel­punkt jeder poli­ti­schen Inter­ven­ti­on ste­hen, was die poli­ti­schen Eli­ten von heu­te stets im Hin­ter­kopf behal­ten sollten.


Refe­renz

  • Had­zi­ab­dic, Sini­sa. (2021). Insti­tu­tio­nal­ly Embed­ded Demo­cra­tic Equa­li­zers: Dif­fe­ren­ti­al Poli­ti­cal Invol­ve­ment Effects of Vol­un­ta­ry Asso­cia­ti­ons across Lan­guage Regi­ons in Switz­er­landSwiss Poli­ti­cal Sci­ence Review001– 20. https://doi.org/10.1111/spsr.12477

Bild: unsplash.com

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