Politik, Grundrechte und Umweltsorgen während des Lockdowns im Frühjahr

Die teils dras­ti­schen Ein­schrän­kun­gen der Grund­rech­te im Früh­jahr 2020 wur­den von einem gros­sen Teil der Bevöl­ke­rung tole­riert und sogar befür­wor­tet. Mit ein Grund dafür ist das hohe Ver­trau­en in die Poli­tik — das Ver­trau­en in Medi­en und Wirt­schaft nahm hin­ge­gen leicht ab. Zudem zeigt sich, dass das The­ma Umwelt an Bedeu­tung ver­lo­ren, wäh­rend das The­ma Wirt­schaft und Armut Boden gut gemacht haben. Das sind die Ergeb­nis­se einer zwi­schen Ende April und Mai 2020 durch­ge­führ­ten Befra­gung von rund 2’000 Per­so­nen aus der Schweiz.

Die Akzep­tanz für die vom Bun­des­rat ver­ord­ne­ten Ein­schrän­kun­gen waren inner­halb der Bevöl­ke­rung gross. 85 Pro­zent aller Befrag­ten fan­den sie gerechtfertigt.

Die­se brei­te Zustim­mung kommt wahr­schein­lich nicht zuletzt daher, weil eben­so vie­le dar­an glau­ben, dass das poli­ti­sche Sys­tem der Schweiz als Gan­zes fähig ist, Lösun­gen für sol­che Kri­sen her­vor­zu­brin­gen (80 Pro­zent stim­men (stark) zu). Den­noch bleibt man vor­sich­tig, was sol­che Ein­schrän­kun­gen betrifft. So mei­nen knapp zwei Drit­tel der Befrag­ten, dass Grund­rech­te nur kurz­fris­tig ein­ge­schränkt wer­den dür­fen (62 Pro­zent) und nur ein Drit­tel wür­de auch eine län­ger­fris­ti­ge Ein­schrän­kung tole­rie­ren (34 Pro­zent). Zudem emp­fan­den mehr als die Hälf­te die­se Ein­schrän­kun­gen als pro­ble­ma­tisch, auch wenn sie not­wen­dig und gerecht­fer­tigt waren (55 Pro­zent). Die Bevöl­ke­rung ist sich also einig, dass ein Aus­nah­me­zu­stand das blei­ben soll, was in sei­nem Namen steht: eine Ausnahme.

Auf­ge­schlüs­selt nach Sprach­re­gio­nen (Abb. 1) und poli­ti­schem Inter­es­se (Abb. 2) zei­gen sich aller­dings eini­ge Differenzen.

Abbildung 1: Meinungen bzgl. Einschränkungen der Grundrechte in den Sprachregionen (in % der Befragten)

N=1874. Wie weit darf der Bundesrat die Grundrechte (Bewegungs‑, Meinungs‑, oder Versammlungsfreiheit) der Bevölkerung während der Coronakrise einschränken? Niemals, kurzzeitig oder längerfristig?

Sowohl die latei­ni­sche Schweiz als auch poli­tisch Inter­es­sier­te sind Ein­schrän­kun­gen der Grund­rech­te wäh­rend einer Kri­se gegen­über etwas kri­ti­scher ein­ge­stellt. Die jewei­li­gen Unter­schie­de betra­gen zehn Pro­zent­punk­te, was sta­tis­tisch signi­fi­kant ist.

Abbildung 2: Meinungen bzgl. Einschränkungen der Grundrechte anhand des politischen Interesses (in % der Befragten)

N=1874. Wie weit darf der Bundesrat die Grundrechte (Bewegungs‑, Meinungs‑, oder Versammlungsfreiheit) der Bevölkerung während der Coronakrise einschränken? Niemals, kurzzeitig oder längerfristig?

Mit ein Grund, war­um die Befrag­ten Ein­schrän­kun­gen der Grund­rech­te hin­neh­men, ist ein gene­rell höhe­res Ver­trau­en in poli­ti­sche Insti­tu­tio­nen als im euro­päi­schen Ver­gleich [1]. So hat­te die Schwei­zer Bevöl­ke­rung bereits vor dem Lock­down ein rela­tiv hohes Ver­trau­en in den Natio­nal- und Stän­de­rat (Durch­schnitt von 6.2 auf einer Ska­la von 0 bis 10). Mehr ver­trau­te sie nur den Uni­ver­si­tä­ten und eid­ge­nös­si­schen Hoch­schu­len (7.2). Skep­ti­scher ist sie jedoch gegen­über den Medi­en und der Wirtschaft.

Wie aus Abbil­dung 3 her­vor­geht, hat sich die­se Kon­stel­la­ti­on wäh­rend der Covid-19-Pan­de­mie nicht ver­än­dert – sie hat sich eher noch gefes­tigt. So stieg das Ver­trau­en in die Hoch­schu­len sowie in die natio­na­le Legis­la­ti­ve leicht an. Ähn­lich viel trau­te man dem Bun­des­rat, dem Bun­des­amt für Gesund­heit BAG sowie den kan­to­na­len Behör­den zu. Dem­ge­gen­über nahm das Ver­trau­en in die Medi­en und die Wirt­schaft leicht ab. 

Abbildung 3: Vertrauen in politische Institutionen vor und während dem Lockdown (Mittelwerte)

N=1’840‑1887. Bitte benutzen Sie diese Skala von 0 bis 10. 0 bedeutet «überhaupt kein Vertrauen» und 10 bedeutet «absolutes Vertrauen». Wie viel vertrauen haben sie persönlich in die folgenden Institutionen? Alle gezeigten Unterschiede sind signifkant.

Covid-19 mehr Bedro­hung als Chan­ce für die Umwelt

War die Kli­ma­be­we­gung bis kurz vor Aus­bruch der Pan­de­mie hier­zu­lan­de noch in aller Mun­de, ist sie inzwi­schen fast ver­stummt. Abbil­dung 4 ver­gleicht die wich­tigs­ten Pro­blem­be­rei­che in der Schweiz vor und wäh­rend des Lock­downs. Die Befrag­ten wur­den dazu auf­ge­for­dert, die zwei wich­tigs­ten Pro­blem­be­rei­che anhand der auf­ge­führ­ten Lis­te zu benen­nen. Zwar bleibt die Umwelt nach der Gesund­heits­ver­sor­gung auf dem zwei­ten Platz der bedeu­tends­ten Pro­blem­be­rei­che der Schweiz, ver­liert aber fast zehn Pro­zent­punk­te auf Kos­ten der Wirt­schaft, wel­che ihrer­seits klar zule­gen kann (fast 12 Pro­zent). Neben die­ser star­ken Ver­än­de­rung steigt auch die Bedeu­tung des Pro­blem­be­reichs Armut leicht an (3.4 Prozent).

Abbildung 4: Die wichtigsten Problembereiche für die Schweiz vor und während dem Lockdown (in % der Befragten)

N=1852–1896. Welcher der folgenden Problembereiche ist Ihrer Meinung nach heute für die Schweiz am allerwichtigsten? Welcher Problembereich ist am zweitwichtigsten? Die im Text besprochenen Unterschiede sind signifikant.

Die Bevöl­ke­rung ist auch skep­tisch gegen­über der Hoff­nung, dass sich die Covid-19-Pan­de­mie posi­tiv auf die Umwelt aus­wir­ken könn­te (Abbil­dung 5). Wäh­rend weni­ger als die Hälf­te (44 Pro­zent) glaubt, dass die Pan­de­mie einen posi­ti­ven Ein­fluss auf die Umwelt haben wird, ist die Mehr­heit der Mei­nung, dass die Pan­de­mie ent­we­der kei­nen (33 Pro­zent) oder sogar einen nega­ti­ven Ein­fluss (23 Pro­zent) ent­fal­ten wird. Die­se Skep­sis wird noch ver­stärkt durch die vor­herr­schen­de Auf­fas­sung, dass am Ende des Lock­downs den Bedürf­nis­sen der Wirt­schaft doch wie­der auf Kos­ten von Umwelt­fra­gen der Vor­zug ein­ge­räumt wer­den wird. Fast zwei Drit­tel der Befrag­ten stimm­ten die­ser Aus­sa­ge zu (62 Pro­zent). Die Bevöl­ke­rung glaubt jedoch nicht dar­an, dass Covid-19 haus­ge­macht ist. Fast zwei Drit­tel sind der Mei­nung, dass Covid-19 kein Resul­tat der Aus­beu­tung der Natur durch den Men­schen ist.

Abbildung 5: Wie hängt die Umwelt mit Covid-19 zusammen? (in Prozent der Befragten)

N= 1723–1797. Wie stark stimmen Sie folgenden Aussagen über die Beziehung zwischen Coronavirus und der Umwelt zu? Die Coronakrise wird sich langfristig gesehen positiv auf die Umwelt auswirken. Am Ende der Coronakrise wird die Wiederinstandsetzung der Wirtschaft priorisiert werden, auf Kosten von Umweltfragen. Die Coronakrise ist ein Resultat der Ausbeutung der Natur durch den Menschen.

Obwohl die wie­der auf­kom­men­de Umwelt­be­we­gung der letz­ten Jah­re oft auch als Kli­ma­ju­gend bezeich­net wird, fin­den wir inter­es­san­ter­wei­se kei­ne mar­kan­ten Unter­schie­de zwi­schen den Altersgruppen.

In die­sem Zusam­men­hang hilft uns nicht so sehr das Alter, son­dern eher die poli­ti­sche Ein­stel­lung Unter­schie­de zu die­sen Aus­sa­gen zu ver­ste­hen [2]. So zwei­feln Befrag­te, die lin­ken Par­tei­en nahe ste­hen (63 Pro­zent) eher an den posi­ti­ven Umwelt­aus­wir­kun­gen von Covid-19 auf die Umwelt als Per­so­nen, die der poli­ti­schen Mit­te (54 Pro­zent) oder rech­ten Par­tei­en (50 Pro­zent) nahe­ste­hen. Dafür sind Per­so­nen aus dem rech­ten Lager skep­ti­scher gegen­über der Aus­sa­ge, dass die Wie­der­in­stand­set­zung der Wirt­schaft am Ende der Coro­na­kri­se auf Kos­ten von Umwelt­fra­gen prio­ri­siert wird (56 Pro­zent gegen­über 36 Pro­zent Mit­te­par­tei­en bzw. 33 Pro­zent lin­ke Par­tei­en). Dass die Covid-19-Pan­de­mie  ein Resul­tat der Aus­beu­tung der Natur durch den Men­schen sei, glau­ben vor allem Men­schen mit einer Affi­ni­tät für lin­ke Par­tei­en (45 Pro­zent). Nur ein Drit­tel der Men­schen mit einer Vor­lie­be für rech­te Par­tei­en (34 Pro­zent) und nur 27 Pro­zent der Anhän­ger­schaft von Mit­te­par­tei­en glau­ben an einen sol­chen Zusammenhang.

Eben­falls fin­den wir Unter­schei­de beim Geschlecht sowie bei den Sprach­re­gio­nen. So glau­ben Frau­en zum eine eher an die posi­ti­ve Aus­wir­kung der Coro­na­kri­se auf die Umwelt (48 Pro­zent der Frau­en gegen­über 40 Pro­zent der Män­ner stim­men (stark) zu) und zum ande­ren, dass Covid-19 ein Resul­tat der Aus­beu­tung der Natur durch den Men­schen ist (42 Pro­zent der Frau­en gegen­über 33 Pro­zent der Män­ner). Kei­ne Unter­schie­de exis­tie­ren bei der Fra­ge nach der Prio­ri­sie­rung der Wirt­schaft. Zwi­schen den Sprach­re­gio­nen fin­den wir kei­ne Unter­schie­de bei der Fra­ge nach den posi­ti­ven Aus­wir­kun­gen von Covid-19 auf die Umwelt. Dage­gen ist der Glau­be an eine Prio­ri­sie­rung der Wirt­schaft viel stär­ker in der Deutsch­schweiz als in der latei­ni­schen Schweiz ver­brei­tet (68 Pro­zent gegen­über 49 Pro­zent im Tes­sin und in der West­schweiz). Das Gegen­teil ist der Fall bei der Fra­ge, ob der Ursprung von Covid-19 in der Aus­beu­tung der Natur durch den Men­schen zu sehen sei (52 Pro­zent Zustim­mung im Tes­sin und in der West­schweiz, 31 Pro­zent in der Deutschschweiz).

FORS Covid-19 MOSAiCH Erhebung
Um einen Bei­trag zum Ver­ständ­nis der Aus­wirkungen von Covid-19 auf die Gesell­schaft in der Schweiz zu leis­ten, wur­den in MOSAiCH (https://forscenter.ch/mosaich/) Fra­gen zu Covid-19 und den damit ein­hergehenden Mass­nah­men auf­ge­nom­men. MOSAiCH ist eine jähr­lich statt­fin­den­de sozi­al­wis­sen­schaft­li­che Erhe­bung, die sich rund um die The­men Wohl­be­fin­den, Arbeit, Ver­ein­bar­keit Fami­lie und Beruf sowie Poli­tik dreht. Zwi­schen Ende April und Ende Mai 2020 haben 1’937 Per­so­nen an einer Online-Befra­gung teil­ge­nom­men, die in Pri­vat­haus­hal­ten in der Schweiz leben und min­des­tens 18 Jah­re alt sind. Die Resul­ta­te wur­den sta­tis­tisch gewich­tet, um eine bes­se­re Repräsen­tativität für die Schwei­zer Bevöl­ke­rung zu errei­chen. Die Per­so­nen wer­den im Herbst 2020 ein zwei­tes und im Früh­ling 2021 ein drit­tes Mal befragt, um die Aus­wir­kun­gen von Covid-19 län­ger­fris­tig mes­sen zu können.

Die­ser Bei­trag basiert auf dem  Fak­ten­blatt Nr. 2 der FORS Covid-19 Erhebungen.


[1] Sie­he auch Bau­er, P. C., Frei­tag, M., und P. Scia­ri­ni. 2013. Poli­ti­cal Trust in Switz­er­land: Again a spe­cial case? SSRN. https://ssrn.com/abtract=2471152

[2] Die poli­ti­sche Ein­stel­lung wird mit­tels der einem am Nächs­ten ste­hen­den Par­tei gemes­sen. Rech­te poli­ti­sche Ein­stel­lung: SVP. EDU, Lega, MCG. Mit­te: FDP, CVP, GLP, BDP, ML-CSP, LDP Basel, Pira­ten. Links: SP, GPS, PdA, AL, Sol­da­ri­téS, Ensem­ble à Gauche.

Bild: Pixabay.com

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