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Politik, Grundrechte und Umweltsorgen während des Lockdowns im Frühjahr

Franziska Ehrler, Gian-Andrea Monsch, Stephanie Steinmetz
23rd Oktober 2020

Die teils drastischen Einschränkungen der Grundrechte im Frühjahr 2020 wurden von einem grossen Teil der Bevölkerung toleriert und sogar befürwortet. Mit ein Grund dafür ist das hohe Vertrauen in die Politik - das Vertrauen in Medien und Wirtschaft nahm hingegen leicht ab. Zudem zeigt sich, dass das Thema Umwelt an Bedeutung verloren, während das Thema Wirtschaft und Armut Boden gut gemacht haben. Das sind die Ergebnisse einer zwischen Ende April und Mai 2020 durchgeführten Befragung von rund 2'000 Personen aus der Schweiz.

Die Akzeptanz für die vom Bundesrat verordneten Einschränkungen waren innerhalb der Bevölkerung gross. 85 Prozent aller Befragten fanden sie gerechtfertigt.

Diese breite Zustimmung kommt wahrscheinlich nicht zuletzt daher, weil ebenso viele daran glauben, dass das politische System der Schweiz als Ganzes fähig ist, Lösungen für solche Krisen hervorzubringen (80 Prozent stimmen (stark) zu). Dennoch bleibt man vorsichtig, was solche Einschränkungen betrifft. So meinen knapp zwei Drittel der Befragten, dass Grundrechte nur kurzfristig eingeschränkt werden dürfen (62 Prozent) und nur ein Drittel würde auch eine längerfristige Einschränkung tolerieren (34 Prozent). Zudem empfanden mehr als die Hälfte diese Einschränkungen als problematisch, auch wenn sie notwendig und gerechtfertigt waren (55 Prozent). Die Bevölkerung ist sich also einig, dass ein Ausnahmezustand das bleiben soll, was in seinem Namen steht: eine Ausnahme.

Aufgeschlüsselt nach Sprachregionen (Abb. 1) und politischem Interesse (Abb. 2) zeigen sich allerdings einige Differenzen.

Abbildung 1: Meinungen bzgl. Einschränkungen der Grundrechte in den Sprachregionen (in % der Befragten)

N=1874. Wie weit darf der Bundesrat die Grundrechte (Bewegungs-, Meinungs-, oder Versammlungsfreiheit) der Bevölkerung während der Coronakrise einschränken? Niemals, kurzzeitig oder längerfristig?

Sowohl die lateinische Schweiz als auch politisch Interessierte sind Einschränkungen der Grundrechte während einer Krise gegenüber etwas kritischer eingestellt. Die jeweiligen Unterschiede betragen zehn Prozentpunkte, was statistisch signifikant ist.

Abbildung 2: Meinungen bzgl. Einschränkungen der Grundrechte anhand des politischen Interesses (in % der Befragten)

N=1874. Wie weit darf der Bundesrat die Grundrechte (Bewegungs-, Meinungs-, oder Versammlungsfreiheit) der Bevölkerung während der Coronakrise einschränken? Niemals, kurzzeitig oder längerfristig?

Mit ein Grund, warum die Befragten Einschränkungen der Grundrechte hinnehmen, ist ein generell höheres Vertrauen in politische Institutionen als im europäischen Vergleich [1]. So hatte die Schweizer Bevölkerung bereits vor dem Lockdown ein relativ hohes Vertrauen in den National- und Ständerat (Durchschnitt von 6.2 auf einer Skala von 0 bis 10). Mehr vertraute sie nur den Universitäten und eidgenössischen Hochschulen (7.2). Skeptischer ist sie jedoch gegenüber den Medien und der Wirtschaft.

Wie aus Abbildung 3 hervorgeht, hat sich diese Konstellation während der Covid-19-Pandemie nicht verändert – sie hat sich eher noch gefestigt. So stieg das Vertrauen in die Hochschulen sowie in die nationale Legislative leicht an. Ähnlich viel traute man dem Bundesrat, dem Bundesamt für Gesundheit BAG sowie den kantonalen Behörden zu. Demgegenüber nahm das Vertrauen in die Medien und die Wirtschaft leicht ab. 

Abbildung 3: Vertrauen in politische Institutionen vor und während dem Lockdown (Mittelwerte)

N=1’840-1887. Bitte benutzen Sie diese Skala von 0 bis 10. 0 bedeutet «überhaupt kein Vertrauen» und 10 bedeutet «absolutes Vertrauen». Wie viel vertrauen haben sie persönlich in die folgenden Institutionen? Alle gezeigten Unterschiede sind signifkant.

Covid-19 mehr Bedrohung als Chance für die Umwelt

War die Klimabewegung bis kurz vor Ausbruch der Pandemie hierzulande noch in aller Munde, ist sie inzwischen fast verstummt. Abbildung 4 vergleicht die wichtigsten Problembereiche in der Schweiz vor und während des Lockdowns. Die Befragten wurden dazu aufgefordert, die zwei wichtigsten Problembereiche anhand der aufgeführten Liste zu benennen. Zwar bleibt die Umwelt nach der Gesundheitsversorgung auf dem zweiten Platz der bedeutendsten Problembereiche der Schweiz, verliert aber fast zehn Prozentpunkte auf Kosten der Wirtschaft, welche ihrerseits klar zulegen kann (fast 12 Prozent). Neben dieser starken Veränderung steigt auch die Bedeutung des Problembereichs Armut leicht an (3.4 Prozent).

Abbildung 4: Die wichtigsten Problembereiche für die Schweiz vor und während dem Lockdown (in % der Befragten)

N=1852-1896. Welcher der folgenden Problembereiche ist Ihrer Meinung nach heute für die Schweiz am allerwichtigsten? Welcher Problembereich ist am zweitwichtigsten? Die im Text besprochenen Unterschiede sind signifikant.

Die Bevölkerung ist auch skeptisch gegenüber der Hoffnung, dass sich die Covid-19-Pandemie positiv auf die Umwelt auswirken könnte (Abbildung 5). Während weniger als die Hälfte (44 Prozent) glaubt, dass die Pandemie einen positiven Einfluss auf die Umwelt haben wird, ist die Mehrheit der Meinung, dass die Pandemie entweder keinen (33 Prozent) oder sogar einen negativen Einfluss (23 Prozent) entfalten wird. Diese Skepsis wird noch verstärkt durch die vorherrschende Auffassung, dass am Ende des Lockdowns den Bedürfnissen der Wirtschaft doch wieder auf Kosten von Umweltfragen der Vorzug eingeräumt werden wird. Fast zwei Drittel der Befragten stimmten dieser Aussage zu (62 Prozent). Die Bevölkerung glaubt jedoch nicht daran, dass Covid-19 hausgemacht ist. Fast zwei Drittel sind der Meinung, dass Covid-19 kein Resultat der Ausbeutung der Natur durch den Menschen ist.

Abbildung 5: Wie hängt die Umwelt mit Covid-19 zusammen? (in Prozent der Befragten)

N= 1723-1797. Wie stark stimmen Sie folgenden Aussagen über die Beziehung zwischen Coronavirus und der Umwelt zu? Die Coronakrise wird sich langfristig gesehen positiv auf die Umwelt auswirken. Am Ende der Coronakrise wird die Wiederinstandsetzung der Wirtschaft priorisiert werden, auf Kosten von Umweltfragen. Die Coronakrise ist ein Resultat der Ausbeutung der Natur durch den Menschen.

Obwohl die wieder aufkommende Umweltbewegung der letzten Jahre oft auch als Klimajugend bezeichnet wird, finden wir interessanterweise keine markanten Unterschiede zwischen den Altersgruppen.

In diesem Zusammenhang hilft uns nicht so sehr das Alter, sondern eher die politische Einstellung Unterschiede zu diesen Aussagen zu verstehen [2]. So zweifeln Befragte, die linken Parteien nahe stehen (63 Prozent) eher an den positiven Umweltauswirkungen von Covid-19 auf die Umwelt als Personen, die der politischen Mitte (54 Prozent) oder rechten Parteien (50 Prozent) nahestehen. Dafür sind Personen aus dem rechten Lager skeptischer gegenüber der Aussage, dass die Wiederinstandsetzung der Wirtschaft am Ende der Coronakrise auf Kosten von Umweltfragen priorisiert wird (56 Prozent gegenüber 36 Prozent Mitteparteien bzw. 33 Prozent linke Parteien). Dass die Covid-19-Pandemie  ein Resultat der Ausbeutung der Natur durch den Menschen sei, glauben vor allem Menschen mit einer Affinität für linke Parteien (45 Prozent). Nur ein Drittel der Menschen mit einer Vorliebe für rechte Parteien (34 Prozent) und nur 27 Prozent der Anhängerschaft von Mitteparteien glauben an einen solchen Zusammenhang.

Ebenfalls finden wir Unterscheide beim Geschlecht sowie bei den Sprachregionen. So glauben Frauen zum eine eher an die positive Auswirkung der Coronakrise auf die Umwelt (48 Prozent der Frauen gegenüber 40 Prozent der Männer stimmen (stark) zu) und zum anderen, dass Covid-19 ein Resultat der Ausbeutung der Natur durch den Menschen ist (42 Prozent der Frauen gegenüber 33 Prozent der Männer). Keine Unterschiede existieren bei der Frage nach der Priorisierung der Wirtschaft. Zwischen den Sprachregionen finden wir keine Unterschiede bei der Frage nach den positiven Auswirkungen von Covid-19 auf die Umwelt. Dagegen ist der Glaube an eine Priorisierung der Wirtschaft viel stärker in der Deutschschweiz als in der lateinischen Schweiz verbreitet (68 Prozent gegenüber 49 Prozent im Tessin und in der Westschweiz). Das Gegenteil ist der Fall bei der Frage, ob der Ursprung von Covid-19 in der Ausbeutung der Natur durch den Menschen zu sehen sei (52 Prozent Zustimmung im Tessin und in der Westschweiz, 31 Prozent in der Deutschschweiz).

FORS Covid-19 MOSAiCH Erhebung
Um einen Beitrag zum Verständnis der Aus­wirkungen von Covid-19 auf die Gesell­schaft in der Schweiz zu leisten, wurden in MOSAiCH (https://forscenter.ch/mosaich/) Fragen zu Covid-19 und den damit ein­hergehenden Massnahmen aufgenommen. MOSAiCH ist eine jährlich stattfindende sozialwissenschaftliche Erhebung, die sich rund um die Themen Wohlbefinden, Arbeit, Vereinbarkeit Familie und Beruf sowie Politik dreht. Zwischen Ende April und Ende Mai 2020 haben 1’937 Personen an einer Online-Befragung teilgenommen, die in Privathaushalten in der Schweiz leben und mindestens 18 Jahre alt sind. Die Resultate wurden statistisch gewichtet, um eine bessere Repräsen­tativität für die Schweizer Bevölkerung zu erreichen. Die Personen werden im Herbst 2020 ein zweites und im Frühling 2021 ein drittes Mal befragt, um die Auswirkungen von Covid-19 längerfristig messen zu können.


Dieser Beitrag basiert auf dem  Faktenblatt Nr. 2 der FORS Covid-19 Erhebungen.


[1] Siehe auch Bauer, P. C., Freitag, M., und P. Sciarini. 2013. Political Trust in Switzerland: Again a special case? SSRN. https://ssrn.com/abtract=2471152

[2] Die politische Einstellung wird mittels der einem am Nächsten stehenden Partei gemessen. Rechte politische Einstellung: SVP. EDU, Lega, MCG. Mitte: FDP, CVP, GLP, BDP, ML-CSP, LDP Basel, Piraten. Links: SP, GPS, PdA, AL, SoldaritéS, Ensemble à Gauche.

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