Erbschaften in der Schweiz: Entwicklung seit 1911 und Bedeutung für die Steuern

Jeder zwei­te Schwei­zer Ver­mö­gens­fran­ken ist geerbt. Die jähr­lich anfal­len­de Erb- und Schen­kungs­mas­se steigt rasant: Sie dürf­te 2020 95 Mil­li­ar­den Fran­ken errei­chen, nach­dem sie 1999 noch 36 Mil­li­ar­den Fran­ken betra­gen hat­te. Bloss 5 Pro­zent der Erb­schaf­ten und 19 Pro­zent der Schen­kun­gen kom­men noch Per­so­nen unter 40 Jah­ren zugu­te. Zudem ist die Steu­er­last auf Erb­schaf­ten in den letz­ten Jahr­zehn­ten mas­siv gesun­ken: Wäh­rend auf den durch­schnitt­li­chen geerb­ten Fran­ken 1990 noch 4.1 Rap­pen an Erb­schafs­steu­er anfie­len, sind heu­te im Durch­schnitt gera­de noch 1.4 Rap­pen fäl­lig. Der vor­der­grün­di­ge Anlass zu die­sen Steu­er­sen­kun­gen war der inter­kan­to­na­le Steu­er­wett­be­werb. Wis­sen­schaft­li­che Ana­ly­sen zei­gen jedoch, dass eine unter­schied­li­che Belas­tung mit kan­to­na­len Erb­schafts­steu­ern kei­ne sta­tis­tisch wahr­nehm­ba­ren Wan­de­rungs­be­we­gun­gen ver­mö­gen­der älte­rer Steu­er­zah­ler ver­ur­sacht. Sen­kun­gen der Erb­schafts­steu­ern waren daher aus Sicht der Kan­tons­fi­nan­zen ein Ver­lust­ge­schäft. Umge­kehrt könn­te eine Rück­kehr auf das Niveau der Erb­schafts­steu­ern von 1990 den Kan­to­nen und Gemein­den 2.5 Mil­li­ar­den Fran­ken an Zusatz­ein­nah­men ermög­li­chen. Ob Erb­schafts­steu­ern die Ver­mö­gensun­gleich­heit min­dern, ist aller­dings nicht wis­sen­schaft­lich gesichert.

Social Change in Switzerland

Einleitung

Nur zwei Din­ge auf die­ser Welt sind uns sicher: der Tod und Steu­ern. Die­ser berühm­te Satz von Ben­ja­min Fran­k­lin macht die geball­te Emo­tio­na­li­tät der Erb­schafts­be­steue­rung augen­schein­lich. Das The­ma ist denn auch ein poli­ti­scher Dau­er­bren­ner. In der Schweiz hat die Erb­schafts­steu­er der­zeit einen schwe­ren Stand. Die Kan­to­ne haben ihre Erb­schafts- und Schen­kungs­steu­ern in den letz­ten drei Jahr­zehn­ten suk­zes­si­ve gesenkt und für direk­te Nach­kom­men gröss­ten­teils ganz abge­schafft. Eine Volks­in­itia­ti­ve für die Ein­füh­rung einer natio­na­len Erb­schafts­steu­er wur­de im Juni 2015 mit 71% Nein-Stim­men wuch­tig verworfen.

Aus nüch­ter­ner öko­no­mi­scher Optik ist der Erb­schafts­steu­er jedoch viel abzu­ge­win­nen. Im Gegen­satz zu den meis­ten ande­ren direk­ten Steu­ern ist sie kaum leis­tungs­hem­mend – ja unter Umstän­den sogar leis­tungs­stei­gernd -, und aus der Gerech­tig­keits­per­spek­ti­ve scheint es sinn­vol­ler, geerb­te als selbst ver­dien­te Ver­mö­gen zu besteuern.

Vermögen und Erbschaften steigen in der Schweiz

Wir zei­gen in die­sem Arti­kel, dass die Sum­me von Ver­mö­gen und Erb­schaf­ten in der Schweiz stark am Anstei­gen ist. Hier liegt also gerau­mes Steu­er­sub­strat „brach“, das man zumin­dest in einem gewis­sen Mass ohne gros­se öko­no­mi­sche Neben­wir­kun­gen steu­er­lich belas­ten könnte.

Aller­dings sind die Vor­zü­ge der Erb­schafts­be­steue­rung nicht so klar, wie man mei­nen könn­te. So ist aus den vor­lie­gen­den wis­sen­schaft­li­chen Erkennt­nis­sen bei­spiels­wei­se nicht ein­deu­tig, ob hohe Erb­schafts­steu­ern die Ver­mö­gensun­gleich­heit letzt­lich ver­stär­ken oder abschwä­chen. Erb­schafts­steu­ern sind somit ein „klei­ne­res Übel“ als vie­le ande­re Besteue­rungs­ar­ten, aber kein Selbstzweck.

Das schla­gen­de Argu­ment gegen die Erb­schafts­steu­er in der kan­to­na­len Poli­tik ist jedoch nicht die emo­tio­nal abstos­sen­de Ver­bin­dung von Tod und Steu­ern, son­dern der Steu­er­wett­be­werb. Wir zei­gen anhand der offi­zi­el­len Abstim­mungs­bro­schü­ren, dass der Sor­ge um poten­zi­el­le Weg­zü­ge ver­mö­gen­der Rent­ner in benach­bar­te Kan­to­ne ein weit höhe­rer Stel­len­wert ein­ge­räumt wird als ande­ren Moti­ven für Erb­schafts­steu­er­sen­kun­gen. In fast allen kan­to­na­len Abstim­mun­gen war dies das vor­der­grün­di­ge Haupt­ar­gu­ment der Erb­schafts­steu­er­geg­ner. Abge­schla­gen auf dem zwei­ten Rang folg­te das Argu­ment, die Erb­schafts­steu­er wür­de bereits ver­steu­er­tes Ver­mö­gen ein wei­te­res Mal belan­gen, und als dritt­wich­tigs­tes Argu­ment wur­de die Sor­ge um Genera­tio­nen­über­gän­ge von Fami­li­en­un­ter­neh­men ange­führt.[1] Als wei­te­ren Haupt­bei­trag fas­sen wir in die­sem Arti­kel wis­sen­schaft­li­che Erkennt­nis­se zusam­men, die dar­auf hin­deu­ten, dass die Angst der Kan­to­ne vor der steu­er­be­ding­ten Abwan­de­rung im Fall der Erb­schafts­steu­er ent­ge­gen der land­läu­fi­gen Auf­fas­sung unbe­grün­det ist.

Der Umfang der vererbten Vermögen in der Schweiz

Piket­ty (2011) hat mit­tels fran­zö­si­scher Daten auf­ge­zeigt, dass Erb­schaf­ten seit einem Tief­punkt in den Nach­kriegs­jah­ren wie­der ste­tig an Gewicht gewin­nen. Gemäss sei­ner Schät­zung beträgt der Umfang der Erb­schaf­ten und Schen­kun­gen der­zeit unge­fähr 15% des Volks­ein­kom­mens und könn­te bis zum Jahr 2060 wie­der die wirt­schaft­li­che Bedeu­tung des 19. Jahr­hun­derts erlangen.

Piket­ty hat in sta­tis­ti­scher Hin­sicht leich­tes Spiel, indem er sich auf Frank­reich kon­zen­triert. Dort wer­den Erb­schaf­ten seit 1791 besteu­ert und daher umfas­send regis­triert. Die­se Errun­gen­schaft der fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on beschert der For­schung sehr detail­lier­tes und über die Zeit ver­gleich­ba­res Daten­ma­te­ri­al. Die Schweiz bie­tet uns kei­ne solch rei­chen Daten­schät­ze. Erb­schaf­ten wer­den seit je nur von den Kan­to­nen besteu­ert und sind sta­tis­tisch schlecht dokumentiert.

Ande­rer­seits erhebt die Eid­ge­nos­sen­schaft seit 1911 Ver­mö­gens­steu­ern, die Daten­rei­hen zur Ent­wick­lung der Pri­vat­ver­mö­gen erge­ben. Aus die­sen Steu­er­da­ten kön­nen wir die jähr­lich ver­erb­ten Sum­men indi­rekt schät­zen. Die kon­kre­te Umset­zung der Mess­me­tho­de bedarf eini­ger zum Teil recht star­ker Annah­men und Annä­he­run­gen, doch ange­sichts des Inter­es­ses der The­ma­tik haben wir den Ver­such gewagt (Brül­hart, Duper­tuis und Moreau, 2018).

Abbil­dung 1 zeigt, wie sich der Anteil der Erb­schaf­ten und Schen­kun­gen am Schwei­zer Volks­ein­kom­men im Ver­lauf der letz­ten hun­dert Jah­re gemäss unse­rer Schät­zun­gen ent­wi­ckelt hat. Als Ver­gleich sind ent­spre­chen­de Schätz­wer­te für Frank­reich und Deutsch­land abge­bil­det. Der Anstieg der Erb­schaf­ten in den letz­ten fünf Jahr­zehn­ten ist auch in der Schweiz klar erkenn­bar, von 5% im Jahr 1975 auf über 13% des Volks­ein­kom­mens im Jahr 2011.

Erb­schaf­ten in der Schweiz haben also offen­bar eine seit fast hun­dert Jah­ren nicht mehr gese­he­ne Bedeu­tung erreicht – Ten­denz wei­ter­hin stei­gend. Die zuneh­men­de Bedeu­tung der Erb­schaf­ten hat drei Grün­de: Ers­tens beob­ach­tet man seit dem Ende der Nach­kriegs-Boom-Jah­re einen ste­ti­gen Anstieg der Ver­mö­gen rela­tiv zu den Ein­kom­men. Zwei­tens sind Men­schen ange­sichts zuneh­men­der Lebens­dau­er und guter Alters­vor­sor­ge zum Zeit­punkt ihres Todes im Durch­schnitt rei­cher. Drit­tens wird der Umfang von Schen­kun­gen zu Leb­zei­ten (die wir eben­falls ein­be­rech­nen) ste­tig grösser.

In Fran­ken aus­ge­drückt ent­sprach unser geschätz­ter Wert für 2011 einer ver­erb­ten Sum­me von 61 Mil­li­ar­den und der­je­ni­ge für 1999 36 Mil­li­ar­den. Gemäss der gesamt­schwei­ze­ri­schen Ver­mö­gens­sta­tis­tik der Eid­ge­nös­si­schen Steu­er­ver­wal­tung sind die Pri­vat­ver­mö­gen zwi­schen 2011 und 2016 (letz­te ver­füg­ba­re Daten) jähr­lich um 5% gestie­gen. Hoch­ge­rech­net auf 2020 ergibt das einen Zuwachs um 55% seit 2011. Von unse­rer Schät­zung für 2011 aus­ge­hend, beträgt die ver­erb­te Sum­me im Jahr 2020 somit knapp 95 Mil­li­ar­den Fran­ken.[2]

Für ein­zel­ne, zum Teil wei­ter zurück lie­gen­de Jah­re gibt es auch ande­re Schät­zun­gen des Erbschafts­volumens in der Schweiz.[3] Der haupt­säch­li­che Trei­ber der wach­sen­den Erb­schaf­ten sind die immer grös­se­ren Ver­mö­gen. Die gemes­se­nen Wachs­tums­ra­ten der Pri­vat­ver­mö­gen in der Schweiz ermög­li­chen es daher, die älte­ren Schät­zun­gen annä­he­rungs­wei­se auf 2020 hoch­zu­rech­nen.[4] Die­ser Ansatz ergibt eine Span­ne der für 2020 geschätz­ten Erb­schaf­ten zwi­schen 55 und 80 Mil­li­ar­den Fran­ken.[5]

Unse­re Schät­zung liegt also etwas über den Wer­ten aus den ande­ren Stu­di­en. Jene Stu­di­en quan­ti­fi­zie­ren jedoch nur die eigent­li­chen Erb­schaf­ten, ohne Schen­kun­gen zu Leb­zei­ten. Schen­kun­gen und Erb­vor­be­zü­ge sind aber sowohl ver­tei­lungs­po­li­tisch wie auch fis­ka­lisch eben­so von Belang wie Erb­schaf­ten nach Able­ben des Erb­las­sers. Gemäss vor­lie­gen­den Schät­zun­gen kann man von einem Schen­kungs­vo­lu­men aus­ge­hen, das zwi­schen 30% und 40% der Erb­schaf­ten aus­macht, Ten­denz stei­gend. Wenn wir daher 35% auf die extra­po­lier­ten Schätz­wer­te der ande­ren Stu­di­en dazu­rech­nen, kom­men wir auf eine für 2020 geschätz­te Spann­brei­te der Erb­schaf­ten (inklu­si­ve Schen­kun­gen) von zwi­schen 74 und 108 Mil­li­ar­den Fran­ken. Unser zen­tra­ler Schätz­wert von 95 Mil­li­ar­den ist somit kon­sis­tent mit den Ergeb­nis­sen ande­rer Studien.

Das wirt­schaft­li­che Gewicht von Erb­schaf­ten lässt sich auch anders dar­stel­len. Eine aus­sa­ge­kräf­ti­ge Mass­zahl ist der Anteil der Ver­mö­gen, die von Erb­schaft her­rüh­ren (Piket­ty und Zucman 2015, Alva­re­do, Garb­in­ti und Piket­ty 2017). Ein­fach gesagt kann man auf zwei Wegen zu Ver­mö­gen kom­men: ent­we­der man spart Ver­dien­tes oder man spart Geerb­tes (inklu­si­ve Geschenk­tes). So lässt sich theo­re­tisch jeder Ver­mö­gens­fran­ken auf­tei­len in einen sel­ber ver­dien­ten und einen geerb­ten Teil.

Wir haben die­se Schätz­me­tho­de auf Schwei­zer Daten ange­wen­det und die in Abbil­dung 2 abge­bil­de­ten Wer­te berech­net.[6]  Es stellt sich her­aus, dass der durch­schnitt­li­che Schwei­zer Ver­mö­gens­fran­ken unge­fähr zur Hälf­te geerbt und zur Hälf­te sel­ber ver­dient ist – ähn­lich wie in ver­gleich­ba­ren Län­dern. Gemes­sen am Ver­mö­gen war das Gewicht von Erb­schaf­ten über das letz­te Jahr­hun­dert betrach­tet etwas weni­ger vola­til als rela­tiv zum Volks­ein­kom­men, aber auch hier erkennt man eine nicht linea­re Ent­wick­lung. Von 60% in der ers­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts fiel das Gewicht der Erb­schaf­ten auf 44% in den 1970er- und 1980er-Jah­ren, um 2010 wie­der 50% zu erreichen.

Erb­schaf­ten und Schen­kun­gen wer­den bis­wei­len als sinn­vol­ler Mecha­nis­mus des wirt­schaft­li­chen Aus­gleichs über die Genera­tio­nen betrach­tet. Die moder­ne Lebens­er­war­tung bringt es aber mit sich, dass sich die meis­ten Erben nicht mehr in der wirt­schaft­li­chen Auf­bau­pha­se befin­den. Den auf Ber­ner Steu­er­da­ten beru­hen­den Resul­ta­ten von Jann und Flu­der (2017, Tabel­len 11 und 12) kann man ent­neh­men, dass bloss 4.9% aller Erb­schaf­ten und 18.5% aller Schen­kun­gen an unter 40-jäh­ri­ge Emp­fän­ge­rin­nen und Emp­fän­ger gehen. Bei­na­he 60% der Erb­schaf­ten kom­men Per­so­nen im Alter von über 60 Jah­ren zu. Auch der mate­ri­el­le Umver­tei­lungs­ef­fekt hält sich die­sen Daten gemäss in Gren­zen, da der Gross­teil der Erb­schaf­ten und sogar der Schen­kun­gen an bereits ver­mö­gen­de Per­so­nen fliesst. Aller­dings lässt sich aus die­sen Daten nicht schlüs­sig fest­le­gen, ob Erb­schaf­ten die Ver­mö­gensun­gleich­heit ins­ge­samt ver­stär­ken oder abschwächen.

Sinkende Steuerbelastung und steigende Vermögensungleichheit

Erb­schaf­ten wer­den in der Schweiz leicht besteu­ert. Einem geschätz­ten Erb­schafts­vo­lu­men von 95 Mil­li­ar­den Fran­ken im Jah­re 2020, ste­hen Erb­schafts­steu­er­zah­lun­gen von 1.34 Mil­li­ar­den Fran­ken gegen­über.[7] Der durch­schnitt­li­che Erb­schafts­steu­er­satz beträgt somit 1.4%. Gemäss unse­ren in Abbil­dung 3 dar­ge­stell­ten Schät­zun­gen wur­de ein ver­erb­ter Fran­ken im Jahr 1990 noch mit durch­schnitt­lich 4.1% besteu­ert, und im Jahr 2005 mit 2.0%. Die­se Zah­len zei­gen deut­lich, wie die Erb­schafts­be­steue­rung in den Kan­to­nen in den letz­ten drei Jahr­zehn­ten nach und nach um unge­fähr zwei Drit­tel abge­nom­men hat.

Eine in die­sem Kon­text zu beach­ten­de Schwei­zer Eigen­art ist die im welt­wei­ten Ver­gleich ein­zig­ar­tig hohe Ver­mö­gens­steu­er (Brül­hart, Gru­ber, Krapf und Schmidhei­ny, 2019).[8] Wur­de die Ero­si­on der Erb­schafts­steu­er durch einen Anstieg der Ver­mö­gens­steu­er allen­falls wett­ge­macht? Auch dazu lie­fern uns die in Abbil­dung 3 dar­ge­stell­ten Schät­zun­gen eine kla­re Ant­wort: Im Ver­hält­nis zur Mas­se der ver­erb­ten Ver­mö­gen haben die Ver­mö­gens­steu­er­zah­lun­gen nicht zuge­nom­men. Ja sie nah­men sogar leicht ab: von 10.0% im Jahr 1990 und 10.1% im Jahr 2005 auf 9.0% im Jahr 2020, gemäss unse­rer Schät­zung. Die Erklä­rung liegt bei Ver­mö­gens­steu­er­sen­kun­gen in vie­len Kan­to­nen, beson­ders im Zeit­raum von 2005 bis 2010 (Brül­hart et al., 2019).

Die Ver­mö­gen und Erb­schaf­ten wur­den in den ver­gan­ge­nen vier Jahr­zehn­ten also signi­fi­kant steu­er­lich ent­las­tet, und dies trotz eines Anstiegs der Ver­mö­gens­wer­te und Erb­flüs­se, der deut­lich über dem all­ge­mei­nen Wirt­schafts­wachs­tum lag.

Ange­stie­gen sind nicht nur die Ver­mö­gen und die resul­tie­ren­den Erb­schaf­ten, son­dern auch die Ungleich­heit der Ver­mö­gens­ver­tei­lung. Abbil­dung 4 zeigt, dass die Top‑1% ver­mö­gends­ten Steu­er­zah­le­rin­nen und Steu­er­zah­ler in der Schweiz nach einem Ein­bruch in der zwei­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts wie­der über 40% der gesam­ten Pri­vat­ver­mö­gen besit­zen. Das ist ein welt­wei­ter Spit­zen­wert. Föll­mi und Mar­ti­nez (2017) zei­gen auf, dass auch die Ver­mö­gens­an­tei­le ande­rer Top-Quan­ti­le (z.B. Top‑0.1% oder Top-10%) am Stei­gen sind.

Die Schwei­zer Top‑1%-Vermögensanteil ist nicht direkt mit ande­ren Staa­ten ver­gleich­bar, da sie steu­er­freie Ver­mö­gen aus der 2. und 3. Säu­le aus­blen­det, wäh­rend sol­che Gut­ha­ben in den Ver­gleichs­län­dern ein­ge­schlos­sen sind. Wenn man Vor­sor­ge­ver­mö­gen auch in der Schweiz ein­be­zieht, sinkt der Top‑1%-Anteil je nach Berech­nungs­wei­se auf 25–28% und kommt näher am euro­päi­schen Durch­schnitt zu lie­gen (Föll­mi und Mar­ti­nez, 2017). Aller­dings ist steu­er­frei­es Ren­ten­spar­ka­pi­tal nicht gleich­wer­tig mit frei­em Ver­mö­gen. Ins­be­son­de­re sind Ren­ten­an­sprü­che nur beschränkt ver­erb­bar.[9] Somit ist die Ver­tei­lung der Pri­vat­ver­mö­gen eine gesell­schafts­po­li­tisch rele­van­te Grös­se, und der lang­sa­me aber ste­ti­ge Anstieg der Ver­mö­gensun­gleich­heit der letz­ten vier Jahr­zehn­te ver­dient Beachtung.

Ursache Steuerwettbewerb

Die beob­ach­te­te steu­er­li­che Ent­las­tung von Erb­schaf­ten hat vor­der­grün­dig eine ein­deu­ti­ge Ursa­che: den Steu­er­wett­be­werb. Die Sor­ge um Abwan­de­rung von ver­mö­gen­den älte­ren Steu­er­zah­lern spiel­te bei den zahl­rei­chen kan­to­na­len Erb­schafts­steu­er­re­for­men der letz­ten vier Jahr­zehn­te nach­weis­lich die Haupt­rol­le. Eine Ana­ly­se der offi­zi­el­len Abstim­mungs­büch­lein zu 15 kan­to­na­len Erbschaftssteuer­senkungsvorlagen seit 1990 macht deut­lich, dass 64% des Text­vo­lu­mens dem Wett­be­werb um mobi­le Steu­er­zah­ler gewid­met war (Brül­hart und Par­chet, 2014a). Zudem zeigt die­se Stu­die, dass das Argu­ment Steu­er­wett­be­werb von den Erb­schafts­steu­er­sen­kungs-Befür­wor­tern in 13 der 15 ana­ly­sier­ten Bro­schü­ren als ers­tes ange­führt wur­de. Wenn man die Erb­schafts­steu­ern nicht auch sen­ken wür­de, so wur­de vor­her­ge­sagt, dann ver­lö­re man begü­ter­te Steu­er­zah­ler an die Kan­to­ne, in wel­chen rei­che Erben weni­ger streng zur Kas­se gebe­ten wer­den. Die ande­ren klas­si­schen Argu­men­te gegen Erb­schafts­steu­ern wie Mehr­fach­be­steue­rung oder Sor­gen um Genera­tio­nen­wech­sel bei Fami­li­en­un­ter­neh­men hat­ten klar ein gerin­ge­res Gewicht in den poli­ti­schen Debat­ten um kan­to­na­le Steuersenkungen.

Die Logik des Steu­er­wett­be­werbs ist bestechend, doch ent­schei­dend ist nicht, ob mobi­le Steu­er­zah­ler durch höhe­re Steu­ern abge­schreckt wer­den, son­dern wie vie­le. Wenn Steu­er­zah­ler in gros­ser Zahl weg­zie­hen, dann kann eine Steu­er­erhö­hung tat­säch­lich zum fis­ka­li­schen Eigen­tor wer­den, denn dann senkt sie die Steu­er­ein­nah­men statt sie zu erhö­hen. Und umge­kehrt wür­de sich eine Steu­er­sen­kung für die Staats­kas­se loh­nen, wenn sie eine sehr star­ke Zuwan­de­rung finanz­kräf­ti­ger Steu­er­zah­ler aus­lö­sen wür­de. Je schwä­cher sol­che Wan­de­rungs­re­ak­tio­nen jedoch aus­fal­len, des­to deckungs­glei­cher sind die Ver­än­de­rung des Steu­er­sat­zes und die resul­tie­ren­de Ver­än­de­rung der Steu­er­ein­nah­men. Das Aus­mass der steu­er­be­ding­ten Wan­de­rungs­re­ak­tio­nen – in der Fach­li­te­ra­tur spricht man von der „Elas­ti­zi­tät des Steu­er­sub­strats“ – ist daher von ent­schei­den­der Bedeu­tung.[10]

Wir haben die steu­er­be­ding­ten Reak­tio­nen – die Elas­ti­zi­tät des kan­to­na­len Erb­schafts­steu­er­sub­strats – öko­no­me­trisch zu erfas­sen ver­sucht (Brül­hart und Par­chet, 2014a).[11] Unse­re zen­tra­le Schät­zung der kurz­fris­ti­gen Erb­schafts­steu­e­r­elas­ti­zi­tät ist ‑0.09. Die­ser Wert ist jedoch nicht sta­tis­tisch signi­fi­kant. Das heisst, wir kön­nen die Hypo­the­se nicht schlüs­sig ver­wer­fen, dass kan­to­na­le Erb­schafts­steu­er­än­de­run­gen gar kei­ne Aus­wir­kun­gen auf das Steu­er­sub­strat hat­ten. Unser geschätz­ter Wert ist auch in der Hin­sicht gering, als er weit ent­fernt ist von ‑1 und damit jener Elas­ti­zi­tät, die nötig wäre, damit sich eine Steu­er­sen­kung aus Sicht der Erb­schafts­steu­er­ein­nah­men loh­nen würde.

Auch ame­ri­ka­ni­sche Stu­di­en haben kaum Anzei­chen gefun­den von sys­te­ma­ti­schen erbschaftssteuer­bedingten Umzü­gen wohl­ha­ben­der älte­rer Steu­er­zah­ler (Bak­i­ja und Slem­rod, 2004; Con­way und Rork, 2012). Eine Aus­nah­me bil­det die Stu­die von Moret­ti und Wil­son (2019), wel­che sich auf erb­schafts­steu­er­be­ding­te Umzü­ge von US-Mil­li­ar­dä­ren der For­bes-400-Lis­te kon­zen­triert. Sie fin­den, dass die­se Super-Ver­mö­gen­den in der Tat auf Erb­schafts­steu­ern reagie­ren. Gemäss ihren Ergeb­nis­sen ver­liert ein US-Bun­des­staat in Schnitt ein Drit­tel sei­ner For­bes-400-Ver­mö­gen, wenn er eine Erb­schafs­steu­er von 15% ein­führt. Inter­es­san­ter­wei­se zei­gen ihre Rech­nun­gen jedoch auch, dass sich Erb­schafts­steu­ern aus Sicht des Fis­kus sogar bei die­ser Klas­se von zumeist hoch­mo­bi­len und steu­er­emp­find­li­chen Steu­er­zah­lern loh­nen: Bloss in einem Staat (Kali­for­ni­en) wäre eine Erb­schafts­steu­er von 15% hin­sicht­lich der For­bes-400-Ver­mö­gen ein fis­ka­li­sches Ver­lust­ge­schäft. Ame­ri­ka­ni­sche Sozio­lo­gen füh­ren die begrenz­te Mobi­li­tät ver­mö­gen­der Per­so­nen dar­auf zurück, dass hohe Ein­kom­men und Ver­mö­gen oft auf einer star­ken loka­len gesell­schaft­li­chen Ver­net­zung beru­hen, wel­che nach einem Umzug nicht mehr im glei­chen Mas­se genutzt und gepflegt wer­den kann (Young, Var­ner, Lurie und Pri­sin­za­no, 2016).

In der Schweiz schei­nen für Stand­ort­ent­schei­de ver­mö­gen­der Haus­hal­te Ver­mö­gens­steu­ern wich­ti­ger zu sein als Erb­schafts­steu­ern. In Brül­hart und Par­chet (2014a) fin­den wir gegen­über der Ver­mö­gens­steu­er eine Elas­ti­zi­tät von ‑0.13. Obwohl die­ser Schätz­wert etwas grös­ser ist, ist auch er sta­tis­tisch nicht signi­fi­kant. In einer Stu­die der Aus­wir­kun­gen von kan­to­na­len Ver­mö­gens­steu­ern beob­ach­ten wir, dass Steu­er­sen­kun­gen star­ke Reak­tio­nen ver­ur­sa­chen in Form zusätz­lich aus­ge­wie­se­ner steu­er­ba­rer Ver­mö­gen, und dass unge­fähr ein Vier­tel die­ser Reak­tio­nen auf Umzü­ge von Steu­er­zah­lern rück­führ­bar sind (Brül­hart et al., 2019). Ver­mö­gen­de Steu­er­zah­ler schei­nen also etwas emp­find­li­cher auf Ver­än­de­run­gen bei der Ver­mö­gens­steu­er zu reagie­ren als auf Ver­än­de­run­gen der Erbschaftssteuerbelastung.

Anders sieht es bei der Ein­kom­mens­steu­er aus: Da fin­den wir eine Elas­ti­zi­tät von ‑0.81. Die­ser Schätz­wert ist sta­tis­tisch signi­fi­kant. Die von uns beob­ach­te­ten sehr schwa­chen Wan­de­rungs­wir­kun­gen der Besteue­rung von Erb­schaf­ten schei­nen somit nicht an unge­nü­gend prä­zi­sen Daten oder Schätz­me­tho­den zu lie­gen, denn bei der Ein­kom­mens­steu­er fin­den wir wie erwar­tet einen star­ken und sta­tis­tisch prä­zis mess­ba­ren Effekt.

Senkung der Erbschaftssteuer als Verlustgeschäft

Die oben erwähn­ten Schät­zun­gen der Elas­ti­zi­tät deu­ten dar­auf hin, dass die Ver­hal­tens­re­ak­tio­nen auf Erb­schafts­steu­er­sen­kun­gen bei wei­tem nicht aus­reich­ten, um die die direk­ten Steu­er­aus­fäl­le infol­ge der Tarif­sen­kun­gen zu kompensieren.

Aller­dings reagie­ren Steu­er­zah­ler oft­mals zeit­ver­scho­ben – sei es vor­aus­schau­end in Erwar­tung einer bestimm­ten Reform oder erst mit Ver­zö­ge­rung nach der Reform. Wir haben des­halb unter­sucht, wie sich die Erb­schafts­steu­er­ein­nah­men in fünf Kan­to­nen mit beson­ders mar­kan­ten Erb­schafts­steu­er­sen­kun­gen vor und nach die­sen Sen­kun­gen ent­wi­ckelt haben. Im Sze­na­rio, wel­ches Befür­wor­tern von Steu­er­sen­kun­gen übli­cher­wei­se vor­schwebt, zie­hen Steu­er­sen­kun­gen wohl­ha­ben­de Steu­er­zah­ler an, wel­che dann an ihrem Lebens­en­de zu lukra­ti­ven Erb­las­sern wer­den. Gemäss die­sem Sze­na­rio wür­de man einen Ein­bruch der Erb­schafts­steu­er­ein­nah­men zum Zeit­punkt der Steu­er­sen­kung erwar­ten, gefolgt von einem all­mäh­li­chen Wie­der­an­stieg bis auf oder gar über das Niveau von vor der Steu­er­sen­kung. Wir kön­nen ein sol­ches Auf­ho­len der Steu­er­ein­nah­men in den ver­füg­ba­ren Daten jedoch nicht aus­ma­chen – und dies immer­hin über einen Zeit­ho­ri­zont von bis zu 20 Jah­ren nach der Reform (s. Abbil­dung A.1 im Anhang).[12]

Für eine Gesamt­be­trach­tung der steu­er­li­chen Aus­wir­kun­gen gilt es zusätz­lich zu berück­sich­ti­gen, dass ein wegen tie­fer Erb­schafts­steu­ern zuge­zo­ge­ner Steu­er­zah­ler dem Fis­kus nicht bloss via künf­ti­ge Erb­schafts­steu­er­ein­nah­men dient, son­dern auch – oder gar vor allem – durch zusätz­li­che Ein­kom­mens- und Ver­mö­gens­steu­er­zah­lun­gen zu sei­nen Leb­zei­ten.[13] Zusätz­li­che Berech­nun­gen haben aber gezeigt, dass Erb­schafts­steu­er­sen­kun­gen auch unter Ein­be­zug aller ande­ren Steu­er­zah­lun­gen zu Leb­zei­ten der zuzie­hen­den Per­so­nen für den Kan­ton ins­ge­samt nicht zu einer Stei­ge­rung der Steu­er­ein­nah­men führen.

Gemäss unse­rem gegen­wär­ti­gen Kennt­nis­stand reagiert das Steu­er­sub­strat der Erb­schafts­steu­er kaum auf Ver­än­de­run­gen der kan­to­na­len Erb­schafts­be­steue­rung. Sen­kun­gen der kan­to­na­len Erbschafts­steuern erwuch­sen somit nicht einem Sach­zwang durch den Steu­er­wett­be­werb: Die Wel­le der Erb­schafts­steu­er­sen­kun­gen ent­sprang viel­mehr einem „ver­meint­li­chen Steuerwettbewerb“.

Schlussbemerkungen

Was sagen uns die­se empi­ri­schen Befun­de zur Besteue­rung von Erb­schaf­ten? Einer­seits liegt der Schluss nahe, dass der Fis­kus das Steu­er­sub­strat Erb­schaft ange­sichts sei­ner stei­gen­den Bedeu­tung nicht brach­lie­gen las­sen soll­te, zumal die Erb­schafts­steu­er eine öko­no­misch ver­gleichs­wei­se ver­zer­rungs­ar­me Steu­er dar­stellt (Brül­hart und Par­chet 2014b). Einer Ver­schie­bung der Steu­er­last weg von Eigen­leis­tun­gen und hin zu Erb­schaf­ten wäre aus öko­no­mi­scher Sicht wenig entgegenzuhalten.

Ande­rer­seits kann man dar­aus nicht schlies­sen, dass die Erb­schafts­be­steue­rung auf Bun­des­ebe­ne zu gesche­hen hat. Gemäss der vor­lie­gen­den Schät­zun­gen reagie­ren ver­mö­gen­de älte­re Men­schen kaum auf Ver­än­de­run­gen bei der Erb­schafts­be­steue­rung. Die Kan­to­ne könn­ten Erb­schaf­ten somit durch­aus stär­ker besteu­ern, ohne Furcht vor Steuerwettbewerb.

Wenn die Kan­to­ne die durch­schnitt­li­che Belas­tung bei­spiels­wei­se von aktu­ell 1.4% auf 4% anhe­ben wür­den – das heisst auf ein Niveau wie noch zu Beginn der 90er-Jah­re – dürf­te dies im Jahr 2020 rund 2.5 Mil­li­ar­den Fran­ken (= 2.6% * 95 Mil­li­ar­den) zusätz­lich in die Kan­tons- und Gemein­de­kas­sen spü­len. Es liegt hier ein gerau­mes Steu­er­sub­strat brach, wel­ches für künf­ti­ge Ansprü­che öffent­li­cher Leis­tun­gen, bei­spiels­wei­se im Pfle­ge­be­reich, genützt wer­den könn­te. Auch eine Neu­ge­wich­tung zwi­schen Ver­mö­gens- und Erb­schafts­be­steue­rung wäre erwägenswert.

Aller­dings sind die öffent­li­chen Finan­zen der meis­ten Kan­to­ne gegen­wär­tig soli­de, und für eine Erb­schafts­steu­er­erhö­hung aus rein ver­tei­lungs­po­li­ti­schem Anlass fehlt ange­sichts der kla­ren Ableh­nung der Erb­schafts­steu­er­initia­ti­ve von 2015 offen­sicht­lich die poli­ti­sche Unter­stüt­zung. Erbschaftssteuer­erhöhungen könn­ten dann mehr­heits­fä­hig wer­den, wenn sie an drin­gen­de neue Aus­ga­ben gebun­den wer­den (qua­si als „kleins­tes steu­er­li­ches Übel“) oder als Kom­pen­sa­ti­on für die Sen­kung weni­ger effi­zi­en­ter ande­rer Steuern.

Die rein ver­tei­lungs­po­li­ti­schen Argu­men­te für die Erb­schafts­steu­er beru­hen auf der Annah­me, dass Erb­schaf­ten und Schen­kun­gen gesell­schaft­lich uner­wünsch­te Ver­mö­gensun­gleich­hei­ten zemen­tie­ren oder gar ver­stär­ken. Dafür gibt es jedoch kei­ne star­ken Hin­wei­se. Eine Zunah­me der Erb­flüs­se bedeu­tet näm­lich nicht zwangs­läu­fig eine wach­sen­de dynas­ti­sche Kon­zen­tra­ti­on von Gross­ver­mö­gen. Piket­ty (2014) stellt fest, dass die Erb­schaf­ten der Gegen­wart brei­ter und gleich­mäs­si­ger ver­teilt sind als vor hun­dert Jah­ren (er spricht etwas süf­fi­sant von „petits ren­tiers“). Schät­zun­gen aus Däne­mark und Schwe­den deu­ten dar­auf hin, dass Erb­schaf­ten die rela­ti­ven (wenn auch nicht die abso­lu­ten) Ver­mö­gensun­gleich­hei­ten kurz­fris­tig min­dern (Bos­er­up, Kop­c­zuk und Krei­ner, 2016; Elin­der, Erix­son und Wal­den­ström, 2018). Anhand von Steu­er­da­ten für den Kan­ton Zürich kommt auch Moser (2019) zum Schluss, dass sich Erb­schaf­ten eher aus­glei­chend auf die Ver­mö­gens­ver­tei­lung auswirken.

Die schwe­di­sche Stu­die von Elin­der et al. (2018) zeigt zudem auf, dass die Erb­schafts­steu­er die Ver­mö­gensun­gleich­hei­ten eher ver­schärft als abge­min­dert hat, da sie trotz eines pro­gres­si­ven Steu­er­ta­rifs einen höhe­ren Anteil am Gesamt­ver­mö­gen (Erb­schaft plus exis­tie­ren­des Ver­mö­gen) von weni­ger ver­mö­gen­den als von sehr ver­mö­gen­den Erben dar­stell­te. Aller­dings zei­gen Neko­ei und Seim (2019), eben­falls mit schwe­di­schen Daten, auf, dass arme Erben ihr Erbe rascher kon­su­mie­ren als rei­che Erben. Somit ver­stär­ken Erb­schaf­ten über län­ge­re Frist betrach­tet mög­li­cher­wei­se auch die rela­ti­ve Ver­mö­gensun­gleich­heit, und eine pro­gres­si­ve Erb­schafts­steu­er könn­te die­ser Ten­denz Gegen­steu­er leisten.

Wir wis­sen nicht, wie es in der Schweiz um die Ent­wick­lung der Ungleich­heit unter Erben, und zwi­schen Erben und Nicht­er­ben, bestellt ist, und wie sich Erb­schafts­steu­ern hier­zu­lan­de auf die Vermögens­verteilung aus­wir­ken. Es bleibt noch viel zu erforschen.


[1] In der Dis­kus­si­on um eine eid­ge­nös­si­sche Erb­schafts­steu­er stan­den die­se bei­den Argu­men­te gemäss Wäh­ler­be­fra­gung nach der Volks­ab­stim­mung von 2015 jedoch im Vordergrund.

[2] Das Schwei­zer Volks­ein­kom­men ist in der Zeit­span­ne 2011–2018 um durch­schnitt­lich 1.3% pro Jahr gestie­gen. Dem­ge­mäss ent­spricht der auf 2020 extra­po­lier­te Wert der Erb­schaf­ten für die Schweiz in Abbil­dung 1 nun­mehr bereits 17% des Volks­ein­kom­mens – höher also als der geschätz­te Wert für 1911.

[3] Mor­ger und Stutz (2017): 63 Mil­li­ar­den im Jahr 2015; Stutz, Bau­er und Schmug­ge (2007): 28.5 Mil­li­ar­den im Jahr 2000, 23 Mil­li­ar­den im Jahr 1997; Daepp (2003): 18–22 Mil­li­ar­den im Jahr 1997.

[4] Gemäss der ESTV-Ver­mö­gens­sta­tis­tik betrug die jähr­li­che nomi­nel­le Wachs­tums­ra­te der Pri­vat­ver­mö­gen auch über die gesam­te Zeit­span­ne 1997–2016 ziem­lich genau 5%. Die extra­po­lier­ten Wer­te erge­ben sich somit aus der Mul­ti­pli­ka­ti­on des geschätz­ten Erb­schafts­vo­lu­mens im Jahr T mit dem Fak­tor 1.05(2020-T).

[5] Die Unter­schwel­le von 52 Mil­lio­nen ergibt sich aus der unte­ren Schwel­le des geschätz­ten Inter­valls von Daepp (2003), und die Ober­schwel­le ergibt sich aus Mor­ger und Stutz (2017).

[6] Die ange­wen­de­te Metho­de beruht zwangs­wei­se auf der Annah­me, dass die Spar­quo­te auf Arbeits­ein­kom­men gleich hoch ist wie die Spar­quo­te auf Kapi­tal­ein­kom­men. Da letz­te­re unglei­cher ver­teilt sind als ers­te­re, ist die Spar­quo­te auf Kapi­tal­ein­kom­men in Wirk­lich­keit wahr­schein­lich höher. Somit stel­len die in Abbil­dung 2 abge­bil­de­ten Schätz­wer­te eher Unter­schät­zun­gen als Über­schät­zun­gen des Erb­schafts­an­teils dar.

[7] Gemäss vor­lie­gen­der Daten der Eid­ge­nös­si­schen Finanz­ver­wal­tung betru­gen die in den Gemein­den und Kan­to­nen bezahl­ten Erb­schafts- und Schen­kungs­steu­ern im Jahr 2017 1.16 Mil­li­ar­den Fran­ken. Wir extra­po­lie­ren die­sen Wert auf 2020 mit einer ange­nom­me­nen Wachs­tums­ra­te von 5%.

[8] Die Schweiz kennt zudem eine ver­hält­nis­mäs­sig hohe Steu­er­be­las­tung von Kapi­tal­ein­kom­men. Kapi­tal­ge­win­ne auf Finanz­ver­mö­gen sind jedoch steu­er­frei. Für eine umfas­sen­de Betrach­tung der Kapi­tal­steu­er­be­las­tung in der Schweiz, s. Sal­vi, Schel­len­bau­er und Zobrist (2013).

[9] 3.-Säule-Guthaben und im Kapi­tal­be­zug aus­ge­zahl­te 2.-Säule-Guthaben sind wie das übri­ge Pri­vat­ver­mö­gen ver­erb­bar. Nicht aus­be­zahl­te 2.-Säule-Guthaben sind nur inso­fern ver­erb­bar, als sie zu Witwen‑, Wit­wer- und Wai­sen­ren­ten berechtigen.

[10] Die­se Elas­ti­zi­tät ist in der Regel nega­tiv, denn höhe­re Steu­ern las­sen das Steu­er­sub­strat schrump­fen, und umge­kehrt. Bei einer Elas­ti­zi­tät von null (kei­ne Ver­hal­tens­an­pas­sun­gen) ver­än­dern sich die Steu­er­ein­nah­men pro­por­tio­nal zur Steu­er­be­las­tung. Bei einer Elas­ti­zi­tät von ‑1 kom­pen­sie­ren die Ver­hal­tens­an­pas­sun­gen die Steu­er­be­las­tungs­än­de­run­gen exakt, so dass die Steu­er­ein­nah­men auf Anpas­sun­gen des Steu­er­sat­zes nicht reagie­ren. Bei einer Elas­ti­zi­tät unter ‑1, schliess­lich, „loh­nen“ sich Steu­er­sen­kung für den Fis­kus, denn sie zie­hen stei­gen­de Steu­er­ein­nah­men nach sich.

[11] Die gröss­te metho­di­sche Her­aus­for­de­rung einer sol­chen Ana­ly­se liegt bei der Mes­sung des durch die Erb­schafts­steu­er betrof­fe­nen Steu­er­sub­strats. Im engs­ten Sinn ist das rele­van­te Steu­er­sub­strat die Sum­me von ver­erb­ten Ver­mö­gen. Dazu gibt es in der Schweiz jedoch kei­ne umfas­sen­den Daten. Unter der Annah­me, dass die Sor­ge um ihre Erben in ers­ter Linie Men­schen im Ren­ten­al­ter betrifft, haben wir uns daher auf die­se Steu­er­zah­ler kon­zen­triert. Zudem kann man davon aus­ge­hen, dass ver­mö­gen­de­re Rent­ner emp­find­li­cher auf Erb­schafts­steu­er­än­de­run­gen reagie­ren als weni­ger ver­mö­gen­de. Als unser bevor­zug­tes Mass des Erb­schafts­steu­er­sub­strats betrach­ten wir daher die Ein­nah­men der direk­ten Bun­des­steu­er aus Rent­ner­haus­hal­ten im obers­ten Einkommensdezil.

[12] In Brül­hart und Par­chet (2014a) schät­zen wir zudem auch dyna­mi­sche Panel-Model­le, wel­che unter gewis­sen Annah­men die Berech­nung von Lang­fris­t­wir­kun­gen zulas­sen. Die­se Lang­frist-Schät­zun­gen erwei­sen sich als nicht signi­fi­kant ver­schie­den von unse­ren Haupt-Schätzergebnissen.

[13] Dies bedeu­tet, dass die rele­van­te Erb­schafts­steu­e­r­elas­ti­zi­tät, jen­seits wel­cher sich Erb­schafts­steu­er­sen­kun­gen sich aus fis­ka­li­scher Sicht loh­nen wür­den, nicht ‑1 beträgt son­dern näher bei null liegt. Wir schät­zen, dass unter Ein­be­zug ande­rer Steu­ern bereits ab einer Elas­ti­zi­tät von ‑0.28 ein­nah­men­stei­gern­de Erb­schafs­steu­er­sen­kun­gen mög­lich wären. Auch die­ser Grenz­wert liegt jedoch noch eini­ges tie­fer als unse­re geschätz­ten Elastizitäten.

Anhang


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Bild: pixabay

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