Gewählt – und dann? Zur Präsenz von Parlamentarierinnen in Ratsdebatten

Aus­wer­tun­gen aller Bei­trä­ge im Natio­nal- und Stän­de­rat über sechs Legis­la­tu­ren hin­weg zei­gen, dass sich Par­la­men­ta­rie­rin­nen im Schnitt etwa gleich häu­fig betei­li­gen wie ihre männ­li­chen Rats­kol­le­gen. Dies trifft jedoch nicht zu, wenn der Frau­en­an­teil einer Par­tei im Rat kon­stant sehr tief ist. Auch im Sin­ne der Kon­kor­danz ist dies nicht unproblematisch. 

 

Die­ser Bei­trag geht der Fra­ge nach, ob sich Frau­en ange­mes­sen, bzw. immer­hin ihrer tat­säch­li­chen Ver­tre­tung ent­spre­chend, an den poli­ti­schen Debat­ten betei­li­gen. Es wird argu­men­tiert, dass eine akti­ve Teil­nah­me am Ent­schei­dungs­pro­zess zwar kei­ne hin­rei­chen­de aber doch eine not­wen­di­ge Bedin­gung ist, damit spe­zi­fi­sche Inter­es­sen im poli­ti­schen Ent­scheid über­haupt berück­sich­tigt wer­den kön­nen. Dafür wur­den Bei­trä­ge von Par­la­men­ta­rie­rin­nen und Par­la­men­ta­ri­ern im Natio­nal- und Stän­de­rat zwi­schen der Win­ter­ses­si­on 1995 und der Früh­jahrs­ses­si­on 2018 ana­ly­siert. Die Aus­wer­tun­gen erga­ben, dass sich Par­la­men­ta­rie­rin­nen im Schnitt etwa gleich häu­fig betei­li­gen wie Parlamentarier.

SVP-Nationalrätinnen bleiben überdurchschnittlich oft ruhig

Beset­zen Frau­en aktu­ell einen Drit­tel der Sit­ze im Natio­nal­rat, resp. etwas unter 15% der Sit­ze im Stän­de­rat, beträgt der Anteil an Bei­trä­gen von Frau­en über alle Voten gemes­sen auch unge­fähr ein Drit­tel, resp. etwa 15%. Ein dif­fe­ren­zier­te­res Bild ergibt eine Auf­schlüs­se­lung der Bei­trä­ge im Natio­nal­rat von Ver­tre­te­rin­nen und Ver­tre­tern der fünf wäh­ler­stärks­ten Par­tei­en (Abbil­dung 1). Sowohl bei den bei­den lin­ken Par­tei­en, die über die sechs Legis­la­tur­pe­ri­oden gemes­sen im Natio­nal­rat den höchs­ten Frau­en­an­teil stell­ten (SP: 44.4%, GPS: 51.0%), als auch bei den bür­ger­li­chen Par­tei­en der CVP (29.0%) und der FDP (20.3%) betei­lig­ten sich Frau­en mal etwas häu­fi­ger, mal etwas weni­ger häu­fig und mal ähn­lich häu­fig an den Par­la­ments­de­bat­ten wie ihre männ­li­chen Kollegen.

Abbildung 1: Anteil Beiträge von Frauen im Verhältnis zu Sitzen (Nationalrat)

Im Gegen­satz dazu ste­hen die Par­la­men­ta­rie­rin­nen der SVP, die über den Beob­ach­tungs­zeit­raum gemes­sen im Schnitt nur 10.6% der SVP-Natio­nal­rats­sit­ze beleg­ten: Die­se betei­lig­ten sich bis anhin in allen unter­such­ten Legis­la­tu­ren unter­durch­schnitt­lich häu­fig. Dabei stell­te die 46. Legis­la­tur­pe­ri­ode (1999–2003) den Tief­punkt dar: Hier erober­ten Frau­en 6,7% der SVP-Natio­nal­rats­man­da­te, steu­er­ten aber gut drei­mal weni­ger Voten bei (2.0% aller SVP-Voten).

Daten­grund­la­ge
Die biva­ria­ten Aus­wer­tun­gen basie­ren auf einem Daten­satz mit Infor­ma­tio­nen zu allen Wort­mel­dun­gen im eid­ge­nös­si­schen Par­la­ment zwi­schen 1995–2018 (Zum­bach 2019). Unter Ergän­zun­gen fal­len­de Mit­tei­lun­gen des Prä­si­den­ten oder der Prä­si­den­tin wur­den nicht zu den Voten gezählt. Für die Berech­nung der Dif­fe­renz in Voten und Sit­zen wur­den Muta­tio­nen und Par­tei­wech­sel berücksichtigt.

Erläu­te­run­gen zu den Berechnungen/Abbildungen: Ein Voten-Sitz-Ver­hält­nis von 1 bedeu­tet, dass der Anteil Bei­trä­ge (Voten) von Par­la­men­ta­rie­rin­nen exakt dem Sitz­an­teil ent­spricht. Wer­te ober­halb der Linie bedeu­ten, dass sich Frau­en häu­fi­ger betei­li­gen als ihre Reprä­sen­ta­ti­on im Rat ver­mu­ten lies­se; Wer­te unter­halb der Linie drü­cken das Gegen­teil aus. Für ein kon­kre­tes Lese­bei­spiel zu den Abbil­dun­gen, vgl. Lauftext.

Die Aus­wer­tun­gen zum Stän­de­rat beschrän­ken sich auf die Par­tei­en der SP, FDP und CVP, da bis zu den Wah­len 2019 noch kei­ne Frau für die Grü­nen oder die SVP einen Sitz im Stöck­li erobern konn­te. Die­se Resul­ta­te stüt­zen im Grun­de die Befun­de aus dem Natio­nal­rat. Auch hier sind es mit der CVP die Par­la­men­ta­rie­rin­nen der Par­tei mit dem gerings­ten Frau­en­an­teil – über alle betrach­te­ten Legis­la­tu­ren gemes­sen beträgt der Frau­en­an­teil der CVP im Stöck­li im Schnitt 10.6% – die sich mit einer Aus­nah­me in der 45. Legis­la­tur klar unter­durch­schnitt­lich betei­lig­ten (Abbil­dung 2).

Abbildung 2: Anteil Beiträge von Frauen im Verhältnis zu Sitzen (Ständerat)

Zusam­men­fas­send lässt sich fest­hal­ten, dass sich Par­la­men­ta­rie­rin­nen ins­ge­samt unge­fähr ihrem Sitz­an­teil ent­spre­chend an den Debat­ten betei­li­gen, sofern sie nicht einer Par­tei ange­hö­ren, in der sie als Frau im Rat kon­stant stark unter­ver­tre­ten sind. Auf der posi­ti­ven Sei­te ist her­vor­zu­he­ben, dass sich Par­la­men­ta­rie­rin­nen teil­wei­se auch klar über­durch­schnitt­lich häu­fig zu Wort mel­den, so etwa CVP-Frau­en im Natio­nal­rat in der 47. Legis­la­tur (2003–2007), und ins­be­son­de­re die SP- und FDP-Frau­en im Stän­de­rat in der 46. (1999–2003), resp. 49. Legis­la­tur (2011–2015). Inter­es­sant ist dies ins­be­son­de­re mit Blick auf den Stän­de­rat, wo der Frau­en­an­teil inner­halb der bei­den letzt­ge­nann­ten Par­tei­en im Zeit­ver­gleich eher gering ausfiel.

Wie sind die­se Befun­de hin­sicht­lich der Kon­kor­danz zu bewer­ten? Zum einen könn­ten spe­zi­fi­sche Eigen­schaf­ten eines als ste­reo­ty­pisch weib­lich ver­mu­te­ten Poli­tik­stils Koope­ra­ti­on statt Kon­flikt beför­dern, also Kom­pro­miss­lö­sun­gen zuträg­lich sein. Wür­den Frau­en häu­fi­ger zu Wort kom­men, könn­te dies nicht nur einen Ein­fluss auf die Form der Debat­te, son­dern allen­falls auch auf deren Aus­gang haben. Hier sei jedoch dar­auf hin­ge­wie­sen, dass der Autorin bekann­te Stu­di­en zur Schweiz bis­her kei­ne geschlech­ter­spe­zi­fi­schen Unter­schie­de im effek­ti­ven Poli­tik­stil nach­wei­sen konn­ten (etwa Hang­art­ner et al. 2007; Pedri­ni 2014; vgl. auch Fed­der­sen & Llo­ren 2016).

Mehr Beiträge von Parlamentarierinnen vonnöten

Zum ande­ren haben ver­schie­de­ne Stu­di­en zu Klein­grup­pen­dis­kus­sio­nen gezeigt, dass Per­so­nen­grup­pen, die die Dis­kus­si­on domi­nie­ren, auch als beson­ders ein­fluss­reich wahr­ge­nom­men wer­den. Wür­den die­se Erkennt­nis­se auch für das eid­ge­nös­si­sche Par­la­ment gel­ten, könn­te dies dazu füh­ren, dass die Inter­es­sen und Prä­fe­ren­zen von Frau­en als Min­der­heit im Par­la­ment noch weni­ger stark in den poli­ti­schen Ent­scheid ein­ge­bun­den wür­den. Selbst­ver­ständ­lich sind Par­la­men­ta­rie­rin­nen und Par­la­men­ta­ri­er in ers­ter Linie Ver­tre­ter ihrer Par­tei. Den­noch sind die sach­po­li­ti­schen Prä­fe­ren­zen von Frau­en und Män­nern auch inner­halb einer Par­tei nicht immer deckungs­gleich; neben gleich­stel­lungs­po­li­ti­schen Inter­es­sen gibt es etwa auch unter­schied­li­che Posi­tio­nen in gewis­sen Fra­gen betref­fend die Sozi­al- und Wirt­schafts­po­li­tik. Im Sin­ne einer funk­tio­nie­ren­den Kon­kor­danz, die wich­ti­ge Min­der­hei­ten ein­bin­det, wäre es also von­nö­ten, dass Frau­en nicht nur ange­mes­sen in den ver­schie­de­nen poli­ti­schen Are­nen, son­dern auch inner­halb jeder ein­zel­nen Par­tei adäquat ver­tre­ten sind und zu Wort kommen.


Refe­renz:

Ger­ber, Mar­lè­ne (2019). Gewählt – und dann? Zur Prä­senz von Par­la­men­ta­rie­rin­nen in Rats­de­bat­ten. In: Kon­kor­danz im Par­la­ment. Zürich: NZZ Libro, Rei­he „Poli­tik und Gesell­schaft in der Schweiz“.

Biblio­gra­phie:

  • Bühl­mann, Marc, Anja Hei­del­ber­ger und Hans-Peter Schaub (2019). Kon­kor­danz im Par­la­ment. Zürich: NZZ Libro.
  • Fed­der­sen, Alex­an­dra & Anouk Llo­ren (2016). Poli­ti­sie­ren Frau­en anders als Män­ner? De Fac­to, 4. Mai 2016. https://www.defacto.expert/2016/05/04/politisieren-frauen-anders-als-maenner/
  • Hang­art­ner, Domi­nik, André Bäch­ti­ger, Rita Grü­nen­fel­der & Mar­co Steen­ber­gen  (2007). Mixing Haber­mas with Bayes: Metho­do­lo­gi­cal and Theo­re­ti­cal Advan­ces in the Stu­dy of Deli­be­ra­ti­on. Swiss Poli­ti­cal Sci­ence Review, 13(4), 607–644.
  • Pedri­ni, Serai­na (2014). Deli­be­ra­ti­ve Capa­ci­ty in the Poli­ti­cal and Civic Sphe­re. Swiss Poli­ti­cal Sci­ence Review 20(2): 263–286.
  • Zum­bach, David (2019). Daten­satz: Wort­mel­dun­gen im eid­ge­nös­si­schen Par­la­ment (1995–2018). Grü­nen­fel­der Zum­bach GmbH / Année Poli­tique Suis­se: Zürich/Bern.

Bild: Wiki­me­dia Commons

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