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Gewählt – und dann? Zur Präsenz von Parlamentarierinnen in Ratsdebatten

Marlène Gerber
20th November 2019

Auswertungen aller Beiträge im National- und Ständerat über sechs Legislaturen hinweg zeigen, dass sich Parlamentarierinnen im Schnitt etwa gleich häufig beteiligen wie ihre männlichen Ratskollegen. Dies trifft jedoch nicht zu, wenn der Frauenanteil einer Partei im Rat konstant sehr tief ist. Auch im Sinne der Konkordanz ist dies nicht unproblematisch. 

 

Dieser Beitrag geht der Frage nach, ob sich Frauen angemessen, bzw. immerhin ihrer tatsächlichen Vertretung entsprechend, an den politischen Debatten beteiligen. Es wird argumentiert, dass eine aktive Teilnahme am Entscheidungsprozess zwar keine hinreichende aber doch eine notwendige Bedingung ist, damit spezifische Interessen im politischen Entscheid überhaupt berücksichtigt werden können. Dafür wurden Beiträge von Parlamentarierinnen und Parlamentariern im National- und Ständerat zwischen der Wintersession 1995 und der Frühjahrssession 2018 analysiert. Die Auswertungen ergaben, dass sich Parlamentarierinnen im Schnitt etwa gleich häufig beteiligen wie Parlamentarier.

SVP-Nationalrätinnen bleiben überdurchschnittlich oft ruhig

Besetzen Frauen aktuell einen Drittel der Sitze im Nationalrat, resp. etwas unter 15% der Sitze im Ständerat, beträgt der Anteil an Beiträgen von Frauen über alle Voten gemessen auch ungefähr ein Drittel, resp. etwa 15%. Ein differenzierteres Bild ergibt eine Aufschlüsselung der Beiträge im Nationalrat von Vertreterinnen und Vertretern der fünf wählerstärksten Parteien (Abbildung 1). Sowohl bei den beiden linken Parteien, die über die sechs Legislaturperioden gemessen im Nationalrat den höchsten Frauenanteil stellten (SP: 44.4%, GPS: 51.0%), als auch bei den bürgerlichen Parteien der CVP (29.0%) und der FDP (20.3%) beteiligten sich Frauen mal etwas häufiger, mal etwas weniger häufig und mal ähnlich häufig an den Parlamentsdebatten wie ihre männlichen Kollegen.

Abbildung 1: Anteil Beiträge von Frauen im Verhältnis zu Sitzen (Nationalrat)

Im Gegensatz dazu stehen die Parlamentarierinnen der SVP, die über den Beobachtungszeitraum gemessen im Schnitt nur 10.6% der SVP-Nationalratssitze belegten: Diese beteiligten sich bis anhin in allen untersuchten Legislaturen unterdurchschnittlich häufig. Dabei stellte die 46. Legislaturperiode (1999-2003) den Tiefpunkt dar: Hier eroberten Frauen 6,7% der SVP-Nationalratsmandate, steuerten aber gut dreimal weniger Voten bei (2.0% aller SVP-Voten).

Datengrundlage
Die bivariaten Auswertungen basieren auf einem Datensatz mit Informationen zu allen Wortmeldungen im eidgenössischen Parlament zwischen 1995-2018 (Zumbach 2019). Unter Ergänzungen fallende Mitteilungen des Präsidenten oder der Präsidentin wurden nicht zu den Voten gezählt. Für die Berechnung der Differenz in Voten und Sitzen wurden Mutationen und Parteiwechsel berücksichtigt.

Erläuterungen zu den Berechnungen/Abbildungen: Ein Voten-Sitz-Verhältnis von 1 bedeutet, dass der Anteil Beiträge (Voten) von Parlamentarierinnen exakt dem Sitzanteil entspricht. Werte oberhalb der Linie bedeuten, dass sich Frauen häufiger beteiligen als ihre Repräsentation im Rat vermuten liesse; Werte unterhalb der Linie drücken das Gegenteil aus. Für ein konkretes Lesebeispiel zu den Abbildungen, vgl. Lauftext.

Die Auswertungen zum Ständerat beschränken sich auf die Parteien der SP, FDP und CVP, da bis zu den Wahlen 2019 noch keine Frau für die Grünen oder die SVP einen Sitz im Stöckli erobern konnte. Diese Resultate stützen im Grunde die Befunde aus dem Nationalrat. Auch hier sind es mit der CVP die Parlamentarierinnen der Partei mit dem geringsten Frauenanteil – über alle betrachteten Legislaturen gemessen beträgt der Frauenanteil der CVP im Stöckli im Schnitt 10.6% – die sich mit einer Ausnahme in der 45. Legislatur klar unterdurchschnittlich beteiligten (Abbildung 2).

Abbildung 2: Anteil Beiträge von Frauen im Verhältnis zu Sitzen (Ständerat)

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich Parlamentarierinnen insgesamt ungefähr ihrem Sitzanteil entsprechend an den Debatten beteiligen, sofern sie nicht einer Partei angehören, in der sie als Frau im Rat konstant stark untervertreten sind. Auf der positiven Seite ist hervorzuheben, dass sich Parlamentarierinnen teilweise auch klar überdurchschnittlich häufig zu Wort melden, so etwa CVP-Frauen im Nationalrat in der 47. Legislatur (2003-2007), und insbesondere die SP- und FDP-Frauen im Ständerat in der 46. (1999-2003), resp. 49. Legislatur (2011-2015). Interessant ist dies insbesondere mit Blick auf den Ständerat, wo der Frauenanteil innerhalb der beiden letztgenannten Parteien im Zeitvergleich eher gering ausfiel.

Wie sind diese Befunde hinsichtlich der Konkordanz zu bewerten? Zum einen könnten spezifische Eigenschaften eines als stereotypisch weiblich vermuteten Politikstils Kooperation statt Konflikt befördern, also Kompromisslösungen zuträglich sein. Würden Frauen häufiger zu Wort kommen, könnte dies nicht nur einen Einfluss auf die Form der Debatte, sondern allenfalls auch auf deren Ausgang haben. Hier sei jedoch darauf hingewiesen, dass der Autorin bekannte Studien zur Schweiz bisher keine geschlechterspezifischen Unterschiede im effektiven Politikstil nachweisen konnten (etwa Hangartner et al. 2007; Pedrini 2014; vgl. auch Feddersen & Lloren 2016).

Mehr Beiträge von Parlamentarierinnen vonnöten

Zum anderen haben verschiedene Studien zu Kleingruppendiskussionen gezeigt, dass Personengruppen, die die Diskussion dominieren, auch als besonders einflussreich wahrgenommen werden. Würden diese Erkenntnisse auch für das eidgenössische Parlament gelten, könnte dies dazu führen, dass die Interessen und Präferenzen von Frauen als Minderheit im Parlament noch weniger stark in den politischen Entscheid eingebunden würden. Selbstverständlich sind Parlamentarierinnen und Parlamentarier in erster Linie Vertreter ihrer Partei. Dennoch sind die sachpolitischen Präferenzen von Frauen und Männern auch innerhalb einer Partei nicht immer deckungsgleich; neben gleichstellungspolitischen Interessen gibt es etwa auch unterschiedliche Positionen in gewissen Fragen betreffend die Sozial- und Wirtschaftspolitik. Im Sinne einer funktionierenden Konkordanz, die wichtige Minderheiten einbindet, wäre es also vonnöten, dass Frauen nicht nur angemessen in den verschiedenen politischen Arenen, sondern auch innerhalb jeder einzelnen Partei adäquat vertreten sind und zu Wort kommen.


Referenz:

Gerber, Marlène (2019). Gewählt – und dann? Zur Präsenz von Parlamentarierinnen in Ratsdebatten. In: Konkordanz im Parlament. Zürich: NZZ Libro, Reihe „Politik und Gesellschaft in der Schweiz“.

Bibliographie:

  • Bühlmann, Marc, Anja Heidelberger und Hans-Peter Schaub (2019). Konkordanz im Parlament. Zürich: NZZ Libro.
  • Feddersen, Alexandra & Anouk Lloren (2016). Politisieren Frauen anders als Männer? De Facto, 4. Mai 2016. https://www.defacto.expert/2016/05/04/politisieren-frauen-anders-als-maenner/
  • Hangartner, Dominik, André Bächtiger, Rita Grünenfelder & Marco Steenbergen  (2007). Mixing Habermas with Bayes: Methodological and Theoretical Advances in the Study of Deliberation. Swiss Political Science Review, 13(4), 607–644.
  • Pedrini, Seraina (2014). Deliberative Capacity in the Political and Civic Sphere. Swiss Political Science Review 20(2): 263-286.
  • Zumbach, David (2019). Datensatz: Wortmeldungen im eidgenössischen Parlament (1995-2018). Grünenfelder Zumbach GmbH / Année Politique Suisse: Zürich/Bern.

Bild: Wikimedia Commons