Werfen Frauen in der Politik andere Themen auf als Männer? Verschiedene Forscherinnen und Forscher haben sich mit der Frage beschäftigt, ob sich Frauen und Männer in der Politik gleich verhalten. Sie geben unterschiedliche Antworten.
Geht es um die Frage, ob Frauen anders politisieren als ihre männlichen Kollegen, gehen die Meinungen auseinander. Auch in der Forschung gibt es zwei unterschiedliche theoretische Ansätze: Einige argumentieren, dass sich Frauen und Männer gleich verhalten, weil sie den gleichen Regeln unterworfen sind. Andere gehen wiederum davon aus, dass Frauen eine unterschiedliche gesellschaftliche Rolle einnehmen als Männer und sich dies auf ihre Politik auswirkt.
Verfechterinnen und Verfechter der ersten Perspektive gehen davon aus, dass Politik per Definition ein konfliktgeladenes Gebiet ist. Alle, die sich in dieses Gebiet begeben, sind denselben Regeln unterstellt und müssen bereit sein, sich dem Konflikt zu stellen. Es gibt also keinen Grund, warum Frauen anders politisieren sollten als Männer: Politikerinnen verhalten sich gleich wie ihre männlichen Kollegen.
Der andere theoretische Ansatz baut auf der Beobachtung auf, dass Frauen in der Gesellschaft eine andere Rolle haben als Männer. Diese unterschiedlichen Rollen werden oft als „natürlich“ betrachtet. Forscherinnen und Forscher zeigen aber auf, dass sie stark durch gesellschaftliche Erwartungen geprägt sind, und deshalb keineswegs direkt von biologischen Unterschieden abzuleiten sind. Dies führt dazu, dass Frauen und Männer unterschiedliche Erfahrungen machen und unterschiedliche Interessen entwickeln, die unter Umständen zu unterschiedlichen Präferenzen führen können. Die Befürworterinnen und Befürworter dieses Standpunkts finden deshalb, dass Frauen unbedingt in den politischen Prozess eingebunden werden sollten, da sie eine andere Perspektive auf gesellschaftliche Fragen haben und andere Lösungsansätze vorschlagen können.
Empirischen Studien, die sich mit den Präferenzen von Politikerinnen und Politikern beschäftigen, kommen zu unterschiedlichen Resultaten. Einerseits zeigen Arbeiten aus den USA auf, dass Frauen und Männer, die sich in der Politik engagieren, das Thema „Wirtschaft“ gleichermassen als oberste politische Priorität betrachten. Andere Studien hingegen zeigen, dass Politikerinnen andere Kernthemen bewirtschaften als Politiker. So befürworten Parlamentarierinnen Gleichberechtigungsmassnahmen zwischen den Geschlechtern öfter als ihre männlichen Ratskollegen.
Zudem positionieren sich Politikerinnen – genauso wie Stimmbürgerinnen – auf der politischen Links-Rechts-Achse generell weiter links als ihre Parteikollegen – in wirtschaftlichen sowie auch gesellschaftlichen Fragen.
Frauen nicht konfliktscheuer als Männer
Viele dieser spezifischen Präferenzen sind einfach erklärbar.
«Oft haben Frauen gesellschaftliche Stellungen und Rollen, in denen sie eher von Umverteilungsmassnahmen profitieren als Männer.»
Alexandra Feddersen, Anouk Lloren
Dies bedeutet aber nicht, dass Frauen als eine homogene Gruppe verstanden werden können, in der alle gleich denken. So zeigt sich beispielsweise bei gewissen Abstimmungen ein Gender-Gap, während dieser bei anderen Vorlagen ausbleibt, selbst wenn es um ähnliche Themen geht.
Was aber das Verhalten von Politikerinnen betrifft, so zeigt die Forschung generell, dass Frauen nicht anders Politik machen als Männer. Weit verbreiteten Auffassungen zum Trotz sind sie zum Beispiel nicht konfliktscheuer als Männer, sondern greifen in Kampagnen ihre Gegner genauso an, wie ihre männlichen Mitstreiter, und sorgen im Parlament nicht für mehr Konsens.
Keine spezifischen Fraueninteressen
Es gibt also keine klare wissenschaftliche Antwort auf die Frage, ob Frauen Politiker sind wie alle anderen auch. Die empirische Forschung gibt keiner der beiden theoretischen Perspektiven zu 100% Recht gibt. Man kann jedoch sagen, dass Frauen zum Teil andere Präferenzen aufweisen als Männer, weil sie durch ihre gesellschaftliche Rolle unterschiedliche Erfahrungen machen.
Von spezifischen „Fraueninteressen“ kann man aber zumindest im Parlament nicht sprechen, denn grundsätzlich erweisen sich Parteienunterschiede als viel wichtiger als Geschlechterunterschiede. Einige wenige Ausnahmen gibt es allerdings, wie zum Beispiel der Entscheid über die Mutterschaftsversicherung.
Wichtig ist aber, dass unser Verhalten, so wie auch dasjenige der Politikerinnen und Politiker, sehr oft unterschiedlich wahrgenommen, und nach der Geschlechtszugehörigkeit beurteilt wird. So warfen US-Medien vor zwei Jahren die Frage auf, ob Hillary Clinton denn wirklich für die Präsidentschaftswahl kandidieren würde, war ihre Tochter Chelsea doch schwanger. Eine Grossmutter hätte doch besseres zu tun, als Präsidentin zu sein! Dass Mitt Romney aber, als er 2012 zur Präsidentschaftswahl antrat, schon mehrfacher Grossvater war, störte offensichtlich niemanden.
Dieser Artikel ist eine Zusammenfassung von Feddersen, Alexandra und Anouk Lloren (2016). „Les femmes sont-elles des hommes politiques comme les autres?“. In: Lloren, Anouk, Laurent Tischler und Nicolas Tavaglione (eds.). Les étrangers volent-ils notre travail? Et 14 autres questions impertinentes. Genf: Labor et fides: 119-130.
Lektorat: Pascal Burkhard
Bild: Wikimedia Commons