Generation «kein Bock»? Warum junge Nichtwähler*innen vielleicht doch noch an die Urne gehen

Der Unter­schied der Wahl­be­tei­li­gung zwi­schen den Genera­tio­nen ist in der Schweiz beson­ders gross. Auch an den letz­ten natio­na­len Wah­len 2015 nah­men die jüngs­ten Wahl­be­rech­tig­ten deut­lich sel­te­ner teil als die nächst­äl­te­re Genera­ti­on. Mei­ne Ana­ly­se zeigt, war­um es für die häu­fig als poli­tisch des­in­ter­es­siert ver­schrie­ne Genera­ti­on Y aber doch noch Hoff­nung auf mehr Wahl­be­tei­li­gung gibt. 

Wahlen19

Es ist kein Geheim­nis: Die Schwei­zer Wahl­be­tei­li­gung ist im inter­na­tio­na­len Ver­gleich unter­durch­schnitt­lich. Wäh­rend Jahrz­en­ten mani­fes­tier­te sich zudem ein Nega­tiv­trend: die Betei­li­gungs­ra­te bei natio­na­len Wah­len sank seit der Nach­kriegs­zeit von über sieb­zig auf nur noch leicht über vier­zig Pro­zent in den 1990er-Jah­ren und erholt sich seit­her nur leicht. Zu den­ken gibt, dass vor allem vie­le jun­ge Wahl­be­rech­tig­te der Urne fernbleiben.

Die Unter­su­chung im Rah­men mei­ner Bache­lor­ar­beit macht aber mit einem Blick in die Ver­gan­gen­heit deut­lich, dass es falsch ist, die über­durch­schnitt­li­che Wahl­ab­sti­nenz jun­ger Wahl­be­rech­tig­ter als unver­rück­ba­ren Fakt hinzunehmen.

Früher war nicht alles besser 

In einem direk­ten Ver­gleich der Genera­tio­nen X (Jahr­gän­ge 1965 – 1979) und Y (Jahr­gän­ge 1980 — 1997) liegt der genera­tio­nen­spe­zi­fi­sche Betei­li­gungs­un­ter­schied gemäss Umfra­ge­wer­ten für die natio­na­len Wah­len 2015 bei 12 Pro­zent­punk­ten. Mei­ne Unter­su­chung zeigt aber auch, dass der Unter­schied in der Betei­li­gungs­wahr­schein­lich­keit zwi­schen der jüngs­ten und der nächst älte­ren wahl­be­rech­tig­ten Genera­ti­on vor zwan­zig Jah­ren grös­ser war.

Gemäss Umfra­ge­wer­ten aus dem Wahl­jahr 1995 lag die Wahr­schein­lich­keit einer Wahl­ab­sti­nenz für einen durch­schnitt­lich gebil­de­ten Mann der Genera­ti­on X mit 56 Pro­zent gar höher als die Wahr­schein­lich­keit einer Wahl­teil­nah­me, die bei 44 Pro­zent lag. Doch die glei­che Genera­ti­on X nahm 2015 mit einer Wahr­schein­lich­keit von fast acht­zig Pro­zent an den Wah­len teil. Die­se Fest­stel­lung könn­te für die Ent­wick­lung der Wahl­be­tei­li­gung der Genera­ti­on Y rich­tungs­wei­send sein.

Abbildung: Prozentuale Teilnahmewahrscheinlichkeiten für einen durchschnittlich gebildeten Mann der Generation X

20 Jah­re, die einen Unter­schied machen: Im direk­ten Ver­gleich der Wahl­jah­re 1995 und 2015 zeigt sich ein Anstieg der Teil­nah­me­wahr­schein­lich­keit der Genera­ti­on X von 44% auf 78%.

Warum Junge weniger häufig wählen gehen

Schliess­lich stellt sich die wich­ti­ge Fra­ge, wie die alters­ab­hän­gi­gen Unter­schie­de in der Wahl­be­tei­li­gung zu erklä­ren sind. Dahin­ge­hend besteht – auch hin­sicht­lich der poli­ti­schen Mobi­li­sie­rung jun­ger Wähler*innen – wei­ter­hin ein gewis­ser Klä­rungs­be­darf. Zwar konn­te ich in mei­ner Arbeit auf­zei­gen, dass ein Teil der erhöh­ten Teil­nah­me­wahr­schein­lich­keit der jeweils älte­ren Genera­ti­on auf die mit dem Alter stei­gen­de Wahr­schein­lich­keit einer Par­tei- oder Gewerk­schafts­mit­glied­schaft zurück­zu­füh­ren ist. So ein­leuch­tend dies ist, erklärt wird dadurch nur ein klei­net Teil des in der Arbeit bestä­tig­ten Generationeneffekts.

Die Vergangenheit lässt hoffen

Bereits die Tat­sa­che der offen­kun­dig erfolg­rei­chen poli­ti­schen Mobi­li­sie­rung der Genera­ti­on X stimmt opti­mis­tisch: Wer in jun­gen Jah­ren der Urne fern­bleibt, tut dies nicht auch zwin­gen­der­mas­sen noch zwan­zig Jah­re später.

Im Gegen­teil: Dass gera­de die Genera­ti­on X, eine Genera­ti­on, die noch 1995 mehr­heit­lich nicht an den natio­na­len Wah­len teil­nahm, heu­te mit über­durch­schnitt­li­cher Wahr­schein­lich­keit wäh­len geht, lässt bezüg­lich der Wahl­be­tei­li­gung der Fol­ge­ge­nera­ti­on hof­fen. Auch die Tat­sa­che, dass die jüngs­te wahl­be­rech­tig­te Genera­ti­on 2015 bereits eine höhe­re Wahl­wahr­schein­lich­keit auf­wies als die Genera­ti­on ihrer Eltern im glei­chen Alter, stimmt zuversichtlich.

Jungwähler*innen wählen häufiger aus Pflichtgefühl

Erstaun­li­che Resul­ta­te lie­fer­te mei­ne Unter­su­chung inso­fern, als Wähler*innen der Genera­ti­on Y einen Urnen­gang ten­den­zi­ell stär­ker als bür­ger­li­che Pflicht wahr­neh­men als ihre Eltern. Die­ses Phä­no­men und die Tat­sa­che, dass Men­schen zwi­schen zwan­zig und Mit­te dreis­sig, ent­ge­gen dem häu­fig auch medi­al ver­stärk­ten Bild einer Genera­ti­on «Null Bock», sich gene­rell fürs Welt­ge­sche­hen und ins­be­son­de­re für all­tags­na­he Abstim­mungs­the­men inter­es­sie­ren, macht deut­lich: Die Genera­ti­on Y ist nicht apo­li­tisch. Sie ist mög­li­cher­wei­se wahl­faul. Doch ihre Eltern waren wahl­fau­ler – und trotz­dem sind aus ihnen über­durch­schnitt­lich par­ti­zi­pie­ren­de Bürger*innen geworden.


Refe­ren­zen:

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  • Bun­des­amt für Sta­tis­tik: Ent­wick­lung der Wahl­be­tei­li­gung [Link (28.10.2018)]
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  • Gol­der, Lukas (2014): Schluss­be­richt Easy­vo­te 2014. Bern: Gfs Bern.
  • Lutz, Georg (2016): Eidgenössische Wah­len 2015. Wahl­teil­nah­me und Wahl­ent­scheid. Lau­sanne: FORS.

 

Bild: rawpixel.com

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