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Generation «kein Bock»? Warum junge Nichtwähler*innen vielleicht doch noch an die Urne gehen

Ursina Storrer
17th Juni 2019

Der Unterschied der Wahlbeteiligung zwischen den Generationen ist in der Schweiz besonders gross. Auch an den letzten nationalen Wahlen 2015 nahmen die jüngsten Wahlberechtigten deutlich seltener teil als die nächstältere Generation. Meine Analyse zeigt, warum es für die häufig als politisch desinteressiert verschriene Generation Y aber doch noch Hoffnung auf mehr Wahlbeteiligung gibt.

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Es ist kein Geheimnis: Die Schweizer Wahlbeteiligung ist im internationalen Vergleich unterdurchschnittlich. Während Jahrzenten manifestierte sich zudem ein Negativtrend: die Beteiligungsrate bei nationalen Wahlen sank seit der Nachkriegszeit von über siebzig auf nur noch leicht über vierzig Prozent in den 1990er-Jahren und erholt sich seither nur leicht. Zu denken gibt, dass vor allem viele junge Wahlberechtigte der Urne fernbleiben.

Die Untersuchung im Rahmen meiner Bachelorarbeit macht aber mit einem Blick in die Vergangenheit deutlich, dass es falsch ist, die überdurchschnittliche Wahlabstinenz junger Wahlberechtigter als unverrückbaren Fakt hinzunehmen.

Früher war nicht alles besser 

In einem direkten Vergleich der Generationen X (Jahrgänge 1965 – 1979) und Y (Jahrgänge 1980 - 1997) liegt der generationenspezifische Beteiligungsunterschied gemäss Umfragewerten für die nationalen Wahlen 2015 bei 12 Prozentpunkten. Meine Untersuchung zeigt aber auch, dass der Unterschied in der Beteiligungswahrscheinlichkeit zwischen der jüngsten und der nächst älteren wahlberechtigten Generation vor zwanzig Jahren grösser war.

Gemäss Umfragewerten aus dem Wahljahr 1995 lag die Wahrscheinlichkeit einer Wahlabstinenz für einen durchschnittlich gebildeten Mann der Generation X mit 56 Prozent gar höher als die Wahrscheinlichkeit einer Wahlteilnahme, die bei 44 Prozent lag. Doch die gleiche Generation X nahm 2015 mit einer Wahrscheinlichkeit von fast achtzig Prozent an den Wahlen teil. Diese Feststellung könnte für die Entwicklung der Wahlbeteiligung der Generation Y richtungsweisend sein.

Abbildung: Prozentuale Teilnahmewahrscheinlichkeiten für einen durchschnittlich gebildeten Mann der Generation X

20 Jahre, die einen Unterschied machen: Im direkten Vergleich der Wahljahre 1995 und 2015 zeigt sich ein Anstieg der Teilnahmewahrscheinlichkeit der Generation X von 44% auf 78%.

Warum Junge weniger häufig wählen gehen

Schliesslich stellt sich die wichtige Frage, wie die altersabhängigen Unterschiede in der Wahlbeteiligung zu erklären sind. Dahingehend besteht – auch hinsichtlich der politischen Mobilisierung junger Wähler*innen – weiterhin ein gewisser Klärungsbedarf. Zwar konnte ich in meiner Arbeit aufzeigen, dass ein Teil der erhöhten Teilnahmewahrscheinlichkeit der jeweils älteren Generation auf die mit dem Alter steigende Wahrscheinlichkeit einer Partei- oder Gewerkschaftsmitgliedschaft zurückzuführen ist. So einleuchtend dies ist, erklärt wird dadurch nur ein kleinet Teil des in der Arbeit bestätigten Generationeneffekts.

Die Vergangenheit lässt hoffen

Bereits die Tatsache der offenkundig erfolgreichen politischen Mobilisierung der Generation X stimmt optimistisch: Wer in jungen Jahren der Urne fernbleibt, tut dies nicht auch zwingendermassen noch zwanzig Jahre später.

Im Gegenteil: Dass gerade die Generation X, eine Generation, die noch 1995 mehrheitlich nicht an den nationalen Wahlen teilnahm, heute mit überdurchschnittlicher Wahrscheinlichkeit wählen geht, lässt bezüglich der Wahlbeteiligung der Folgegeneration hoffen. Auch die Tatsache, dass die jüngste wahlberechtigte Generation 2015 bereits eine höhere Wahlwahrscheinlichkeit aufwies als die Generation ihrer Eltern im gleichen Alter, stimmt zuversichtlich.

Jungwähler*innen wählen häufiger aus Pflichtgefühl

Erstaunliche Resultate lieferte meine Untersuchung insofern, als Wähler*innen der Generation Y einen Urnengang tendenziell stärker als bürgerliche Pflicht wahrnehmen als ihre Eltern. Dieses Phänomen und die Tatsache, dass Menschen zwischen zwanzig und Mitte dreissig, entgegen dem häufig auch medial verstärkten Bild einer Generation «Null Bock», sich generell fürs Weltgeschehen und insbesondere für alltagsnahe Abstimmungsthemen interessieren, macht deutlich: Die Generation Y ist nicht apolitisch. Sie ist möglicherweise wahlfaul. Doch ihre Eltern waren wahlfauler – und trotzdem sind aus ihnen überdurchschnittlich partizipierende Bürger*innen geworden.


Referenzen:

  • Blais, André und Rubenson, Daniel (2013): The Source of Turnout Decline: New Values or New Contexts? Comperative Political Studies, 46(1), 95-117.
  • Bundesamt für Statistik: Entwicklung der Wahlbeteiligung [Link (28.10.2018)]
  • Bühlmann, Marc und Freitag, Markus (2006): Individual and Contextual Determinants of Electoral Participation. Swiss Political Science Review, 12(4), 13–47.
  • Dalton, Russell J. (1977): Was There A Revolution? A Note on Generational Versus Life Cycle Explanations of Value Differences. Comparative Political Studies, 9(4), 459–474.
  • Fieldhouse, Edward, Tranmer Mark and Russell, Andrew (2007): Something about Young People or Something about Elections? Electoral Participation of Young People in Europe: Evidence from a multilevel Analysis of the European Social Survey. European Journal of Political Research, 46(6), 797–822.
  • 2015. Selects-Nachwahlbefragung 1995 (Lausanne).
  • 2015. Selects-Nachwahlbefragung 2015 (Lausanne).
  • Golder, Lukas (2014): Schlussbericht Easyvote 2014. Bern: Gfs Bern.
  • Lutz, Georg (2016): Eidgenössische Wahlen 2015. Wahlteilnahme und Wahlentscheid. Lausanne: FORS.

 

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