Räumliche Gerechtigkeit in Agglomerationen: die (zweifelhafte) Rolle von Finanztransfers 

Die Frag­men­tie­rung städ­ti­scher Bal­lungs­räu­me ist eine gros­se Her­aus­for­de­rung die Umset­zung von poli­ti­schen Mass­nah­men. Man­che Gemein­den haben struk­tu­rell­be­dingt finan­zi­el­le und steu­er­tech­ni­sche Vor­tei­le gegen­über ande­ren Gemein­den. Aus die­sem Grund wur­den Umver­tei­lungs­mass­nah­men ein­ge­führt, um die unglei­chen Steu­er­ein­künf­te aus­zu­glei­chen. Doch wie wir­ken sich sol­che Mass­nah­men auf die räum­li­che Gerech­tig­keit in den Agglo­me­ra­tio­nen aus? Unse­re Stu­die lie­fert Antworten.

Aarauer Demokratietage

Auf der gan­zen Welt zeich­nen sich städ­ti­sche Regio­nen durch frag­men­tier­te Ver­wal­tungs­sys­te­me aus. Die städ­ti­schen Regio­nen haben sich in den letz­ten Jahr­zehn­ten stark aus­ge­brei­tet und erstre­cken sie sich mitt­ler­wei­le häu­fig über eine Viel­zahl von Gemein­den. Wäh­rend in ande­ren Län­dern Ter­ri­to­ri­al­re­for­men umge­setzt wur­den, ist die insti­tu­tio­nel­le Zer­split­te­rung der Schwei­zer Agglo­me­ra­tio­nen sehr hoch. Stu­di­en haben gezeigt, dass die­se ungüns­ti­ge Situa­ti­on poli­ti­sche Mass­nah­men erschwe­ren, die für die gan­ze Regi­on vor­teil­haft wären.

Die insti­tu­tio­nel­le Frag­men­tie­rung wirkt sich auch auf die räum­li­chen Ungleich­hei­ten aus. Räum­li­che Gerech­tig­keit lei­det häu­fig unter lokal getrof­fe­nen poli­ti­schen Ent­schei­dun­gen, da Gemein­den und Städ­te teu­er geglaub­te Umver­tei­lungs­mass­nah­men ver­mei­den wollen.

Der geläu­fi­gen Ansicht nach ist eine Zen­tra­li­sie­rung der Sozi­al­po­li­tik zu befür­wor­ten, um Ungleich­hei­ten in Agglo­me­ra­tio­nen aus­zu­glei­chen. Eini­ge For­schen­de ver­tre­ten aber den Stand­punkt, dass eine Zen­tra­li­sie­rung gar nicht not­wen­dig ist. Sie argu­men­tie­ren, dass durch frei­wil­li­ge Zusam­men­ar­beit und Auf­tei­lung der Steu­er­ein­nah­men zwi­schen den Gemein­den der Wider­spruch zwi­schen Gerech­tig­keit und loka­ler Auto­no­mie aus­ge­gli­chen wer­den könnte.

Bis­her lie­gen aller­dings nur weni­ge empi­ri­sche Unter­su­chun­gen zu die­ser The­ma­tik vor. In den USA, wo die meis­te For­schung dazu betrie­ben wird, gibt es prak­tisch kei­ne Auf­tei­lung der Steu­er­ein­künf­te zwi­schen Gemeinden.

Abbildung 1. Agglomerationen in der Schweiz, 2020

Abbil­dung: BFS · Daten­quel­le: BFS

Ausgleich zwischen reichen und armen Gemeinden

Unse­re Stu­die (Küber und Rochat 2019) fokus­siert auf die Schweiz, wo die Zer­sie­de­lung der Agglo­me­ra­tio­nen und die Auto­no­mie der Gemein­de­be­hör­den ähn­lich sind wie in den USA. Der Unter­schied besteht aller­dings dar­in, dass in der Finanz­aus­gleichs­sys­te­me bestehen. Abbil­dung 1 zeigt die Bal­lungs- und Agglo­me­ra­ti­ons­räu­me in der Schweiz.

Wir haben für unse­re Ana­ly­sen öffent­li­che Finanz­da­ten von 630 Schwei­zer Gemein­den in den wich­tigs­ten Agglo­me­ra­tio­nen aus­ge­wer­tet. Zum einen wur­de die Bezie­hung zwi­schen den sozia­len Bedürf­nis­sen und den kom­mu­na­len Steu­er­ein­nah­men unter­sucht und zum ande­ren das Niveau der kom­mu­na­len Sozialausgaben.

Schwei­zer Gemein­den haben die Kom­pe­tenz, die Höhe der Ein­kom­mens- und Ver­mö­gens­steu­er für die Ein­woh­ne­rin­nen und Ein­woh­ner sowie Fir­men fest­zu­le­gen. Im Gegen­satz zu ande­ren Län­dern fal­len die kom­mu­na­len Steu­ern hoch aus, da sie rund zwan­zig Pro­zent der gesam­ten Steu­er­ein­nah­men ausmachen.

Folg­lich haben die loka­len Steu­er­sät­ze einen star­ken Ein­fluss auf die Wohn­ort­wahl der Bevöl­ke­rung. Wohl­ha­ben­de Steu­er­zah­len­de zie­hen in Gemein­den mit nied­ri­gen Steu­er­sät­zen. Dadurch stei­gen in den steu­er­lich attrak­ti­ven Wohn­ge­mein­den die Immo­bi­li­en­prei­se. Dies ver­stärkt die sozia­le Segre­ga­ti­on und wirkt sich auf die loka­len öffent­li­chen Finan­zen aus.

Die­ser Mecha­nis­mus führt dazu, dass finan­zi­ell gut gestell­te Per­so­nen ihr Ein­kom­men und Ver­mö­gen in den wohl­ha­ben­den Gemein­den ver­steu­ern, wäh­rend ande­re Gemein­den mit deut­lich gerin­ge­ren Steu­er­ein­nah­men aus­kom­men müssen.

Im Gegen­satz zu den USA gibt es in der Schweiz aber umfas­sen­de Finanz­aus­gleichs­sys­te­me, um die Steu­er­ein­nah­men aus­zu­glei­chen. Es zeigt sich dabei, dass Trans­fer­zah­lun­gen zwi­schen rei­chen und armen Gemein­den eine wich­ti­ge Rol­le bei der Wie­der­her­stel­lung der räum­li­chen Gerech­tig­keit in den Schwei­zer Agglo­me­ra­tio­nen spie­len. Aller­dings kom­pen­sie­ren die Trans­fer­zah­lun­gen den Finanz­be­darf der ärme­ren Gemein­den nicht voll­stän­dig. So wer­den sozia­le Pro­ble­me in wohl­ha­ben­den Gemein­den umfas­sen­der ange­gan­gen als in den armen Gemein­den. Im Hin­blick auf die räum­li­che Gerech­tig­keit soll­te aber das Gegen­teil der Fall sein.

Abbildung 2. Anteil der Steuerpflichtigen mit einem Reineinkommen bis 50’000 bzw. ab 75’000 CHF, 2000

Abbil­dung: Alix d’A­gosti­no, DeFac­to · Daten­quel­le: BFS

Fazit

Zusam­men­fas­send lässt sich fest­hal­ten, dass die Auf­tei­lung der Steu­er­ein­künf­te und die zwi­schen­staat­li­che Zusam­men­ar­beit zu einer Ver­rin­ge­rung räum­li­cher Dis­pa­ri­tä­ten in frag­men­tier­ten städ­ti­schen Regio­nen bei­trägt. Doch trotz der Schwei­zer Tra­di­ti­on des koope­ra­ti­ven Föde­ra­lis­mus bleibt das Ungleich­ge­wicht zwi­schen Res­sour­cen und Bedürf­nis­sen auf Gemein­de­ebe­ne gross. Die loka­le Auto­no­mie wird auch in Zukunft ein schwer zu über­wind­ba­res Hin­der­nis für räum­li­che Gerech­tig­keit sein.


Hin­weis: Die­ser Bei­trag beruht auf dem Refe­rat “Räum­li­che Gerech­tig­keit in Schwei­zer Agglo­me­ra­tio­nen: die zwei­fel­haf­te Rol­le der finan­zi­el­len Trans­fer­sys­te­me, gehal­ten von Prof. Dr. Dani­el Küb­ler an den 16. Aar­au­er Demo­kra­tieta­gen vom 15. März 2024 und dem Blog­bei­trag von Urban Affairs Review.

Refe­renz:

  • Küb­ler, D., & Rochat, P. E. (2019). Frag­men­ted Gover­nan­ce and Spa­ti­al Equi­ty in Metro­po­li­tan Are­as: The Role of Inter­go­vern­men­tal Coope­ra­ti­on and Reve­nue-Sharing. Urban Affairs Review55(5), 1247–1279. https://doi.org/10.1177/1078087417753079

Der Arti­kel wur­de von Remo Pari­si redigiert.

Bild: unsplash.com

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