Räumliche Gerechtigkeit in Agglomerationen: die (zweifelhafte) Rolle von Finanztransfers
Daniel Kübler
30th March 2024
Die Fragmentierung städtischer Ballungsräume ist eine grosse Herausforderung die Umsetzung von politischen Massnahmen. Manche Gemeinden haben strukturellbedingt finanzielle und steuertechnische Vorteile gegenüber anderen Gemeinden. Aus diesem Grund wurden Umverteilungsmassnahmen eingeführt, um die ungleichen Steuereinkünfte auszugleichen. Doch wie wirken sich solche Massnahmen auf die räumliche Gerechtigkeit in den Agglomerationen aus? Unsere Studie liefert Antworten.
Auf der ganzen Welt zeichnen sich städtische Regionen durch fragmentierte Verwaltungssysteme aus. Die städtischen Regionen haben sich in den letzten Jahrzehnten stark ausgebreitet und erstrecken sie sich mittlerweile häufig über eine Vielzahl von Gemeinden. Während in anderen Ländern Territorialreformen umgesetzt wurden, ist die institutionelle Zersplitterung der Schweizer Agglomerationen sehr hoch. Studien haben gezeigt, dass diese ungünstige Situation politische Massnahmen erschweren, die für die ganze Region vorteilhaft wären.
Die institutionelle Fragmentierung wirkt sich auch auf die räumlichen Ungleichheiten aus. Räumliche Gerechtigkeit leidet häufig unter lokal getroffenen politischen Entscheidungen, da Gemeinden und Städte teuer geglaubte Umverteilungsmassnahmen vermeiden wollen.
Der geläufigen Ansicht nach ist eine Zentralisierung der Sozialpolitik zu befürworten, um Ungleichheiten in Agglomerationen auszugleichen. Einige Forschende vertreten aber den Standpunkt, dass eine Zentralisierung gar nicht notwendig ist. Sie argumentieren, dass durch freiwillige Zusammenarbeit und Aufteilung der Steuereinnahmen zwischen den Gemeinden der Widerspruch zwischen Gerechtigkeit und lokaler Autonomie ausgeglichen werden könnte.
Bisher liegen allerdings nur wenige empirische Untersuchungen zu dieser Thematik vor. In den USA, wo die meiste Forschung dazu betrieben wird, gibt es praktisch keine Aufteilung der Steuereinkünfte zwischen Gemeinden.
Abbildung 1. Agglomerationen in der Schweiz, 2020
Abbildung: BFS · Datenquelle: BFS
Ausgleich zwischen reichen und armen Gemeinden
Unsere Studie (Küber und Rochat 2019) fokussiert auf die Schweiz, wo die Zersiedelung der Agglomerationen und die Autonomie der Gemeindebehörden ähnlich sind wie in den USA. Der Unterschied besteht allerdings darin, dass in der Finanzausgleichssysteme bestehen. Abbildung 1 zeigt die Ballungs- und Agglomerationsräume in der Schweiz.
Wir haben für unsere Analysen öffentliche Finanzdaten von 630 Schweizer Gemeinden in den wichtigsten Agglomerationen ausgewertet. Zum einen wurde die Beziehung zwischen den sozialen Bedürfnissen und den kommunalen Steuereinnahmen untersucht und zum anderen das Niveau der kommunalen Sozialausgaben.
Schweizer Gemeinden haben die Kompetenz, die Höhe der Einkommens- und Vermögenssteuer für die Einwohnerinnen und Einwohner sowie Firmen festzulegen. Im Gegensatz zu anderen Ländern fallen die kommunalen Steuern hoch aus, da sie rund zwanzig Prozent der gesamten Steuereinnahmen ausmachen.
Folglich haben die lokalen Steuersätze einen starken Einfluss auf die Wohnortwahl der Bevölkerung. Wohlhabende Steuerzahlende ziehen in Gemeinden mit niedrigen Steuersätzen. Dadurch steigen in den steuerlich attraktiven Wohngemeinden die Immobilienpreise. Dies verstärkt die soziale Segregation und wirkt sich auf die lokalen öffentlichen Finanzen aus.
Dieser Mechanismus führt dazu, dass finanziell gut gestellte Personen ihr Einkommen und Vermögen in den wohlhabenden Gemeinden versteuern, während andere Gemeinden mit deutlich geringeren Steuereinnahmen auskommen müssen.
Im Gegensatz zu den USA gibt es in der Schweiz aber umfassende Finanzausgleichssysteme, um die Steuereinnahmen auszugleichen. Es zeigt sich dabei, dass Transferzahlungen zwischen reichen und armen Gemeinden eine wichtige Rolle bei der Wiederherstellung der räumlichen Gerechtigkeit in den Schweizer Agglomerationen spielen. Allerdings kompensieren die Transferzahlungen den Finanzbedarf der ärmeren Gemeinden nicht vollständig. So werden soziale Probleme in wohlhabenden Gemeinden umfassender angegangen als in den armen Gemeinden. Im Hinblick auf die räumliche Gerechtigkeit sollte aber das Gegenteil der Fall sein.
Abbildung 2. Anteil der Steuerpflichtigen mit einem Reineinkommen bis 50’000 bzw. ab 75’000 CHF, 2000
Abbildung: Alix d’Agostino, DeFacto · Datenquelle: BFS
Fazit
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Aufteilung der Steuereinkünfte und die zwischenstaatliche Zusammenarbeit zu einer Verringerung räumlicher Disparitäten in fragmentierten städtischen Regionen beiträgt. Doch trotz der Schweizer Tradition des kooperativen Föderalismus bleibt das Ungleichgewicht zwischen Ressourcen und Bedürfnissen auf Gemeindeebene gross. Die lokale Autonomie wird auch in Zukunft ein schwer zu überwindbares Hindernis für räumliche Gerechtigkeit sein.
Hinweis: Dieser Beitrag beruht auf dem Referat “Räumliche Gerechtigkeit in Schweizer Agglomerationen: die zweifelhafte Rolle der finanziellen Transfersysteme”, gehalten von Prof. Dr. Daniel Kübler an den 16. Aarauer Demokratietagen vom 15. März 2024 und dem Blogbeitrag von Urban Affairs Review.
Referenz:
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Kübler, D., & Rochat, P. E. (2019). Fragmented Governance and Spatial Equity in Metropolitan Areas: The Role of Intergovernmental Cooperation and Revenue-Sharing. Urban Affairs Review, 55(5), 1247-1279. https://doi.org/10.1177/1078087417753079
Der Artikel wurde von Remo Parisi redigiert.
Bild: unsplash.com