Die gewissenhaften Bundesräte werden besser wiedergewählt

Eine breit ange­leg­te Ana­ly­se aller Bun­des­rats­wah­len seit 1947 zeigt, wel­che Fak­to­ren das Wie­der­wahl­er­geb­nis der Bun­des­rä­te am stärks­ten beein­flusst. Vor allem der Zeit­punkt der Wahl spielt eine gros­se Rol­le – und dies in gleich dop­pel­ter Hinsicht.

Die Mit­glie­der der Schwei­zer Lan­des­re­gie­rung kön­nen den alle vier Jah­re statt­fin­den­den Gesamt­erneue­rungs­wah­len gelas­sen ent­ge­gen­se­hen. Bis auf zwei spek­ta­ku­lä­re Aus­nah­men (Metz­ler, Blo­cher) wur­den die Magis­tra­tin­nen und Magis­tra­ten in den letz­ten Jahr­zehn­ten sicher wie­der­ge­wählt, wenn sie sich erneut zur Wahl gestellt haben.

«Sta­li­nis­ti­sche» Wie­der­wahl­er­geb­nis­se wie das­je­ni­ge von Bun­des­rat Mar­kus Feld­mann von 1955 mit einem Stim­men­an­teil von 99.4 Pro­zent, der für sei­nen Ein­satz gegen frem­de Ideo­lo­gien gerühmt wur­de, sind zwar die Aus­nah­me. Aber im lang­jäh­ri­gen Schnitt kön­nen die bis­he­ri­gen Bun­des­rä­te mit einem siche­ren Stim­men­pols­ter von mehr als 80 Pro­zent rech­nen. Den­noch steigt die Span­nung in Bern im Vor­feld der bun­des­rät­li­chen Gesamt­erneue­rungs­wah­len jeweils deut­lich an, da die Ver­ei­nig­te Bun­des­ver­samm­lung hier die Gele­gen­heit erhält, ihrer Unzu­frie­den­heit mit der Leis­tung der Regie­rungs­mit­glie­der Aus­druck zu ver­lei­hen. Dies bekam bei­spiels­wei­se Pas­cal Cou­ch­epin zu spü­ren, der bei sei­ner Wie­der­wahl im Jahr 1999 nur 55 Pro­zent der gül­ti­gen Stim­men erhielt. Das schwa­che Ergeb­nis wur­de sei­ner­zeit auf die Unzu­frie­den­heit lin­ker und grü­ner Par­la­men­ta­ri­er mit Cou­ch­epins Wirt­schafts­po­li­tik zurück­ge­führt. Die Anzahl erhal­te­ner Stim­men sagt also eini­ges über die Bewer­tung der Regie­rungs­spit­ze und ihrer Per­form­anz durch das Par­la­ment aus.

Unterschiede im Laufe der letzten Jahrzehnte

Las­sen sich bei der Betrach­tung der Wie­der­wah­len seit 1947 bestimm­te Fak­to­ren aus­ma­chen, die einen Ein­fluss dar­auf haben, mit wel­chen Ergeb­nis­sen die Bun­des­rä­te in ihrem Amt bestä­tigt wer­den? Tat­säch­lich ist dies der Fall.

Zum einen sehen wir beträcht­li­che Ver­än­de­run­gen der Wahl­er­geb­nis­se im Ver­lau­fe der Zeit. Bis Ende der 1960er Jah­re wur­den die Magis­tra­ten alle­samt mit Glanz­er­geb­nis­sen von min­des­tens 85 Pro­zent der gül­ti­gen Stim­men wie­der­ge­wählt. Danach sinkt das all­ge­mei­ne Niveau der Ergeb­nis­se schritt­wei­se und erreicht bei den Gesamt­erneue­rungs­wah­len der 1990er Jah­re sei­nen Tiefpunkt.

Im Schnitt erhiel­ten die Bun­des­rä­te und Bun­des­rä­tin­nen damals nur noch 70 Pro­zent der gül­ti­gen Stim­men und auch die Bes­ten konn­ten nicht mehr an das Niveau des Zeit­raums zwi­schen 1947 und 1969 anknüp­fen. Die poli­ti­schen Ver­än­de­run­gen, die in den 1990er Jah­ren mit einer ver­stärk­ten par­tei­po­li­ti­schen Pola­ri­sie­rung, einem raue­ren poli­ti­schen Kli­ma und der Schwä­chung der Kon­kor­danz ein­her­gin­gen, fan­den also auch in den Wie­der­wahl­er­geb­nis­sen der Bun­des­rä­te ihren Wider­hall. Das 21. Jahr­hun­dert brach­te dann wie­der ein merk­lich höhe­res Niveau der Wie­der­wahl­er­geb­nis­se, das in etwa mit jenem der 1980er Jah­re ver­gleich­bar ist (vgl. Abbil­dung 1).

Abbildung 1: Durchschnittliche Stimmenanteile bei Gesamterneuerungswahlen des Bundesrats, 1947–2023

Abbil­dung: Alix d’Agostino, DeFac­to • Daten­quel­le: Puran (2023)

Starker Einfluss der Spielregeln

Dane­ben üben die Spiel­re­geln des Wahl­pro­ze­de­res einen star­ken Ein­fluss auf die Resul­ta­te aus. Bekannt­lich wer­den die Bun­des­rä­te je ein­zeln und in der Rang­fol­ge ihres Amts­al­ters wie­der­ge­wählt. Gemäss dem Anci­en­ni­täts­prin­zip beginnt die Wie­der­wahl mit dem amts­äl­tes­ten Mit­glied der Lan­des­re­gie­rung. Dies wirkt bei den ers­ten Wahl­gän­gen ins­be­son­de­re auf jene Par­tei­en dis­zi­pli­nie­rend, deren Amts­in­ha­ber spä­ter zur Wahl ste­hen. Ent­spre­chend kön­nen amts­er­fah­re­ne Magis­tra­ten, die sich als ers­tes der Wie­der­wahl stel­len, im Schnitt mit 90 Pro­zent der gül­ti­gen Stim­men rech­nen. Dabei sticht im 20. Jahr­hun­dert eine Kom­bi­na­ti­on von sehr lan­ger Amts­zeit und her­vor­ra­gen­den Wie­der­wahl­er­geb­nis­sen ins Auge, wie etwa bei Phil­ipp Etter, dem sei­ne aus­ser­or­dent­lich lan­ge Amts­zeit den Über­na­men „L’é­ter­nel“ ein­trug (13 Jah­re und 91% Zustim­mung in der Bun­des­ver­samm­lung, 17 Jah­re und 95%, 21 Jah­re und 90%).

Wei­te­re Bei­spie­le sind die lang­jäh­ri­gen und belieb­ten Bun­des­rä­te Max Petit­pierre (14 Jah­re und 96%) und Hans-Peter Tschu­di (11 Jah­re und 96%). Bei neu­en Amts­in­ha­bern, die erst an sechs­ter oder sieb­ter Stel­le der Rang­fol­ge ste­hen, sind es hin­ge­gen im Schnitt gan­ze zehn Pro­zent­punk­te weni­ger. Dar­über hin­aus pro­fi­tie­ren Bun­des­rä­te, wenn ihre Frak­ti­on in der Bun­des­ver­samm­lung stark ver­tre­ten ist. Je grös­ser deren Sitz­an­teil, des­to mehr Stim­men ent­fal­len auf die jewei­li­gen Wie­der­an­tre­ten­den. Hin­ge­gen sind vie­le ande­re Fak­to­ren wie etwa die Medi­en­prä­senz der Bun­des­rä­te, ihre Depar­te­ments­zu­ge­hö­rig­keit, das Geschlecht, die Spra­che oder die Erfah­rung in der Bun­des­po­li­tik kaum rele­vant für das Resul­tat bei der Amtsbestätigung.

Einfluss von Persönlichkeitsmerkmalen?

Wel­che Rol­le spie­len die Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten der Bun­des­rä­te? Lässt sich bei­spiels­wei­se der Befund aus ver­schie­de­nen inter­na­tio­na­len Stu­di­en, wonach extra­ver­tier­te Per­sön­lich­kei­ten bes­se­re Aus­sich­ten auf Exe­ku­tiv­äm­ter haben, auf die Wie­der­wah­len der Schwei­zer Lan­des­re­gie­rung übertragen?

Die Daten für den Zeit­raum ab 1960 deu­ten nicht dar­auf hin. Das Aus­mass der Extra­ver­si­on hat kei­nen Ein­fluss auf das Ergeb­nis der Wie­der­wah­len. Das­sel­be gilt für die Per­sön­lich­keits­merk­ma­le der Offen­heit für Neu­es und der emo­tio­na­len Sta­bi­li­tät. Dage­gen zeigt sich eine kla­re Ten­denz, wonach beson­ders gewis­sen­haf­te Amts­in­ha­ber wie etwa Kurt Furg­ler mit etwas bes­se­ren Ergeb­nis­sen wie­der­ge­wählt wer­den. Die­ses Resul­tat ist einer­seits über­ra­schend, weil die Mit­glie­der der Lan­des­re­gie­rung im Ver­gleich zur Bevöl­ke­rung bereits eine weit über­durch­schnitt­li­che Gewis­sen­haf­tig­keit auf­wei­sen, qua­si als Schwei­zer Mus­ter­bür­ger gel­ten. Inso­fern könn­te man erwar­ten, dass die­ses Merk­mal auf­grund sei­ner hohen Aus­prä­gung für die Wie­der­wah­len kei­ne Rol­le spielt. Ande­rer­seits unter­streicht der Befund, dass die Wie­der­wah­len nicht nur eine rei­ne Rou­ti­ne­be­stä­ti­gung sind, son­dern tat­säch­lich eine Bewer­tungs­kom­po­nen­te ent­hal­ten und damit die Bun­des­ver­samm­lung die Arbeit von beson­ders pflicht­be­wuss­ten und leis­tungs­be­rei­ten Mit­glie­dern der Exe­ku­ti­ve honorieren.


Hin­weis: Die­ser Bei­trag beruht auf der Mas­ter­ar­beit von Tan­ja Puran, der Daten­er­he­bung zu den Per­sön­lich­keits­merk­ma­len aus dem Buch «Der Bun­des­rat» (NZZ Libro, 2020) von Adri­an Vat­ter sowie den empi­ri­schen Aus­wer­tun­gen von Mar­ti­na Flick Witzig.

Refe­ren­zen:

  • Bacher, Han­su­e­li und Jean-Chris­ti­an Lam­belet. 2003. «La réélec­tion des Con­seil­lers fédé­raux: Sanc­tions cib­lées ou résul­tats pré­dé­ter­mi­nés? Une ana­ly­se éco­nomé­tri­que des réélec­tions au Con­seil fédé­ral.» Schwei­ze­ri­sche Zeit­schrift für Sta­tis­tik und Volks­wirt­schaft 139:4: 421–459.
  • Lutz, Georg. 2019. «Bun­des­rats­wah­len: Dank Wahl­sys­tem herrscht Sta­bi­li­tät.» https://www.defacto.expert/2019/12/09/bundesratswahlen-wahlsystem-stabilitaet/
  • Puran, Tan­ja. 2023. «Die Ana­ly­se der Erfolgs­fak­to­ren für die Wie­der­wahl in den Bun­des­rat» Mas­ter­ar­beit, Uni­ver­si­tät Bern.
  • Vat­ter, Adri­an. 2020. «Der Bun­des­rat: Die Schwei­zer Regie­rung» Basel: NZZ Libro.

Der Arti­kel wur­de von Remo Pari­si bearbeitet.

Bild: Schwei­ze­ri­sche Bundeskanzlei

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