Am 26. November 2023 haben die Ausserrhoder Stimmberechtigten über eine grundlegende Reform ihrer Gemeindestrukturen abgestimmt. Der folgende Beitrag zeigt, dass der Steuerfuss einer Gemeinde beim Abstimmungsentscheid eine Rolle gespielt haben könnte: es waren besonders die Stimmberechtigten in reicheren Gemeinden, welche die Grossfusion ablehnten.
Bei der Abstimmungen über die Gemeindestrukturen im Kanton Appenzell Ausserrhoden standen zwei Vorlagen zur Debatte:
- Ein Gegenvorschlag des Regierungsrats zur Volksinitiative «Starke Ausserrhoder Gemeinden», der stark dem Glarner Modell ähnelt, und die Reduktion der Gemeindezahl von heute 20 auf drei bis fünf vorsah. Das Spezielle an diesem Gegenvorschlag ist, dass er viel weitergeht als die Forderung der Volksinitiative, die Fusionen lediglich erleichtern wollte – indem die Gemeindenamen aus der Kantonsverfassung gestrichen werden und indem finanzielle Anreize für Fusionen bereitgestellt werden.
- Eine Eventualvorlage des Kantonsrates, die abgesehen von kleinen Anpassungen, deckungsgleich ist mit der Volksinitiative. Letztere wurde dann auch zurückgezogen.
Dass bezüglich den Ausserrhoder Gemeindestrukturen ein gewisser Handlungsbedarf besteht, war im Vorfeld der Abstimmung unbestritten. Die Geister schieden sich jedoch bezüglich der Frage, ob eine Reform «von oben herab» durch den Kanton angegangen werden soll, wie es der Gegenvorschlag des Regierungsrates vorsah, oder ob die Fusionsentscheide den einzelnen Gemeinden überlassen werden sollen, was der Forderung der Volksinitiative und des Eventualvorschlags entspricht.
Der Gegenvorschlag des Ausserrhoder Regierungsrates hatte an der Urne keine Chance. Nur 41.5% der Stimmberechtigten nahmen den Vorschlag an, der in gerade einmal vier von zwanzig Gemeinden eine Mehrheit fand. Die Ausserrhoder:innen haben sich aber Fusionen nicht grundsätzlich abgeneigt gezeigt: Die Eventualvorlage wurde mit 65% der Stimmen und in 18 von 20 Gemeinden angenommen.[1] Die Ausserrhoder:innen sind also durchaus offen für Fusionen – aber eine Mehrheit von ihnen will selbst entscheiden, ob und mit wem ihre Gemeinde fusionieren soll.
Ein genauerer Blick auf die Zustimmung zu den beiden Vorlagen in den einzelnen Gemeinden erlaubt es gewisse Rückschlüsse auf mögliche Motive der Stimmberechtigten zu ziehen. Ein erstes spannendes Ergebnis ist, dass es einen starken negativen Zusammenhang zwischen dem Ja-Stimmen-Anteil des Gegenvorschlags und dem Ja-Stimmen-Anteil der Eventualvorlage gibt (Abbildung 1). Gemeinden, die dem Gegenvorschlag kritisch gegenüberstanden, haben die Eventualvorlage stärker befürwortet, als Gemeinden, die offener waren für den Gegenvorschlag.
Dies deutet darauf hin, dass die Eventualvorlage nicht einfach als abgeschwächte Form des Regierungsvorschlags betrachtet wurde, sondern als alternativer Weg zum gleichen Ziel. Zudem unterstreicht dieses Ergebnis die Einigkeit darüber, dass die Gemeindestrukturen reformbedürftig sind. Hingegen herrscht Uneinigkeit über das richtige Mittel mit dem dieses Ziel erreicht werden kann – eine flächendeckende Reform «von oben» oder das Anschieben einer schrittweisen Reform «von unten» durch die Schaffung Anreizen.
Welche Gemeinden haben eher dem Gegenvorschlag beziehungsweise der Eventualvorlage zugestimmt? Bestehende Forschung hat gezeigt, dass dem Steuerfuss einer Gemeinde eine wichtige Rolle zukommt für die Annahme oder Ablehnung einer Gemeindefusion an der Urne. Stimmberechtigte in Gemeinden, die damit rechnen müssen, dass sich ihr Steuerfuss mittel- oder langfristig erhöht, stehen einer Fusion skeptischer gegenüber als Stimmberechtigte, die einer Steuersenkung entgegensehen.
Abbildung 1. Zustimmung zum Gegenvorschlag und zur Eventualvorlage
Hinweis: Korrelationskoeffizient = –0.73*** • Abbildung: Alix d’Agostino, DeFacto • Datenquelle: Kantonskanzlei AR
Der Gegenvorschlag der Regierung sah den Zusammenschluss der 20 Ausserhoder Gemeinden zu 3-5 Gemeinden vor. Ein Vorschlag, der dabei von Anfang an diskutiert wurde, war der Zusammenschluss der Gemeinden entlang der Bezirksgrenzen zu den Gemeinden Vorderland, Mittelland, und Hinterland, mit dem Kantonshauptort Herisau als vierter, eigenständiger, Gemeinde.
Abbildung 2 nimmt dieses Fusionsszenario als Grundlage, um zu analysieren, ob der Steuerfussunterschied zum möglichen Steuerfuss der hypothetischen neuen Gemeinde[2] mit der Unterstützung für den Gegenvorschlag zusammenhängt. Es zeigt sich, dass ein relativ deutlicher Zusammenhang besteht. Je tiefer der Steuerfuss einer Gemeinde im Vergleich zum Durchschnitt der wahrscheinlichen Fusionspartnerinnen, desto geringer die Zustimmung zum Gegenvorschlag des Regierungsrates. Dies lässt sich am Beispiel der Gemeinden des Bezirks Mittelland illustrieren. Im Vierer-Szenario hätten sich wohl die Gemeinden Bühler, Gais, Speicher, Teufen und Trogen zusammengeschlossen. Während Trogen mit seinem vergleichsweise hohen Steuerfuss den Gegenvorschlag klar befürwortete, war der Entscheid in Bühler und Speicher verhältnismässig knapp, in Gais und besonders im sehr steuergünstigen Teufen war die Ablehnung hingegen sehr deutlich.
Abbildung 2. Zusammenhang zwischen der Zustimmung zum Gegenvorschlag und dem Steuerfussunterschied zum Durchschnitt einer hypothetischen Fusionskoalition (Szenario mit 4 Gemeinden)
Hinweis: Korrelationskoeffizient = 0.69*** • Abbildung: Alix d’Agostino, DeFacto • Datenquelle: Kantonskanzlei AR; Gemeindefinanzstatistik 2021 AR
Bestätigt sich dieses Bild auch für die Eventualvorlage? Interessanterweise zeigt Abbildung 3, dass die Zustimmung zur Eventualvorlage in einem moderat negativen Zusammenhang mit dem Steuerfuss einer Gemeinde steht. Steuergünstige Gemeinden haben der Fusionsförderung durch den Kanton also eher zugestimmt als Gemeinden mit hoher Steuerbelastung.
Dieses Ergebnis lässt zwei Schlüsse zu. Mit Blick auf die steuergünstigen Gemeinden lässt sich sagen, dass diese nicht grundsätzlich gegen Fusionen sind – solange der Fusionsentscheid jeder Gemeinde selbst überlassen wird. Für einen solchen Ansatz «von unten» sind die Stimmberechtigten in reicheren Gemeinden auch bereit, Steuergelder aufzuwenden: bei der Eventualvorlage sind finanzielle Anreize ein zentrales Instrument zur Förderung von Gemeindezusammenschlüssen und diese kantonale Unterstützung tragen alle Steuerzahlenden mit.
Die verhältnismässig geringe Zustimmung der Gemeinden mit hohem Steuerfuss mag daher rühren, dass eine Fusion mit einer reicheren Gemeinde – die ihre eigene Gemeinde finanziell besserstellen könnte – mit der Eventualvorlage wahrscheinlich in weite Ferne rückt. Eine Gemeinde «Mittelland», die beispielsweise für die Gemeinde Trogen attraktiv gewesen wäre, wird es wohl in absehbarer Zeit nicht geben. Für ärmere Gemeinden wird es mit der Eventualvorlage daher schwieriger geeignete Fusionspartnerinnen zu finden.
Abbildung 3: Zusammenhang zwischen der Zustimmung zur Eventualvorlage und dem Steuerfuss einer Gemeinde
Hinweis: Korrelationskoeffizient = –0.57* • Abbildung: Alix d’Agostino, DeFacto • Datenquelle: Kantonskanzlei AR; Gemeindefinanzstatistik 2021 AR
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die flächendeckende Gemeindereform des Kanton Glarus im Kanton Appenzell Ausserrhoden keinen Nachahmer findet. Die Ausserrhoder:innen haben sich am vergangenen Sonntag dennoch klar zur Reform ihrer Gemeindestrukturen bekannt. Es scheint unbestritten, dass Handlungsbedarf besteht und dass Fusionen — als ein mögliches Mittel die Herausforderungen anzugehen – ermöglicht werden sollen. Ebenso klar ist, dass die Ausserrhoder:innen selbst entscheiden wollen, ob und mit wem ihre Gemeinde fusionieren soll oder nicht. Dies scheint besonders für die Stimmberechtigten in eher steuergünstigen Gemeinden wichtig zu sein. Das Portemonnaie hat am vergangenen Sonntag wohl zumindest bei einigen mitentschieden.
[1] In der Gemeinde Reute gab es exakt 109 Ja- und 109 Nein-Stimmen.
[2] Dieser Steuerfuss wurde berechnet als der nach Bevölkerungsgrösse gewichtete Durchschnitt aller einer hypothetischen Gemeinde zugehörigen heutigen Gemeinden.
Der Artikel wurde von Sarah Bütikofer bearbeitet.
Bild: Kanton Appenzell Ausserrhoden