Frau Tresch, wie wird eine Partei zur Wahlsiegerin?

Wel­che The­men umtrei­ben die Wäh­len­den in die­sem Wahl­jahr beson­ders stark? Und wie sehr beein­flus­sen die­se The­men letzt­end­lich das Wahl­ver­hal­ten von Wäh­le­rin­nen und Wäh­lern? Anke Tresch, die Lei­te­rin der Schwei­zer Wahl­stu­die Selects und Pro­fes­so­rin an der Uni­ver­si­tät Lau­sanne, ord­net ein.

Frau Tresch, wel­chen The­men umtrei­ben die Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler in die­sem Wahl­jahr besonders?

Anke Tresch: Laut Umfra­gen domi­nie­ren zur­zeit drei The­men: die stei­gen­den Gesund­heits­kos­ten, der Kli­ma­wan­del sowie die Zuwan­de­rung. Das sind Sor­gen, wel­che die Bevöl­ke­rung in allen Lan­des­tei­len umtrei­ben. Aber auch die sozia­le Sicher­heit, allen vor­an die Siche­rung der Ren­ten, und die Ener­gie­ver­sor­gung beschäf­ti­gen vie­le Men­schen. Damit ste­hen mit den Kran­ken­kas­sen­prä­mi­en und der Alters­vor­sor­ge einer­seits lang­jäh­ri­ge poli­ti­sche Gross­bau­stel­len der Schwei­zer Poli­tik im Fokus, ande­rer­seits mit Migra­ti­on und Kli­ma­wan­del glo­ba­le The­men, die von äus­se­ren Umstän­den abhän­gen. Die­se äus­se­ren Umstän­de kön­nen die Par­tei­en in der Schweiz kaum beein­flus­sen. Ein­zel­ne Par­tei­en pro­fi­tie­ren aber von ihnen, da sie ihnen in die Hän­de spie­len und ihnen Gele­gen­heit bie­ten, ihre bevor­zug­ten The­men ein­fa­cher zu bewirtschaften.

Gibt es bemer­kens­wer­te Ver­än­de­run­gen zu vor vier Jahren?

Die Zuwan­de­rung hat als Fol­ge des Kriegs in der Ukrai­ne und dem Fach­kräf­te­man­gel an Ein­fluss gewon­nen. Vor den Wah­len 2019 war die Migra­ti­on hin­ge­gen kaum ein The­ma. Dem­ge­gen­über hält sich die Sor­ge um das Kli­ma auch vor die­sen Wah­len in den Top­the­men. Aller­dings hat sich der Kon­text ver­än­dert. Vor vier Jah­ren kam die Sor­ge um das Kli­ma unter dem Ein­fluss von Gre­ta Thun­berg und der Fri­days for Future Bewe­gung nicht nur in der Schweiz wäh­rend Mona­ten durch Kli­ma­st­reiks und Stras­sen­mo­bi­li­sie­run­gen zum Aus­druck. Die­se brei­te Mobi­li­sie­rung fehlt nun. Statt­des­sen sor­gen die Pro­tes­te von Kli­ma­ak­ti­vis­ten zuwei­len für nega­ti­ve Schlag­zei­len (Stich­wort „Kli­mak­le­ber“).

Inwie­weit beein­flus­sen die­se The­men die Wahl­ent­schei­dung der Wählenden?

Sach­the­men beein­flus­sen die Wäh­len­den in zwei­er­lei Hin­sicht. Zunächst ist der The­men­kon­text für die Mobi­li­sie­rung wich­tig, also die Ent­schei­dung, über­haupt an den Wah­len teil­zu­neh­men. Von Abstim­mun­gen ken­nen wir die­sen Effekt sehr gut: wer eine Abstim­mungs­vor­la­ge als beson­ders wich­tig erach­tet, geht eher an die Urne als jemand, dem das The­ma gleich­gül­tig ist. Bei Wah­len ist es ähn­lich: wenn man sieht, dass vie­le Men­schen um einen her­um die eige­nen Sor­gen tei­len, dann fühlt man sich bestä­tigt und wird zuver­sicht­lich, dass man etwas bewe­gen kann. Wer hin­ge­gen fest­stellt, dass die eige­nen Prio­ri­tä­ten von der Gesell­schaft nicht geteilt wer­den, fühlt sich sozi­al iso­liert und bleibt den Wah­len eher fern. Das hat die SVP bei den Wah­len 2019 erfah­ren: ihre Kern­the­men Migra­ti­on und Asyl waren kaum im öffent­li­chen Bewusst­sein, sodass die SVP von allen gros­sen Par­tei­en die meis­te Mühe bekun­de­te, ihre Basis zur Wahl­teil­nah­me zu bewegen.

Dar­über hin­aus sind Sach­the­men aber auch für den Wahl­ent­scheid wich­tig: man gibt der Par­tei den Vor­zug, die man mit dem The­ma asso­zi­iert und als kom­pe­tent erach­tet. D.h. die Par­tei, von der man erwar­tet, dass sie sich am stärks­ten um das The­ma küm­mert, es auf die poli­ti­sche Agen­da setzt, an ihm dran­bleibt und Lösungs­vor­schlä­ge ein­bringt, die im Ein­klang mit den per­sön­li­chen Prä­fe­ren­zen stehen.

Wel­che Par­tei pro­fi­tiert nun bei den anste­hen­den Wah­len am meis­ten von den dis­ku­tier­ten Themen?

Die Fra­ge der Zuwan­de­rung dürf­te vor allem der SVP nüt­zen, die das The­ma schon lan­ge – auch mit­tels Volks­in­itia­ti­ven – erfolg­reich bewirt­schaf­tet und auch im der­zei­ti­gen Wahl­kampf unter ver­schie­de­nen Aspek­ten (10 Mil­lio­nen Schweiz, Sicher­heit) in den Mit­tel­punkt ihrer Kam­pa­gne rückt.

Anke Tresch

Anke Tresch ist Pro­fes­so­rin für Poli­tik­wis­sen­schaft an der Uni­ver­si­tät Lau­sanne. Sie lei­tet seit 2017 die Grup­pe “Poli­ti­sche Umfra­gen” am FORS und ist in die­ser Funk­ti­on für die Schwei­zer Wahl­stu­die Selects verantwortlich.

https://forscenter.ch/staff/anke-tresch/

 

Bild: Unsplash

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