Digitales politisches Engagement: Stimmberechtigte gestalten einen smartvote-Fragebogen auf der Online-Plattform «Demokratiefabrik»

Oft wer­den die nega­ti­ven Aspek­te der Digi­ta­li­sie­rung in der gesell­schaft­li­chen und poli­ti­schen Debat­te her­vor­ge­ho­ben. In einer neu­en Stu­die zei­gen wir jedoch, dass eine digi­ta­le poli­ti­sche Betei­li­gung mög­lich ist und von den Bür­ge­rin­nen und Bür­gern auch geschätzt wird. Stimm­be­rech­tig­te aus der Gemein­de Köniz erar­bei­te­ten im Som­mer 2021 gemein­sam einen smart­vo­te-Fra­ge­bo­gen auf einer eigens dafür ent­wi­ckel­ten Online-Platt­form, der «Demo­kra­tie­fa­brik». Wer nahm teil und wie enga­gier­ten sich die teil­neh­men­den Bür­ge­rin­nen und Bürger?

Die Demokratiefabrik – ein Ort für digitale politische Beteiligung

Sie kön­nen sich die Demo­kra­tie­fa­brik als eine Art digi­ta­le Ago­ra vor­stel­len: Dort konn­ten stimm­be­rech­tig­te Köni­ze­rin­nen und Köni­zer im Vor­feld der Gemein­de­wah­len vom 26. Sep­tem­ber 2021 über Poli­tik dis­ku­tie­ren und selb­stän­dig ent­schei­den, wel­che The­men und Fra­gen in den smart­vo­te-Fra­ge­bo­gen für die nächs­ten kom­mu­na­len Wah­len auf­ge­nom­men werden.

Abbildung 1: Aussehen der Demokratiefabrik

Die Demo­kra­tie­fa­brik wur­de vom For­schungs­team des Insti­tuts für Poli­tik­wis­sen­schaft der Uni­ver­si­tät Bern sel­ber kon­zi­piert und pro­gram­miert. Im Rah­men die­ser Fall­stu­die erhiel­ten 9’000 aus dem Stimm- und Wahl­re­gis­ter zufäl­lig aus­ge­wähl­te Bür­ge­rin­nen und Bür­ger die Mög­lich­keit, an der Demo­kra­tie­fa­brik mit­zu­wir­ken. Kon­kret konn­ten die aus­ge­wähl­ten Köni­ze­rin­nen und Köni­zer poli­ti­schen The­men bewer­ten, eige­ne Fra­gen für den Fra­gen­ka­ta­log vor­schla­gen, Fra­gen von ande­ren Teil­neh­men­den bewer­ten sowie bestehen­de Fra­gen begut­ach­ten und Ver­bes­se­rungs­vor­schlä­ge ein­rei­chen. Die von den Teil­neh­men­den am bes­ten bewer­te­ten Fra­gen schaff­ten es schliess­lich in die End­ver­si­on des smartvote-Fragebogens.

Info­box: Köni­zer smart­vo­te-Fra­ge­bo­gen und Demokratiefabrik
Die vom Ver­ein Poli­tools ent­wi­ckel­te und betrie­be­ne Online-Wahl­hil­fe smart­vo­te erlaubt es inter­es­sier­ten Per­so­nen, ihre poli­ti­schen Ein­stel­lun­gen mit den­je­ni­gen der Kan­di­die­ren­den zu ver­glei­chen. Nor­ma­ler­wei­se wer­den die smart­vo­te-Fra­ge­bö­gen von Poli­tools ent­wi­ckelt, wobei sich die Mit­ar­bei­ten­den auf Inputs von Par­tei­en und Medi­en­part­nern stüt­zen. In Köniz wur­den für ein­mal die Stimm­be­rech­tig­ten ermäch­tigt, den Fra­ge­bo­gen wei­test­ge­hend selb­stän­dig zu erar­bei­ten. Bis zum Schluss kon­kur­rier­ten bei­na­he 140 Fra­ge­vor­schlä­ge um einen Platz im Fra­ge­bo­gen. Die von den Demo­kra­tie­fa­brik-Teil­neh­men­den am bes­ten bewer­te­ten 52 (Delu­xe Ver­si­on) respek­tie 35 Fra­gen (Rapid Ver­si­on) schaff­ten es schliess­lich in die Endversion.

Die Demo­kra­tie­fa­brik wur­de vom For­schungs­team des Insti­tuts für Poli­tik­wis­sen­schaft der Uni­ver­si­tät Bern sel­ber kon­zi­piert und pro­gram­miert. Die Online-Platt­form ent­stand im Rah­men eines Pro­jek­tes des Natio­na­len For­schungs­pro­gramms 77 «Digi­ta­le Trans­for­ma­ti­on» (SNF-Nr. 187496). Im Unter­schied zu sozia­len Medi­en bedient sich die Demo­kra­tie­fa­brik diver­ser Mecha­nis­men, die dar­auf abzie­len, den Aus­tausch zwi­schen unter­schied­li­chen Posi­tio­nen zu för­dern und eine mög­lichst breit abge­stütz­te Betei­li­gung zu erzie­len – ins­be­son­de­re der Mecha­nis­mus der Zufalls­aus­wahl kommt auf der Online-Platt­form mehr­fach zum Zug.

Wer hat in der Demokratiefabrik teilgenommen?

Von den zufäl­lig aus­ge­wähl­ten und ein­ge­la­de­nen 9’000 wahl­be­rech­tig­ten Per­so­nen waren 1’079 innert drei Wochen min­des­tens ein­mal auf der Demo­kra­tie­fa­brik aktiv. Es haben sich annä­hernd so vie­le Frau­en wie Män­ner betei­ligt. Des Wei­te­ren hat das neue digi­ta­le poli­ti­sche Betei­li­gungs­for­mat auch die älte­re Bevöl­ke­rung erreicht: Mit Aus­nah­me von Per­so­nen über 75 Jah­ren waren alle Alters­grup­pen gut ver­tre­ten. In Bezug auf die Orts­tei­le waren die Teil­neh­men­den aus den länd­li­chen Tei­len der Gemein­de unterrepräsentiert.

Abbildung 2: Altersverteilung der Teilnehmenden der Demokratiefabrik

Wei­ter wur­de eine rela­tiv star­ke links-grü­ne Domi­nanz unter den Teil­neh­men­den beob­ach­tet: 45.1% ord­ne­ten sich dem lin­ken Spek­trum zu, wäh­rend sich 44.1% in der Mit­te und 10.7% rechts ein­ord­ne­ten. Wei­ter zeig­ten die Teil­neh­men­den hohes poli­ti­sches Inter­es­se (94.8% waren ent­we­der sehr inter­es­siert oder eher inter­es­siert an natio­na­ler Poli­tik) und hohes poli­ti­sches Ver­trau­en (nur 11% gab an, dass sie dem Bun­des­rat nicht vertrauen).

Wie haben sich die Könizerinnen und Könizer engagiert?

Wenn wir Teil­neh­men­den, die Bei­trä­ge ver­fasst haben, mit eher pas­si­ven Teil­neh­men­den, die weder Fra­gen begut­ach­tet noch sel­ber Bei­trä­ge ver­fasst haben, ver­glei­chen, zeigt sich, dass die Ers­ten sich poli­tisch kom­pe­ten­ter fühl­ten, häu­fi­ger in Ver­ei­nen enga­giert waren und sel­te­ner einer Voll­zeit­tä­tig­keit nach­gin­gen. Zudem zeig­ten die Teil­neh­men­den, die Bei­trä­ge ver­fasst haben, ein gerin­ge­res poli­ti­sches Ver­trau­en als die rest­li­chen Teil­neh­men­den. Die­ses Ergeb­nis deu­tet dar­auf hin, dass digi­ta­les poli­ti­sches Enga­ge­ment eine Alter­na­ti­ve für ent­täusch­te Bür­ge­rin­nen und Bür­ger sein kann. Letzt­lich waren Teil­neh­men­de, die Bei­trä­ge geschrie­ben haben, etwas gebil­de­ter als Teil­neh­men­de, die nur Fra­gen begut­ach­tet haben. Wäh­rend wir bei der Fra­ge der Teil­nah­me eini­ge mar­kan­te­re Unter­schie­de beob­ach­ten konn­ten (sie­he vor­he­ri­ger Abschnitt), zeig­ten sich hin­ge­gen ins­ge­samt rela­tiv weni­ge Unter­schie­de zwi­schen den Teil­neh­men­den in Bezug auf deren Akti­vi­tät. Eben­falls fan­den wir kaum Unter­schie­de in der Qua­li­tät der Bei­trä­ge ver­schie­de­ner Per­so­nen. So waren etwa poli­tisch inter­es­sier­te Teil­neh­men­de zwar auf der Demo­kra­tie­fa­brik über­ver­tre­ten, sie domi­nier­ten hin­ge­gen nicht den Pro­zess zur Ent­ste­hung des Fragebogens.

Fazit

Zusam­men­fas­send lässt sich fest­hal­ten, dass die Demo­kra­tie­fa­brik eine sinn­vol­le Ergän­zung zur ana­lo­gen poli­ti­schen Betei­li­gung in Form von Abstim­mun­gen und Wah­len dar­stel­len kann. Dafür spre­chen ins­be­son­de­re, dass das Pro­jekt in der Bevöl­ke­rung auf gros­ses Inter­es­se gestos­sen ist und dass sich gera­de auch Per­so­nen mit wenig poli­ti­schem Ver­trau­en aktiv betei­ligt haben. Die Teil­neh­men­den zeig­ten sich zudem sehr zufrie­den mit die­ser neu­en Form des digi­ta­len poli­ti­schen Enga­ge­ments, was viel­ver­spre­chend für zukünf­ti­ge Durch­füh­run­gen ist.

NFP 77 – Digi­ta­le Transformation
Im Natio­na­len For­schungs­pro­gramm (NFP 77) for­schen Wissenschaftler:innen in 46 For­schungs­pro­jek­ten zum The­ma „Digi­ta­le Trans­for­ma­ti­on“. Das Haupt­ziel des NFP 77 Pro­gramms ist die Erar­bei­tung von Wis­sen über Chan­cen, Risi­ken, Her­aus­for­de­run­gen und Lösun­gen der Digi­ta­li­sie­rung für die Schweiz.

Refe­ren­zen:

  • Gia­no­la, Gia­da, Domi­nik Wyss, André Bäch­ti­ger und Mar­lè­ne Ger­ber (2023). Empowe­ring local citi­zens: asses­sing the inclu­si­ve­ness of a digi­tal demo­cra­tic inno­va­ti­on for co-crea­ting a Voting Advice App­li­ca­ti­on. Local Government Stu­dies, online first: doi: 10.1080/03003930.2023.2185228.
  • Gia­da Gia­no­la, Mar­lè­ne Ger­ber und Domi­nik Wyss. 2021. Ergeb­nis­be­richt zur Köni­zer Demo­kra­tie­fa­brik 2021. Bern: Insti­tut für Poli­tik­wis­sen­schaft der Uni­ver­si­tät Bern.

Bild: unsplash.com

image_pdfimage_print