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Digitales politisches Engagement: Stimmberechtigte gestalten einen smartvote-Fragebogen auf der Online-Plattform «Demokratiefabrik»

Giada Gianola, Marlène Gerber, Dominik Wyss
6th Juni 2023

Oft werden die negativen Aspekte der Digitalisierung in der gesellschaftlichen und politischen Debatte hervorgehoben. In einer neuen Studie zeigen wir jedoch, dass eine digitale politische Beteiligung möglich ist und von den Bürgerinnen und Bürgern auch geschätzt wird. Stimmberechtigte aus der Gemeinde Köniz erarbeiteten im Sommer 2021 gemeinsam einen smartvote-Fragebogen auf einer eigens dafür entwickelten Online-Plattform, der «Demokratiefabrik». Wer nahm teil und wie engagierten sich die teilnehmenden Bürgerinnen und Bürger?

Die Demokratiefabrik – ein Ort für digitale politische Beteiligung

Sie können sich die Demokratiefabrik als eine Art digitale Agora vorstellen: Dort konnten stimmberechtigte Könizerinnen und Könizer im Vorfeld der Gemeindewahlen vom 26. September 2021 über Politik diskutieren und selbständig entscheiden, welche Themen und Fragen in den smartvote-Fragebogen für die nächsten kommunalen Wahlen aufgenommen werden.

Abbildung 1: Aussehen der Demokratiefabrik

Die Demokratiefabrik wurde vom Forschungsteam des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Bern selber konzipiert und programmiert. Im Rahmen dieser Fallstudie erhielten 9'000 aus dem Stimm- und Wahlregister zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, an der Demokratiefabrik mitzuwirken. Konkret konnten die ausgewählten Könizerinnen und Könizer politischen Themen bewerten, eigene Fragen für den Fragenkatalog vorschlagen, Fragen von anderen Teilnehmenden bewerten sowie bestehende Fragen begutachten und Verbesserungsvorschläge einreichen. Die von den Teilnehmenden am besten bewerteten Fragen schafften es schliesslich in die Endversion des smartvote-Fragebogens.

Infobox: Könizer smartvote-Fragebogen und Demokratiefabrik
Die vom Verein Politools entwickelte und betriebene Online-Wahlhilfe smartvote erlaubt es interessierten Personen, ihre politischen Einstellungen mit denjenigen der Kandidierenden zu vergleichen. Normalerweise werden die smartvote-Fragebögen von Politools entwickelt, wobei sich die Mitarbeitenden auf Inputs von Parteien und Medienpartnern stützen. In Köniz wurden für einmal die Stimmberechtigten ermächtigt, den Fragebogen weitestgehend selbständig zu erarbeiten. Bis zum Schluss konkurrierten beinahe 140 Fragevorschläge um einen Platz im Fragebogen. Die von den Demokratiefabrik-Teilnehmenden am besten bewerteten 52 (Deluxe Version) respektie 35 Fragen (Rapid Version) schafften es schliesslich in die Endversion.

Die Demokratiefabrik wurde vom Forschungsteam des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Bern selber konzipiert und programmiert. Die Online-Plattform entstand im Rahmen eines Projektes des Nationalen Forschungsprogramms 77 «Digitale Transformation» (SNF-Nr. 187496). Im Unterschied zu sozialen Medien bedient sich die Demokratiefabrik diverser Mechanismen, die darauf abzielen, den Austausch zwischen unterschiedlichen Positionen zu fördern und eine möglichst breit abgestützte Beteiligung zu erzielen – insbesondere der Mechanismus der Zufallsauswahl kommt auf der Online-Plattform mehrfach zum Zug.

Wer hat in der Demokratiefabrik teilgenommen?

Von den zufällig ausgewählten und eingeladenen 9'000 wahlberechtigten Personen waren 1'079 innert drei Wochen mindestens einmal auf der Demokratiefabrik aktiv. Es haben sich annähernd so viele Frauen wie Männer beteiligt. Des Weiteren hat das neue digitale politische Beteiligungsformat auch die ältere Bevölkerung erreicht: Mit Ausnahme von Personen über 75 Jahren waren alle Altersgruppen gut vertreten. In Bezug auf die Ortsteile waren die Teilnehmenden aus den ländlichen Teilen der Gemeinde unterrepräsentiert.

Abbildung 2: Altersverteilung der Teilnehmenden der Demokratiefabrik

Weiter wurde eine relativ starke links-grüne Dominanz unter den Teilnehmenden beobachtet: 45.1% ordneten sich dem linken Spektrum zu, während sich 44.1% in der Mitte und 10.7% rechts einordneten. Weiter zeigten die Teilnehmenden hohes politisches Interesse (94.8% waren entweder sehr interessiert oder eher interessiert an nationaler Politik) und hohes politisches Vertrauen (nur 11% gab an, dass sie dem Bundesrat nicht vertrauen).

Wie haben sich die Könizerinnen und Könizer engagiert?

Wenn wir Teilnehmenden, die Beiträge verfasst haben, mit eher passiven Teilnehmenden, die weder Fragen begutachtet noch selber Beiträge verfasst haben, vergleichen, zeigt sich, dass die Ersten sich politisch kompetenter fühlten, häufiger in Vereinen engagiert waren und seltener einer Vollzeittätigkeit nachgingen. Zudem zeigten die Teilnehmenden, die Beiträge verfasst haben, ein geringeres politisches Vertrauen als die restlichen Teilnehmenden. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass digitales politisches Engagement eine Alternative für enttäuschte Bürgerinnen und Bürger sein kann. Letztlich waren Teilnehmende, die Beiträge geschrieben haben, etwas gebildeter als Teilnehmende, die nur Fragen begutachtet haben. Während wir bei der Frage der Teilnahme einige markantere Unterschiede beobachten konnten (siehe vorheriger Abschnitt), zeigten sich hingegen insgesamt relativ wenige Unterschiede zwischen den Teilnehmenden in Bezug auf deren Aktivität. Ebenfalls fanden wir kaum Unterschiede in der Qualität der Beiträge verschiedener Personen. So waren etwa politisch interessierte Teilnehmende zwar auf der Demokratiefabrik übervertreten, sie dominierten hingegen nicht den Prozess zur Entstehung des Fragebogens.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Demokratiefabrik eine sinnvolle Ergänzung zur analogen politischen Beteiligung in Form von Abstimmungen und Wahlen darstellen kann. Dafür sprechen insbesondere, dass das Projekt in der Bevölkerung auf grosses Interesse gestossen ist und dass sich gerade auch Personen mit wenig politischem Vertrauen aktiv beteiligt haben. Die Teilnehmenden zeigten sich zudem sehr zufrieden mit dieser neuen Form des digitalen politischen Engagements, was vielversprechend für zukünftige Durchführungen ist.

NFP 77 – Digitale Transformation
Im Nationalen Forschungsprogramm (NFP 77) forschen Wissenschaftler:innen in 46 Forschungsprojekten zum Thema „Digitale Transformation“. Das Hauptziel des NFP 77 Programms ist die Erarbeitung von Wissen über Chancen, Risiken, Herausforderungen und Lösungen der Digitalisierung für die Schweiz.


Referenzen:

  • Gianola, Giada, Dominik Wyss, André Bächtiger und Marlène Gerber (2023). Empowering local citizens: assessing the inclusiveness of a digital democratic innovation for co-creating a Voting Advice Application. Local Government Studies, online first: doi: 10.1080/03003930.2023.2185228.
  • Giada Gianola, Marlène Gerber und Dominik Wyss. 2021. Ergebnisbericht zur Könizer Demokratiefabrik 2021. Bern: Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern.

Bild: unsplash.com