Wer wird bei Volksabstimmungen gemolken?

Die Online-Daten­bank Swiss­vo­tes bie­tet viel­fäl­ti­ge Infor­ma­tio­nen zu allen eid­ge­nös­si­schen Volks­ab­stim­mun­gen seit 1848, von der Vor­ge­schich­te über den Abstim­mungs­kampf bis zum Stimm­re­sul­tat. Alle Daten auf Swiss­vo­tes sind frei zugäng­lich. Sie erlau­ben es, eine Fül­le von Fra­gen zu beant­wor­ten – bei­spiels­wei­se zu Milch­kü­hen, Parteirebell:innen oder behörd­li­chen Niederlagenserien.

Die direk­te Demo­kra­tie ist für die schwei­ze­ri­sche Poli­tik und Gesell­schaft von prä­gen­der Bedeu­tung und macht sie welt­weit ein­zig­ar­tig. Wis­sen­schaft, Medi­en und Öffent­lich­keit beschäf­ti­gen sich des­halb immer wie­der mit Fra­gen rund um die Schwei­zer Abstimmungsdemokratie.

Die umfassendste Datenbank zu den Schweizer Volksabstimmungen

Swiss­vo­tes (www.swissvotes.ch) bie­tet die Daten­grund­la­gen, um sol­chen Fra­gen aus ganz unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven nach­zu­ge­hen: Für jede der bis­her 680 eid­ge­nös­si­schen Abstim­mungs­vor­la­gen seit 1848 bie­tet Swiss­vo­tes etwa eine kur­ze Zusam­men­fas­sung von Vor­ge­schich­te, Gegen­stand, Abstim­mungs­kampf und Ergeb­nis. Auch zahl­rei­che detail­lier­te Daten und his­to­ri­sche Ori­gi­nal­do­ku­men­te kön­nen frei her­un­ter­ge­la­den wer­den, beispielsweise

  • Anga­ben zur Unterschriftensammlung,
  • die Pro­to­kol­le der Parlamentsberatungen,
  • die Stimm­emp­feh­lun­gen von Bundes‑, Natio­nal- und Ständerat,
  • die Paro­len von Par­tei­en und Verbänden,
  • das Abstim­mungs­büch­lein,
  • zeit­ge­nös­si­sche Abstim­mungs­pla­ka­te und Publi­ka­tio­nen der Pro- und Kontra-Kampagnen,
  • Aus­wer­tun­gen zur Medi­en­be­richt­erstat­tung und zu den Inseratekampagnen,
  • eine Kar­te und Tabel­len mit den Abstim­mungs­re­sul­ta­ten nach Kan­to­nen, Bezir­ken und Gemeinden,
  • Berich­te und Daten der Nach­be­fra­gun­gen (Vox / Voto),
  • sowie vie­le wei­te­re Angaben.

Für sta­tis­ti­sche Aus­wer­tun­gen kann zudem ein gros­ser Daten­satz her­un­ter­ge­la­den wer­den. Swiss­vo­tes ist damit die umfas­sends­te und viel­fäl­tigs­te Daten­platt­form zu den schwei­ze­ri­schen Volks­ab­stim­mun­gen. Sie wird lau­fend aktua­li­siert und spo­ra­disch um zusätz­li­che Daten erweitert.

Die drei fol­gen­den Bei­spie­le geben einen klei­nen Ein­blick in die Viel­falt der Fra­gen, die sich auf Swiss­vo­tes mit weni­gen Klicks beant­wor­ten lassen.

Wer wird gemolken?

Die Initia­ti­ve «für eine fai­re Ver­kehrs­fi­nan­zie­rung», über die 2016 abge­stimmt wur­de, kennt kaum jemand unter ihrem offi­zi­el­len Titel. Befürworter:innen wie Gegner:innen spra­chen schlicht von der «Milch­kuh-Initia­ti­ve». Denn die Initiant:innen fan­den, die Autofahrer:innen wür­den vom Bund wegen hoher Steu­ern und Abga­ben als «Milch­kuh der Nati­on» behan­delt. Das woll­ten sie ändern – ver­geb­lich, die Initia­ti­ve wur­de abgelehnt.

Mit die­ser Rhe­to­rik erfan­den die Milchkuh-Initiant:innen nichts Neu­es: Schon seit Lan­gem wird in Schwei­zer Abstim­mungs­kämp­fen gern über Milch­kü­he gere­det. Wäh­rend es bis zum Zwei­ten Welt­krieg dabei immer um ech­te Vier­bei­ner ging, taucht der Begriff seit 1950 fast nur noch im Zusam­men­hang mit Steu­ern, Umver­tei­lung und Abga­ben auf. Das zeigt eine Voll­text­su­che in den zeit­ge­nös­si­schen Doku­men­ten auf Swissvotes.

Romand:es, Junge und andere Rebell:innen

Bei Swiss­vo­tes sind nicht nur die Stimm­emp­feh­lun­gen der natio­na­len Par­tei­en und Ver­bän­de – mit Lücken – bis ins 19. Jahr­hun­dert zurück erfasst, son­dern seit 1970 auch die abwei­chen­den Paro­len von Kan­to­nal- und Jung­par­tei­en. Am rebel­lischs­ten zeigt sich im Lang­zeit­ver­gleich die SVP Waadt: Sie hat seit 1970 bei 65 von 457 Abstim­mun­gen eine ande­re Paro­le her­aus­ge­ge­ben als die SVP Schweiz. Mit 53 Abwei­chun­gen folgt die SVP Grau­bün­den. Bei den ande­ren Bun­des­rats­par­tei­en sind die Mitte/CVP Genf (52 Abwei­chun­gen), die FDP Waadt (49) und die SP Jura (45) am häu­figs­ten von ihrer Mut­ter­par­tei abge­wi­chen. Bei allen Par­tei­en sind es beson­ders oft die Romand:es, die bei den Paro­len­fas­sun­gen über­stimmt wer­den. Im letz­ten Jahr­zehnt trifft dies aller­dings nur noch für FDP und Mit­te zu, wäh­rend in der SVP nun­mehr die Thur­gau­er und bei der SP die Schwy­zer Kan­to­nal­sek­ti­on am meis­ten abweicht.

Von den Jung­par­tei­en war bei der Paro­len­fas­sung seit 1970 die Jun­ge Mitte/CVP am eigen­stän­digs­ten: 41-mal wich sie von ihrer Mut­ter­par­tei ab, die Jun­ge SVP 39-mal. In den letz­ten zehn Jah­ren waren es hin­ge­gen die Jung­frei­sin­ni­gen und die Jungsozialist:innen, die am häu­figs­ten eine ande­re Paro­le her­aus­ga­ben als ihre Mutterparteien.

Immer wieder gehäufte Niederlagen der Behörden

Zwi­schen Herbst 2020 und Febru­ar 2022 ver­lo­ren Bun­des­rat und Par­la­ment 9 von 24 Abstim­mun­gen (37.5%). Man­che Medi­en und Politbeobachter:innen spra­chen von einer rekord­ho­hen Quo­te und wit­ter­ten besorgt eine Ver­trau­ens­kri­se. Ein­mal abge­se­hen davon, dass sich die Behör­den seit­her wie­der in 6 von 7 Abstim­mun­gen durch­ge­setzt haben: Auch die Rede vom Rekord war nicht berech­tigt, wie ein Blick in die jün­ge­re und älte­re Abstim­mungs­ge­schich­te zeigt. Es hat näm­lich immer wie­der Pha­sen gege­ben, in denen Volks- und Par­la­ments­mehr­heit noch häu­fi­ger uneins waren – zum Bei­spiel zwi­schen 2009 und 2012 (41%), zwi­schen 2002 und 2004 (38%) oder zwi­schen 1994 und 1996 (42%). Im gesam­ten 19. Jahr­hun­dert ver­lo­ren die Behör­den sogar deut­lich mehr als die Hälf­te aller eid­ge­nös­si­schen Abstim­mun­gen (59%), von 1948 bis 1957 waren es 49%.

Im Lang­zeit­ver­gleich sind Behör­den­nie­der­la­gen über die Jahr­zehn­te hin­weg immer sel­te­ner gewor­den – ein Trend, der trotz immer wie­der vor­kom­men­den Zwi­schen­tiefs bis­her nicht gebro­chen ist: Seit 1866 schei­ter­te das Par­la­ment ins­ge­samt bei 26% aller Vor­la­gen, seit Ein­füh­rung des Frau­en­stimm­rechts 1971 sind es noch 21% und seit der Jahr­tau­send­wen­de 19%.

Zum Hintergrund des Swissvotes-Projekts

Swiss­vo­tes wur­de 2009 von Politikwissenschaftler:innen an der Uni­ver­si­tät Bern lan­ciert. Seit eini­gen Jah­ren wird die Daten­bank durch Année Poli­tique Suis­se am Insti­tut für Poli­tik­wis­sen­schaft der Uni­ver­si­tät Bern betrie­ben. Ihr Umfang wur­de in den letz­ten Jah­ren lau­fend erweitert.

Swiss­vo­tes erfüllt wis­sen­schaft­li­che Ansprü­che an die Daten­qua­li­tät, rich­tet sich aber nicht nur an For­schen­de. Viel­mehr sind die Daten auch für Medi­en­schaf­fen­de, Politiker:innen und die inter­es­sier­te Öffent­lich­keit frei zugäng­lich, ein­fach ver­ständ­lich und attrak­tiv aufbereitet.


Bild: pexels.com

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