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Wer wird bei Volksabstimmungen gemolken?

Hans-Peter Schaub
24th Mai 2023

Die Online-Datenbank Swissvotes bietet vielfältige Informationen zu allen eidgenössischen Volksabstimmungen seit 1848, von der Vorgeschichte über den Abstimmungskampf bis zum Stimmresultat. Alle Daten auf Swissvotes sind frei zugänglich. Sie erlauben es, eine Fülle von Fragen zu beantworten – beispielsweise zu Milchkühen, Parteirebell:innen oder behördlichen Niederlagenserien.

Die direkte Demokratie ist für die schweizerische Politik und Gesellschaft von prägender Bedeutung und macht sie weltweit einzigartig. Wissenschaft, Medien und Öffentlichkeit beschäftigen sich deshalb immer wieder mit Fragen rund um die Schweizer Abstimmungsdemokratie.

Die umfassendste Datenbank zu den Schweizer Volksabstimmungen

Swissvotes (www.swissvotes.ch) bietet die Datengrundlagen, um solchen Fragen aus ganz unterschiedlichen Perspektiven nachzugehen: Für jede der bisher 680 eidgenössischen Abstimmungsvorlagen seit 1848 bietet Swissvotes etwa eine kurze Zusammenfassung von Vorgeschichte, Gegenstand, Abstimmungskampf und Ergebnis. Auch zahlreiche detaillierte Daten und historische Originaldokumente können frei heruntergeladen werden, beispielsweise

  • Angaben zur Unterschriftensammlung,
  • die Protokolle der Parlamentsberatungen,
  • die Stimmempfehlungen von Bundes-, National- und Ständerat,
  • die Parolen von Parteien und Verbänden,
  • das Abstimmungsbüchlein,
  • zeitgenössische Abstimmungsplakate und Publikationen der Pro- und Kontra-Kampagnen,
  • Auswertungen zur Medienberichterstattung und zu den Inseratekampagnen,
  • eine Karte und Tabellen mit den Abstimmungsresultaten nach Kantonen, Bezirken und Gemeinden,
  • Berichte und Daten der Nachbefragungen (Vox / Voto),
  • sowie viele weitere Angaben.

Für statistische Auswertungen kann zudem ein grosser Datensatz heruntergeladen werden. Swissvotes ist damit die umfassendste und vielfältigste Datenplattform zu den schweizerischen Volksabstimmungen. Sie wird laufend aktualisiert und sporadisch um zusätzliche Daten erweitert.

Die drei folgenden Beispiele geben einen kleinen Einblick in die Vielfalt der Fragen, die sich auf Swissvotes mit wenigen Klicks beantworten lassen.

Wer wird gemolken?

Die Initiative «für eine faire Verkehrsfinanzierung», über die 2016 abgestimmt wurde, kennt kaum jemand unter ihrem offiziellen Titel. Befürworter:innen wie Gegner:innen sprachen schlicht von der «Milchkuh-Initiative». Denn die Initiant:innen fanden, die Autofahrer:innen würden vom Bund wegen hoher Steuern und Abgaben als «Milchkuh der Nation» behandelt. Das wollten sie ändern – vergeblich, die Initiative wurde abgelehnt.

Mit dieser Rhetorik erfanden die Milchkuh-Initiant:innen nichts Neues: Schon seit Langem wird in Schweizer Abstimmungskämpfen gern über Milchkühe geredet. Während es bis zum Zweiten Weltkrieg dabei immer um echte Vierbeiner ging, taucht der Begriff seit 1950 fast nur noch im Zusammenhang mit Steuern, Umverteilung und Abgaben auf. Das zeigt eine Volltextsuche in den zeitgenössischen Dokumenten auf Swissvotes.

Romand:es, Junge und andere Rebell:innen

Bei Swissvotes sind nicht nur die Stimmempfehlungen der nationalen Parteien und Verbände – mit Lücken – bis ins 19. Jahrhundert zurück erfasst, sondern seit 1970 auch die abweichenden Parolen von Kantonal- und Jungparteien. Am rebellischsten zeigt sich im Langzeitvergleich die SVP Waadt: Sie hat seit 1970 bei 65 von 457 Abstimmungen eine andere Parole herausgegeben als die SVP Schweiz. Mit 53 Abweichungen folgt die SVP Graubünden. Bei den anderen Bundesratsparteien sind die Mitte/CVP Genf (52 Abweichungen), die FDP Waadt (49) und die SP Jura (45) am häufigsten von ihrer Mutterpartei abgewichen. Bei allen Parteien sind es besonders oft die Romand:es, die bei den Parolenfassungen überstimmt werden. Im letzten Jahrzehnt trifft dies allerdings nur noch für FDP und Mitte zu, während in der SVP nunmehr die Thurgauer und bei der SP die Schwyzer Kantonalsektion am meisten abweicht.

Von den Jungparteien war bei der Parolenfassung seit 1970 die Junge Mitte/CVP am eigenständigsten: 41-mal wich sie von ihrer Mutterpartei ab, die Junge SVP 39-mal. In den letzten zehn Jahren waren es hingegen die Jungfreisinnigen und die Jungsozialist:innen, die am häufigsten eine andere Parole herausgaben als ihre Mutterparteien.

Immer wieder gehäufte Niederlagen der Behörden

Zwischen Herbst 2020 und Februar 2022 verloren Bundesrat und Parlament 9 von 24 Abstimmungen (37.5%). Manche Medien und Politbeobachter:innen sprachen von einer rekordhohen Quote und witterten besorgt eine Vertrauenskrise. Einmal abgesehen davon, dass sich die Behörden seither wieder in 6 von 7 Abstimmungen durchgesetzt haben: Auch die Rede vom Rekord war nicht berechtigt, wie ein Blick in die jüngere und ältere Abstimmungsgeschichte zeigt. Es hat nämlich immer wieder Phasen gegeben, in denen Volks- und Parlamentsmehrheit noch häufiger uneins waren – zum Beispiel zwischen 2009 und 2012 (41%), zwischen 2002 und 2004 (38%) oder zwischen 1994 und 1996 (42%). Im gesamten 19. Jahrhundert verloren die Behörden sogar deutlich mehr als die Hälfte aller eidgenössischen Abstimmungen (59%), von 1948 bis 1957 waren es 49%.

Im Langzeitvergleich sind Behördenniederlagen über die Jahrzehnte hinweg immer seltener geworden – ein Trend, der trotz immer wieder vorkommenden Zwischentiefs bisher nicht gebrochen ist: Seit 1866 scheiterte das Parlament insgesamt bei 26% aller Vorlagen, seit Einführung des Frauenstimmrechts 1971 sind es noch 21% und seit der Jahrtausendwende 19%.

Zum Hintergrund des Swissvotes-Projekts

Swissvotes wurde 2009 von Politikwissenschaftler:innen an der Universität Bern lanciert. Seit einigen Jahren wird die Datenbank durch Année Politique Suisse am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern betrieben. Ihr Umfang wurde in den letzten Jahren laufend erweitert.

Swissvotes erfüllt wissenschaftliche Ansprüche an die Datenqualität, richtet sich aber nicht nur an Forschende. Vielmehr sind die Daten auch für Medienschaffende, Politiker:innen und die interessierte Öffentlichkeit frei zugänglich, einfach verständlich und attraktiv aufbereitet.


Bild: pexels.com