Denkanstösse für eine Kreislaufwirtschaft im Bauwesen

Wäh­rend sich die öffent­li­che Poli­tik zur Erhal­tung des kul­tu­rel­len Erbes mit der Wah­rung der künst­le­ri­schen, archäo­lo­gi­schen, his­to­ri­schen, wis­sen­schaft­li­chen oder erzie­he­ri­schen Inter­es­sen im Zusam­men­hang mit Gebäu­den befasst, zielt die Ener­gie­po­li­tik ins­be­son­de­re auf einen spar­sa­men und ratio­nel­len Ener­gie­ver­brauch ab. In der aktu­el­len Pra­xis führt letz­te­re dazu, dass Gebäu­de iso­liert wer­den, um ihren Ver­brauch wäh­rend der Nut­zungs­pha­se zu sen­ken, was manch­mal auf Kos­ten ihrer Iden­ti­tät und his­to­ri­schen Sub­stanz geht, die ers­te­re gera­de zu bewah­ren versucht. 

Die Erhaltung des Kulturerbes: ein Balanceakt

Die Ver­fol­gung die­ser ver­schie­de­nen öffent­li­chen Inter­es­sen, die alle legi­tim sind, aber durch die Umset­zungs­pra­xis auf den ers­ten Blick unver­ein­bar erschei­nen, erfor­dert eine Abwä­gung. Um mehr Kohä­renz zu errei­chen, die insti­tu­tio­nel­le Kom­ple­xi­tät zu redu­zie­ren, mehr Rechts­si­cher­heit zu bie­ten, die Gerich­te zu ent­las­ten und die Arbeit der Akteu­re vor Ort zu erleich­tern, stellt sich die Fra­ge nach einer mög­li­chen Neu­ge­stal­tung der öffent­li­chen Politik.

Ökologischer Wandel im Bauwesen: Welche Lösungen gibt es?

Im Rah­men des Pro­jekts Vol­te­face 2021 “Patri­moi­ne bâti et éco­no­mie cir­cu­lai­re : ter­ri­toire rédu­it / temps long” (Bau­kul­tur und Kreis­lauf­wirt­schaft: ver­rin­ger­tes Gebiet/ lang­fris­ti­ger Zeit­raum) haben das Insti­tut für öffent­li­che Ver­wal­tung (IDHEAP) und die Abtei­lung Kunst­ge­schich­te (HART) der UNIL eine inter­dis­zi­pli­nä­re Zusam­men­ar­beit ent­wi­ckelt, um sich mit dem öko­lo­gi­schen Wan­del im Bau­we­sen und ins­be­son­de­re mit der Bezie­hung zwi­schen Ener­gie­wen­de und Erhal­tung des Bau­kul­tur­er­bes zu befassen.

Umwelt­auf­la­gen und die Ein­hal­tung der Kli­ma­zie­le erfor­dern eine radi­ka­le Umge­stal­tung unse­res sozio­öko­no­mi­schen Sys­tems. In die­sem Zusam­men­hang hat das Kon­zept der Kreis­lauf­wirt­schaft der­zeit Hoch­kon­junk­tur. Es bie­tet eine Alter­na­ti­ve zur mate­ri­el­len und ener­ge­ti­schen Ver­schwen­dung, die durch die Prak­ti­ken der linea­ren Wirt­schaft insti­tu­tio­na­li­siert wur­de, und schlägt die Schaf­fung neu­er bzw. die Umge­stal­tung bestehen­der öffent­li­cher poli­ti­scher Mass­nah­men vor. Der Über­gang zu einer idea­len Kreis­lauf­wirt­schaft wür­de es ermög­li­chen, auf die Gewin­nung neu­er Roh­stof­fe zu ver­zich­ten, die Ent­ste­hung von Abfall zu ver­mei­den und die Ver­schwen­dung von Ener­gie und Mate­ri­al zu mini­mie­ren, indem die Lebens­dau­er der bereits im Umlauf befind­li­chen Gegen­stän­de und Mate­ria­li­en so weit wie mög­lich ver­län­gert wird: instand­hal­ten, repa­rie­ren, wie­der­ver­wen­den, recyceln.

Das For­schungs­pro­jekt Vol­te­face soll anhand einer Fall­stu­die (Schloss Hautevil­le, VD), Inter­views mit den Akteu­ren vor Ort und der Unter­su­chung ver­schie­de­ner poli­ti­scher und recht­li­cher Doku­men­te sowie von Archiv­ma­te­ri­al unter­su­chen, inwie­fern die Mobi­li­sie­rung des Kon­zepts der Kreis­lauf­wirt­schaft, das sei­nem Wesen nach sys­te­misch ist, zu einer neu­en Per­spek­ti­ve füh­ren könn­te, wel­che die Her­aus­for­de­run­gen, vor denen die­se zwei sehr unter­schied­li­chen Berei­che der öffent­li­chen Poli­tik tra­di­tio­nell ste­hen, zusammenbringt.

Die Kreislaufwirtschaft hebt das Spannungsverhältnis zwischen der Erhaltung des Kulturerbes und der Energieverschwendung auf

Die fol­gen­de Abbil­dung ver­an­schau­licht den Über­gang zu einer Kreis­lauf­wirt­schaft im Bau­we­sen sowie die Hier­ar­chie ihrer Umset­zungs­stra­te­gien: vom nächs­ten durch die roten Pfei­le gebil­de­ten Kreis zum am wei­tes­ten ent­fern­ten. Die Mini­mie­rung von Ener­gie- und Mate­ri­al­ver­schwen­dung erfor­dert zunächst die “län­ge­re Nut­zung” bestehen­der Gebäu­de (und der dar­in ent­hal­te­nen [grau­en] Ener­gie und Res­sour­cen), dann die “Repa­ra­tur” oder Reno­vie­rung, dann die “Wie­der­ver­wen­dung” von Bau­ele­men­ten (selek­ti­ver Rück­bau und erneu­te Nut­zung) und schliess­lich das “Recy­cling” von Baumaterialien.

Abbildung 1 | Von der linearen Wirtschaft zur Kreislaufwirtschaft (Bild aus Küpfer C., Fivet, C. (2021), Déconstruction Sélective — Construction Réversible : recueil pour diminuer les déchets et favoriser le réemploi dans la construction, DOI: 10.5281/zenodo.4314325, S. 15).

Die Anwen­dung des Kon­zepts der Kreis­lauf­wirt­schaft im Bau­we­sen stellt daher Prak­ti­ken zur Erhal­tung des kul­tu­rel­len Erbes an die Spit­ze der Stra­te­gien zur Opti­mie­rung der Nut­zung von Res­sour­cen und Ener­gie und dient somit in ers­ter Linie dem Ziel, die Ener­gie­ver­schwen­dung im Bau­we­sen zu redu­zie­ren, und zwar in einem umfas­sen­den Sin­ne über den gesam­ten Lebens­zy­klus hin­weg. Es berück­sich­tigt die Aus­wir­kun­gen der gesam­ten (grau­en) Ener­gie, die für die Her­stel­lung von Dämm­stof­fen, deren Trans­port und die Reno­vie­rungs­ar­bei­ten benö­tigt wird, und kon­zen­triert sich nicht nur auf die Emis­sio­nen und die Ener­gie, die wäh­rend der Betriebs­pha­se des Gebäu­des ver­braucht wird. In die­ser brei­te­ren zir­ku­lä­ren Per­spek­ti­ve wird der übli­che Gegen­satz zwi­schen Denk­mal­schutz und Ener­gie­ver­schwen­dung aufgehoben.


Bemer­kung: Die­ser Arti­kel wur­de im Rah­men des IDHEAP Poli­cy Brief No. 4 veröffentlicht.

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Bild: unsplash.com

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