40 Jahre Grüne Partei Schweiz

Seit 40 Jah­ren mischen die Grü­nen in der Schwei­zer Poli­tik mit. Ihre Ent­wick­lung kann­te sowohl Höhen als auch Tie­fen. Mitt­ler­wei­le ist die Par­tei in allen Sprach­re­gio­nen prä­sent, regiert in vie­len Städ­ten und meh­re­ren Kan­to­nen mit und ist auch im Stän­de­rat ver­tre­ten. Grund genug, den Grü­nen und ihrer Ent­wick­lung eine umfas­sen­de wis­sen­schaft­li­che Publi­ka­ti­on zu wid­men, die soeben erschie­nen ist.

Im bei Seis­mo in der Rei­he ds démocratie.suisse / demokratie.schweiz erschie­ne­nen Sam­mel­band beleuch­ten 18 Autorin­nen und Autoren aus Wis­sen­schaft und Poli­tik­be­ob­ach­tung die Grü­nen in der Schweiz in all ihren Facet­ten. Die ein­zel­nen Bei­trä­ge wer­den hier kurz vorgestellt.
 
Die Schweizer Grünen – eine Partei mit bewegter Geschichte

Die Geschich­te der Grü­nen ist eine Geschich­te mit Brü­chen. Bereits bei ihrer Grün­dung 1983 bil­de­ten sich vor­erst zwei For­ma­tio­nen – eine gemäs­sig­te und eine alter­na­ti­ve grü­ne Dach­or­ga­ni­sa­ti­on. Im Lau­fe der Zeit schlos­sen sich immer mehr kan­to­na­le Sek­tio­nen der ursprüng­lich gemäs­sig­ten Grü­nen an, was über die Zeit zu einem deut­li­chen Links­rutsch der Par­tei füh­re. Einen detail­lier­ten Über­blick über die Grün­dungs- und Auf­bau­pha­se der Grü­nen in der Schweiz sowie über ihre Sie­ge und Nie­der­la­gen bei Wah­len und Abstim­mun­gen gibt Wer­ner Seitz in Kapi­tel 1.

Wer wählt die Grünen?

Hin­sicht­lich des Alters ihrer Wäh­ler­schaft sind die Grü­nen kein Genera­tio­nen­pro­jekt der Alt-Acht­und­sech­zi­ger geblie­ben. Die Grü­nen wer­den zwar über­durch­schnitt­lich stark von jün­ge­ren Wäh­len­den unter­stützt, ver­lo­ren dabei aber ihre mitt­ler­wei­le etwas älter gewor­de­ne Wäh­len­den aus den Anfän­gen nicht. Pas­cal Scia­ri­ni und Adri­en Petit­pas zei­gen in Kapi­tel 2 auf, dass die typi­schen Eigen­schaf­ten der Wäh­len­den der Grü­nen auch weit­ge­hend auf die Wäh­len­den der SP und der Grün­li­be­ra­len zutref­fen. Aller­dings ste­hen die Wähler:innen der Grü­nen und SP deut­lich mehr links, befür­wor­ten mehr Staats­in­ter­ven­tio­nen in die Wirt­schaft und sind umwelt­freund­li­cher ein­ge­stellt als die Wähler:innen der Grünliberalen.

Politische Position von Parteibasis und Parteiführung

Der bis­her wohl auf­se­hen­er­re­gends­te Sieg ereig­ne­te sich 2019, als die Grü­nen, aber auch die Grün­li­be­ra­len, bei den eid­ge­nös­si­schen Wah­len stark an Stim­men zuleg­ten. Isa­bel­le Sta­del­mann-Stef­fen und Karin Ingold gehen in Kapi­tel 3 der Fra­ge nach, wie sich die­se gros­sen Zuge­win­ne an Wähler:innenstimmen erklä­ren las­sen und zei­gen auf, dass die Stei­ge­rung in ers­ter Linie auf das Wachs­tum des Wähler:innenpotenzials mit öko­lo­gi­scher Gesin­nung zurück­zu­füh­ren ist und weni­ger auf eine Zuwen­dung der öko­lo­gi­schen Par­tei­en zur poli­ti­schen Mitte.

Nutzung der sozialen Medien

Die Nut­zung sozia­ler Medi­en für die Kom­mu­ni­ka­ti­on ist zu einem wesent­li­chen Bestand­teil der poli­ti­schen Öffent­lich­keits­ar­beit gewor­den; füh­rend sind dabei grü­ne Politiker:innen, wel­che auf natio­na­ler Ebe­ne ein Amt inne­ha­ben. Wie Vir­gi­nia Wen­ger und Fabri­zio Gilar­di in Kapi­tel 4 fest­stel­len, wird die grund­le­gen­de Mög­lich­keit, direkt mit dem Publi­kum in Kon­takt zu tre­ten und sich mit die­sem aus­zu­tau­schen, aber auch von den Grü­nen noch wenig genützt.

In allen Sprachregionen vertreten

Obwohl die Grü­nen his­to­risch nicht in allen Sprach­re­gio­nen die glei­chen Wur­zeln haben, sind die Unter­schie­de in den Par­tei­en­ent­wick­lun­gen und der inhalt­li­chen Posi­tio­nie­rung nur gering. Inzwi­schen sind die Grü­nen in der Deutsch- und West­schweiz gut ver­an­kert und haben auch im Tes­sin Fuss gefasst. Wie Georg Lutz in Kapi­tel 5 fest­hält, sind die Grü­nen in allen Sprach­re­gio­nen deut­lich links der poli­ti­schen Mit­te posi­tio­niert. Inhalt­li­che Grä­ben inner­halb der Par­tei zwi­schen den Sprach­re­gio­nen, die zu Kon­flik­ten füh­ren könn­ten, las­sen sich nicht feststellen.

Eine urbane Partei

Von Anfang an waren die Grü­nen vor allem in den gros­sen Städ­ten erfolg­reich, wo sie ab den 2000er began­nen, die FDP als  zweit­stärks­te Kraft hin­ter der SP abzu­lö­sen. In den fünf gröss­ten Städ­ten der Schweiz – Zürich, Genf, Basel, Bern und Lau­sanne – legt bei Wah­len mitt­ler­wei­le gut jede fünf­te Per­son eine grü­ne Lis­te in die Urne. Dies ver­schafft den Grü­nen die Ein­sitz­nah­me in die rot­grü­nen Regie­rungs­mehr­hei­ten, deren Stil sie mass­geb­lich mit­prä­gen. Wesent­lich schlech­ter als in den städ­ti­schen Zen­tren schnei­den die Grü­nen in den Agglo­me­ra­ti­ons­ge­mein­den und vor allem auf dem Land ab, wie Made­lei­ne Schnei­der in Kapi­tel 6 aufzeigt.

Bilanz bei Majorzwahlen

Die Grü­nen sind seit Län­ge­rem auch in Majorz­wah­len erfolg­reich. Aller­dings sind Kan­di­da­tu­ren der Grü­nen in ers­ter Linie in Kan­to­nen der West­schweiz und des Deutsch­schwei­zer Mit­tel­lan­des erfolg­reich, wel­che urba­ne Zen­tren haben und einen star­ken Par­tei­en­wett­be­werb ken­nen. Seit 2007 sind die Grü­nen auch durch­ge­hend im Stän­de­rat ver­tre­ten. Wie Sarah Büti­ko­fer in Kapi­tel 7 auf­ge­zeigt, sind grü­ne Kan­di­die­ren­de bei Majorz­wah­len vor allem dann erfolg­reich, wenn das lin­ke Lager im betref­fen­den Kan­ton sehr stark ist und wenn die Wähler:innen von SP und GPS – und wo vor­han­den auch die der GLP – die grü­ne Kan­di­da­tur kon­se­quent unterstützen.

Allianzen und Stimmverhalten im Parlament

Im Natio­nal­rat neh­men die Grü­nen auf­grund ihrer dezi­diert lin­ken Posi­tio­nen und ihrer Nicht­teil­ha­be an der Regie­rung eine Aus­sen­sei­ter­po­si­ti­on ein. Gleich­wohl schaf­fen sie es bis­wei­len, ihre Anlie­gen erfolg­reich vor­zu­brin­gen. Dani­el Schwarz zeigt in Kapi­tel 8, dass dies mög­lich wird, wenn die Grü­nen – mit ihrer tra­di­tio­nell hohen inner­par­tei­li­chen Geschlos­sen­heit – es schaf­fen, Alli­an­zen zu schmie­den, die über den «poli­ti­schen Zwil­ling» SP hinausreichen.

Einsatz der direkt-demokratischen Instrumente

Seit ihrer Grün­dung zeich­nen sich die Grü­nen durch eine inten­si­ve Nut­zung der direkt­de­mo­kra­ti­schen Instru­men­te aus, wie Lucas Lee­mann und Ange­la Oder­matt in Kapi­tel 9 auf­zei­gen. Im Spie­gel der ver­wen­de­ten direkt­de­mo­kra­ti­schen Instru­men­te zeigt sich auch deut­lich die the­ma­ti­sche Ver­brei­te­rung der Grü­nen: Rich­te­ten sie in den Anfangs­jah­ren ihren Fokus fast aus­schliess­lich auf umwelt­po­li­ti­sche Anlie­gen, so öff­ne­ten sie über die Zeit und mit zuneh­men­der Stär­ke ihr inhalt­li­ches Spek­trum auf sozial‑, frie­dens- und wirt­schafts­po­li­ti­sche Themen. 

Aktive Junggrüne

Wie bei einer neu gegrün­de­ten Par­tei zu erwar­ten, über­nah­men auch bei den Grü­nen jun­ge und teil­wei­se sogar sehr jun­ge Mit­glie­der par­tei­in­tern und in öffent­li­chen Ämtern Ver­ant­wor­tung, wie Maja Haus in Kapi­tel 10 aus­führt. Die Par­tei der Jun­gen Grü­nen schaff­te es auch, bis­her zwei eid­ge­nös­si­schen Volks­in­itia­ti­ven zustan­de zu brin­gen («für men­schen­freund­li­che­re Fahr­zeu­ge» (Off­roa­der-Initia­ti­ve) und die Zersiedelungs-Initiative).

Enge Beziehungen zur Frauenbewegung…

Die Grü­nen sind weit mehr als eine Umwelt­be­we­gung. Sie sind auch und vor allem Teil der neu­en sozia­len Bewe­gun­gen. Die­se hat­ten sich im Zuge der 1968er Bewe­gung her­aus­ge­bil­det und bestan­den aus einer Viel­zahl von öko­lo­gi­schen, pazi­fis­ti­schen und femi­nis­ti­schen Grup­pie­run­gen. Die­se ver­schie­de­nen Bewe­gun­gen waren und sind grund­le­gend für die Ent­ste­hung und Wei­ter­ent­wick­lung der Grünen.

In Kapi­tel 11 ana­ly­siert Gesi­ne Fuchs die Ver­bin­dung der Grü­nen zur Frau­en­be­we­gung. Gleich­stel­lungs­po­li­ti­sche Anlie­gen waren für die Grü­nen seit ihren Anfän­gen ein wesent­li­ches Ele­ment und ent­spre­chen­de For­de­run­gen fan­den früh Ein­gang in die grü­nen Par­tei­pro­gram­me. Zudem stell­ten die Grü­nen seit ihrer Grün­dung bei Wah­len über­durch­schnitt­lich vie­le Kan­di­da­tin­nen auf – und grü­ne Frau­en wur­den von Anfang an über­durch­schnitt­lich gut gewählt.

… zur Friedensbewegung…

Anfang der 1980er-Jah­re erfuhr die Frie­dens­be­we­gung im Zuge der Gross­de­mons­tra­tio­nen gegen den Nato-Dop­pel­be­schluss einen star­ken Auf­schwung, sowohl in Euro­pa wie in der Schweiz. An die­sen Pro­tes­ten betei­lig­ten sich mit den Aktivist:innen der Frie­dens­be­we­gung häu­fig auch grü­ne Grup­pie­run­gen. Dabei wur­de in der Frie­dens­be­we­gung zuneh­mend mit dem gefürch­te­ten Atom­krieg auch die Umwelt­zer­stö­rung the­ma­ti­siert. Umge­kehrt flos­sen auch frie­dens­po­li­ti­sche Ideen in die grü­ne Pro­gram­ma­tik ein, wie Andrea Schwei­zer in Kapi­tel 12 des vor­lie­gen­den Buches aufzeigt.

…. und zur Umweltbewegung

Bereits zu Beginn des 20. Jahr­hun­derts wur­den in der Schweiz die ers­ten Orga­ni­sa­tio­nen gegrün­det, die sich für den Schutz von Natur und Land­schaft ein­set­zen. Wie Moni­ka Gis­ler in Kapi­tel 13 aus­führt, ver­än­der­te sich das gesell­schaft­li­che Bewusst­sein für Umwelt­pro­ble­me welt­weit und in der Schweiz ab Ende der 1960er Jah­re, unter ande­rem mit dem Erschei­nen von stark beach­te­ten Berich­ten wie jener des Club of Rome über die Gren­zen des Wachstums.

Die Schweizer Grünen im europäischen Vergleich

Es hängt mit dem poli­ti­schen Sys­tem der Schweiz zusam­men, dass die Grü­nen im euro­päi­schen Ver­gleich zwar zu den stärks­ten Ver­tre­te­rin­nen der grü­nen Par­tei­en zäh­len, dass ihnen aber bis­lang auf natio­na­ler Ebe­ne Regie­rungs­ver­ant­wor­tung ver­wehrt geblie­ben ist. Bei sei­nem inter­na­tio­na­len Ver­gleich zeigt Mar­tin Dolezal in Kapi­tel 14 auf, dass die Grü­nen in der Schweiz öko­no­misch klar lin­ke Posi­tio­nen ein­neh­men und dass sie in ihrer Pro­gram­ma­tik das The­ma Umwelt stär­ker gewich­ten als ihre euro­päi­schen Schwes­ter­par­tei­en. Hin­sicht­lich kul­tu­rel­ler und euro­pa­po­li­ti­scher Fra­gen unter­schei­den sich dage­gen die Schwei­zer Grü­nen kaum von ande­ren euro­päi­schen Grünen.


Büti­ko­fer, Sarah und Wer­ner Seitz (2023). “Die Grü­nen in der Schweiz. Geschich­te — Wir­ken — Per­spek­ti­ven.” Zürich/Genf: Seismo. 

Der Sam­mel­band besteht auf fol­gen­den 14 Beiträgen: 

  • 1 Die Geschich­te der Grü­nen in der Schweiz, 1983–2022 (Wer­ner Seitz)
  • 2 Die Wähler:innen der Grü­nen – ihre Gemein­sam­kei­ten und Unter­schie­de im Ver­gleich mit der SP und der GLP (Pas­cal Scia­ri­ni und Adri­en Petitpas)
  • 3 Poli­ti­sche Posi­ti­on von Par­tei­ba­sis und Par­tei­füh­rung der öko­lo­gi­schen Par­tei­en GPS und GLP (Karin Ingold und Isa­bel­le Stadelmann-Steffen)
  • 4 Digi­ta­li­sie­rung hält Ein­zug in die Par­tei­en­stra­te­gie der Grü­nen Par­tei (Vir­gi­nia Wen­ger und Fabri­zio Gilardi)
  • 5 Die Grü­nen in den Sprach­re­gio­nen: Gibt es (noch) Unter­schie­de? (Georg Lutz)
  • 6 Die Grü­nen in Stadt und Land: Gros­se Städ­te als Vor­rei­ter der grü­nen Wahl­er­fol­ge (Made­lei­ne Schneider)
  • 7 Die Grü­nen bei Majorz­wah­len – Fokus Stän­de­rat (Sarah Bütikofer)
  • 8 Die Grü­nen im Par­la­ment: Alli­an­zen und Stimm­ver­hal­ten (Dani­el Schwarz)
  • 9 Die Grü­nen und die direk­te Demo­kra­tie (Lucas Lee­mann und Ange­la Odermatt)
  • 10 Jung = grün? Über die Jun­gen Grü­nen und die grü­nen Jun­gen (Maja Haus)
  • 11 Die Grü­nen und die Frau­en: Femi­nis­mus als Teil der poli­ti­schen DNA der Grü­nen? (Gesi­ne Fuchs)
  • 12 Mobi­li­sie­rung gegen AKWs, Armee und Kampf­jets: Die engen Ban­de zwi­schen den Grü­nen und der Frie­dens­be­we­gung (Andrea Schweizer)
  • 13 «Save the Pla­net»: Grü­ne und Umwelt­be­we­gung in der Schweiz (Moni­ka Gisler)
  • 14 Die Schwei­zer Grü­nen im euro­päi­schen Ver­gleich (Mar­tin Dolezal)

 

Bild: BFS

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