Denkanstösse für eine Kreislaufwirtschaft im Bauwesen
Dunia Brunner, Stephane Nahrath
16th May 2023
Während sich die öffentliche Politik zur Erhaltung des kulturellen Erbes mit der Wahrung der künstlerischen, archäologischen, historischen, wissenschaftlichen oder erzieherischen Interessen im Zusammenhang mit Gebäuden befasst, zielt die Energiepolitik insbesondere auf einen sparsamen und rationellen Energieverbrauch ab. In der aktuellen Praxis führt letztere dazu, dass Gebäude isoliert werden, um ihren Verbrauch während der Nutzungsphase zu senken, was manchmal auf Kosten ihrer Identität und historischen Substanz geht, die erstere gerade zu bewahren versucht.
Die Erhaltung des Kulturerbes: ein Balanceakt
Die Verfolgung dieser verschiedenen öffentlichen Interessen, die alle legitim sind, aber durch die Umsetzungspraxis auf den ersten Blick unvereinbar erscheinen, erfordert eine Abwägung. Um mehr Kohärenz zu erreichen, die institutionelle Komplexität zu reduzieren, mehr Rechtssicherheit zu bieten, die Gerichte zu entlasten und die Arbeit der Akteure vor Ort zu erleichtern, stellt sich die Frage nach einer möglichen Neugestaltung der öffentlichen Politik.
Ökologischer Wandel im Bauwesen: Welche Lösungen gibt es?
Im Rahmen des Projekts Volteface 2021 “Patrimoine bâti et économie circulaire : territoire réduit / temps long” (Baukultur und Kreislaufwirtschaft: verringertes Gebiet/ langfristiger Zeitraum) haben das Institut für öffentliche Verwaltung (IDHEAP) und die Abteilung Kunstgeschichte (HART) der UNIL eine interdisziplinäre Zusammenarbeit entwickelt, um sich mit dem ökologischen Wandel im Bauwesen und insbesondere mit der Beziehung zwischen Energiewende und Erhaltung des Baukulturerbes zu befassen.
Umweltauflagen und die Einhaltung der Klimaziele erfordern eine radikale Umgestaltung unseres sozioökonomischen Systems. In diesem Zusammenhang hat das Konzept der Kreislaufwirtschaft derzeit Hochkonjunktur. Es bietet eine Alternative zur materiellen und energetischen Verschwendung, die durch die Praktiken der linearen Wirtschaft institutionalisiert wurde, und schlägt die Schaffung neuer bzw. die Umgestaltung bestehender öffentlicher politischer Massnahmen vor. Der Übergang zu einer idealen Kreislaufwirtschaft würde es ermöglichen, auf die Gewinnung neuer Rohstoffe zu verzichten, die Entstehung von Abfall zu vermeiden und die Verschwendung von Energie und Material zu minimieren, indem die Lebensdauer der bereits im Umlauf befindlichen Gegenstände und Materialien so weit wie möglich verlängert wird: instandhalten, reparieren, wiederverwenden, recyceln.
Das Forschungsprojekt Volteface soll anhand einer Fallstudie (Schloss Hauteville, VD), Interviews mit den Akteuren vor Ort und der Untersuchung verschiedener politischer und rechtlicher Dokumente sowie von Archivmaterial untersuchen, inwiefern die Mobilisierung des Konzepts der Kreislaufwirtschaft, das seinem Wesen nach systemisch ist, zu einer neuen Perspektive führen könnte, welche die Herausforderungen, vor denen diese zwei sehr unterschiedlichen Bereiche der öffentlichen Politik traditionell stehen, zusammenbringt.
Die Kreislaufwirtschaft hebt das Spannungsverhältnis zwischen der Erhaltung des Kulturerbes und der Energieverschwendung auf
Die folgende Abbildung veranschaulicht den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft im Bauwesen sowie die Hierarchie ihrer Umsetzungsstrategien: vom nächsten durch die roten Pfeile gebildeten Kreis zum am weitesten entfernten. Die Minimierung von Energie- und Materialverschwendung erfordert zunächst die “längere Nutzung” bestehender Gebäude (und der darin enthaltenen [grauen] Energie und Ressourcen), dann die “Reparatur” oder Renovierung, dann die “Wiederverwendung” von Bauelementen (selektiver Rückbau und erneute Nutzung) und schliesslich das “Recycling” von Baumaterialien.
Abbildung 1 | Von der linearen Wirtschaft zur Kreislaufwirtschaft (Bild aus Küpfer C., Fivet, C. (2021), Déconstruction Sélective – Construction Réversible : recueil pour diminuer les déchets et favoriser le réemploi dans la construction, DOI: 10.5281/zenodo.4314325, S. 15).
Die Anwendung des Konzepts der Kreislaufwirtschaft im Bauwesen stellt daher Praktiken zur Erhaltung des kulturellen Erbes an die Spitze der Strategien zur Optimierung der Nutzung von Ressourcen und Energie und dient somit in erster Linie dem Ziel, die Energieverschwendung im Bauwesen zu reduzieren, und zwar in einem umfassenden Sinne über den gesamten Lebenszyklus hinweg. Es berücksichtigt die Auswirkungen der gesamten (grauen) Energie, die für die Herstellung von Dämmstoffen, deren Transport und die Renovierungsarbeiten benötigt wird, und konzentriert sich nicht nur auf die Emissionen und die Energie, die während der Betriebsphase des Gebäudes verbraucht wird. In dieser breiteren zirkulären Perspektive wird der übliche Gegensatz zwischen Denkmalschutz und Energieverschwendung aufgehoben.
Bemerkung: Dieser Artikel wurde im Rahmen des IDHEAP Policy Brief No. 4 veröffentlicht.
Referenzen:
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Brunner, D., Meier, N. (2022). Énergie et patrimoine, même combat?, Tracés (Juin), https://www.espazium.ch/.
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Brunner, D. (2022). Vers une économie circulaire durable en Suisse? – analyse systémique et prospective des apports et limites du cadre juridique, Doktorarbeit, Universität Lausanne.
Bild: unsplash.com