1

40 Jahre Grüne Partei Schweiz

Sarah Bütikofer, Werner Seitz
13th May 2023

Seit 40 Jahren mischen die Grünen in der Schweizer Politik mit. Ihre Entwicklung kannte sowohl Höhen als auch Tiefen. Mittlerweile ist die Partei in allen Sprachregionen präsent, regiert in vielen Städten und mehreren Kantonen mit und ist auch im Ständerat vertreten. Grund genug, den Grünen und ihrer Entwicklung eine umfassende wissenschaftliche Publikation zu widmen, die soeben erschienen ist.

Im bei Seismo in der Reihe ds démocratie.suisse / demokratie.schweiz erschienenen Sammelband beleuchten 18 Autorinnen und Autoren aus Wissenschaft und Politikbeobachtung die Grünen in der Schweiz in all ihren Facetten. Die einzelnen Beiträge werden hier kurz vorgestellt.
 
Die Schweizer Grünen – eine Partei mit bewegter Geschichte

Die Geschichte der Grünen ist eine Geschichte mit Brüchen. Bereits bei ihrer Gründung 1983 bildeten sich vorerst zwei Formationen – eine gemässigte und eine alternative grüne Dachorganisation. Im Laufe der Zeit schlossen sich immer mehr kantonale Sektionen der ursprünglich gemässigten Grünen an, was über die Zeit zu einem deutlichen Linksrutsch der Partei führe. Einen detaillierten Überblick über die Gründungs- und Aufbauphase der Grünen in der Schweiz sowie über ihre Siege und Niederlagen bei Wahlen und Abstimmungen gibt Werner Seitz in Kapitel 1.

Wer wählt die Grünen?

Hinsichtlich des Alters ihrer Wählerschaft sind die Grünen kein Generationenprojekt der Alt-Achtundsechziger geblieben. Die Grünen werden zwar überdurchschnittlich stark von jüngeren Wählenden unterstützt, verloren dabei aber ihre mittlerweile etwas älter gewordene Wählenden aus den Anfängen nicht. Pascal Sciarini und Adrien Petitpas zeigen in Kapitel 2 auf, dass die typischen Eigenschaften der Wählenden der Grünen auch weitgehend auf die Wählenden der SP und der Grünliberalen zutreffen. Allerdings stehen die Wähler:innen der Grünen und SP deutlich mehr links, befürworten mehr Staatsinterventionen in die Wirtschaft und sind umweltfreundlicher eingestellt als die Wähler:innen der Grünliberalen.

Politische Position von Parteibasis und Parteiführung

Der bisher wohl aufsehenerregendste Sieg ereignete sich 2019, als die Grünen, aber auch die Grünliberalen, bei den eidgenössischen Wahlen stark an Stimmen zulegten. Isabelle Stadelmann-Steffen und Karin Ingold gehen in Kapitel 3 der Frage nach, wie sich diese grossen Zugewinne an Wähler:innenstimmen erklären lassen und zeigen auf, dass die Steigerung in erster Linie auf das Wachstum des Wähler:innenpotenzials mit ökologischer Gesinnung zurückzuführen ist und weniger auf eine Zuwendung der ökologischen Parteien zur politischen Mitte.

Nutzung der sozialen Medien

Die Nutzung sozialer Medien für die Kommunikation ist zu einem wesentlichen Bestandteil der politischen Öffentlichkeitsarbeit geworden; führend sind dabei grüne Politiker:innen, welche auf nationaler Ebene ein Amt innehaben. Wie Virginia Wenger und Fabrizio Gilardi in Kapitel 4 feststellen, wird die grundlegende Möglichkeit, direkt mit dem Publikum in Kontakt zu treten und sich mit diesem auszutauschen, aber auch von den Grünen noch wenig genützt.

In allen Sprachregionen vertreten

Obwohl die Grünen historisch nicht in allen Sprachregionen die gleichen Wurzeln haben, sind die Unterschiede in den Parteienentwicklungen und der inhaltlichen Positionierung nur gering. Inzwischen sind die Grünen in der Deutsch- und Westschweiz gut verankert und haben auch im Tessin Fuss gefasst. Wie Georg Lutz in Kapitel 5 festhält, sind die Grünen in allen Sprachregionen deutlich links der politischen Mitte positioniert. Inhaltliche Gräben innerhalb der Partei zwischen den Sprachregionen, die zu Konflikten führen könnten, lassen sich nicht feststellen.

Eine urbane Partei

Von Anfang an waren die Grünen vor allem in den grossen Städten erfolgreich, wo sie ab den 2000er begannen, die FDP als  zweitstärkste Kraft hinter der SP abzulösen. In den fünf grössten Städten der Schweiz – Zürich, Genf, Basel, Bern und Lausanne – legt bei Wahlen mittlerweile gut jede fünfte Person eine grüne Liste in die Urne. Dies verschafft den Grünen die Einsitznahme in die rotgrünen Regierungsmehrheiten, deren Stil sie massgeblich mitprägen. Wesentlich schlechter als in den städtischen Zentren schneiden die Grünen in den Agglomerationsgemeinden und vor allem auf dem Land ab, wie Madeleine Schneider in Kapitel 6 aufzeigt.

Bilanz bei Majorzwahlen

Die Grünen sind seit Längerem auch in Majorzwahlen erfolgreich. Allerdings sind Kandidaturen der Grünen in erster Linie in Kantonen der Westschweiz und des Deutschschweizer Mittellandes erfolgreich, welche urbane Zentren haben und einen starken Parteienwettbewerb kennen. Seit 2007 sind die Grünen auch durchgehend im Ständerat vertreten. Wie Sarah Bütikofer in Kapitel 7 aufgezeigt, sind grüne Kandidierende bei Majorzwahlen vor allem dann erfolgreich, wenn das linke Lager im betreffenden Kanton sehr stark ist und wenn die Wähler:innen von SP und GPS – und wo vorhanden auch die der GLP – die grüne Kandidatur konsequent unterstützen.

Allianzen und Stimmverhalten im Parlament

Im Nationalrat nehmen die Grünen aufgrund ihrer dezidiert linken Positionen und ihrer Nichtteilhabe an der Regierung eine Aussenseiterposition ein. Gleichwohl schaffen sie es bisweilen, ihre Anliegen erfolgreich vorzubringen. Daniel Schwarz zeigt in Kapitel 8, dass dies möglich wird, wenn die Grünen – mit ihrer traditionell hohen innerparteilichen Geschlossenheit – es schaffen, Allianzen zu schmieden, die über den «politischen Zwilling» SP hinausreichen.

Einsatz der direkt-demokratischen Instrumente

Seit ihrer Gründung zeichnen sich die Grünen durch eine intensive Nutzung der direktdemokratischen Instrumente aus, wie Lucas Leemann und Angela Odermatt in Kapitel 9 aufzeigen. Im Spiegel der verwendeten direktdemokratischen Instrumente zeigt sich auch deutlich die thematische Verbreiterung der Grünen: Richteten sie in den Anfangsjahren ihren Fokus fast ausschliesslich auf umweltpolitische Anliegen, so öffneten sie über die Zeit und mit zunehmender Stärke ihr inhaltliches Spektrum auf sozial-, friedens- und wirtschaftspolitische Themen. 

Aktive Junggrüne

Wie bei einer neu gegründeten Partei zu erwarten, übernahmen auch bei den Grünen junge und teilweise sogar sehr junge Mitglieder parteiintern und in öffentlichen Ämtern Verantwortung, wie Maja Haus in Kapitel 10 ausführt. Die Partei der Jungen Grünen schaffte es auch, bisher zwei eidgenössischen Volksinitiativen zustande zu bringen («für menschenfreundlichere Fahrzeuge» (Offroader-Initiative) und die Zersiedelungs-Initiative).

Enge Beziehungen zur Frauenbewegung…

Die Grünen sind weit mehr als eine Umweltbewegung. Sie sind auch und vor allem Teil der neuen sozialen Bewegungen. Diese hatten sich im Zuge der 1968er Bewegung herausgebildet und bestanden aus einer Vielzahl von ökologischen, pazifistischen und feministischen Gruppierungen. Diese verschiedenen Bewegungen waren und sind grundlegend für die Entstehung und Weiterentwicklung der Grünen.

In Kapitel 11 analysiert Gesine Fuchs die Verbindung der Grünen zur Frauenbewegung. Gleichstellungspolitische Anliegen waren für die Grünen seit ihren Anfängen ein wesentliches Element und entsprechende Forderungen fanden früh Eingang in die grünen Parteiprogramme. Zudem stellten die Grünen seit ihrer Gründung bei Wahlen überdurchschnittlich viele Kandidatinnen auf – und grüne Frauen wurden von Anfang an überdurchschnittlich gut gewählt.

… zur Friedensbewegung…

Anfang der 1980er-Jahre erfuhr die Friedensbewegung im Zuge der Grossdemonstrationen gegen den Nato-Doppelbeschluss einen starken Aufschwung, sowohl in Europa wie in der Schweiz. An diesen Protesten beteiligten sich mit den Aktivist:innen der Friedensbewegung häufig auch grüne Gruppierungen. Dabei wurde in der Friedensbewegung zunehmend mit dem gefürchteten Atomkrieg auch die Umweltzerstörung thematisiert. Umgekehrt flossen auch friedenspolitische Ideen in die grüne Programmatik ein, wie Andrea Schweizer in Kapitel 12 des vorliegenden Buches aufzeigt.

…. und zur Umweltbewegung

Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden in der Schweiz die ersten Organisationen gegründet, die sich für den Schutz von Natur und Landschaft einsetzen. Wie Monika Gisler in Kapitel 13 ausführt, veränderte sich das gesellschaftliche Bewusstsein für Umweltprobleme weltweit und in der Schweiz ab Ende der 1960er Jahre, unter anderem mit dem Erscheinen von stark beachteten Berichten wie jener des Club of Rome über die Grenzen des Wachstums.

Die Schweizer Grünen im europäischen Vergleich

Es hängt mit dem politischen System der Schweiz zusammen, dass die Grünen im europäischen Vergleich zwar zu den stärksten Vertreterinnen der grünen Parteien zählen, dass ihnen aber bislang auf nationaler Ebene Regierungsverantwortung verwehrt geblieben ist. Bei seinem internationalen Vergleich zeigt Martin Dolezal in Kapitel 14 auf, dass die Grünen in der Schweiz ökonomisch klar linke Positionen einnehmen und dass sie in ihrer Programmatik das Thema Umwelt stärker gewichten als ihre europäischen Schwesterparteien. Hinsichtlich kultureller und europapolitischer Fragen unterscheiden sich dagegen die Schweizer Grünen kaum von anderen europäischen Grünen.


Bütikofer, Sarah und Werner Seitz (2023). “Die Grünen in der Schweiz. Geschichte – Wirken – Perspektiven.” Zürich/Genf: Seismo. 

Der Sammelband besteht auf folgenden 14 Beiträgen: 

  • 1 Die Geschichte der Grünen in der Schweiz, 1983–2022 (Werner Seitz)
  • 2 Die Wähler:innen der Grünen – ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Vergleich mit der SP und der GLP (Pascal Sciarini und Adrien Petitpas)
  • 3 Politische Position von Parteibasis und Parteiführung der ökologischen Parteien GPS und GLP (Karin Ingold und Isabelle Stadelmann-Steffen)
  • 4 Digitalisierung hält Einzug in die Parteienstrategie der Grünen Partei (Virginia Wenger und Fabrizio Gilardi)
  • 5 Die Grünen in den Sprachregionen: Gibt es (noch) Unterschiede? (Georg Lutz)
  • 6 Die Grünen in Stadt und Land: Grosse Städte als Vorreiter der grünen Wahlerfolge (Madeleine Schneider)
  • 7 Die Grünen bei Majorzwahlen – Fokus Ständerat (Sarah Bütikofer)
  • 8 Die Grünen im Parlament: Allianzen und Stimmverhalten (Daniel Schwarz)
  • 9 Die Grünen und die direkte Demokratie (Lucas Leemann und Angela Odermatt)
  • 10 Jung = grün? Über die Jungen Grünen und die grünen Jungen (Maja Haus)
  • 11 Die Grünen und die Frauen: Feminismus als Teil der politischen DNA der Grünen? (Gesine Fuchs)
  • 12 Mobilisierung gegen AKWs, Armee und Kampfjets: Die engen Bande zwischen den Grünen und der Friedensbewegung (Andrea Schweizer)
  • 13 «Save the Planet»: Grüne und Umweltbewegung in der Schweiz (Monika Gisler)
  • 14 Die Schweizer Grünen im europäischen Vergleich (Martin Dolezal)

 

Bild: BFS