Vertrauen in und Nachfrage nach Impfungen: Was lehrt uns die Geschichte?

Die aktu­el­le Pan­de­mie­si­tua­ti­on ist unter ande­rem durch ein Miss­trau­en bestimm­ter Tei­le der Bevöl­ke­rung gegen­über der Imp­fung gekenn­zeich­net. Die­ses Phä­no­men ist nicht neu und beruht auf der Tat­sa­che, dass Men­schen in Umge­bun­gen, in denen die Beschaf­fung von Infor­ma­tio­nen teu­er und/oder unvoll­kom­men ist (ins­be­son­de­re bei Gerüch­ten oder Ver­schwö­rungs­theo­rien), kogni­ti­ve Abkür­zun­gen nut­zen, um ihre Ent­schei­dun­gen zu tref­fen. Ver­trau­en oder Miss­trau­en ist daher im Gesund­heits­we­sen von gros­ser Bedeu­tung, sei es in die Wirk­sam­keit von Impf­stof­fen oder in Insti­tu­tio­nen. Es ist daher zu erwar­ten, dass das Miss­trau­en in Abhän­gig­keit von loka­len kul­tu­rel­len, insti­tu­tio­nel­len und poli­ti­schen Kon­tex­ten varia­bel ist, was auch empi­risch nach­ge­wie­sen wurde.

Das Ziel die­ser Unter­su­chung ist es hin­ge­gen, die Träg­heit die­ses Miss­trau­ens abzu­schät­zen, d. h. die Bedeu­tung der zeit­li­chen Kon­ti­nui­tät von Miss­trau­ens­nor­men, die von frü­he­ren Genera­tio­nen über­nom­men wur­den, für die Erklä­rung des Gesund­heits­ver­hal­tens in einem bestimm­ten Kon­text. Zu die­sem Zweck stützt sie sich auf einen his­to­ri­schen Schock von gros­ser Trag­wei­te, den trans­at­lan­ti­schen Skla­ven­han­del in Afri­ka, des­sen nach­tei­li­ge Aus­wir­kun­gen auf das zeit­ge­nös­si­sche Ver­trau­en in der Lite­ra­tur aus­führ­lich doku­men­tiert wur­den. Die­se For­schungs­ar­beit ist daher zutiefst inter­dis­zi­pli­när und bewegt sich an der Schnitt­stel­le von Wirt­schaft, Geschich­te, Anthro­po­lo­gie, Medi­zin und Soziologie.

Forschungsansatz

Die­se For­schungs­ar­beit kom­bi­niert his­to­ri­sche Daten, die von den bei­den Wirt­schafts­wis­sen­schaft­lern Nathan Nunn und Léo­nard Want­che­kon über den Skla­ven­han­del nach eth­ni­schen Grup­pen in 18 afri­ka­ni­schen Län­dern süd­lich der Saha­ra ent­wi­ckelt wur­den, mit indi­vi­du­el­len Daten über den Impf­sta­tus von Kin­dern (unter fünf Jah­ren) gegen Masern, die auf Dorf­e­be­ne geo­lo­ka­li­siert wur­den und aus den zwi­schen 2010 und 2014 erho­be­nen Demo­gra­phic and Health Sur­veys (DHS) stam­men (die­se Erhe­bun­gen lie­fern auch vie­le Infor­ma­tio­nen über indi­vi­du­el­le Merk­ma­le des Kin­des, der Eltern und des Haushalts).

Genau­er gesagt geht es dar­um, die Bedeu­tung der Wei­ter­ga­be von Miss­trau­ens­nor­men über Genera­tio­nen hin­weg abzu­schät­zen. Dann ist es von ent­schei­den­der Bedeu­tung, das Ver­hal­ten von Per­so­nen ver­glei­chen zu kön­nen, die mit dem­sel­ben Gesund­heits­an­ge­bot, den­sel­ben Insti­tu­tio­nen und der­sel­ben loka­len Kul­tur kon­fron­tiert sind und bei denen nur die his­to­ri­sche Expo­si­ti­on ihrer Vor­fah­ren gegen­über der Skla­ve­rei vari­iert. Dies wird durch die Migra­ti­on ermög­licht, die im Lau­fe der Jahr­hun­der­te statt­ge­fun­den hat, so dass heu­te in einem Dorf Indi­vi­du­en aus ver­schie­de­nen Eth­ni­en zusam­men­le­ben. Um nur die Wir­kung des his­to­ri­schen Schocks auf das heu­ti­ge Impf­ver­hal­ten zu iso­lie­ren, füh­ren wir aus­ser­dem eine Viel­zahl von Kon­troll­va­ria­blen ein, dar­un­ter auch die ursprüng­li­chen kul­tu­rel­len Prä­fe­ren­zen der eth­ni­schen Grup­pen hin­sicht­lich des Prä­ven­tiv­ver­hal­tens (unter Ver­wen­dung der 1967 vom Anthro­po­lo­gen Geor­ge P. Mur­dock ent­wi­ckel­ten Daten zu den Nor­men vor­ko­lo­nia­ler eth­ni­scher Gruppen).

Ergebnisse, Diskussionen und Auswirkungen

Unse­re Ergeb­nis­se deu­ten auf einen signi­fi­kan­ten nega­ti­ven Effekt der Expo­si­ti­on der Vor­fah­ren gegen­über der Skla­ve­rei auf die Impf­be­reit­schaft der Nach­kom­men hin. Ins­be­son­de­re hat ein Kind, des­sen Mut­ter einer eth­ni­schen Grup­pe ange­hört, die Opfer der Skla­ve­rei war, eine fünf­mal gerin­ge­re Wahr­schein­lich­keit, gegen Masern geimpft zu wer­den, als ein Kind, das im sel­ben Dorf lebt, des­sen Mut­ter aber einer eth­ni­schen Grup­pe ange­hört, die kei­ne Skla­ve­rei erlebt hat. Die­ser Effekt gleicht die Wir­kung der klas­si­schen Deter­mi­nan­ten der Inan­spruch­nah­me des Gesund­heits­sys­tems, wie Ein­kom­men und Bil­dung, aus oder domi­niert sie sogar. Wir nut­zen die Nach­fra­ge nach ande­ren Gesund­heits­dienst­leis­tun­gen, um zu zei­gen, dass der Effekt der his­to­ri­schen Aus­set­zung der Vor­fah­ren gegen­über der Skla­ve­rei die Gesamt­struk­tur der Inan­spruch­nah­me von Gesund­heits­dienst­leis­tun­gen beein­flusst, selbst bei nicht-essen­ti­el­len Gesund­heits­dienst­leis­tun­gen (Zustim­mung zu kos­ten­lo­sen Blut­tests) oder bei Dienst­leis­tun­gen, die weni­ger vom Bei­trag ande­rer abhän­gen (Ver­wen­dung von mit Insek­ti­zi­den imprä­gnier­ten Mos­ki­to­net­zen gegen Malaria).

Mit ande­ren Wor­ten: Die gröss­te Ableh­nung von Imp­fun­gen kann ratio­nal sein (das Ergeb­nis his­to­ri­scher Schocks, die das Ver­trau­en sehr lang­fris­tig beein­flus­sen) und muss nicht zwangs­läu­fig auf man­geln­de Bil­dung oder eine bestimm­te poli­ti­sche Ideo­lo­gie zurück­zu­füh­ren sein. Die­se Per­spek­ti­ve könn­te auch nütz­lich sein, um das aktu­el­le Impf­ver­hal­ten in den west­li­chen Län­dern zu beleuch­ten, zumal die Aus­wir­kun­gen auf die öffent­li­che Poli­tik poten­zi­ell erheb­lich sind. Dabei soll­te die his­to­ri­sche Beson­der­heit bestimm­ter Grup­pen bei der Gestal­tung und Kom­mu­ni­ka­ti­on von Gesund­heits­po­li­tik, ein­schliess­lich der Prä­ven­ti­ons­po­li­tik, berück­sich­tigt werden.


Bemer­kung: Die­ser Arti­kel wur­de im Rah­men des IDHEAP Poli­cy Brief No. 1 veröffentlicht.

Refe­renz:

Bild: Unsplash.com

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