Die Gesundheitsflüsterer: Die wissenschaftlichen Beiräte und die COVID-19-Pandemie

Wis­sen­schaft­li­che Bei­rä­te sind wich­ti­ge Infor­ma­ti­ons­quel­len für poli­ti­sche Entscheidungsträger:innen, da sie ihnen Emp­feh­lun­gen zu bestimm­ten gesell­schaft­li­chen Pro­ble­men geben. Wäh­rend der COVID-19-Kri­se rich­te­ten vie­le Län­der sol­che Insti­tu­tio­nen ein, um die Ent­wick­lung von auf wis­sen­schaft­li­chen Erkennt­nis­sen beru­hen­den poli­ti­schen Mass­nah­men zu erleich­tern. Wäh­rend die Ent­wick­lung sol­cher Stra­te­gien in der Regel auf einem evi­denz­ba­sier­ten Ansatz basiert, hat­ten die Entscheidungsträger:innen wäh­rend der COVID-19-Pan­de­mie wenig Gewiss­heit über die Wirk­sam­keit der Inter­ven­tio­nen. Die Wissenschaftler:innen plä­dier­ten für eine adap­ti­ve und agi­le Regie­rungs­füh­rung, die von den Behör­den sowohl eine schnel­le Reak­ti­on als auch den Umgang mit zahl­rei­chen Unsi­cher­hei­ten unter Ein­be­zie­hung ver­schie­de­ner Inter­es­sen­grup­pen ver­lang­te. Infol­ge­des­sen waren die wis­sen­schaft­li­chen Emp­feh­lun­gen in der poli­ti­schen Are­na stark umstrit­ten und es ist unklar, inwie­weit sie die öffent­li­che Poli­tik beein­flus­sen konn­ten. Der vor­lie­gen­de Bei­trag unter­sucht die Rol­le der wis­sen­schaft­li­chen Bei­rä­te wäh­rend der COVID-19-Pan­de­mie am Bei­spiel der Schweiz und ihrer Swiss Natio­nal Sci­ence Task For­ce, die in den ers­ten Wochen der COVID-19-Kri­se gegrün­det wurde.

Hintergrund der Forschungsarbeit

Wir ver­glei­chen die poli­ti­schen Emp­feh­lun­gen der Swiss Natio­nal COVID-19 Sci­ence Task For­ce (TASK FORCE), wel­che die Schwei­zer Regie­rung seit Beginn der Pan­de­mie mit Infor­ma­tio­nen ver­sorgt hat, mit den Ant­wor­ten der Bun­des­re­gie­rung und dis­ku­tie­ren die mög­li­chen Bezie­hun­gen zwi­schen den bei­den Orga­ni­sa­tio­nen. Die Insti­tu­tio­na­li­sie­rung von wis­sen­schaft­li­chen Nach­wei­sen im poli­ti­schen Sys­tem begüns­tigt ihre Umset­zung in öffent­li­che Poli­tik, ihre Berück­sich­ti­gung ist jedoch nicht garan­tiert. Obwohl die Wis­sen­schaft eine wich­ti­ge Rol­le in der zeit­ge­nös­si­schen öffent­li­chen Poli­tik­ge­stal­tung spielt, wur­de die evi­denz­ba­sier­te Poli­tik­ge­stal­tung nach dem Erfolg vie­ler popu­lis­ti­scher Bewe­gun­gen und dem poten­zi­el­len Auf­kom­men der post­fak­ti­schen Poli­tik in Fra­ge gestellt. Trotz der jüngs­ten Ent­wick­lun­gen scheint es, als ob die Wis­sen­schaft wäh­rend der COVID-19-Pan­de­mie ein Come­back gefei­ert hat. Die poli­ti­schen Akteu­re waren mehr an der Stim­me des Epi­de­mio­lo­gen, der Viro­lo­gin und des Spe­zia­lis­ten für öffent­li­che Gesund­heit inter­es­siert und for­der­ten die­se stark ein. Wissenschaftler:innen wer­den oft als unab­hän­gi­ge Expert:innen betrach­tet, die die Wahr­heit mit­hil­fe stren­ger und sys­te­ma­ti­scher Metho­den suchen, die kei­ne Beein­flus­sung ihrer objek­ti­ven Rea­li­tät zulas­sen, obwohl Lam­b­right (2008: 6)1 behaup­tet, dass Wissenschaftler:innen, wenn sie ihre Labo­re ver­las­sen, um poli­ti­sche Posi­tio­nen zu ver­tre­ten, sich wie ande­re Inter­es­sen­grup­pen ver­hal­ten kön­nen, indem sie ver­su­chen die öffent­li­che Poli­tik zu beein­flus­sen. Doch wäh­rend Wissenschaftler:innen fes­ten Regeln fol­gen, die wis­sen­schaft­li­che Bewei­se her­vor­brin­gen, kön­nen die Ent­schei­dun­gen von Politiker:innen durch den Druck der Wähler:innen, die öffent­li­che Mei­nung und Wahl­kampf­spen­den beein­flusst werden.

Methodisches Vorgehen

Aus metho­do­lo­gi­scher Sicht haben wir eine quan­ti­ta­ti­ve Text­ana­ly­se durch­ge­führt. Um die wis­sen­schaft­li­chen Berich­te (N=22) mit den Pres­se­mit­tei­lun­gen der Regie­rung (N=25) zwi­schen April und Juli 2020 zu ver­glei­chen, ana­ly­sie­ren wir die von der TASK FORCE ver­öf­fent­lich­ten Poli­cy Briefs und die offi­zi­el­len Pres­se­mit­tei­lun­gen des Bun­des­am­tes für Gesund­heit und des Schwei­zer Bun­des­ra­tes sowie die poli­ti­schen Memo­ran­den des letz­te­ren. Dafür füh­ren wir eine Schlüs­sel­wort­ana­ly­se durch, die auf dem Vor­kom­men und der Häu­fig­keit der Ver­wen­dung bestimm­ter Begrif­fe in den bei­den uns zur Ver­fü­gung ste­hen­den Doku­men­ten­ar­ten basiert.

Dabei wird das durch­schnitt­li­che und rela­ti­ve Vor­kom­men bestimm­ter Begrif­fe (z. B. Mas­ken) ermit­telt, um Über­schnei­dun­gen zwi­schen den Emp­feh­lun­gen der Task For­ce und den Ant­wor­ten der Regie­rung aufzuzeigen.

Ergebnisse und Diskussion

Die sum­ma­ti­ve Ana­ly­se der rela­ti­ven Wort­häu­fig­kei­ten zeigt, dass die von der Task For­ce ver­wen­de­ten Begrif­fe fast aus­schliess­lich mit gesund­heits­be­zo­ge­nen Mass­nah­men und The­men in Ver­bin­dung ste­hen. Was die Pres­se­mit­tei­lun­gen der Bun­des­re­gie­rung betrifft, so wei­sen sie trotz des Schwer­punkts auf der COVID-19-Pan­de­mie eine grös­se­re Vari­anz in Bezug auf die ver­wen­de­ten Wör­ter auf. Die Auf­merk­sam­keit, die die Bun­des­re­gie­rung den ver­schie­de­nen Gesund­heits­the­men wid­met, ist ins­ge­samt gerin­ger als die in den Beur­tei­lun­gen der Task For­ce nach­ge­wie­se­ne. Ange­sichts der mit der Pan­de­mie ver­bun­de­nen Unsi­cher­heit und der Viel­falt der ver­schie­de­nen Inter­es­sen­grup­pen muss­te der Bun­des­rat jedoch in einem sich schnell ändern­den Umfeld han­deln und dabei gesund­heit­li­che, wirt­schaft­li­che und gesell­schaft­li­che Inter­es­sen berück­sich­ti­gen. Ins­ge­samt stel­len wir fest, dass die vom Bun­des­rat ange­spro­che­nen poli­ti­schen Fra­gen mit den von der Task For­ce in den Berich­ten erör­ter­ten iden­tisch sind, wie die unten ste­hen­de Gra­fik ver­deut­licht. In die­sem Fall unter­schei­det sich zwar die Inten­si­tät der Ver­wen­dung des Wor­tes Mas­ke in den bei­den Doku­ment­ty­pen, die Dyna­mik ist jedoch ver­gleich­bar, was auf eine Form der Kon­ver­genz hindeutet.

Abbildung 1 | Entwicklung der relativen Häufigkeit des Wortes “Maske”

1 Lam­b­right, W. H. (2008). Government and sci­ence: A trou­bled, cri­ti­cal rela­ti­ons­hip and what can be done about it. Public Admi­nis­tra­ti­on Review, 68(1), 5–18.


Bemer­kung: Die­ser Arti­kel wur­de im Rah­men des IDHEAP Poli­cy Brief No. 2 veröffentlicht.

Refe­renz:

  • Bun­di, P., Cah­li­ko­va, T. & Mou­lay, L. (2021). The Health Whis­pe­rers: Sci­en­ti­fic Advi­so­ry Boards and the COVID-19 Pan­de­mic. Unver­öf­fent­lich­te Arbeits­un­ter­la­ge. Uni­ver­si­tät Lausanne.

Bild: unsplash.ch

 

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