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Vertrauen in und Nachfrage nach Impfungen: Was lehrt uns die Geschichte?

Laure Athias, Moudo Macina
28th April 2023

Die aktuelle Pandemiesituation ist unter anderem durch ein Misstrauen bestimmter Teile der Bevölkerung gegenüber der Impfung gekennzeichnet. Dieses Phänomen ist nicht neu und beruht auf der Tatsache, dass Menschen in Umgebungen, in denen die Beschaffung von Informationen teuer und/oder unvollkommen ist (insbesondere bei Gerüchten oder Verschwörungstheorien), kognitive Abkürzungen nutzen, um ihre Entscheidungen zu treffen. Vertrauen oder Misstrauen ist daher im Gesundheitswesen von grosser Bedeutung, sei es in die Wirksamkeit von Impfstoffen oder in Institutionen. Es ist daher zu erwarten, dass das Misstrauen in Abhängigkeit von lokalen kulturellen, institutionellen und politischen Kontexten variabel ist, was auch empirisch nachgewiesen wurde.

Das Ziel dieser Untersuchung ist es hingegen, die Trägheit dieses Misstrauens abzuschätzen, d. h. die Bedeutung der zeitlichen Kontinuität von Misstrauensnormen, die von früheren Generationen übernommen wurden, für die Erklärung des Gesundheitsverhaltens in einem bestimmten Kontext. Zu diesem Zweck stützt sie sich auf einen historischen Schock von grosser Tragweite, den transatlantischen Sklavenhandel in Afrika, dessen nachteilige Auswirkungen auf das zeitgenössische Vertrauen in der Literatur ausführlich dokumentiert wurden. Diese Forschungsarbeit ist daher zutiefst interdisziplinär und bewegt sich an der Schnittstelle von Wirtschaft, Geschichte, Anthropologie, Medizin und Soziologie.

Forschungsansatz

Diese Forschungsarbeit kombiniert historische Daten, die von den beiden Wirtschaftswissenschaftlern Nathan Nunn und Léonard Wantchekon über den Sklavenhandel nach ethnischen Gruppen in 18 afrikanischen Ländern südlich der Sahara entwickelt wurden, mit individuellen Daten über den Impfstatus von Kindern (unter fünf Jahren) gegen Masern, die auf Dorfebene geolokalisiert wurden und aus den zwischen 2010 und 2014 erhobenen Demographic and Health Surveys (DHS) stammen (diese Erhebungen liefern auch viele Informationen über individuelle Merkmale des Kindes, der Eltern und des Haushalts).

Genauer gesagt geht es darum, die Bedeutung der Weitergabe von Misstrauensnormen über Generationen hinweg abzuschätzen. Dann ist es von entscheidender Bedeutung, das Verhalten von Personen vergleichen zu können, die mit demselben Gesundheitsangebot, denselben Institutionen und derselben lokalen Kultur konfrontiert sind und bei denen nur die historische Exposition ihrer Vorfahren gegenüber der Sklaverei variiert. Dies wird durch die Migration ermöglicht, die im Laufe der Jahrhunderte stattgefunden hat, so dass heute in einem Dorf Individuen aus verschiedenen Ethnien zusammenleben. Um nur die Wirkung des historischen Schocks auf das heutige Impfverhalten zu isolieren, führen wir ausserdem eine Vielzahl von Kontrollvariablen ein, darunter auch die ursprünglichen kulturellen Präferenzen der ethnischen Gruppen hinsichtlich des Präventivverhaltens (unter Verwendung der 1967 vom Anthropologen George P. Murdock entwickelten Daten zu den Normen vorkolonialer ethnischer Gruppen).

Ergebnisse, Diskussionen und Auswirkungen

Unsere Ergebnisse deuten auf einen signifikanten negativen Effekt der Exposition der Vorfahren gegenüber der Sklaverei auf die Impfbereitschaft der Nachkommen hin. Insbesondere hat ein Kind, dessen Mutter einer ethnischen Gruppe angehört, die Opfer der Sklaverei war, eine fünfmal geringere Wahrscheinlichkeit, gegen Masern geimpft zu werden, als ein Kind, das im selben Dorf lebt, dessen Mutter aber einer ethnischen Gruppe angehört, die keine Sklaverei erlebt hat. Dieser Effekt gleicht die Wirkung der klassischen Determinanten der Inanspruchnahme des Gesundheitssystems, wie Einkommen und Bildung, aus oder dominiert sie sogar. Wir nutzen die Nachfrage nach anderen Gesundheitsdienstleistungen, um zu zeigen, dass der Effekt der historischen Aussetzung der Vorfahren gegenüber der Sklaverei die Gesamtstruktur der Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen beeinflusst, selbst bei nicht-essentiellen Gesundheitsdienstleistungen (Zustimmung zu kostenlosen Bluttests) oder bei Dienstleistungen, die weniger vom Beitrag anderer abhängen (Verwendung von mit Insektiziden imprägnierten Moskitonetzen gegen Malaria).

Mit anderen Worten: Die grösste Ablehnung von Impfungen kann rational sein (das Ergebnis historischer Schocks, die das Vertrauen sehr langfristig beeinflussen) und muss nicht zwangsläufig auf mangelnde Bildung oder eine bestimmte politische Ideologie zurückzuführen sein. Diese Perspektive könnte auch nützlich sein, um das aktuelle Impfverhalten in den westlichen Ländern zu beleuchten, zumal die Auswirkungen auf die öffentliche Politik potenziell erheblich sind. Dabei sollte die historische Besonderheit bestimmter Gruppen bei der Gestaltung und Kommunikation von Gesundheitspolitik, einschliesslich der Präventionspolitik, berücksichtigt werden.


Bemerkung: Dieser Artikel wurde im Rahmen des IDHEAP Policy Brief No. 1 veröffentlicht.

Referenz:

Bild: Unsplash.com