Kann deliberative Bürgerbeteiligung die Klimakrise lösen? Nicht ohne Verbindungen zur Politik

In den letz­ten Jah­ren wur­den natio­na­le Kli­ma-Bür­ger­rä­te vie­ler­orts in Euro­pa ein­ge­rich­tet, um Bürger*innen Emp­feh­lun­gen zur Kli­ma­po­li­tik ent­wi­ckeln zu las­sen. Aber haben die­se Initia­ti­ven über­haupt eine Wir­kung auf kli­ma­po­li­ti­sche Ent­schei­dun­gen? In einem neu­en Arti­kel argu­men­tie­ren John Bos­well, Rik­ki Dean und Gra­ham Smith, dass der Art und Wei­se, wie Kli­ma-Bür­ger­rä­te in die Poli­tik inte­griert wer­den, mehr Auf­merk­sam­keit gewid­met wer­den sollte.

Aarauer Demokratietage

Die Schlag­zei­len zur COP27 stimm­ten nicht gera­de opti­mis­tisch, was die Bewäl­ti­gung der Kli­ma­kri­se anbe­langt. Täg­lich hör­ten wir, wie natio­na­le Politiker*innen — ob demo­kra­tisch gewählt oder nicht — wei­ter­hin wirt­schaft­li­chen Impe­ra­ti­ven den Vor­rang gaben und sich davor scheu­ten, sich zu wir­kungs­vol­len Maß­nah­men zu ver­pflich­ten. Könn­te die direk­te Betei­li­gung von Bürger*innen die Staats- und Regierungschef*innen aus ihrer kli­ma­po­li­ti­schen Erstar­rung aufrütteln?

Immer grö­ße­re Hoff­nung wird dar­auf gesetzt, dass Bür­ger­rä­te der Kli­ma­po­li­tik neu­en Schwung ver­lei­hen. Eine sol­che Initia­ti­ve, die Glo­bal Citi­zens’ Assem­bly, wur­de von zivil­ge­sell­schaft­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen par­al­lel zum letz­ten COP-Gip­fel in Glas­gow ins Leben geru­fen. Kli­ma-Bür­ger­rä­te wer­den von so unter­schied­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen wie Extinc­tion Rebel­li­on und der OECD geför­dert. Und über die letz­ten sechs Jah­re konn­te in Euro­pa eine Wel­le die­ser Initia­ti­ven auf natio­na­ler und loka­ler Ebe­ne beob­ach­tet werden.

Bür­ger­rä­te sind ein bewähr­tes Instru­ment, um nach dem Zufalls­prin­zip aus­ge­wähl­te Bürger*innen zusam­men­zu­brin­gen, damit sie Fak­ten sich­ten und aus­wer­ten, sich an struk­tu­rier­ten Dis­kus­sio­nen betei­li­gen und dadurch gemein­sam gut über­leg­te Emp­feh­lun­gen für poli­ti­sche Maß­nah­men ent­wi­ckeln. Die Hoff­nung ist, dass durch das Zusam­men­brin­gen “nor­ma­ler“ Bürger*innen und die Ein­ho­lung ihrer infor­mier­ten Sicht­wei­sen zur Kli­ma­po­li­tik die struk­tu­rel­le Träg­heit und der Lärm der Öffent­lich­keit, die die­ses The­ma umge­ben, durch­bro­chen wer­den kann. Wie haben sich die­se Expe­ri­men­te also in der Pra­xis bewährt? Kön­nen sie Aktio­nen zur Kli­ma­po­li­tik anregen?

Klima-Bürgerräte

In Anleh­nung an das Ide­al der deli­be­ra­ti­ven Demo­kra­tie kon­zen­triert sich ein Groß­teil der Auf­merk­sam­keit auf die inter­nen Merk­ma­le der Kli­ma-Bür­ger­rä­te. Die Beto­nung liegt auf ihrer Neu­ar­tig­keit als ein Raum für den respekt­vol­len, frei­en und fai­ren Aus­tausch von Argu­men­ten, anstel­le der par­tei­po­li­ti­schen Zan­ke­rei­en des poli­ti­schen Alltags.

Dahin gehend ist die Glo­bal Citi­zens‘ Assem­bly im Jahr 2021 und die „Wel­le“ des Expe­ri­men­tie­rens mit Kli­ma-Bür­ger­rä­ten in Euro­pa viel­ver­spre­chend. Die teil­neh­men­den Bürger*innen haben bewie­sen, dass sie sich mit kom­ple­xen Infor­ma­tio­nen aus­ein­an­der­set­zen, mit­ein­an­der respekt­voll dis­ku­tie­ren und eine Rei­he gut begrün­de­ter Emp­feh­lun­gen ent­wi­ckeln kön­nen, die jedes Mal pro­gres­si­ver als die exis­tie­ren­de Kli­ma­po­li­tik sind.

Doch bevor wir uns von der Begeis­te­rung mit­rei­ßen las­sen, ist es wich­tig, sich auf einen grund­le­gen­den Punkt zu fokus­sie­ren, der nor­ma­ler­wei­se über­gan­gen wird. Bür­ger­rä­te wer­den zu oft in einer gera­de­zu magisch anmu­ten­den Wei­se beschrie­ben, als ob das mora­li­sche Gewicht der Emp­feh­lun­gen der Bürger*innen allei­ne rei­che, um durch den zwang­lo­sen Zwang des bes­se­ren Argu­ments, alle zu über­zeu­gen. Die­se Erwar­tung ist aller­dings naiv.

Ein wir­kungs­ori­en­tier­tes Design von Kli­ma-Bür­ger­rä­ten erfor­dert viel mehr Auf­merk­sam­keit für die Fein­hei­ten der tat­säch­li­chen Poli­tik­ge­stal­tung. Das bedeu­tet, die tech­ni­schen Unsi­cher­hei­ten und die Kom­ple­xi­tät poli­ti­scher Maß­nah­men ernst zu neh­men und sich den poli­ti­schen Her­aus­for­de­run­gen und Ziel­kon­flik­ten zu stel­len, die beim Abwä­gen von Prio­ri­tä­ten im Schat­ten mäch­ti­ger Inter­es­sen erfor­der­lich sind.

In einer kürz­lich erschie­ne­nen Stu­die haben wir die ers­ten sechs Kli­ma-Bür­ger­rä­te auf natio­na­ler Ebe­ne – in Irland, Frank­reich, dem Ver­ei­nig­ten König­reich, Schott­land, Deutsch­land und Däne­mark – unter­sucht, um zu sehen, wie sie Wir­kung auf die natio­na­le Kli­ma­po­li­tik zu erzie­len ver­such­ten. Unser neu­ar­ti­ger Ansatz besteht dar­in, den Fokus von ihren (sehr ähn­li­chen) inter­nen Gestal­tungs­merk­ma­len — wie der Zufalls­aus­wahl — stär­ker auf ihre inte­gra­ti­ven Gestal­tungs­merk­ma­le zu richten.

Wen müssen Klima-Bürgerräte beeinflussen, um Wirkung zu erzielen?

Eine übli­che Annah­me in der Theo­rie und Pra­xis von Bür­ger­rä­ten ist, dass sie Ein­fluss auf einen bestimm­ten ent­schei­dungs­be­fug­ten Akteur aus­üben sol­len — nor­ma­ler­wei­se die auf­trag­ge­ben­de Insti­tu­ti­on. Jedoch wird Poli­tik fast immer von einer Kon­stel­la­ti­on von Akteu­ren aus einer Rei­he von Insti­tu­tio­nen gestal­tet. Selbst im fran­zö­si­schen Bei­spiel, wo der Kli­ma-Bür­ger­rat direkt von Prä­si­dent Macron in Auf­trag gege­ben wur­de, lag es nicht in sei­ner Macht, die Emp­feh­lun­gen ein­fach, ohne die Zustim­mung ande­rer wich­ti­ger Insti­tu­tio­nen wie der Natio­nal­ver­samm­lung, die durch den Pro­zess nicht ein­be­zo­gen wur­den, zu übernehmen. 

Wir müs­sen uns also fra­gen, wie Kli­ma-Bür­ger­rä­te in die kom­ple­xe Kon­stel­la­ti­on von Insti­tu­tio­nen und Sta­ke­hol­dern der Kli­ma-Gover­nan­ce inte­griert wer­den kön­nen, anstatt uns allein auf eine enge Ver­bin­dung mit einem ein­zi­gen ent­schei­dungs­be­fug­ten Akteur zu kon­zen­trie­ren. Die Ermitt­lung der Rei­he der Akteu­re, mit denen Bür­ger­rä­te ankop­peln müs­sen, wür­de Bür­ger­rä­te weni­ger abhän­gig vom Ein­fluss eines ein­zel­nen insti­tu­tio­nel­len Unter­stüt­zers machen. 

Wie setzen sich Klima-Bürgerräte mit politischen Akteuren und Institutionen in Beziehung?

Kli­ma-Bür­ger­rä­te sind mit zwei poli­ti­schen Hoff­nun­gen ver­bun­den: Sie sol­len bes­se­re Poli­tik durch die Depo­la­ri­sie­rung umstrit­te­ner The­men för­dern und gleich­zei­tig zu einer brei­ten Trans­for­ma­ti­on der öffent­li­chen Mei­nung hin zur Unter­stüt­zung radi­ka­ler kli­ma­po­li­ti­scher Maß­nah­men füh­ren. Was aber, wenn die­se Zie­le unver­ein­bar sind? 

Wir stel­len fest, dass in unse­ren Fäl­len ent­we­der das Eine oder das Ande­re prio­ri­siert wur­de. Die meis­ten kon­zen­trie­ren sich dar­auf, den poli­ti­schen Entscheidungsträger*innen ent­po­li­ti­sier­te Emp­feh­lun­gen zu lie­fern. Ein­zig der fran­zö­si­sche Fall prio­ri­sier­te im Gegen­satz dazu eine poli­ti­sche Trans­for­ma­ti­on. Dadurch hat­te der fran­zö­si­sche Kli­ma-Bür­ger­rat eine grö­ße­re Wir­kung auf die öffent­li­che Debat­te, aller­dings auf Kos­ten einer wei­te­ren Auf­hei­zung des Themas.

Poli­ti­schen Ent­schei­dungs­trä­gern ins Ohr zu flüs­tern ist eine ande­re Art und Wei­se Ein­fluss aus­zu­üben, als öffent­li­che Debat­ten über das Kli­ma zu trans­for­mie­ren. Bei­de erfor­dern ein unter­schied­li­ches Mass an Poli­ti­sie­rung und die­ser Ziel­kon­flikt muss berück­sich­tigt wer­den, wenn Bür­ger­rä­te ver­su­chen, mit der Zivil­ge­sell­schaft in Ver­bin­dung zu tre­ten und die öffent­li­che Sphä­re zu beeinflussen. 

Durch welche Mechanismen können Klima-Bürgerräte Einfluss aufrechterhalten?

Bür­ger­rä­te sind in der Regel als ein­ma­li­ge Ver­an­stal­tun­gen kon­zi­piert, die zu einem kri­ti­schen Zeit­punkt im poli­ti­schen Ent­schei­dungs­fin­dungs­pro­zess initi­iert wer­den. Ein Ent­schei­dungs­fin­dungs­pro­zess ist jedoch kein sta­bi­ler oder bere­chen­ba­rer Zyklus. Der Pro­zess ist fast immer lang­wie­rig, ite­ra­tiv und oft frus­trie­rend. Es stellt sich somit die Fra­ge, wer in die­sem Kon­text noch im Namen des Bür­ger­rats spre­chen kann, wenn die Ver­an­stal­tung bereits vor­bei ist?

Wie­der­um konn­ten wir empi­risch unter­schied­li­che Ansät­ze iden­ti­fi­zie­ren, wie die Her­aus­for­de­rung, den Ein­fluss des Kli­ma-Bür­ger­rats auf­recht­zu­er­hal­ten, ange­gan­gen wur­de. Man­che Fäl­le, wie im Ver­ei­nig­ten König­reich, ver­lies­sen sich infor­mell auf insti­tu­tio­nel­le Fürsprecher*innen, um die Emp­feh­lun­gen des Bür­ger­rats in den weni­ger bekann­ten Are­nen des fort­lau­fen­den kli­ma­po­li­ti­schen Ent­schei­dungs­pro­zes­ses zu wie­der­ho­len und zu ver­stär­ken. Ande­re Kli­ma-Bür­ger­rä­te ver­such­ten hier­für, die Teilnehmer*innen zu mobi­li­sie­ren. Ein beson­ders star­kes Bei­spiel stellt der fran­zö­si­sche Bür­ger­rat dar, der als Zünd­fun­ke für die Grün­dung einer neu­en sozia­len Bewe­gung, Les 150, dien­te. Die­se Bewe­gung wur­de von einer Grup­pe von Teilnehmer*innen geformt, um Ent­wick­lun­gen in der Kli­ma­po­li­tik zu ver­fol­gen und Kli­ma­schutz­maß­nah­men vor­an­zu­trei­ben, noch lan­ge nach­dem die offi­zi­el­len Dis­kus­sio­nen des Bür­ger­rats vor­bei waren.

Die­se Ansät­ze sind jedoch pro­ble­ma­tisch für das gän­gi­ge Ver­ständ­nis, dass die Legi­ti­mi­tät von Bür­ger­rä­ten und ihren Emp­feh­lun­gen in der Reprä­sen­ta­ti­vi­tät der Teilnehmer*innen in Bezug auf die Bevöl­ke­rung begrün­det ist. Ist Les 150 noch reprä­sen­ta­tiv, wenn nicht mehr alle Teilnehmer*innen glei­cher­ma­ßen invol­viert sind? Und wie viel Fle­xi­bi­li­tät haben insti­tu­tio­nel­le Fürsprecher*innen, die Emp­feh­lun­gen des Bür­ger­rats an den sich kon­ti­nu­ier­lich wan­delen­den poli­ti­schen Kon­text anzu­pas­sen? Die Anpas­sung von Bür­ger­rä­ten an die prag­ma­ti­schen Her­aus­for­de­run­gen der Poli­tik­ge­stal­tung läuft den nor­ma­ti­ven Theo­rien, die ihre Anwen­dung legi­ti­mie­ren, weit voraus. 

Ins­ge­samt wirft die Viel­falt der Ansät­ze zum inte­gra­ti­ven Design von Kli­ma-Bür­ger­rä­ten wich­ti­ge Kom­ple­xi­tä­ten und Fra­gen für die zukünf­ti­ge Nut­zung von Bür­ger­rä­ten auf. Die Ergeb­nis­se unse­rer Stu­die war­nen davor, dass Bür­ger­rä­te kei­ne uni­for­me Gover­nan­ce-Lösung „von der Stan­ge“ sind, deren Aus­wir­kun­gen sich bereits allein durch ihre inter­nen Gestal­tungs­merk­ma­le vor­her­sa­gen lassen.

Kli­ma-Bür­ger­rä­te sind kein magi­scher Ersatz für Poli­tik wie bis­her. Grö­ße­re Auf­merk­sam­keit muss daher den schwie­ri­gen Ent­schei­dun­gen und Abwä­gun­gen gewid­met wer­den, die mit dem inte­gra­ti­ven Design der Bür­ger­rä­te ein­her­ge­hen. Mit wem sie sich in Bezie­hung set­zen und durch wel­che Mecha­nis­men sie ihren Ein­fluss auf­recht­erhal­ten zu ver­su­chen, wird eine gro­ße Rol­le dabei spie­len, ob sie eine wirk­sa­me Inter­ven­ti­on in der Kli­ma­po­li­tik dar­stel­len oder nicht.


Die Autoren dan­ken Andrea Schin­ke und Ste­fan Jung für ihre Unter­stüt­zung bei der Über­set­zung des Artikels.

Hin­weis: Die­ser Bei­trag ist die schrift­li­che Kurz­fas­sung des Refe­rats “Inte­gra­ting Citi­zen Deli­be­ra­ti­on into Cli­ma­te Gover­nan­ce: Les­sons from the Euro­pean Wave of Cli­ma­te Assem­blies”, gehal­ten von Rik­ki Dean an den 15. Aar­au­er Demo­kra­tieta­gen vom 30. März 2023.

Quel­le: Bos­well, J.Dean, R., & Smith, G. (2023). Inte­gra­ting citi­zen deli­be­ra­ti­on into cli­ma­te gover­nan­ce: Les­sons on robust design from six cli­ma­te assem­bliesPublic Admi­nis­tra­ti­on1011), 182 – 200.

Bild: unsplash.com

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