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Kann deliberative Bürgerbeteiligung die Klimakrise lösen? Nicht ohne Verbindungen zur Politik

Rikki Dean, John Boswell, Graham Smith
29th März 2023

In den letzten Jahren wurden nationale Klima-Bürgerräte vielerorts in Europa eingerichtet, um Bürger*innen Empfehlungen zur Klimapolitik entwickeln zu lassen. Aber haben diese Initiativen überhaupt eine Wirkung auf klimapolitische Entscheidungen? In einem neuen Artikel argumentieren John Boswell, Rikki Dean und Graham Smith, dass der Art und Weise, wie Klima-Bürgerräte in die Politik integriert werden, mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte.

Aarauer Demokratietage

Die Schlagzeilen zur COP27 stimmten nicht gerade optimistisch, was die Bewältigung der Klimakrise anbelangt. Täglich hörten wir, wie nationale Politiker*innen - ob demokratisch gewählt oder nicht - weiterhin wirtschaftlichen Imperativen den Vorrang gaben und sich davor scheuten, sich zu wirkungsvollen Maßnahmen zu verpflichten. Könnte die direkte Beteiligung von Bürger*innen die Staats- und Regierungschef*innen aus ihrer klimapolitischen Erstarrung aufrütteln?

Immer größere Hoffnung wird darauf gesetzt, dass Bürgerräte der Klimapolitik neuen Schwung verleihen. Eine solche Initiative, die Global Citizens' Assembly, wurde von zivilgesellschaftlichen Organisationen parallel zum letzten COP-Gipfel in Glasgow ins Leben gerufen. Klima-Bürgerräte werden von so unterschiedlichen Organisationen wie Extinction Rebellion und der OECD gefördert. Und über die letzten sechs Jahre konnte in Europa eine Welle dieser Initiativen auf nationaler und lokaler Ebene beobachtet werden.

Bürgerräte sind ein bewährtes Instrument, um nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Bürger*innen zusammenzubringen, damit sie Fakten sichten und auswerten, sich an strukturierten Diskussionen beteiligen und dadurch gemeinsam gut überlegte Empfehlungen für politische Maßnahmen entwickeln. Die Hoffnung ist, dass durch das Zusammenbringen “normaler“ Bürger*innen und die Einholung ihrer informierten Sichtweisen zur Klimapolitik die strukturelle Trägheit und der Lärm der Öffentlichkeit, die dieses Thema umgeben, durchbrochen werden kann. Wie haben sich diese Experimente also in der Praxis bewährt? Können sie Aktionen zur Klimapolitik anregen?

Klima-Bürgerräte

In Anlehnung an das Ideal der deliberativen Demokratie konzentriert sich ein Großteil der Aufmerksamkeit auf die internen Merkmale der Klima-Bürgerräte. Die Betonung liegt auf ihrer Neuartigkeit als ein Raum für den respektvollen, freien und fairen Austausch von Argumenten, anstelle der parteipolitischen Zankereien des politischen Alltags.

Dahin gehend ist die Global Citizens‘ Assembly im Jahr 2021 und die „Welle“ des Experimentierens mit Klima-Bürgerräten in Europa vielversprechend. Die teilnehmenden Bürger*innen haben bewiesen, dass sie sich mit komplexen Informationen auseinandersetzen, miteinander respektvoll diskutieren und eine Reihe gut begründeter Empfehlungen entwickeln können, die jedes Mal progressiver als die existierende Klimapolitik sind.

Doch bevor wir uns von der Begeisterung mitreißen lassen, ist es wichtig, sich auf einen grundlegenden Punkt zu fokussieren, der normalerweise übergangen wird. Bürgerräte werden zu oft in einer geradezu magisch anmutenden Weise beschrieben, als ob das moralische Gewicht der Empfehlungen der Bürger*innen alleine reiche, um durch den zwanglosen Zwang des besseren Arguments, alle zu überzeugen. Diese Erwartung ist allerdings naiv.

Ein wirkungsorientiertes Design von Klima-Bürgerräten erfordert viel mehr Aufmerksamkeit für die Feinheiten der tatsächlichen Politikgestaltung. Das bedeutet, die technischen Unsicherheiten und die Komplexität politischer Maßnahmen ernst zu nehmen und sich den politischen Herausforderungen und Zielkonflikten zu stellen, die beim Abwägen von Prioritäten im Schatten mächtiger Interessen erforderlich sind.

In einer kürzlich erschienenen Studie haben wir die ersten sechs Klima-Bürgerräte auf nationaler Ebene – in Irland, Frankreich, dem Vereinigten Königreich, Schottland, Deutschland und Dänemark – untersucht, um zu sehen, wie sie Wirkung auf die nationale Klimapolitik zu erzielen versuchten. Unser neuartiger Ansatz besteht darin, den Fokus von ihren (sehr ähnlichen) internen Gestaltungsmerkmalen - wie der Zufallsauswahl - stärker auf ihre integrativen Gestaltungsmerkmale zu richten.

Wen müssen Klima-Bürgerräte beeinflussen, um Wirkung zu erzielen?

Eine übliche Annahme in der Theorie und Praxis von Bürgerräten ist, dass sie Einfluss auf einen bestimmten entscheidungsbefugten Akteur ausüben sollen - normalerweise die auftraggebende Institution. Jedoch wird Politik fast immer von einer Konstellation von Akteuren aus einer Reihe von Institutionen gestaltet. Selbst im französischen Beispiel, wo der Klima-Bürgerrat direkt von Präsident Macron in Auftrag gegeben wurde, lag es nicht in seiner Macht, die Empfehlungen einfach, ohne die Zustimmung anderer wichtiger Institutionen wie der Nationalversammlung, die durch den Prozess nicht einbezogen wurden, zu übernehmen.   

Wir müssen uns also fragen, wie Klima-Bürgerräte in die komplexe Konstellation von Institutionen und Stakeholdern der Klima-Governance integriert werden können, anstatt uns allein auf eine enge Verbindung mit einem einzigen entscheidungsbefugten Akteur zu konzentrieren. Die Ermittlung der Reihe der Akteure, mit denen Bürgerräte ankoppeln müssen, würde Bürgerräte weniger abhängig vom Einfluss eines einzelnen institutionellen Unterstützers machen. 

Wie setzen sich Klima-Bürgerräte mit politischen Akteuren und Institutionen in Beziehung?

Klima-Bürgerräte sind mit zwei politischen Hoffnungen verbunden: Sie sollen bessere Politik durch die Depolarisierung umstrittener Themen fördern und gleichzeitig zu einer breiten Transformation der öffentlichen Meinung hin zur Unterstützung radikaler klimapolitischer Maßnahmen führen. Was aber, wenn diese Ziele unvereinbar sind? 

Wir stellen fest, dass in unseren Fällen entweder das Eine oder das Andere priorisiert wurde. Die meisten konzentrieren sich darauf, den politischen Entscheidungsträger*innen entpolitisierte Empfehlungen zu liefern. Einzig der französische Fall priorisierte im Gegensatz dazu eine politische Transformation. Dadurch hatte der französische Klima-Bürgerrat eine größere Wirkung auf die öffentliche Debatte, allerdings auf Kosten einer weiteren Aufheizung des Themas.

Politischen Entscheidungsträgern ins Ohr zu flüstern ist eine andere Art und Weise Einfluss auszuüben, als öffentliche Debatten über das Klima zu transformieren. Beide erfordern ein unterschiedliches Mass an Politisierung und dieser Zielkonflikt muss berücksichtigt werden, wenn Bürgerräte versuchen, mit der Zivilgesellschaft in Verbindung zu treten und die öffentliche Sphäre zu beeinflussen.  

Durch welche Mechanismen können Klima-Bürgerräte Einfluss aufrechterhalten?

Bürgerräte sind in der Regel als einmalige Veranstaltungen konzipiert, die zu einem kritischen Zeitpunkt im politischen Entscheidungsfindungsprozess initiiert werden. Ein Entscheidungsfindungsprozess ist jedoch kein stabiler oder berechenbarer Zyklus. Der Prozess ist fast immer langwierig, iterativ und oft frustrierend. Es stellt sich somit die Frage, wer in diesem Kontext noch im Namen des Bürgerrats sprechen kann, wenn die Veranstaltung bereits vorbei ist?

Wiederum konnten wir empirisch unterschiedliche Ansätze identifizieren, wie die Herausforderung, den Einfluss des Klima-Bürgerrats aufrechtzuerhalten, angegangen wurde. Manche Fälle, wie im Vereinigten Königreich, verliessen sich informell auf institutionelle Fürsprecher*innen, um die Empfehlungen des Bürgerrats in den weniger bekannten Arenen des fortlaufenden klimapolitischen Entscheidungsprozesses zu wiederholen und zu verstärken. Andere Klima-Bürgerräte versuchten hierfür, die Teilnehmer*innen zu mobilisieren. Ein besonders starkes Beispiel stellt der französische Bürgerrat dar, der als Zündfunke für die Gründung einer neuen sozialen Bewegung, Les 150, diente. Diese Bewegung wurde von einer Gruppe von Teilnehmer*innen geformt, um Entwicklungen in der Klimapolitik zu verfolgen und Klimaschutzmaßnahmen voranzutreiben, noch lange nachdem die offiziellen Diskussionen des Bürgerrats vorbei waren.

Diese Ansätze sind jedoch problematisch für das gängige Verständnis, dass die Legitimität von Bürgerräten und ihren Empfehlungen in der Repräsentativität der Teilnehmer*innen in Bezug auf die Bevölkerung begründet ist. Ist Les 150 noch repräsentativ, wenn nicht mehr alle Teilnehmer*innen gleichermaßen involviert sind? Und wie viel Flexibilität haben institutionelle Fürsprecher*innen, die Empfehlungen des Bürgerrats an den sich kontinuierlich wandelenden politischen Kontext anzupassen? Die Anpassung von Bürgerräten an die pragmatischen Herausforderungen der Politikgestaltung läuft den normativen Theorien, die ihre Anwendung legitimieren, weit voraus. 

Insgesamt wirft die Vielfalt der Ansätze zum integrativen Design von Klima-Bürgerräten wichtige Komplexitäten und Fragen für die zukünftige Nutzung von Bürgerräten auf. Die Ergebnisse unserer Studie warnen davor, dass Bürgerräte keine uniforme Governance-Lösung „von der Stange“ sind, deren Auswirkungen sich bereits allein durch ihre internen Gestaltungsmerkmale vorhersagen lassen.

Klima-Bürgerräte sind kein magischer Ersatz für Politik wie bisher. Größere Aufmerksamkeit muss daher den schwierigen Entscheidungen und Abwägungen gewidmet werden, die mit dem integrativen Design der Bürgerräte einhergehen. Mit wem sie sich in Beziehung setzen und durch welche Mechanismen sie ihren Einfluss aufrechterhalten zu versuchen, wird eine große Rolle dabei spielen, ob sie eine wirksame Intervention in der Klimapolitik darstellen oder nicht.


Die Autoren danken Andrea Schinke und Stefan Jung für ihre Unterstützung bei der Übersetzung des Artikels.

Hinweis: Dieser Beitrag ist die schriftliche Kurzfassung des Referats "Integrating Citizen Deliberation into Climate Governance: Lessons from the European Wave of Climate Assemblies", gehalten von Rikki Dean an den 15. Aarauer Demokratietagen vom 30. März 2023.

Quelle: Boswell, J.Dean, R., & Smith, G. (2023). Integrating citizen deliberation into climate governance: Lessons on robust design from six climate assembliesPublic Administration1011), 182 – 200.

Bild: unsplash.com