Wahlcheck 2023: Mehr Kompromiss als Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit der Schweiz

Wähler:innen sind gene­rell opti­mis­tisch ein­ge­stellt für die Zukunft der Schweiz. Das zei­gen Umfra­ge­da­ten des schweiz­wei­ten Chan­cen­ba­ro­me­ters, wel­ches von Tina Frey­burg (Uni­ver­si­tät St.Gallen) zusam­men mit der LARIX Foun­da­ti­on. Inno­va­ti­on mat­ters durch­ge­führt wird. Gewünscht wer­den Fort­schrit­te ins­be­son­de­re im Kli­ma­be­reich, aber auch in der Digi­ta­li­sie­rung und im nach­hal­ti­gen Wirt­schafts­wachs­tum. Aller­dings feh­len der Schweiz man­che Vor­aus­set­zun­gen für ein effek­ti­ves Ergrei­fen der Chan­cen. Wäh­rend die poli­ti­sche Sta­bi­li­tät gross­mehr­heit­lich als voll und ganz gege­ben ein­ge­schätzt wird, ist dies bei der kon­struk­ti­ven Kom­mu­ni­ka­ti­ons­kul­tur nicht der Fall. Die poli­ti­schen Entscheidungsträger:innen zei­gen kaum die erwar­te­te Kom­pro­miss­be­reit­schaft. Gera­de bei der Grup­pe der Par­tei­lo­sen, die mit 25 Pro­zent den gröss­ten Anteil der Befrag­ten aus­macht, ergibt sich hier gros­ses Mobi­li­sie­rungs­po­ten­zi­al: Gelingt es den Par­tei­en, poli­ti­sche Ant­wor­ten anzu­bie­ten, wer­den sie auch für die­je­ni­gen attrak­ti­ver, die bis­her kei­ner Par­tei nahestanden.

Der Chan­cen­ba­ro­me­ter befragt jähr­lich Einwohner:innen ab 16 Jah­ren aus der gan­zen Schweiz zu ihren poli­ti­schen Ein­stel­lun­gen über aktu­el­le Her­aus­for­de­run­gen. Das Ziel: Die Dis­kus­si­on auf die Chan­cen in der poli­ti­schen Land­schaft zu len­ken, statt pri­mär auf die Risi­ken und Kos­ten. Die aktu­el­le Son­der­aus­ga­be fokus­siert auf Ein­stel­lun­gen mit Blick auf die anste­hen­den Wahlen.

Die Schweiz blickt optimistisch in die Zukunft

Die Mehr­heit der Schweizer:innen sucht nach zukunfts­ori­en­tier­ten Lösun­gen, statt im Nega­ti­ven zu ver­har­ren. Vor allem Anhänger:innen der SP und FDP sind opti­mis­tisch unter­wegs, aber auch die par­tei­lich Unent­schie­de­nen ver­lan­gen eine tat­kräf­ti­ge­re Politik.

Klima als wichtigstes Zukunftsthema

Die Befrag­ten erken­nen die kom­ple­xen Her­aus­for­de­run­gen in der poli­ti­schen Gestal­tung der Schweiz an und stu­fen die­se gröss­ten­teils als Chan­cen ein. So sind sich die Schweizer:innen – mit Aus­nah­me der SVP-Anhänger:innen – einig, dass ins­be­son­de­re die Kli­ma­kri­se dazu auf­ruft, die Art und Wei­se, wie wir leben und arbei­ten, zu über­den­ken und neu zu gestal­ten. Auch die Berei­che Digi­ta­li­sie­rung und Nach­hal­ti­ges Wachs­tum bie­ten gemäss der Befrag­ten gros­se Chan­cen für posi­ti­ve Veränderung.

Abbildung 1. Auf diese Chancen bauen: Zustimmung der Befragten auf Parteinähe
Voraussetzungen für die Zukunftsfähigkeit der Schweiz nur teilweise gegeben

Um Chan­cen ergrei­fen und Lösungs­ideen effek­tiv und nach­hal­tig umset­zen zu kön­nen, bedarf es bestimm­ter Vor­aus­set­zun­gen. Die poli­ti­sche Sta­bi­li­tät der Schweiz wird von den Befrag­ten — mit Aus­nah­me bei SVP-Anhänger:innen — als posi­tiv gese­hen. Das Schlüs­sel­the­ma, um zukunfts­ge­rich­te­te Lösun­gen zu erhal­ten, ist die Ver­bes­se­rung der poli­ti­schen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­kul­tur. Sie wird von den Befrag­ten aller Par­tei­en und von der gros­sen Grup­pe der par­tei­lich noch Unent­schlos­se­nen glei­cher­mas­sen als schlecht beur­teilt: Nur 6 Pro­zent sind der Ansicht, dass eine kon­struk­ti­ve Kom­mu­ni­ka­ti­ons­kul­tur der­zeit voll vor­han­den ist.

Grosse Diskrepanz zwischen Wunsch nach Kompromissbereitschaft von Politiker:innen und der Einschätzung der Realität

Auch die Kom­pro­miss­fä­hig­keit der Schwei­zer Poli­tik wird als unge­nü­gend bewer­tet. Unab­hän­gig von ihrer Par­teinä­he erwar­ten die Bürger:innen von den Abge­ord­ne­ten, dass sie par­tei­über­grei­fend Lösun­gen ent­wi­ckeln und umset­zen, um die Chan­cen der gegen­wär­ti­gen Her­aus­for­de­run­gen wahr­zu­neh­men. Gleich­zei­tig sind sie sich einig, dass dies heu­te nicht der Rea­li­tät ent­spricht. Vor allem SVP- und SP-Anhänger:innen sehen Politiker:innen als wenig kom­pro­miss­be­reit an. Bei den par­tei­lich Unent­schlos­se­nen, die mit 25 Pro­zent den gröss­ten Anteil der Befrag­ten aus­ma­chen, ist die Dis­kre­panz zwi­schen Wunsch und Rea­li­tät am gröss­ten. Die­ses Seg­ment stellt für die Par­tei­en das gröss­te Mobi­li­sie­rungs­po­ten­zi­al für die eid­ge­nös­si­schen Wah­len dar. Nur der ech­te poli­ti­sche Wett­be­werb um Ant­wor­ten auf die gros­sen Her­aus­for­de­run­gen kann deut­lich machen, war­um jede Stim­me zählt.

Abbildung 2. Bürger:innen wünschen, dass Politiker:innen mehrheitsfähige Kompromisse suchen

Chan­cen­ba­ro­me­ter 2022. Die tech­ni­schen Eckdaten
Grund­ge­samt­heit: 4’349 Einwohner:innen der Schweiz ab 16 Jah­ren, die einer der drei Haupt­spra­chen mäch­tig sind (DCH = 3’102; FCH = 1’050; ICH = 197). Alle Anga­ben anpas­sungs­ge­wich­tet nach sozio­de­mo­gra­fi­schen Merk­ma­len (Alter, Geschlecht, Spra­che, Kan­ton, Sied­lungs­art, Bil­dung, Par­tei) zur mög­lichst reprä­sen­ta­ti­ven Abbil­dung der Bevöl­ke­rung. Unter der Annah­me einer Zufalls­stich­pro­be beträgt der maxi­ma­le Feh­ler­be­reich +/– 1,5 Pro­zent­punk­te (bei 95-pro­zen­ti­ger Wahrscheinlichkeit).

Befra­gungs­zeit­raum: 13. Mai bis 8. Juni 2022. Das Chan­cen­ba­ro­me­ter 2023 wird am 29. Sep­tem­ber 2023 publiziert.


Refe­renz: Die­ser Arti­kel ist eine schrift­li­che Kurz­fas­sung der Son­der­pu­bli­ka­ti­on “Wahl­check 2023” des Chan­cen­ba­ro­me­ters

Bild: unsplash.com

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