Der Einfluss der Nutzung sozialer Medien auf Parlamentsmitglieder

Die Stu­die unter­sucht, inwie­fern die Inter­ak­tio­nen von Schwei­zer Par­la­ments­mit­glie­dern mit Bürger:innen und poli­tik­na­hen Akteu­ren auf Twit­ter Aus­wir­kun­gen auf ihren poli­ti­schen Erfolg haben. Die­ser wird anhand des Ran­kings der Politiker:innen nach Stim­men­zahl sowie der Bericht­erstat­tung in den Medi­en wäh­rend der letz­ten bei­den Legis­la­tur­pe­ri­oden gemes­sen. Die Ergeb­nis­se zei­gen, dass die Inter­ak­tio­nen der Par­la­ments­mit­glie­der mäs­si­gen Ein­fluss auf ihren poli­ti­schen Erfolg haben, obwohl die­ser stark mit ihrem Kom­mu­ni­ka­ti­ons­stil zusam­men­hängt. Durch eine Längs­schnitt­per­spek­ti­ve auf die Inter­ak­tio­nen der Par­la­ments­mit­glie­der mit ver­schie­de­nen Online-Ziel­grup­pen zeigt die Stu­die aus­ser­dem, dass sich die Kom­mu­ni­ka­ti­on der Par­la­ments­mit­glie­der auch an die digi­ta­len Mög­lich­kei­ten anpasst, die durch die sozia­len Medi­en bereit­ge­stellt wer­den. Da die sozia­len Medi­en einen zuneh­men­den Ein­fluss auf die poli­ti­sche Land­schaft der Schweiz haben, sol­len zukünf­ti­ge Stu­di­en die Akti­vi­tä­ten der Par­la­ments­mit­glie­der auf den sozia­len Medi­en in den kom­men­den Legis­la­tur­pe­ri­oden wei­ter untersuchen.

Soziale Medien und politischer Erfolg

Frü­he­re Stu­di­en haben gezeigt, dass sich Par­tei­en und Politiker:innen stark auf sozia­le Medi­en stüt­zen, um ihre Posi­tio­nen zu ver­brei­ten, mit Bürger:innen und poli­tik­na­hen Akteu­ren zu inter­agie­ren und die Auf­merk­sam­keit der tra­di­tio­nel­len Medi­en zu erre­gen (Spie­rin­gs et al., 2018; Kel­ler, 2020). Indem sich Politiker:innen pro­ak­tiv in den sozia­len Medi­en prä­sen­tie­ren und auf die Anlie­gen der Öffent­lich­keit reagie­ren, kön­nen sie sich als ver­trau­ens­wür­di­ge Kandidat:innen posi­tio­nie­ren und sich lang­fris­tig einen guten Ruf auf­bau­en. Die­se Stu­di­en nei­gen jedoch dazu, ihre Ana­ly­se auf die inten­si­ve Wahl­kampf­zeit zu beschrän­ken, wäh­rend sie in der Regel nur einen bestimm­ten Zeit­raum oder eine bestimm­te Wahl betrach­ten (Bright et al., 2020).

Die his­to­ri­sche Per­spek­ti­ve der aktu­el­len Stu­die von Reveil­hac und Mor­sel­li (2022) unter­sucht, ob Twit­ter-Inter­ak­tio­nen mit Bürger:innen und ande­ren poli­tik­na­hen Akteu­ren eine wirk­sa­me Stra­te­gie für Schwei­zer Par­la­ments­mit­glie­der dar­stel­len, um poli­ti­schen Erfolg zu erzie­len, sowohl im Hin­blick auf das Wahl­ran­king als auch auf die Bericht­erstat­tung in den Medi­en. Zu die­sem Zweck stützt sie sich auf Tweets, die von Par­la­ments­mit­glie­dern über einen Zeit­raum von zwei Legis­la­tur­pe­ri­oden abge­setzt wurden.

Die Zielgruppen der Parlamentsmitglieder verändern sich

Die Stu­die bringt zwei zen­tra­le Ergeb­nis­se her­vor. Ers­tens zeigt sie, dass sich die für Politiker:innen als wich­tig erach­te­ten Haupt­öf­fent­lich­kei­ten im Lau­fe der Zeit ver­än­dern. Über­ein­stim­mend mit frü­he­ren Stu­di­en zei­gen die Autor:innen die Domi­nanz der Medi­en und Journalist:innen als wesent­li­che Öffent­lich­kei­ten für Politiker:innen. Aus­ser­dem wird die Zunah­me von Inter­ak­tio­nen mit Expert:innen, Berater:innen und ande­ren poli­ti­schen Akteu­ren, wie ver­schie­de­ne Par­tei­en und Bewe­gun­gen, auf­ge­zeigt. Die­se Trends wei­sen auf eine mög­li­che Anpas­sung der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­stra­te­gie von Par­la­ments­mit­glie­dern hin, die in den kom­men­den Legis­la­tur­pe­ri­oden beob­ach­tet wer­den sollte.

Die Wirkung von Twitter auf den politischen Erfolg

Zwei­tens zeigt die Stu­die, dass die Nut­zung von Twit­ter einen mäs­si­gen Ein­fluss auf den poli­ti­schen Erfolg hat. Bezüg­lich der Wahl­er­geb­nis­se bestä­ti­gen die Ana­ly­sen, dass Politiker:innen mit einem höhe­ren Anteil an Medi­en­re­ak­tio­nen ver­mut­lich einen grös­se­ren poli­ti­schen Erfolg erzie­len, was die lang­fris­ti­ge Koevo­lu­ti­on zwi­schen der poli­ti­schen und der Medi­en­agen­da bestä­tigt. Eben­so ist ein höhe­res Mass an Reak­tio­nen auf Bür­ger­an­lie­gen signi­fi­kant mit grös­se­rem Erfolg ver­bun­den und belegt die Effek­ti­vi­tät der Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen Bürger:innen und Politiker:innen. Die Anzahl der von Politiker:innen ret­wee­te­ten Nach­rich­ten steht eben­falls in Zusam­men­hang mit der Medi­en­be­richt­erstat­tung und letzt­lich mit dem Erfolg. In Wahl­kampf­zei­ten hat der Anteil der Ant­wor­ten an natio­na­le Politiker:innen den gröss­ten Ein­fluss auf den poli­ti­schen Erfolg, gemes­sen an der Anzahl der Pres­se­ar­ti­kel. Obwohl dies die Idee einer gegen­sei­ti­gen Abhän­gig­keit zwi­schen der poli­ti­schen und der Medi­en­agen­da bestär­ken könn­te, ist jedoch anzu­mer­ken, dass der Anteil der Ant­wor­ten von Politiker:innen an Journalist:innen kei­ne sta­tis­tisch signi­fi­kan­ten Aus­wir­kun­gen hatte.

Anpassung der Nutzung sozialer Medien an die sich verändernde politische Landschaft

Die Ergeb­nis­se der Stu­die ver­deut­li­chen auch die Not­wen­dig­keit, die Ent­wick­lung der Nut­zung sozia­ler Medi­en durch Par­la­ments­mit­glie­der genau­er zu beob­ach­ten. Die Ana­ly­se auf­ein­an­der­fol­gen­der Legis­la­tur­pe­ri­oden lässt ver­mu­ten, dass sich die oben beschrie­be­nen Trends mit der Zeit wahr­schein­lich ver­stär­ken wer­den. Dar­über hin­aus ist anzu­mer­ken, dass amtie­ren­de Politiker:innen im Ver­gleich zu neu­en Kandidat:innen nicht unbe­dingt von einer grös­se­ren Medi­en­be­richt­erstat­tung pro­fi­tiert haben. Dies kann auf die star­ke Fluk­tua­ti­on der poli­ti­schen Akteu­re bei den letz­ten bei­den Wah­len zurück­zu­füh­ren sein (vie­le Politiker:innen haben ihre Kan­di­da­tur nicht erneu­ert), aber auch dar­auf, dass neue The­men wie der Kli­ma­wan­del und Gen­der­fra­gen im Vor­der­grund der öffent­li­chen Debat­ten standen.

Folgen für die Demokratie

In naher Zukunft ist es dem­nach sehr unwahr­schein­lich, dass die Wahl­er­geb­nis­se allein durch das Ver­hält­nis der Politiker:innen zu den sozia­len Medi­en bestimmt wer­den. Die Ergeb­nis­se zei­gen, dass der Erfolg von Politiker:innen nicht nur von der häu­fi­gen Nut­zung sozia­ler Medi­en abhängt, son­dern viel­mehr von den Kom­mu­ni­ka­ti­ons­stra­te­gien, die sie ver­fol­gen. Indem sie inter­ak­ti­ve Kom­mu­ni­ka­ti­ons­sti­le anwen­den, wer­den Politiker:innen sicht­ba­rer und fes­ti­gen ihr öffent­li­ches Pro­fil. Die Inter­ak­ti­ons­mus­ter von Politiker:innen mit ande­ren Nutzer:innen sozia­ler Netz­wer­ke wer­den sich wahr­schein­lich wei­ter­ent­wi­ckeln und von gesell­schaft­li­chen Trends beein­flusst wer­den, ins­be­son­de­re da sich immer mehr Politiker:innen auf sozia­le Medi­en stützen.

Daten und Methoden
Die Ana­ly­sen der Stu­die basie­ren auf den Tweets von Politiker:innen, die in den letz­ten Schwei­zer Legis­la­tur­pe­ri­oden (2011–15, 2015–19 und 2019–23) min­des­tens ein Par­la­ments­man­dat inne­hat­ten. Der Längs­schnitt­cha­rak­ter der Daten ermög­licht es zu beur­tei­len, wel­che Öffent­lich­kei­ten von den Politiker:innen als wich­tig erach­tet wer­den. Dazu wur­de eine manu­el­le Klas­si­fi­zie­rung der Nutzer:innen vor­ge­nom­men, mit denen die Par­la­ments­mit­glie­der inter­agie­ren (in Bezug auf Ant­wor­ten und Erwäh­nun­gen). Anschlies­send wer­den Regres­si­ons­ana­ly­sen durch­ge­führt, um zu ermit­teln, inwie­weit das Aus­mass und der Stil der Twit­ter-Akti­vi­tä­ten wäh­rend der bei­den Legis­la­tur­pe­ri­oden den Erfolg der Politiker:innen beein­flusst haben, ins­be­son­de­re den Stim­men­an­teil und die Bericht­erstat­tung in den Medi­en. Exter­ne Daten über den Stim­men­an­teil und die Medi­en­be­richt­erstat­tung über Politiker:innen wäh­rend der Wah­len wur­den in die Twit­ter-Daten inte­griert. Betref­fend die Medi­en­be­richt­erstat­tung wur­de die Anzahl der Arti­kel im Rah­men der Schwei­zer Wahl­stu­di­en Selects (Schwei­zer Wahl­stu­di­en) und den beauf­trag­ten For­schungs­grup­pen gesam­melt und codiert. Die Daten sind auf SWIS­SUb­a­se unter der Pro­jekt­re­fe­renz 13846 (für 2019) und 12447 (für 2015) zugäng­lich. Wei­te­re Infor­ma­tio­nen fin­den Sie unter: https://www.swissubase.ch/de/
Abbildung 1: Entwicklung des Anteils der Antworten von Politiker:innen nach Publikumstyp. Es sind nur Original-Tweets (und nicht Retweets) enthalten.

Abbildung 2: Entwicklung des Anteils der Erwähnungen von Politiker:innen nach Publikumstyp. Es sind nur Original-Tweets (und nicht Retweets) enthalten.

 


Quel­le: 

Reveil­hac, Maud & Davi­de Mor­sel­li (2022). “The impact of social media use for elec­ted par­lia­men­ta­ri­ans: Evi­dence from poli­ti­ci­ans’ use of Twit­ter during the last two Swiss legis­la­tures.”, in: Swiss Poli­ti­cal Sci­ence Review, 0(0), 1–24. DOI: 10.1111/spsr.12543

Maud Reveil­hac ist Dok­to­ran­din an der Uni­ver­si­tät Lau­sanne und arbei­tet am “Cent­re de recher­che sur les par­cours de vie et les iné­ga­li­tés socia­les (LINES)” und an der Schwei­ze­ri­schen Stif­tung für die For­schung in den Sozi­al­wis­sen­schaf­ten (FORS). In ihrer Dis­ser­ta­ti­on nimmt sie eine sozi­al­psy­cho­lo­gi­sche Aus­rich­tung an und ent­wi­ckelt eine Metho­dik zur Ergän­zung von sozia­len Medi­en und Umfragedaten.

Davi­de Mor­sel­li ist Assis­tenz­pro­fes­sor an der Uni­ver­si­tät Lau­sanne und am LIVES-Zen­trum, wo er Metho­den zur Erhe­bung und Ana­ly­se von Daten über Lebens­läu­fe ent­wi­ckelt hat. Er unter­sucht, wie und wann die Mei­nungs­dy­na­mik aus psy­cho­lo­gi­scher und gesell­schaft­li­cher Sicht ein Vor- oder Nach­teil für die Demo­kra­tie sein kann.

Refe­ren­zen:

  • Bright, J., Hale, S., Gane­sh, B., Bul­ovs­ky, A., Mar­getts, H., & Howard, P. (2020). Does Cam­pai­gning on Social Media Make a Dif­fe­rence? Evi­dence From Can­di­da­te Use of Twit­ter During the 2015 and 2017 U.K. Elec­tions. Com­mu­ni­ca­ti­on Rese­arch, 47(7), 988‑1009.
  • Kel­ler, T. R. (2020). To Whom Do Poli­ti­ci­ans Talk and Lis­ten? Map­ping Swiss Poli­ti­ci­ans’ Public Sphe­re on Twit­ter. Com­pu­ta­tio­nal Com­mu­ni­ca­ti­on Rese­arch, 2(2), 175–202.
  • Spie­rin­gs, N., & Jacobs, K. (2018). Poli­ti­cal par­ties and social media cam­pai­gning. Acta Polit, 54: 145–173. Spie­rin­gs, N., Jacobs, K., & Lin­ders, N. (2018). Kee­ping an Eye on the Peop­le. Social Sci­ence Com­pu­ter Review, 37(2), 160–177.

Bild: Unsplash.com

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