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Der Einfluss der Nutzung sozialer Medien auf Parlamentsmitglieder

Maud Reveilhac, Davide Morselli
21st Januar 2023

Die Studie untersucht, inwiefern die Interaktionen von Schweizer Parlamentsmitgliedern mit Bürger:innen und politiknahen Akteuren auf Twitter Auswirkungen auf ihren politischen Erfolg haben. Dieser wird anhand des Rankings der Politiker:innen nach Stimmenzahl sowie der Berichterstattung in den Medien während der letzten beiden Legislaturperioden gemessen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Interaktionen der Parlamentsmitglieder mässigen Einfluss auf ihren politischen Erfolg haben, obwohl dieser stark mit ihrem Kommunikationsstil zusammenhängt. Durch eine Längsschnittperspektive auf die Interaktionen der Parlamentsmitglieder mit verschiedenen Online-Zielgruppen zeigt die Studie ausserdem, dass sich die Kommunikation der Parlamentsmitglieder auch an die digitalen Möglichkeiten anpasst, die durch die sozialen Medien bereitgestellt werden. Da die sozialen Medien einen zunehmenden Einfluss auf die politische Landschaft der Schweiz haben, sollen zukünftige Studien die Aktivitäten der Parlamentsmitglieder auf den sozialen Medien in den kommenden Legislaturperioden weiter untersuchen.

Soziale Medien und politischer Erfolg

Frühere Studien haben gezeigt, dass sich Parteien und Politiker:innen stark auf soziale Medien stützen, um ihre Positionen zu verbreiten, mit Bürger:innen und politiknahen Akteuren zu interagieren und die Aufmerksamkeit der traditionellen Medien zu erregen (Spierings et al., 2018; Keller, 2020). Indem sich Politiker:innen proaktiv in den sozialen Medien präsentieren und auf die Anliegen der Öffentlichkeit reagieren, können sie sich als vertrauenswürdige Kandidat:innen positionieren und sich langfristig einen guten Ruf aufbauen. Diese Studien neigen jedoch dazu, ihre Analyse auf die intensive Wahlkampfzeit zu beschränken, während sie in der Regel nur einen bestimmten Zeitraum oder eine bestimmte Wahl betrachten (Bright et al., 2020).

Die historische Perspektive der aktuellen Studie von Reveilhac und Morselli (2022) untersucht, ob Twitter-Interaktionen mit Bürger:innen und anderen politiknahen Akteuren eine wirksame Strategie für Schweizer Parlamentsmitglieder darstellen, um politischen Erfolg zu erzielen, sowohl im Hinblick auf das Wahlranking als auch auf die Berichterstattung in den Medien. Zu diesem Zweck stützt sie sich auf Tweets, die von Parlamentsmitgliedern über einen Zeitraum von zwei Legislaturperioden abgesetzt wurden.

Die Zielgruppen der Parlamentsmitglieder verändern sich

Die Studie bringt zwei zentrale Ergebnisse hervor. Erstens zeigt sie, dass sich die für Politiker:innen als wichtig erachteten Hauptöffentlichkeiten im Laufe der Zeit verändern. Übereinstimmend mit früheren Studien zeigen die Autor:innen die Dominanz der Medien und Journalist:innen als wesentliche Öffentlichkeiten für Politiker:innen. Ausserdem wird die Zunahme von Interaktionen mit Expert:innen, Berater:innen und anderen politischen Akteuren, wie verschiedene Parteien und Bewegungen, aufgezeigt. Diese Trends weisen auf eine mögliche Anpassung der Kommunikationsstrategie von Parlamentsmitgliedern hin, die in den kommenden Legislaturperioden beobachtet werden sollte.

Die Wirkung von Twitter auf den politischen Erfolg

Zweitens zeigt die Studie, dass die Nutzung von Twitter einen mässigen Einfluss auf den politischen Erfolg hat. Bezüglich der Wahlergebnisse bestätigen die Analysen, dass Politiker:innen mit einem höheren Anteil an Medienreaktionen vermutlich einen grösseren politischen Erfolg erzielen, was die langfristige Koevolution zwischen der politischen und der Medienagenda bestätigt. Ebenso ist ein höheres Mass an Reaktionen auf Bürgeranliegen signifikant mit grösserem Erfolg verbunden und belegt die Effektivität der Kommunikation zwischen Bürger:innen und Politiker:innen. Die Anzahl der von Politiker:innen retweeteten Nachrichten steht ebenfalls in Zusammenhang mit der Medienberichterstattung und letztlich mit dem Erfolg. In Wahlkampfzeiten hat der Anteil der Antworten an nationale Politiker:innen den grössten Einfluss auf den politischen Erfolg, gemessen an der Anzahl der Presseartikel. Obwohl dies die Idee einer gegenseitigen Abhängigkeit zwischen der politischen und der Medienagenda bestärken könnte, ist jedoch anzumerken, dass der Anteil der Antworten von Politiker:innen an Journalist:innen keine statistisch signifikanten Auswirkungen hatte.

Anpassung der Nutzung sozialer Medien an die sich verändernde politische Landschaft

Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen auch die Notwendigkeit, die Entwicklung der Nutzung sozialer Medien durch Parlamentsmitglieder genauer zu beobachten. Die Analyse aufeinanderfolgender Legislaturperioden lässt vermuten, dass sich die oben beschriebenen Trends mit der Zeit wahrscheinlich verstärken werden. Darüber hinaus ist anzumerken, dass amtierende Politiker:innen im Vergleich zu neuen Kandidat:innen nicht unbedingt von einer grösseren Medienberichterstattung profitiert haben. Dies kann auf die starke Fluktuation der politischen Akteure bei den letzten beiden Wahlen zurückzuführen sein (viele Politiker:innen haben ihre Kandidatur nicht erneuert), aber auch darauf, dass neue Themen wie der Klimawandel und Genderfragen im Vordergrund der öffentlichen Debatten standen.

Folgen für die Demokratie

In naher Zukunft ist es demnach sehr unwahrscheinlich, dass die Wahlergebnisse allein durch das Verhältnis der Politiker:innen zu den sozialen Medien bestimmt werden. Die Ergebnisse zeigen, dass der Erfolg von Politiker:innen nicht nur von der häufigen Nutzung sozialer Medien abhängt, sondern vielmehr von den Kommunikationsstrategien, die sie verfolgen. Indem sie interaktive Kommunikationsstile anwenden, werden Politiker:innen sichtbarer und festigen ihr öffentliches Profil. Die Interaktionsmuster von Politiker:innen mit anderen Nutzer:innen sozialer Netzwerke werden sich wahrscheinlich weiterentwickeln und von gesellschaftlichen Trends beeinflusst werden, insbesondere da sich immer mehr Politiker:innen auf soziale Medien stützen.

Daten und Methoden
Die Analysen der Studie basieren auf den Tweets von Politiker:innen, die in den letzten Schweizer Legislaturperioden (2011-15, 2015-19 und 2019-23) mindestens ein Parlamentsmandat innehatten. Der Längsschnittcharakter der Daten ermöglicht es zu beurteilen, welche Öffentlichkeiten von den Politiker:innen als wichtig erachtet werden. Dazu wurde eine manuelle Klassifizierung der Nutzer:innen vorgenommen, mit denen die Parlamentsmitglieder interagieren (in Bezug auf Antworten und Erwähnungen). Anschliessend werden Regressionsanalysen durchgeführt, um zu ermitteln, inwieweit das Ausmass und der Stil der Twitter-Aktivitäten während der beiden Legislaturperioden den Erfolg der Politiker:innen beeinflusst haben, insbesondere den Stimmenanteil und die Berichterstattung in den Medien. Externe Daten über den Stimmenanteil und die Medienberichterstattung über Politiker:innen während der Wahlen wurden in die Twitter-Daten integriert. Betreffend die Medienberichterstattung wurde die Anzahl der Artikel im Rahmen der Schweizer Wahlstudien Selects (Schweizer Wahlstudien) und den beauftragten Forschungsgruppen gesammelt und codiert. Die Daten sind auf SWISSUbase unter der Projektreferenz 13846 (für 2019) und 12447 (für 2015) zugänglich. Weitere Informationen finden Sie unter: https://www.swissubase.ch/de/

Abbildung 1: Entwicklung des Anteils der Antworten von Politiker:innen nach Publikumstyp. Es sind nur Original-Tweets (und nicht Retweets) enthalten.

Abbildung 2: Entwicklung des Anteils der Erwähnungen von Politiker:innen nach Publikumstyp. Es sind nur Original-Tweets (und nicht Retweets) enthalten.

 


Quelle: 

Reveilhac, Maud & Davide Morselli (2022). "The impact of social media use for elected parliamentarians: Evidence from politicians' use of Twitter during the last two Swiss legislatures.", in: Swiss Political Science Review, 0(0), 1–24. DOI: 10.1111/spsr.12543

Maud Reveilhac ist Doktorandin an der Universität Lausanne und arbeitet am "Centre de recherche sur les parcours de vie et les inégalités sociales (LINES)" und an der Schweizerischen Stiftung für die Forschung in den Sozialwissenschaften (FORS). In ihrer Dissertation nimmt sie eine sozialpsychologische Ausrichtung an und entwickelt eine Methodik zur Ergänzung von sozialen Medien und Umfragedaten.

Davide Morselli ist Assistenzprofessor an der Universität Lausanne und am LIVES-Zentrum, wo er Methoden zur Erhebung und Analyse von Daten über Lebensläufe entwickelt hat. Er untersucht, wie und wann die Meinungsdynamik aus psychologischer und gesellschaftlicher Sicht ein Vor- oder Nachteil für die Demokratie sein kann.

Referenzen:

  • Bright, J., Hale, S., Ganesh, B., Bulovsky, A., Margetts, H., & Howard, P. (2020). Does Campaigning on Social Media Make a Difference? Evidence From Candidate Use of Twitter During the 2015 and 2017 U.K. Elections. Communication Research, 47(7), 988–1009.
  • Keller, T. R. (2020). To Whom Do Politicians Talk and Listen? Mapping Swiss Politicians' Public Sphere on Twitter. Computational Communication Research, 2(2), 175–202.
  • Spierings, N., & Jacobs, K. (2018). Political parties and social media campaigning. Acta Polit, 54: 145–173. Spierings, N., Jacobs, K., & Linders, N. (2018). Keeping an Eye on the People. Social Science Computer Review, 37(2), 160–177.

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