Kulturverhalten in der Schweiz: die «Allesfresser» im Vormarsch

In der 32. Aus­ga­be der Zeit­schrift Social Chan­ge in Switz­er­land zei­gen Sebas­ti­an Wein­gart­ner und Jörg Rös­sel, dass die schwei­ze­ri­sche Bevöl­ke­rung zwi­schen 1976 und 2019 kul­tu­rell deut­lich akti­ver gewor­den ist. Domi­nier­ten in den 1970er Jah­ren die kul­tu­rell Inak­ti­ven, sind heu­te die Eklek­ti­ker – die kul­tu­rel­len «Alles­fres­ser» – die gröss­te Grup­pe. Auch der Anteil der Hoch­kul­tur­fans hat zuge­nom­men. Die­se fin­den sich jedoch zuneh­mend nur noch in den älte­ren Generationen.

Die bei­den For­scher aus Zürich ana­ly­sie­ren den Wan­del im Kul­tur­ver­hal­ten auf der Basis von vier reprä­sen­ta­ti­ven Erhe­bun­gen der Schwei­zer Bevöl­ke­rung zwi­schen 1976 und 2019. Sie unter­su­chen 12 ver­schie­de­ne Kul­tur­ak­ti­vi­tä­ten, wobei sechs Akti­vi­tä­ten einem hoch­kul­tu­rel­len Modell (z. B. Theater‑, Kon­zert- oder Muse­ums­be­such) und sechs einem Modell der Popu­lär­kul­tur (z. B. Fern­se­hen, Radio oder Besuch einer Sport­ver­an­stal­tung) entsprechen.

Ihre Ana­ly­se för­dert drei ver­schie­de­ne Typen von Kul­tur­nut­zern zuta­ge. Die Inak­ti­ven betei­li­gen sich kul­tu­rell bis auf Radio­hö­ren und Fern­se­hen kaum. Die Eklek­ti­ker sind kul­tu­rel­le «Alles­fres­ser» und mischen ganz unter­schied­li­che kul­tu­rel­le Akti­vi­tä­ten wie Rock­kon­zert und Kunst­mu­se­um. Die Hoch­kul­tur­fans enga­gie­ren sich vor­wie­gend hoch­kul­tu­rell und tun dies beson­ders inten­siv.  Wäh­rend 1976 die Hälf­te der Bevöl­ke­rung zu den Inak­ti­ven gehör­ten, war dies 2019 nur noch für einen Drit­tel der Fall. Die Bevöl­ke­rung der Schweiz ist also kul­tu­rell deut­lich akti­ver gewor­den. Die Eklek­ti­ker haben ihren Anteil von weni­ger als 30% in 1976 auf heu­te fast 40% gestei­gert. Auch der Anteil der Hoch­kul­tur­fans hat zuge­nom­men, von 12% auf nahe­zu 30%.

Die bei­den Autoren zei­gen, dass sich die kul­tu­rel­le Par­ti­zi­pa­ti­on wei­ter­hin stark nach sozi­al­struk­tu­rel­len Merk­ma­len unter­schei­det. Das gene­rel­le Aus­mass des kul­tu­rel­len Enga­ge­ments wird zuneh­mend durch den Bil­dungs­stand geprägt: je höher die Bil­dung, des­to kul­tu­rell akti­ver sind die Leu­te. Dies gilt jedoch nicht für hoch­kul­tu­rel­le Akti­vi­tä­ten. Die­se hän­gen heu­te stär­ker vom Alter ab und sind zuneh­mend eine Domä­ne der älte­ren Bevöl­ke­rungs­grup­pen gewor­den. Anders als vom berühm­ten Sozio­lo­gen Pierre Bour­dieu erwar­tet ist der Gegen­satz von Hoch- und Popu­lär­kul­tur in der Schweiz nachrangig.

Social Chan­ge
Die Rei­he Social Chan­ge in Switz­er­land doku­men­tiert lau­fend die gesell­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen in der Schweiz. Die Rei­he wird gemein­sam her­aus­ge­ge­ben vom Schwei­zer Kom­pe­tenz­zen­trum Sozi­al­wis­sen­schaf­ten FORS, vom Zen­trum für die Erfor­schung von Lebens­läu­fen und Ungleich­hei­ten der sozi­al­wis­sen­schaft­li­chen Fakul­tät der Uni­ver­si­tät Lau­sanne LIVES, sowie vom Schwei­zer Kom­pe­tenz­zen­trum LIVES zur For­schung der Über­win­dung der Ver­letz­bar­keit im Ver­lauf des Lebens. Ziel der Rei­he ist es, Ver­än­de­run­gen bezüg­lich Arbeit, Fami­lie, Ein­kom­men, Mobi­li­tät, Stimm­recht oder Geschlech­ter­ver­hält­nis­se auf­zu­zei­gen. Die Bei­trä­ge beru­hen auf wis­sen­schaft­li­chen Unter­su­chun­gen und rich­ten sich an ein brei­te­res Publikum.

Refe­renz:

  • Wein­gart­ner, S. & Rös­sel, J. (2022). Kul­tur­ver­hal­ten in der Schweiz: Dimen­sio­nen und Ent­wick­lun­gen 1976–2019. Social Chan­ge in Switz­er­land, N°32, http://www.socialchangeswitzerland.ch/

Bild: unsplash.com

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