Wie internationaler Druck zur Abschaffung des Schweizer Bankgeheimnisses beitrug

Das Schwei­zer Bank­ge­heim­nis war einst eines der pro­mi­nen­tes­ten Cha­rak­te­ris­ti­ka der hie­si­gen Finanz­po­li­tik. Jahr­zehn­te­lang sah eine innen­po­li­ti­sche Mehr­heit im Bank­ge­heim­nis einen Vor­teil für den Schwei­zer Finanz­platz. Umso bemer­kens­wer­ter ist ent­spre­chend, dass das Bank­ge­heim­nis 2009 den­noch auf­ge­ge­ben wur­de. Die­ser Bei­trag beschreibt, wie die Mei­nungs­bil­dung der bür­ger­li­chen Mit­te­par­tei­en und des Bun­des­rats durch Druck der inter­na­tio­na­len Gemein­schaft geprägt wur­de und letzt­lich zur Abschaf­fung des Bank­ge­heim­nis­ses beitrug.

«Jenen, die das schwei­ze­ri­sche Bank­ge­heim­nis angrei­fen, kann ich aller­dings vor­aus­sa­gen: An die­sem Bank­ge­heim­nis wer­det ihr euch die Zäh­ne aus­beis­sen! Es steht näm­lich nicht zur Dis­po­si­ti­on» (Hans-Rudolf Merz in AB NR 2008: 404). Mit die­sen deut­li­chen Wor­ten ver­such­te Bun­des­rat Hans-Rudolf Merz 2008 eine Abschaf­fung des Bank­ge­heim­nis­ses aus­zu­schlies­sen. Weni­ger als ein Jahr spä­ter beug­te sich die Schweiz den­noch inter­na­tio­na­len For­de­run­gen und hob das Bank­ge­heim­nis für aus­län­di­sche Bank­kun­din­nen und Bank­kun­den auf.

Um die­sen schein­bar plötz­li­chen poli­ti­schen Para­dig­men­wech­sel zu ver­ste­hen, ist die Betrach­tung des aus­sen­po­li­ti­schen Kon­texts uner­läss­lich. So redu­zier­ten im Nach­gang der Finanz­kri­se von 2008 zuneh­men­de poli­ti­sche Druck­ver­su­che der inter­na­tio­na­len Gemein­schaft den wirt­schaft­li­chen Nut­zen des Bank­ge­heim­nis­ses in den Augen der innen­po­li­ti­schen Akteu­re. Dies führ­te wie­der­um zu einen Mei­nungs­wan­del der Mit­te­par­tei­en und des Bun­des­rats, wel­che letzt­lich im Par­la­ment die not­wen­di­gen Mehr­hei­ten zur Abschaf­fung des Bank­ge­heim­nis­ses ermöglichten.

Eine innenpolitische Mehrheit stützte das Bankgeheimnis jahrzehntelang

In der innen­po­li­ti­schen Are­na und inner­halb der Bun­des­rats­par­tei­en waren die Mei­nun­gen zum Bank­ge­heim­nis lan­ge klar ver­teilt. Die SP stör­te sich schon gegen Ende des 20. Jahr­hun­derts aus Über­le­gun­gen der Steu­er­ge­rech­tig­keit dar­an. Dies unter­strich sie sowohl durch direkt­de­mo­kra­ti­sche Instru­men­te wie auch durch dezi­dier­te Voten im Parlament.

Dem­entge­gen stand die bür­ger­li­che Mit­te bestehend aus der CVP und der FDP. Sich auf die Pri­vat­sphä­re und Wett­be­werbs­fä­hig­keit beru­fend, argu­men­tier­ten bei­de Par­tei­en für den Erhalt des Bankgeheimnisses.

Ähn­lich ver­hielt es sich mit der SVP, die gar eine Ver­an­ke­rung des Bank­ge­heim­nis­ses in der Ver­fas­sung for­der­te. Die SVP erach­te­te dabei die Pri­vat­sphä­re in Bank­an­ge­le­gen­hei­ten als fun­da­men­tal für einen funk­tio­nie­ren­den Rechts­staat und für die Schwei­zer Demokratie.

Die mehr­heit­lich posi­ti­ve Hal­tung der gros­sen Schwei­zer Par­tei­en zum Bank­ge­heim­nis spie­gel­te sich auch in der Posi­ti­on der Exe­ku­ti­ve wider: So ziel­te der Gesamt­bun­des­rat ein­deu­tig auf den Erhalt des Bank­ge­heim­nis­ses ab, wel­ches weder innen- noch aus­sen­po­li­tisch zur Dis­kus­si­on gestellt wer­den sollte.

Begriffs­de­fi­ni­ti­on: Das Bankgeheimnis
Das Bank­ge­heim­nis gegen­über dem Aus­land ent­hält ein Offen­ba­rungs­ver­bot von Kun­den­da­ten für Bank­an­ge­stell­te, das auch gegen­über aus­län­di­schen Behör­den gilt (Tobler 2019: 27 f.). Weil die Schwei­zer Gesetz­ge­bung ein­fa­che Steu­er­hin­ter­zie­hung (Nicht­de­kla­ra­ti­on von Ein­kom­men) bloss als Über­tre­tung und nicht als Straf­tat defi­nier­te, leis­te­te die Schweiz wäh­rend dem Bestehen des Bank­ge­heim­nis­ses kei­ne Amts­hil­fe zu Steu­er­hin­ter­zie­hung. Die­se feh­len­de Amts­hil­fe im Hin­ter­zie­hungs­fall war denn auch der Haupt­grund für die seit den 1990er Jah­ren zuneh­men­de aus­län­di­sche Kri­tik am Bank­ge­heim­nis (ibid.). Falls nicht anders defi­niert, ist mit der Abschaf­fung des Bank­ge­heim­nis­ses in die­sem Bei­trag stets die Abschaf­fung des Bank­ge­heim­nis­ses gegen­über dem Aus­land gemeint. Das Bank­ge­heim­nis im Inland blieb hin­ge­gen wei­ter­hin in Kraft, auch nach­dem es gegen­über dem Aus­land abge­schafft wor­den war.
Die internationale Gemeinschaft setzte das Bankgeheimnis zunehmend unter Druck

Zur Jahr­tau­send­wen­de wur­de der hie­si­ge poli­ti­sche Dis­kurs zuneh­mend durch aus­sen­po­li­ti­sche Vor­gän­ge geprägt. So geriet das Bank­ge­heim­nis sowohl auf Ebe­ne der OECD wie auch auf Ebe­ne der EU ins Ram­pen­licht. Bei­de mul­ti­la­te­ra­len Orga­ni­sa­tio­nen tätig­ten Schrit­te, um das Bank­ge­heim­nis auf­zu­wei­chen und die Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen natio­na­len Steu­er­be­hör­den trans­pa­ren­ter zu gestal­ten. Da auch eini­ge EU-Mit­glied­staa­ten ein Bank­ge­heim­nis kann­ten, konn­te die Schweiz jedoch inner­halb der Uni­on auf Ver­bün­de­te zäh­len. So ver­moch­te folg­lich der Bun­des­rat auf­grund der Ein­stim­mig­keits­re­gel der EU das Bank­ge­heim­nis auch in den Ver­hand­lun­gen zu den «Bila­te­ra­len II» zu verteidigen.

Im Zuge der Finanz­kri­se von 2008 erhöh­te sich jedoch der Druck auf das Bank­ge­heim­nis: Weil die Finanz­haus­hal­te wich­ti­ger Staa­ten zuneh­mend in Bedräng­nis gerie­ten, inten­si­vier­ten die­se ihre Suche nach unver­steu­er­ten Gel­dern im Aus­land. Die OECD erar­bei­te­te eine Lis­te von «Steu­er­oa­sen», denen Sank­tio­nen auf­er­legt wer­den könn­te. Der deut­sche Bun­des­fi­nanz­mi­nis­ter Peer Stein­brück nann­te die­se Lis­te auch unver­hoh­len die «sieb­te Kaval­le­rie im Fort Yuma», wel­che in sei­ner Ana­lo­gie die wider­spens­ti­gen Schwei­zer ein­schüch­tern soll­te (SRF 2009).

Die­se Druck­ver­su­che waren von Erfolg gekrönt: Bun­des­rat Hans-Rudolf Merz warn­te nach der vor­läu­fi­gen Plat­zie­rung der Schweiz auf der Lis­te der OECD vor gewich­ti­gen wirt­schaft­li­chen Schä­den. So konn­ten laut Merz «auch der Werk­platz und nicht nur der Finanz­platz» von den Sank­tio­nen betrof­fen sein (AB NR 2009: 454). In der Fol­ge beschloss die Schweiz – wie auch Luxem­burg und Öster­reich – 2009, den von der OECD gefor­der­ten Steu­er­stan­dard zum Infor­ma­ti­ons­aus­tausch zu über­neh­men und damit das Bank­ge­heim­nis für aus­län­di­sche Bank­kun­din­nen und Bank­kun­den abzuschaffen.

Die bürgerliche Mitte fungierte als Zünglein an der innenpolitischen Waage

Die innen­po­li­ti­sche Dyna­mik, wel­che den Wen­de­punkt von 2009 erklärt, kann durch die von Par­la­ments­par­tei­en und Bun­des­rat ein­ge­nom­me­nen Hal­tun­gen zum Bank­ge­heim­nis illus­triert wer­den. Es gilt hier­bei wirt­schaft­li­che und ideo­lo­gi­sche Argu­men­ta­ti­ons­li­ni­en zu unter­schei­den. So bezie­hen sich wirt­schaft­li­che Argu­men­te auf von Akteu­ren wahr­ge­nom­me­ne Vor- und Nach­tei­le des Bank­ge­heim­nis­ses für die Schwei­zer Wirt­schaft – etwa ob es für hie­si­ge Ban­ken einen wich­ti­gen Wett­be­werbs­vor­teil dar­stellt oder nicht. Ideo­lo­gi­sche Argu­men­te wid­men sich hin­ge­gen der mora­li­schen und nor­ma­ti­ven Legi­ti­mi­tät des Bank­ge­heim­nis­ses. Hier spie­len Über­le­gun­gen zu inter­na­tio­na­ler Steu­er­ge­rech­tig­keit oder zum Daten­schutz eine ent­schei­den­de Rolle.

Abbildung 1. Typologie der Akteure entlang ihrer wirtschaftlichen und ideologischen Argumentationslinien.
Anmerkungen: Links: Situation vor dem Wendepunkt 2009; Rechts: Situation nach dem Wendepunkt 2009; BG = Bankgeheimnis.
Quelle: Eigene Darstellung.

Sowohl die SP wie auch die SVP blie­ben 2009 in ihrer Posi­tio­nie­rung zum Bank­ge­heim­nis sta­bil: Die SP lehn­te das Bank­ge­heim­nis immer ab, wäh­rend die SVP es stets ver­tei­dig­te. Der inter­na­tio­na­le Druck redu­zier­te zwar den wahr­ge­nom­me­nen wirt­schaft­li­chen Net­to-Nut­zen des Bank­ge­heim­nis­ses, beein­fluss­te die ideo­lo­gi­schen Hal­tun­gen der Par­tei­en jedoch nicht. Zumal sowohl die SP wie auch die SVP ihre Posi­tio­nen zum Bank­ge­heim­nis vor­wie­gend mit ideo­lo­gi­schen Argu­men­ten begrün­de­ten, führ­te der inter­na­tio­na­le Druck kei­nen Mei­nungs­wan­del herbei.

Wie die SVP stan­den auch die bür­ger­li­chen Mit­te­par­tei­en und der Bun­des­rat aus ideo­lo­gi­schen Grün­den stets hin­ter dem Bank­ge­heim­nis. Infol­ge inter­na­tio­na­len Drucks erach­te­ten sie die bis­he­ri­ge Finanz­po­li­tik jedoch neu nicht mehr als wirt­schaft­lich vor­teil­haft. Im Gegen­satz zu SP und SVP gewich­te­ten die bür­ger­li­che Mit­te und der Bun­des­rat die­se wirt­schaft­li­chen Beden­ken stär­ker als ihre posi­ti­ve ideo­lo­gi­sche Auf­fas­sung des Bank­ge­heim­nis­ses. So führ­te schliess­lich die Ver­än­de­rung des wahr­ge­nom­me­nen wirt­schaft­li­chen Nut­zens auf­grund inter­na­tio­na­len Drucks die bür­ger­li­che Mit­te und den Bun­des­rat dazu, ihre Ein­stel­lung zum Bank­ge­heim­nis zu revi­die­ren und sei­ner Abschaf­fung zuzustimmen.

Poli­tik­wan­del durch aus­sen­po­li­ti­schen Druck – kein Einzelfall?
Die zuvor dar­ge­stell­ten Zusam­men­hän­ge bie­ten einen Erklä­rungs­an­satz für den Poli­tik­wan­del im Streit um das Bank­ge­heim­nis. Ver­gleich­ba­re innen­po­li­ti­sche Dyna­mi­ken sind jedoch auch in ande­ren Poli­tik­fel­dern beob­acht­bar. So könn­ten auch im aktu­el­len Dis­kurs zur Ein­füh­rung einer glo­ba­len Min­dest­be­steue­rung für Unter­neh­men die bür­ger­li­chen Mit­te­par­tei­en für ein Umlen­ken sor­gen: Infol­ge eines OECD-Vor­stos­ses zur Ein­däm­mung von Tief­steu­er­wett­be­werb ver­schlech­ter­te sich der wirt­schaft­li­che Nut­zen der bis­he­ri­gen Schwei­zer Steu­er­po­li­tik aus Sicht der bür­ger­li­chen Mit­te­par­tei­en und des Bun­des­rats, wel­che neu eine Anglei­chung an glo­ba­le Stan­dards und damit eine Min­dest­be­steue­rung befürworten.

Hin­weis: Die­ser Bei­trag ist die schrift­li­che Kurz­fas­sung des Buch­ka­pi­tels «Das Züng­lein an der Waa­ge: Die Rol­le der Mit­te­par­tei­en und des Bun­des­ra­tes im Zwist um die Finanz­po­li­tik», in: Heer Elia, Hei­del­ber­ger Anja, Bühl­mann Marc (Hrsg.). Schweiz – EU: Son­der­we­ge, Holz­we­ge, Königs­we­ge. Die viel­fäl­ti­gen Bezie­hun­gen seit dem EWR-Nein. Zürich: NZZ Libro. S. 115 – 146.

Refe­ren­zen:

  • Bru­chez, Yves; Stie­fel, Lukas; Wal­lin, Fre­drik (2022). «Das Züng­lein an der Waa­ge: Die Rol­le der Mit­te­par­tei­en und des Bun­des­ra­tes im Zwist um die Finanz­po­li­tik», in: Heer Elia, Hei­del­ber­ger Anja, Bühl­mann Marc (Hrsg.). Schweiz – EU: Son­der­we­ge, Holz­we­ge, Königs­we­ge. Die viel­fäl­ti­gen Bezie­hun­gen seit dem EWR-Nein. Basel: NZZ Libro. S. 115 – 146.

  • SRF (2009). «Der Viel­ge­hass­te: Peer Stein­brück», in: SRF 10 vor 10. Zürich: SRF Schwei­zer Radio und Fern­se­hen. Online unter https://www.srf.ch/play/tv/-/video/-?urn=urn:srf:video:d1e286d8-a096-4439-b98b-a5b8f0ba0d07, abge­ru­fen am 25.10.2022.

  • Tobler, Ste­fan (2019). Der Kampf um das Schwei­zer Bank­ge­heim­nis. Eine 100-jäh­ri­ge Geschich­te von Kri­tik und Ver­tei­di­gung. Basel: NZZ Libro.

Bild: unsplash.com

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