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Wie internationaler Druck zur Abschaffung des Schweizer Bankgeheimnisses beitrug

Yves Bruchez, Lukas Stiefel, Fredrik Wallin
12th Dezember 2022

Das Schweizer Bankgeheimnis war einst eines der prominentesten Charakteristika der hiesigen Finanzpolitik. Jahrzehntelang sah eine innenpolitische Mehrheit im Bankgeheimnis einen Vorteil für den Schweizer Finanzplatz. Umso bemerkenswerter ist entsprechend, dass das Bankgeheimnis 2009 dennoch aufgegeben wurde. Dieser Beitrag beschreibt, wie die Meinungsbildung der bürgerlichen Mitteparteien und des Bundesrats durch Druck der internationalen Gemeinschaft geprägt wurde und letztlich zur Abschaffung des Bankgeheimnisses beitrug.

«Jenen, die das schweizerische Bankgeheimnis angreifen, kann ich allerdings voraussagen: An diesem Bankgeheimnis werdet ihr euch die Zähne ausbeissen! Es steht nämlich nicht zur Disposition» (Hans-Rudolf Merz in AB NR 2008: 404). Mit diesen deutlichen Worten versuchte Bundesrat Hans-Rudolf Merz 2008 eine Abschaffung des Bankgeheimnisses auszuschliessen. Weniger als ein Jahr später beugte sich die Schweiz dennoch internationalen Forderungen und hob das Bankgeheimnis für ausländische Bankkundinnen und Bankkunden auf.

Um diesen scheinbar plötzlichen politischen Paradigmenwechsel zu verstehen, ist die Betrachtung des aussenpolitischen Kontexts unerlässlich. So reduzierten im Nachgang der Finanzkrise von 2008 zunehmende politische Druckversuche der internationalen Gemeinschaft den wirtschaftlichen Nutzen des Bankgeheimnisses in den Augen der innenpolitischen Akteure. Dies führte wiederum zu einen Meinungswandel der Mitteparteien und des Bundesrats, welche letztlich im Parlament die notwendigen Mehrheiten zur Abschaffung des Bankgeheimnisses ermöglichten.

Eine innenpolitische Mehrheit stützte das Bankgeheimnis jahrzehntelang

In der innenpolitischen Arena und innerhalb der Bundesratsparteien waren die Meinungen zum Bankgeheimnis lange klar verteilt. Die SP störte sich schon gegen Ende des 20. Jahrhunderts aus Überlegungen der Steuergerechtigkeit daran. Dies unterstrich sie sowohl durch direktdemokratische Instrumente wie auch durch dezidierte Voten im Parlament.

Dementgegen stand die bürgerliche Mitte bestehend aus der CVP und der FDP. Sich auf die Privatsphäre und Wettbewerbsfähigkeit berufend, argumentierten beide Parteien für den Erhalt des Bankgeheimnisses.

Ähnlich verhielt es sich mit der SVP, die gar eine Verankerung des Bankgeheimnisses in der Verfassung forderte. Die SVP erachtete dabei die Privatsphäre in Bankangelegenheiten als fundamental für einen funktionierenden Rechtsstaat und für die Schweizer Demokratie.

Die mehrheitlich positive Haltung der grossen Schweizer Parteien zum Bankgeheimnis spiegelte sich auch in der Position der Exekutive wider: So zielte der Gesamtbundesrat eindeutig auf den Erhalt des Bankgeheimnisses ab, welches weder innen- noch aussenpolitisch zur Diskussion gestellt werden sollte.

Begriffsdefinition: Das Bankgeheimnis
Das Bankgeheimnis gegenüber dem Ausland enthält ein Offenbarungsverbot von Kundendaten für Bankangestellte, das auch gegenüber ausländischen Behörden gilt (Tobler 2019: 27 f.). Weil die Schweizer Gesetzgebung einfache Steuerhinterziehung (Nichtdeklaration von Einkommen) bloss als Übertretung und nicht als Straftat definierte, leistete die Schweiz während dem Bestehen des Bankgeheimnisses keine Amtshilfe zu Steuerhinterziehung. Diese fehlende Amtshilfe im Hinterziehungsfall war denn auch der Hauptgrund für die seit den 1990er Jahren zunehmende ausländische Kritik am Bankgeheimnis (ibid.). Falls nicht anders definiert, ist mit der Abschaffung des Bankgeheimnisses in diesem Beitrag stets die Abschaffung des Bankgeheimnisses gegenüber dem Ausland gemeint. Das Bankgeheimnis im Inland blieb hingegen weiterhin in Kraft, auch nachdem es gegenüber dem Ausland abgeschafft worden war.

Die internationale Gemeinschaft setzte das Bankgeheimnis zunehmend unter Druck

Zur Jahrtausendwende wurde der hiesige politische Diskurs zunehmend durch aussenpolitische Vorgänge geprägt. So geriet das Bankgeheimnis sowohl auf Ebene der OECD wie auch auf Ebene der EU ins Rampenlicht. Beide multilateralen Organisationen tätigten Schritte, um das Bankgeheimnis aufzuweichen und die Kommunikation zwischen nationalen Steuerbehörden transparenter zu gestalten. Da auch einige EU-Mitgliedstaaten ein Bankgeheimnis kannten, konnte die Schweiz jedoch innerhalb der Union auf Verbündete zählen. So vermochte folglich der Bundesrat aufgrund der Einstimmigkeitsregel der EU das Bankgeheimnis auch in den Verhandlungen zu den «Bilateralen II» zu verteidigen.

Im Zuge der Finanzkrise von 2008 erhöhte sich jedoch der Druck auf das Bankgeheimnis: Weil die Finanzhaushalte wichtiger Staaten zunehmend in Bedrängnis gerieten, intensivierten diese ihre Suche nach unversteuerten Geldern im Ausland. Die OECD erarbeitete eine Liste von «Steueroasen», denen Sanktionen auferlegt werden könnte. Der deutsche Bundesfinanzminister Peer Steinbrück nannte diese Liste auch unverhohlen die «siebte Kavallerie im Fort Yuma», welche in seiner Analogie die widerspenstigen Schweizer einschüchtern sollte (SRF 2009).

Diese Druckversuche waren von Erfolg gekrönt: Bundesrat Hans-Rudolf Merz warnte nach der vorläufigen Platzierung der Schweiz auf der Liste der OECD vor gewichtigen wirtschaftlichen Schäden. So konnten laut Merz «auch der Werkplatz und nicht nur der Finanzplatz» von den Sanktionen betroffen sein (AB NR 2009: 454). In der Folge beschloss die Schweiz – wie auch Luxemburg und Österreich – 2009, den von der OECD geforderten Steuerstandard zum Informationsaustausch zu übernehmen und damit das Bankgeheimnis für ausländische Bankkundinnen und Bankkunden abzuschaffen.

Die bürgerliche Mitte fungierte als Zünglein an der innenpolitischen Waage

Die innenpolitische Dynamik, welche den Wendepunkt von 2009 erklärt, kann durch die von Parlamentsparteien und Bundesrat eingenommenen Haltungen zum Bankgeheimnis illustriert werden. Es gilt hierbei wirtschaftliche und ideologische Argumentationslinien zu unterscheiden. So beziehen sich wirtschaftliche Argumente auf von Akteuren wahrgenommene Vor- und Nachteile des Bankgeheimnisses für die Schweizer Wirtschaft – etwa ob es für hiesige Banken einen wichtigen Wettbewerbsvorteil darstellt oder nicht. Ideologische Argumente widmen sich hingegen der moralischen und normativen Legitimität des Bankgeheimnisses. Hier spielen Überlegungen zu internationaler Steuergerechtigkeit oder zum Datenschutz eine entscheidende Rolle.

Abbildung 1. Typologie der Akteure entlang ihrer wirtschaftlichen und ideologischen Argumentationslinien.
Anmerkungen: Links: Situation vor dem Wendepunkt 2009; Rechts: Situation nach dem Wendepunkt 2009; BG = Bankgeheimnis.
Quelle: Eigene Darstellung.

Sowohl die SP wie auch die SVP blieben 2009 in ihrer Positionierung zum Bankgeheimnis stabil: Die SP lehnte das Bankgeheimnis immer ab, während die SVP es stets verteidigte. Der internationale Druck reduzierte zwar den wahrgenommenen wirtschaftlichen Netto-Nutzen des Bankgeheimnisses, beeinflusste die ideologischen Haltungen der Parteien jedoch nicht. Zumal sowohl die SP wie auch die SVP ihre Positionen zum Bankgeheimnis vorwiegend mit ideologischen Argumenten begründeten, führte der internationale Druck keinen Meinungswandel herbei.

Wie die SVP standen auch die bürgerlichen Mitteparteien und der Bundesrat aus ideologischen Gründen stets hinter dem Bankgeheimnis. Infolge internationalen Drucks erachteten sie die bisherige Finanzpolitik jedoch neu nicht mehr als wirtschaftlich vorteilhaft. Im Gegensatz zu SP und SVP gewichteten die bürgerliche Mitte und der Bundesrat diese wirtschaftlichen Bedenken stärker als ihre positive ideologische Auffassung des Bankgeheimnisses. So führte schliesslich die Veränderung des wahrgenommenen wirtschaftlichen Nutzens aufgrund internationalen Drucks die bürgerliche Mitte und den Bundesrat dazu, ihre Einstellung zum Bankgeheimnis zu revidieren und seiner Abschaffung zuzustimmen.

Politikwandel durch aussenpolitischen Druck – kein Einzelfall?
Die zuvor dargestellten Zusammenhänge bieten einen Erklärungsansatz für den Politikwandel im Streit um das Bankgeheimnis. Vergleichbare innenpolitische Dynamiken sind jedoch auch in anderen Politikfeldern beobachtbar. So könnten auch im aktuellen Diskurs zur Einführung einer globalen Mindestbesteuerung für Unternehmen die bürgerlichen Mitteparteien für ein Umlenken sorgen: Infolge eines OECD-Vorstosses zur Eindämmung von Tiefsteuerwettbewerb verschlechterte sich der wirtschaftliche Nutzen der bisherigen Schweizer Steuerpolitik aus Sicht der bürgerlichen Mitteparteien und des Bundesrats, welche neu eine Angleichung an globale Standards und damit eine Mindestbesteuerung befürworten.


Hinweis: Dieser Beitrag ist die schriftliche Kurzfassung des Buchkapitels «Das Zünglein an der Waage: Die Rolle der Mitteparteien und des Bundesrates im Zwist um die Finanzpolitik», in: Heer Elia, Heidelberger Anja, Bühlmann Marc (Hrsg.). Schweiz – EU: Sonderwege, Holzwege, Königswege. Die vielfältigen Beziehungen seit dem EWR-Nein. Zürich: NZZ Libro. S. 115 – 146.

Referenzen:

  • Bruchez, Yves; Stiefel, Lukas; Wallin, Fredrik (2022). «Das Zünglein an der Waage: Die Rolle der Mitteparteien und des Bundesrates im Zwist um die Finanzpolitik», in: Heer Elia, Heidelberger Anja, Bühlmann Marc (Hrsg.). Schweiz – EU: Sonderwege, Holzwege, Königswege. Die vielfältigen Beziehungen seit dem EWR-Nein. Basel: NZZ Libro. S. 115 – 146.

  • SRF (2009). «Der Vielgehasste: Peer Steinbrück», in: SRF 10 vor 10. Zürich: SRF Schweizer Radio und Fernsehen. Online unter https://www.srf.ch/play/tv/-/video/-?urn=urn:srf:video:d1e286d8-a096-4439-b98b-a5b8f0ba0d07, abgerufen am 25.10.2022.

  • Tobler, Stefan (2019). Der Kampf um das Schweizer Bankgeheimnis. Eine 100-jährige Geschichte von Kritik und Verteidigung. Basel: NZZ Libro.

Bild: unsplash.com