Themen oder Timing: Wovon hängt die Beteiligung an Abstimmungen ab?

Gibt es The­men­be­rei­che, die per se zu einer stär­ke­ren Mobi­li­sie­rung bei eid­ge­nös­si­schen Abstim­mun­gen füh­ren? Der Umstand, dass die Stimm­be­tei­li­gung gros­sen Schwan­kun­gen unter­liegt, scheint dar­auf hin­zu­deu­ten. Ein genaue­rer Blick zeigt jedoch, dass das Timing weit­aus ent­schei­den­der ist.

Bekannt­lich weist die Stimm­be­tei­li­gung bei eid­ge­nös­si­schen Abstim­mun­gen eine hohe Vari­anz auf. So mobi­li­sier­ten die Vor­la­gen, die am 28.11.2021 an die Urne kamen, etwa 65 Pro­zent der Stimm­bür­ger­schaft. An die­sem Ter­min wur­de unter ande­rem über Ände­run­gen am Covid-19-Gesetz abge­stimmt. Am 10.06.2018, als das Geld­spiel­ge­setz und die Voll­geld-Initia­ti­ve auf der Agen­da stan­den, wur­de dage­gen nur eine Stimm­be­tei­li­gung von cir­ca 35 Pro­zent erzielt. Die Ver­mu­tung liegt nahe, dass die The­men für die gros­se Streu­ung mit­ver­ant­wort­lich sind und dazu füh­ren, dass sich ein Teil der Stimm­be­rech­tig­ten selek­tiv beteiligt.

Themen scheinen unterschiedlich stark zu mobilisieren

Eine Aus­wer­tung der Betei­li­gung bei eid­ge­nös­si­schen Abstim­mun­gen im Zeit­raum zwi­schen 2001 und 2018 lässt auf den ers­ten Blick dar­auf schlies­sen, dass tat­säch­lich erheb­li­che Unter­schie­de in Abhän­gig­keit vom The­men­ge­biet bestehen (sie­he Abbil­dung 1). Dem­nach sind es vor allem Vor­la­gen zur Aus­sen­po­li­tik sowie zu Ver­kehrs- und Infra­struk­tur­vor­ha­ben, die ein hohes Mobi­li­sie­rungs­po­ten­zi­al auf­wei­sen (im Durch­schnitt 51.5 bzw. 49.5 %). Am Ende der Ska­la ran­gie­ren die Berei­che Bil­dung und For­schung sowie Land­wirt­schaft mit durch­schnitt­lich 40.7 bzw. 39.1 %. Die Dif­fe­renz zwi­schen den durch­schnitt­li­chen höchs­ten und nied­rigs­ten Betei­li­gungs­wer­ten nach The­men­ge­biet beträgt 12.4 Pro­zent­punk­te, was dar­auf hin­deu­tet, dass der Ein­fluss des Abstim­mungs­the­mas auf die Betei­li­gung nicht uner­heb­lich ist.

Abbildung 1: Stimmbeteiligung gemessen an den gültigen Stimmen bei eidgenössischen Volksabstimmungen nach Themenbereich, 2001 bis 2018

Abstimmungen im «Multipack»

Die Zah­len in Abbil­dung 1 berück­sich­ti­gen aller­dings nicht, dass in der Regel meh­re­re Vor­la­gen an einem Abstim­mungs­sonn­tag an die Urne gelan­gen. In der Regel betref­fen sie unter­schied­li­che The­men­be­rei­che. Den­noch sind die Stimm­be­tei­li­gun­gen für die ver­schie­de­nen Vor­la­gen eines Ter­mins jeweils nahe­zu iden­tisch. Bei­spiels­wei­se kamen am 13.02.2022 Vor­la­gen aus den The­men­be­rei­chen Bil­dung und For­schung, Gesund­heit, öffent­li­che Finan­zen sowie Medi­en zur Abstim­mung (Initia­ti­ve für ein Ver­bot von Tier- und Men­schen­ver­su­chen, Initia­ti­ve «Kin­der und Jugend­li­che ohne Tabak­wer­bung», Gesetz über die Stem­pel­ab­ga­ben, Medi­en­pa­ket). Zwi­schen der Vor­la­ge mit der nied­rigs­ten und der höchs­ten Betei­li­gung lagen an die­sem Ter­min nur 0.21 Pro­zent­punk­te. Dies ist auf so genann­te Spillover-Effek­te zurück­zu­füh­ren: Vor­la­gen, die von der Bevöl­ke­rung als weni­ger wich­tig ange­se­hen wer­den, pro­fi­tie­ren in Bezug auf die Betei­li­gung, wenn gleich­zei­tig eine Vor­la­ge mit hohem Mobi­li­sie­rungs­po­ten­zi­al zur Abstim­mung kommt.

Timing ist entscheidend

Für eine rea­lis­ti­sche Ein­schät­zung des Zusam­men­hangs zwi­schen The­men und Betei­li­gung ist es des­we­gen nötig, die beson­de­re Daten­struk­tur (meh­re­re Vor­la­gen an einem Ter­min) ange­mes­sen zu berück­sich­ti­gen. Eine geeig­ne­te Metho­de dafür sind Meh­re­be­nen­ana­ly­sen. Sie erlau­ben Aus­sa­gen zur Fra­ge, ob unter­schied­li­che Betei­li­gungs­wer­te auf die Ebe­ne der ein­zel­nen Vor­la­gen (und damit bei­spiels­wei­se auf die The­men) oder auf die Ebe­ne der Abstim­mungs­ter­mi­ne zurück­zu­füh­ren sind. Dabei zeigt sich, dass kein The­men­ge­biet die Stimm­be­tei­li­gung in signi­fi­kan­ter Wei­se beein­flusst, wenn wir Kon­troll­va­ria­blen ein­be­zie­hen (z.B. die Inten­si­tät der Medi­en­be­richt­erstat­tung sowie die Anzahl und die Rechts­form der Vor­la­gen) und der hier­ar­chi­schen Daten­struk­tur Rech­nung tra­gen. Zwi­schen dem Bereich mit der höchs­ten und nied­rigs­ten Betei­li­gung (Wirt­schaft bzw. Bil­dung) lie­gen dann nur 0.7 Pro­zent­punk­te (Abbil­dung 2).

Abbildung 2: Geschätzte Stimmbeteiligung gemessen an den gültigen Stimmen bei eidgenössischen Volksabstimmungen nach Themenbereich unter Berücksichtigung von Kontrollvariablen, 2001 bis 2018

Zusam­men­fas­send lässt sich also fest­hal­ten, dass es kei­nen The­men­be­reich gibt, der per se ein höhe­res Mobi­li­sie­rungs­po­ten­ti­al auf­weist als ande­re. Viel ent­schei­den­der ist die Fra­ge, wel­che Vor­la­gen gleich­zei­tig an die Urne kom­men. Im Rah­men der vor­ge­ge­be­nen Behand­lungs­fris­ten hat der Bun­des­rat hier einen Hebel in der Hand, mit der er die Betei­li­gung und mög­li­cher­wei­se auch den Aus­gang von Abstim­mun­gen beein­flus­sen kann.


Hin­weis: Die­ser Bei­trag ist die schrift­li­che Kurz­fas­sung des Buch­ka­pi­tels «Mobi­li­sie­rung durch The­men? Eine Ana­ly­se der Stimm­be­tei­li­gung an natio­na­len und kom­mu­na­len Abstim­mun­gen», in: Schaub Hans-Peter/­Bühl­mann Marc (Hrsg.). Direk­te Demo­kra­tie in der Schweiz, Neue Erkennt­nis­se aus der Abstim­mungs­for­schung. Zürich: Seis­mo. S. 117 – 136.

Bild: unsplash.com

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