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Themen oder Timing: Wovon hängt die Beteiligung an Abstimmungen ab?

Martina Flick Witzig, Adrian Vatter
23rd September 2022

Gibt es Themenbereiche, die per se zu einer stärkeren Mobilisierung bei eidgenössischen Abstimmungen führen? Der Umstand, dass die Stimmbeteiligung grossen Schwankungen unterliegt, scheint darauf hinzudeuten. Ein genauerer Blick zeigt jedoch, dass das Timing weitaus entscheidender ist.

Bekanntlich weist die Stimmbeteiligung bei eidgenössischen Abstimmungen eine hohe Varianz auf. So mobilisierten die Vorlagen, die am 28.11.2021 an die Urne kamen, etwa 65 Prozent der Stimmbürgerschaft. An diesem Termin wurde unter anderem über Änderungen am Covid-19-Gesetz abgestimmt. Am 10.06.2018, als das Geldspielgesetz und die Vollgeld-Initiative auf der Agenda standen, wurde dagegen nur eine Stimmbeteiligung von circa 35 Prozent erzielt. Die Vermutung liegt nahe, dass die Themen für die grosse Streuung mitverantwortlich sind und dazu führen, dass sich ein Teil der Stimmberechtigten selektiv beteiligt.

Themen scheinen unterschiedlich stark zu mobilisieren

Eine Auswertung der Beteiligung bei eidgenössischen Abstimmungen im Zeitraum zwischen 2001 und 2018 lässt auf den ersten Blick darauf schliessen, dass tatsächlich erhebliche Unterschiede in Abhängigkeit vom Themengebiet bestehen (siehe Abbildung 1). Demnach sind es vor allem Vorlagen zur Aussenpolitik sowie zu Verkehrs- und Infrastrukturvorhaben, die ein hohes Mobilisierungspotenzial aufweisen (im Durchschnitt 51.5 bzw. 49.5 %). Am Ende der Skala rangieren die Bereiche Bildung und Forschung sowie Landwirtschaft mit durchschnittlich 40.7 bzw. 39.1 %. Die Differenz zwischen den durchschnittlichen höchsten und niedrigsten Beteiligungswerten nach Themengebiet beträgt 12.4 Prozentpunkte, was darauf hindeutet, dass der Einfluss des Abstimmungsthemas auf die Beteiligung nicht unerheblich ist.

Abbildung 1: Stimmbeteiligung gemessen an den gültigen Stimmen bei eidgenössischen Volksabstimmungen nach Themenbereich, 2001 bis 2018

Abstimmungen im «Multipack»

Die Zahlen in Abbildung 1 berücksichtigen allerdings nicht, dass in der Regel mehrere Vorlagen an einem Abstimmungssonntag an die Urne gelangen. In der Regel betreffen sie unterschiedliche Themenbereiche. Dennoch sind die Stimmbeteiligungen für die verschiedenen Vorlagen eines Termins jeweils nahezu identisch. Beispielsweise kamen am 13.02.2022 Vorlagen aus den Themenbereichen Bildung und Forschung, Gesundheit, öffentliche Finanzen sowie Medien zur Abstimmung (Initiative für ein Verbot von Tier- und Menschenversuchen, Initiative «Kinder und Jugendliche ohne Tabakwerbung», Gesetz über die Stempelabgaben, Medienpaket). Zwischen der Vorlage mit der niedrigsten und der höchsten Beteiligung lagen an diesem Termin nur 0.21 Prozentpunkte. Dies ist auf so genannte Spillover-Effekte zurückzuführen: Vorlagen, die von der Bevölkerung als weniger wichtig angesehen werden, profitieren in Bezug auf die Beteiligung, wenn gleichzeitig eine Vorlage mit hohem Mobilisierungspotenzial zur Abstimmung kommt.

Timing ist entscheidend

Für eine realistische Einschätzung des Zusammenhangs zwischen Themen und Beteiligung ist es deswegen nötig, die besondere Datenstruktur (mehrere Vorlagen an einem Termin) angemessen zu berücksichtigen. Eine geeignete Methode dafür sind Mehrebenenanalysen. Sie erlauben Aussagen zur Frage, ob unterschiedliche Beteiligungswerte auf die Ebene der einzelnen Vorlagen (und damit beispielsweise auf die Themen) oder auf die Ebene der Abstimmungstermine zurückzuführen sind. Dabei zeigt sich, dass kein Themengebiet die Stimmbeteiligung in signifikanter Weise beeinflusst, wenn wir Kontrollvariablen einbeziehen (z.B. die Intensität der Medienberichterstattung sowie die Anzahl und die Rechtsform der Vorlagen) und der hierarchischen Datenstruktur Rechnung tragen. Zwischen dem Bereich mit der höchsten und niedrigsten Beteiligung (Wirtschaft bzw. Bildung) liegen dann nur 0.7 Prozentpunkte (Abbildung 2).

Abbildung 2: Geschätzte Stimmbeteiligung gemessen an den gültigen Stimmen bei eidgenössischen Volksabstimmungen nach Themenbereich unter Berücksichtigung von Kontrollvariablen, 2001 bis 2018

Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass es keinen Themenbereich gibt, der per se ein höheres Mobilisierungspotential aufweist als andere. Viel entscheidender ist die Frage, welche Vorlagen gleichzeitig an die Urne kommen. Im Rahmen der vorgegebenen Behandlungsfristen hat der Bundesrat hier einen Hebel in der Hand, mit der er die Beteiligung und möglicherweise auch den Ausgang von Abstimmungen beeinflussen kann.


Hinweis: Dieser Beitrag ist die schriftliche Kurzfassung des Buchkapitels «Mobilisierung durch Themen? Eine Analyse der Stimmbeteiligung an nationalen und kommunalen Abstimmungen», in: Schaub Hans-Peter/Bühlmann Marc (Hrsg.). Direkte Demokratie in der Schweiz, Neue Erkenntnisse aus der Abstimmungsforschung. Zürich: Seismo. S. 117 – 136.

Bild: unsplash.com