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Wie die Themen Energie und Klima die Wahlen 2019 beeinflusst haben

Lena Maria Schaffer, Maximilian Lüth
24th August 2022

Die Eidgenössischen Wahlen 2019 werden als Klimawahlen bezeichnet, was auf das starke Abschneiden der Grünen und Grünliberalen zurückzuführen ist. Doch handelte es sich dabei um das Ergebnis jüngerer Entwicklungen wie der Fridays for Futures Bewegung und anderer Klimaproteste oder sahen wir 2019 die Kulmination eines längeren Trends? Diesen Fragen gehen wir in unseren Analysen nach.

Wir zeigen in unseren Analysen, wie sich die Wichtigkeit, d.h. die Salienz von Klima- und energiepolitischen Themen und die Positionierung zu diesen Themen für Parteien und Wählerschaft über die Zeit verändert haben. Unsere Ergebnisse zeigen, dass Energie- und Umweltfragen zunehmend sowohl Parteien als auch Wählerschaft polarisieren. Diese Entwicklung ist dabei hauptsächlich der rechtspopulistischen SVP zuzuschreiben. Gleichzeitig nahm die Salienz des Themas über die Zeit aber auch für Wählergruppen und Parteien rechts der Mitte zu.

Daten und Methoden
Die Ergebnisse beruhen auf eigenen Daten (Auswertungen der Wahlprogramme der jeweiligen Parteien) sowie der seit 1977 regelmässig durchgeführten Befragungen von Wählerinnen und Wählern im Rahmen der Swiss Election Study (Selects). Dabei lag der Fokus auf der bekundeten Wichtigkeit sowie den Positionen zu klimarelevanten Massnahmen in der Energie- und Umweltpolitik.

Die Wichtigkeit von Klima- und Energiepolitik über die Zeit

Bei der Wichtigkeit des Themas lassen sich sowohl ein langfristiger Trend als auch Unterschiede zwischen Wähler*innen (Panel A in Abbildung 1) und Parteien (Panel B in Abbildung 1) erkennen. Wenn man die Wichtigkeit klimarelevanter Energie- und Umweltpolitik aus dem Prozentsatz jener Wähler*innen ableitet, die dieses Thema als wichtigstes gesellschaftliches Problem ansehen, können wir mit Ausnahme des Jahres 2015 feststellen, dass die Wichtigkeit von Klima- und Umweltpolitik für Wähler*innen seit 2007 stetig zugenommen hat.

Es lassen sich jedoch Unterschiede zwischen den Wähler*innen einzelner Parteien feststellen. Im Verhältnis zur durchschnittlichen Wichtigkeit (schwarzer Punkt) ist zu beobachten, dass vor allem die Unterstützer*innen der Grünen und der GLP dem Thema überdurchschnittlich viel Bedeutung beimessen, während Unterstützer*innen der SVP Klimafragen als weniger wichtig betrachten. Dieses Ergebnis zeigt deutlich, dass es in der Schweiz hinsichtlich der Klimaproblematik einen Unterschied zwischen politisch eher links und eher rechts eingestellten Wähler*innen gibt.

Für Parteien zeichnet sich ein weniger eindeutiges Bild ab. Das Mass der Wichtigkeit beruht in ihrem Fall auf dem jeweiligen Anteil des Wahlprogramms, den sie den Themen Klima und Energie widmen. Es lassen sich dabei zwei parallele Trends beobachten (Seite B in Abbildung 1). Einerseits steigt die Wichtigkeit klimarelevanter Energie- und Umweltpolitik für Parteien rechts des politischen Spektrums im Zeitverlauf an, vor allem bei der SVP. Andererseits nimmt sie vor allem für die Grünen kontinuierlich ab. Dafür kommen zwei Erklärungsansätze infrage.

Zum einen finden sich Hinweise in der Literatur, dass die Verknüpfung von grünen Parteien und Umweltfragen bei Wähler*innen so stark verhaftet ist, dass es sich diese Parteien erlauben können, dem Thema weniger Aufmerksamkeit zu widmen, ohne dabei Stimmverluste fürchten zu müssen.

Zum anderen ist an dieser Stelle auch die Transformation einiger grüner Parteien von Nischen- zu Mainstreamparteien zu erwähnen. Eine Nischenpartei besteht oft aus Aktivisten und fokussiert sich auf wenige Themen, während eine Mainstreampartei die gesamte Bandbreite politischer Probleme abdecken muss, wenn sie einen Regierungsanspruch erheben will. Auf grüne Parteien angewendet bedeutet dies, dass mit zunehmendem Wahlerfolg der Druck steigt, sich auch mit anderen Themen auseinanderzusetzen, was dazu führt, dass das ursprüngliche grüne Kernthema einen geringeren Anteil am Parteiprogramm ausmacht.

Abbildung 1: Der Schwarze Kreis gibt die durchschnittliche Wichtigkeit für Wähler*innen (und Parteien auf Seite B) an.

 
Positionierung im Bezug auf Energiewende

Eine mögliche Erklärung, warum die SVP den Themen Energie und Klima mehr Raum gibt, könnte die sein, dass sie als Gegenpol zu den grünen Parteien positioniert ist. Dies würde einerseits erklären, warum SVP Wähler*innen das Thema nicht als sehr wichtig ansehen, die Partei aber andererseits dem Thema durchaus Raum in Ihrem Parteiprogramm gibt.

Um dies zu überprüfen, müssen sowohl die Positionen der Wählerschaft als auch die der Parteien zu klimarelevanter Energie und Umweltpolitik betrachtet werden. In Abbildung 2 sehen wir, dass sich ein langfristiger Trend beobachten lässt, bei dem Wähler*innen und Parteien, wenn auch in unterschiedlicher Stärke, weitestgehend übereinstimmen. Für die Wählerschaft leitet sich die Position aus der Frage ab, ob sie Maßnahmen zum Umweltschutz über wirtschaftliche Interessen stellen[1]. Die Ergebnisse auf Seite A von Abbildung 2 zeigen, dass seit 2007 eine leichte Polarisierung der Wählerschaft an den jeweiligen Enden des politischen Spektrum stattgefunden hat. Wähler*innen grüner Parteien zeigen eine zunehmende Bereitschaft, Klimafragen über wirtschaftliche Interessen zu stelllen, während diese Bereitschaft bei Wähler*innen der SVP tendenziell abnimmt.[2]

Abbildung 2:

Für Parteien (auf Seite B von Abbildung 2) ist dieses Bild der Polarisierung deutlich ausgeprägter. Bei ihnen leitet sich die Position aus dem Durchschnitt der unterstützenden und ablehnenden Aussagen zu klimarelevanten Maßnahmen in ihren Wahlprogrammen ab. Auch hier findet die Polarisierung vor allem an den Enden des ideologischen Spektrums statt.

Während grüne Parteien leicht in ihrer Unterstützung klimarelevanter Massnahmen steigen, nimmt die SVP erst eine neutrale (bis 2011) und ungefähr seit der Nationalratswahl 2015 eine vorwiegend ablehnende Haltung zu diesen Massnahmen ein. Die SVP positioniert sich damit klar als Gegnerin und Bremserin in der Debatte über die Schweizer Klimapolitik.

Was bedeutet die Erkenntnisse für die Schweizer Klimapolitik?

Die Folgen einer zunehmenden Polarisierung sowohl der Wählerschaft als auch der Parteien in Bezug auf die Klimapolitik zeigte sich in der Schweiz bei der Ablehnung des CO₂-Gesetzes im Juni 2021. Trotz einer grossen generellen Unterstützung in der Bevölkerung für Klimapolitik und der Zustimmung fast aller Parteien sowie gewichtiger Wirtschaftsverbände scheiterte schlussendlich die – für die international vereinbarten Klimaziele wichtige - Reform des Gesetzes an der Urne. Argumente über mögliche negative Verteilungswirkung des Gesetzes für einzelne Gruppen (Landbevölkerung, Mieterschaft) verfingen innerhalb der Kampagne mehr und führten zum vorläufigen Ende des lange verhandelten Klimapakets.

Für die Politik wird es durch grössere Polarisierung daher nicht leichter, dringend nötige Fortschritte zur Erreichung des Pariser Abkommens zu machen. Die Bedenken der Mehrheit des Volkes, die eine ablehnende Haltung vor allem gegenüber einzelnen Massnahmen des CO₂-Gesetzes angenommen hat, müssen ernst genommen werden und mögliche Auswirkungen der Vorlagen klarer kommuniziert werden.


[1] Es gibt keine präzisere Frage in den SELECTS Umfragen zu Präferenzen bezüglich Klima- und Energiepolitik im relevanten Zeitraum.

[2] Es ist jedoch wichtig darauf hinzuweisen, dass diese Bereitschaft bisher für keine Wählergruppe ins Negative (unterhalb der Nulllinie in Abbildung 2) gerutscht ist (d.h. d.h.Wähler:innen stellen durchweg Klimafragen über wirtschaftliche Interessen).


Referenz:

Bild: unsplash.com