Auf der Suche nach dem perfekten politischen System

Gibt es poli­ti­sche Sys­te­me, die kom­pli­zier­te Pro­ble­me effi­zi­en­ter lösen oder Lösun­gen bes­ser umset­zen als ande­re? Um die­se Fra­ge zu beant­wor­ten, haben wir ana­ly­siert, wie sich das poli­ti­sche Sys­tem eines Lan­des auf poli­ti­sche Netz­werk­struk­tu­ren aus­wirkt. Unter­sucht haben wir die­se Netz­werk­struk­tu­ren am Bei­spiel des Gewäs­ser­schut­zes, ein Poli­tik­feld, bei dem die Schweiz eine Vor­rei­ter­rol­le einnimmt.

Das poli­ti­sche Sys­tem beein­flusst die Zusam­men­ar­beit der poli­ti­schen Akteu­re und damit auch den Entscheidungsprozess.Mit unse­rer For­schung zei­gen wir, dass sich ein Blick auf das Bezie­hungs­ge­flecht, in das poli­ti­sche Akteu­re ver­wi­ckelt sind, lohnt, um den Ein­fluss poli­ti­scher Sys­te­me auf getrof­fe­ne Ent­schei­de zu verstehen.

Man­che poli­ti­sche Sys­te­me sind für das Lösen von kom­pli­zier­ten gesell­schaft­li­chen Pro­ble­men beson­ders gut geeig­net. Dies gilt für diver­se Poli­tik­fel­der. So hat bei­spiels­wei­se Schwe­den 1974 eine gen­der­neu­tra­le Eltern­zeit ein­ge­führt und steht dadurch seit 2010 auf Platz 1 des Euro­päi­schen gen­der equa­li­ty index. Im Bereich Kli­ma­wan­del ist Eng­land das ers­te Land welt­weit, dass sich gesetz­lich dazu ver­pflich­tet hat, die Erd­er­wär­mung zu beenden.

Das Herzstück von Demokratien: Kooperation als Mittel zu politischen Entscheiden

In west­li­chen Demo­kra­tien kom­men poli­ti­sche Ent­schei­de nur durch die Zusam­men­ar­beit ver­schie­de­ner Akteu­re mit unter­schied­li­chen Inter­es­sen zustan­de. Wel­che Ent­schei­de sich durch­set­zen, hängt von den Macht­struk­tu­ren und Bezie­hungs­ge­flech­ten inner­halb des poli­ti­schen Sys­tems ab. In unse­rer Arbeit stel­len wir Macht- und Bezie­hungs­struk­tu­ren als sozia­les Netz­werk dar und ver­glei­chen die­se Struk­tu­ren zwi­schen ver­schie­de­nen poli­ti­schen Sys­te­men. Beson­ders wich­tig dabei ist die Macht­ver­tei­lung im Netz­werk und die Fra­ge, wel­che Akteu­re mit­ein­an­der kooperieren.

Wer hat das Sagen? Machtverteilung in politischen Entscheidungsprozessen

Wer sich im poli­ti­schen Pro­zess stär­ker ver­netzt, geniesst mehr Ein­fluss­mög­lich­kei­ten, ist näher am Gesche­hen, bes­ser infor­miert und kann sich schnel­ler posi­tio­nie­ren (Krie­si, Adam und Jochum 2006).

Das poli­ti­sche Sys­tem hat auf die­se Macht­ver­tei­lung einen zen­tra­len Ein­fluss (sie­he Abbil­dung 1). In Kon­sens­de­mo­kra­tien stel­len ver­schie­de­ne poli­ti­sche Insti­tu­tio­nen — wie zum Bei­spiel das Pro­porz­sys­tem oder die Betei­li­gung von Inter­es­sens­grup­pen an poli­ti­schen Pro­zes­sen — sicher, dass sich das Macht­ge­fü­ge nicht zu sehr auf ein paar weni­ge Akteu­re kon­zen­triert. Im Gegen­satz dazu kon­zen­triert sich die Ent­schei­dungs­macht in Mehr­heits­de­mo­kra­tien meist auf ein paar zen­tra­le Akteu­re (Lij­phart 1999).

Abbil­dung 1: Dar­stel­lung Machtverteilung

Um die­se bei­den poli­ti­schen Sys­te­me zu ver­glei­chen, haben wir ins­ge­samt vier poli­ti­sche Netz­wer­ke unter­sucht. Dabei kön­nen wir den Ein­fluss vom poli­ti­schen Sys­tem auf das Bezie­hungs­ge­flecht von poli­ti­schen Akteu­ren detail­liert darstellen.

Die bei­den föde­ra­len Staa­ten Deutsch­land und Schweiz, zwei typi­sche Kon­sens­de­mo­kra­tien, zeich­nen sich durch rege Koope­ra­tio­nen zwi­schen unter­schied­li­chen Akteu­ren aus. In der zen­tral orga­ni­sier­ten Mehr­heits­de­mo­kra­tie Frank­reichs ver­su­chen sich die Akteu­re im Netz­werk mit den Stärks­ten zu ver­net­zen, was wie­der­um deren Posi­ti­on noch ver­stärkt. Dies gilt zu einem gewis­sen Grad auch in den eben­falls zen­tra­lis­ti­schen Nie­der­lan­den, wo eine Art Hybrid­form bei­der Demo­kra­tien herrscht.

Wer arbeitet mit seinen politischen Gegner:innen zusammen? Kooperationsmuster in politischen Entscheidungsprozessen

Je bes­ser poli­ti­sche Akteu­re ver­netzt sind, des­to flies­sen­der ist der Infor­ma­ti­ons­aus­tausch und des­to eher ist es mög­lich, eine gemein­sa­me Lösung zu fin­de hin­ter der alle Betei­lig­ten ste­hen können.

Reger Infor­ma­ti­ons­aus­tausch, Zusam­men­ar­beit in Pro­jek­ten oder Tref­fen in Foren hel­fen Akteu­ren dabei, sich anzu­nä­hern, Posi­tio­nen der ande­ren ken­nen zu ler­nen, sich gegen­sei­tig zuzu­hö­ren und Pro­ble­me (oder Beden­ken) des Gegen­übers wahr­zu­neh­men. Auch hier hat das polit­sche Sys­tem einen nicht zu unter­schät­zen­den Ein­fluss dar­auf, wer sich in die­sem Aus­tausch fin­det und wie Bezie­hun­gen auf­ge­baut werden.

In Kon­sens­de­mo­kra­tien ist das Ziel, Akteu­re mit ver­schie­de­nen Über­zeu­gun­gen an einen Tisch zu brin­gen. Die Ent­schei­dungs­pro­zes­se kön­nen dadurch aller­dings lang­wie­rig wer­den und kom­men unter Umstän­den auch nur in klei­nen Schrit­ten voran.

In Mehr­heits­de­mo­kra­tien wird hin­ge­gen dar­auf abge­zielt, eine star­ke Mehr­heit zu bil­den, um schnel­le­re und umfas­sen­de­re Ent­schei­de zu tref­fen  (sie­he Abb. 2). Poli­ti­sche Gegner:innen sind bei der Ent­schei­dungs­fin­dung jedoch nicht invol­viert. Dies kann dazu füh­ren, dass Ent­schei­de bei neu­en Mehr­heits­ver­hält­nis­sen, zum Bei­spiel nach Wah­len, wie­der zurück­ge­nom­men werden

Abbil­dung 2: Dar­stel­lung Kooperationsmuster

Poli­ti­sche Sys­te­me beein­flus­sen die Zusam­men­set­zung und den Aus­tausch in den Netz­wer­ken mar­kant. Wie unse­re Unter­su­chun­gen zei­gen, gibt es in den Kon­sens­de­mo­kra­tien Deutsch­land und Schweiz (und dem hybri­den Sys­tem der Nie­der­lan­de) die Ten­denz, mit den poli­ti­schen Gegner:innen zusam­men­zu­ar­bei­ten. Die Akteu­re sind sich ihrer unter­schied­li­chen Posi­tio­nen bewusst und ver­su­chen trotz­dem, zu kol­la­bo­rie­ren, bezie­hungs­wei­se gemein­sam nach einer Lösung zu suchen. 

In der Mehr­heits­de­mo­kra­tie Frank­reich ist die Zusam­men­ar­beit mit den poli­ti­schen Gegner:innen hin­ge­gen eher sel­ten. In sol­chen Sys­te­men ist die Zusam­men­ar­beit mit gleich­ge­sinn­ten Akteu­ren stär­ker als die Zusam­men­ar­beit mit poli­ti­schen Gegner:innen. Akteu­re, die betref­fend mög­li­cher Lösun­gen ähn­li­che Vor­stel­lun­gen haben, ten­die­ren dazu unter­ein­an­der zu kol­la­bo­rie­ren und arbei­ten eher sel­ten mit dem poli­ti­schen Geg­ner zusammen.

Zusammenfassung und Ausblick

Mit unse­rer Metho­de kön­nen wir Koope­ra­ti­ons­mus­ter und Macht­struk­tu­ren in poli­ti­schen Pro­zes­sen prä­zi­se und ver­glei­chend dar­stel­len. Unse­re Ergeb­nis­se zei­gen, dass sich das poli­ti­sche Sys­tem eines Lan­des auf die all­täg­li­chen Ent­schei­dungs­pro­zes­se aus­wirkt und dabei die Art der Zusam­men­ar­beit zwi­schen poli­ti­schen Akteu­ren mass­geb­lich mitgestaltet.

Die Mensch­heit steht vor einer Viel­zahl an sek­tor­über­grei­fen­den Pro­ble­men wie z.B. Kli­ma­wan­del, Arten­ster­ben, stei­gen­de Ener­gie­prei­se und dro­hen­de Wirt­schafts­ein­brü­che (z.B. durch Finanz­kri­sen oder inter­na­tio­na­le Auseinandersetzungen).

Um die­se dring­li­chen poli­ti­schen Pro­ble­me nicht nur auf nach­hal­ti­ge und gerech­te Wei­se, son­dern auch zeit­nah zu lösen, ist die Zusam­men­ar­beit zwi­schen poli­ti­schen Gegner:innen unum­gäng­lich. Unse­re For­schung zeigt, dass kon­sens­ori­en­tier­te Sys­te­me im Ver­gleich zu mehr­heits­ori­en­tier­ten Sys­te­men beson­ders gute Vor­aus­set­zun­gen für lager­über­grei­fen­de Zusam­men­ar­beit bieten.

Für mehr­heits­ori­en­tier­te Sys­te­me gilt: Um poli­ti­sche Lager­kämp­fe zu über­win­den, müs­sen poli­ti­sche Ent­schei­de dann getrof­fen wer­den, wenn Mehr­hei­ten ent­ste­hen. Ohne kla­re Mehr­heit bleibt die Mög­lich­keit, den Fokus auf die regio­na­le Ebe­ne zu legen und dort in Zusam­men­ar­beit mit allen rele­van­ten Inter­es­sen­krei­sen Pro­ble­me dezen­tral zu lösen. 

Daten und Methoden
Wir haben poli­ti­sche Netz­wer­ke in der Schweiz, Deutsch­land, Frank­reich und den Nie­der­lan­den unter­sucht. Die Akteu­re, die Teil die­ser Netz­wer­ke sind, befas­sen sich mit der Pro­ble­ma­tik der Gewäs­ser­ver­schmut­zung und arbei­ten an der Regu­lie­rung neu­ar­ti­ger Schadstoffe.

Wir bezo­gen staat­li­che Akteu­re auf natio­na­ler und regio­na­ler Ebe­ne sowie nicht­staat­li­che Akteu­re aus den Berei­chen Was­ser-und Abwas­ser, Umwelt, Land­wirt­schaft und Indus­trie in unse­re Ana­ly­sen ein. Das Netz­werk in der Schweiz — einer typi­schen Kon­sens­de­mo­kra­tie mit Föde­ral­struk­tur — umfasst 47 Akteu­re. Das Netz­werk in Deutsch­land umfasst 29 Akteu­re. Im fran­zö­si­schen Netz­werk, das im majo­ri­tär-unitä­ren Sys­tem Frank­reichs ein­ge­bet­tet ist, fin­den wir 18 Akteu­re. Als vier­tes Netz­werk unter­such­ten wir die Nie­der­lan­de mit 16 Akteu­ren. Das Land hat ein hybri­des Sys­tem mit zen­tra­lis­ti­schen und kon­sens­ori­en­tier­ten Strukturen..

Netzwerke zu vergleichen ist schwierig

Die vier von uns unter­such­ten Netz­wer­ke set­zen sich aus unter­schied­lich vie­len Akteu­ren zusam­men. Aus­ser­dem sind die Akteu­re unter­schied­lich gut vernetzt.

Nur mit Hil­fe von Infe­renz­sta­tis­tik kann man gezielt Aus­sa­gen dar­über tref­fen, wie sich die Struk­tu­ren der vier Netz­wer­ke unter­schei­den. Wir haben dafür soge­nann­te Expo­nen­ti­al Ran­dom Graph Models ver­wen­det (Frank and Strauss 1986, Cran­mer et al. 2017). Zusätz­lich haben wir in unse­rem Arti­kel wich­ti­ge metho­di­sche Schrit­te ange­wen­det, um die Ergeb­nis­se ver­gleich­bar zu machen und Fehl­in­ter­pre­ta­tio­nen aus­zu­schlies­sen. So kann man zum Bei­spiel nicht ein­fach die Koef­fi­zi­en­ten der Schät­zun­gen ver­glei­chen, da die­se rela­tiv sind und immer nur für das ein­zel­ne Netz­werk gel­ten. Wir berech­ne­ten des­halb für all unse­re Ver­glei­che Vor­her­sa­ge­wahr­schein­lich­kei­ten, damit Netz­werk­struk­tu­ren rich­tig ver­gli­chen wer­den kön­nen. Unser Arti­kel ist einer der ers­ten, der poli­ti­sche Netz­wer­ke über poli­ti­sche Sys­te­me hin­weg ver­gleicht und dabei die metho­di­schen Pro­ble­me nicht aus­ser Acht lässt. Mit der Bereit­stel­lung unse­res R‑Codes und der Daten hof­fen wir, dass auch in Zukunft mehr Forscher:innen die­sen Schritt wagen und Netz­wer­ke mit­ein­an­der ver­glei­chen. Nur mit rigo­ro­ser kom­pa­ra­ti­ver For­schung kann man her­aus­fin­den, wel­che Macht­struk­tu­ren hel­fen, kom­ple­xe Pro­ble­me schnel­ler zu lösen.

Die Daten (inkl. Ana­ly­se­skripts) sind auf Har­vard Data­ver­se zur Ver­fü­gung gestellt: http://doi.org/10.7910/DVN/NKCDCO.


Quel­le:

Metz, Flo­rence und Lau­rence Bran­den­ber­ger (2002). “Poli­cy Net­works Accross Poli­ti­cal Sys­tems.” Ame­ri­can Jour­nal of Poli­ti­cal Sci­ence.


Refe­ren­zen:

  • Cran­mer, Sky­ler J., Phil­ip Lei­feld, Scott D. McClurg und Mer­edith Rol­fe. (2017). “Navi­ga­ting the Ran­ge of Sta­tis­ti­cal Tools for Infe­ren­ti­al Net­work Ana­ly­sis.” Ame­ri­can Jour­nal of Poli­ti­cal Sci­ence 61(1): 237–51.
  • Frank, Ove und David Strauss (1986). “Mar­kov Graphs.” Jour­nal of the Ame­ri­can Sta­tis­ti­cal Asso­cia­ti­on 81(395): 832– 42.
  • Krie­si, Hans­pe­ter, Sil­ke Adam und Mar­git Jochum (2006). “Com­pa­ra­ti­ve Ana­ly­sis of Poli­cy Net­works in Wes­tern Euro­pe.” Jour­nal of Euro­pean Public Poli­cy 13(3): 341–61.
  • Lij­phart, Arend (1999). Pat­terns of Demo­cra­cy: Government Forms and Per­for­mance in Thir­ty-Six Coun­tries. New Haven, CT: Yale Uni­ver­si­ty Press.

 

 

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