Kreativität gegen Einsamkeit?

Ver­brin­gen Sie ger­ne Zeit allei­ne? – Tat­säch­lich wür­de ein beacht­li­cher Teil der Bevöl­ke­rung die­se Fra­ge mit «Ja» beant­wor­ten. Oder zumin­dest mit «kommt dar­auf an». Auf was es ankommt, ver­such­ten For­schen­de der Uni­ver­si­tät Zürich, Stan­ford Uni­ver­si­ty, Uni­ver­si­ty of Bri­tish Colum­bia und Hum­boldt-Uni­ver­si­tät zu Ber­lin her­aus­zu­fin­den. Dabei setz­ten sie auf eine viel­ver­spre­chen­de Eigen­schaft, die bereits in uns allen schlum­mert: Die Kreativität.

Die Covid-Pan­de­mie hat die Ein­stel­lung bezüg­lich «Zeit allei­ne» wohl beträcht­lich beein­flusst. Im Ver­gleich zu frü­her, wo man­che nicht sel­ten Zeit allei­ne bewusst ein­ho­len muss­ten, wur­den vie­le durch die Social Distancing Mass­nah­men förm­lich dazu gezwun­gen, mehr Zeit mit sich selbst zu ver­brin­gen. Doch wie ist damit umzugehen?

Umfra­gen zufol­ge wird Zeit allei­ne von vie­len Men­schen nicht per se als nega­tiv oder schlimm emp­fun­den, son­dern sogar als wich­tig. Es ist eine Gele­gen­heit, sich von sozia­len Ver­pflich­tun­gen und Erwar­tun­gen zurück zu zie­hen und Zeit für sich selbst nut­zen zu kön­nen: um zu ent­span­nen, Ener­gie zu tan­ken und sich bes­ser auf sich selbst zu kon­zen­trie­ren. Viel­leicht auch, um einem Hob­by nach­zu­ge­hen oder Din­ge zu erle­di­gen, die bis­her zu kurz gekom­men sind. Was macht also den Unter­schied, dass man die Zeit allein in gewis­sen Momen­ten als wich­tig und berei­chernd ein­schätzt und in ande­ren als unan­ge­nehm und unerwünscht? 

Ein wich­ti­ger Aspekt ist die freie Wahl: Hat man ger­ne hin und wie­der «Zeit für sich» oder ist dies einem sogar wich­tig, so wird man sich wohl bewusst dafür ent­schei­den, Zeit allein zu ver­brin­gen und sich die­se aktiv ein­ho­len. Ein ande­rer wich­ti­ger Aspekt ist das Aus­mass: Je mehr Zeit man mit sich allein ver­bringt, des­to wahr­schein­li­cher ist es, dass man sich auch ein­sam fühlt. Ein­sam­keit ist von Allein­sein dahin­ge­hend zu unter­schei­den, dass neben der objek­ti­ven phy­si­schen Abwe­sen­heit von Mit­men­schen dies auch sub­jek­tiv als Man­gel an sozia­len Kon­tak­ten emp­fun­den wird. Man ist nicht nur allein, man fühlt sich auch ein­sam. Ein­sam­keit kann das Wohl­be­fin­den und die Gesund­heit erheb­lich beein­träch­ti­gen und geht mit einem erhöh­ten Risi­ko für Herz­krank­hei­ten, Depres­sio­nen und Sucht­ver­hal­ten einher.

Mit Buntstiften gegen Einsamkeit?

Durch die Social Distancing Mass­nah­men auf­grund der Covid-Pan­de­mie wur­de die Zeit mit sich allein für Vie­le plötz­lich um ein Viel­fa­ches (unfrei­wil­lig) erhöht, und somit auch das Risi­ko für Ein­sam­keit. Doch was kann man gegen Ein­sam­keit tun – allein?

Eine viel­ver­spre­chen­de Res­sour­ce, die jeder Per­son zugäng­lich wäre, sehen For­schen­de in der Krea­ti­vi­tät. Dazu zäh­len die Woh­nung deko­rie­ren, neue Rezep­te aus­pro­bie­ren oder inno­va­ti­ve Lösun­gen bei der Arbeit fin­den. Es lie­gen auch bereits Stu­di­en­ergeb­nis­se vor, wel­che dar­auf hin­deu­ten, dass all­täg­li­che Krea­ti­vi­tät das Wohl­be­fin­den und emo­tio­na­le Zufrie­den­heit bei jun­gen Erwach­se­nen stär­ken kann. Auch bei älte­ren Erwach­se­nen scheint Krea­ti­vi­tät ein wich­ti­ger Teil des Lebens zu blei­ben: Es gibt Befun­de, die dar­auf hin­deu­ten, dass krea­ti­ve Akti­vi­tä­ten beson­ders bei älte­ren Erwach­se­nen vor­teil­haft sein kön­nen, da sie mit einer bes­se­ren kör­per­li­chen und geis­ti­gen Gesund­heit, sowie einer höhe­ren Lebens­qua­li­tät ein­her­ge­hen. Könn­te also Krea­ti­vi­tät wäh­rend Zei­ten des Allein­seins vor Ein­sam­keit bewahren?

Daten und Methode
Um das her­aus­zu­fin­den, haben For­schen­de der Uni­ver­si­tät Zürich eine Tage­buch­stu­die durch­ge­führt: Von April bis August 2020 wur­den ins­ge­samt 126 Erwach­se­ne zwi­schen 18 bis 84 Jah­ren wäh­rend 10 Tagen täg­lich dazu befragt, wie vie­le Stun­den sie allein ver­bracht haben, wie ein­sam sie sich gefühlt haben und zu wel­chem Aus­mass sie an die­sem Tag krea­ti­ven Tätig­kei­ten nach­ge­gan­gen sind.

Tat­säch­lich konn­te der bereits oben erwähn­te Zusam­men­hang zwi­schen dem Aus­mass der Zeit allei­ne und der Ein­sam­keit gefun­den wer­den: Je mehr Zeit die Teil­neh­men­den ins­ge­samt allei­ne ver­bracht haben, des­to eher fühl­ten sie sich ein­sam. Die­ser Zusam­men­hang ver­schärf­te sich mit stei­gen­dem Alter. Auf all­täg­li­cher Ebe­ne fühl­ten sich die Teil­neh­men­den auch an Tagen ein­sa­mer, an denen sie mehr Zeit allei­ne ver­brach­ten. Die­ser Zusam­men­hang war mit stei­gen­dem Alter schwä­cher. Das bedeu­tet, dass älte­re Erwach­se­ne im Ver­gleich zu Jün­ge­ren ein erhöh­tes Risi­ko an Ein­sam­keit auf­wie­sen, wenn sie viel Zeit allei­ne ver­brach­ten, aber dass täg­li­chen Schwan­kun­gen in Zeit allei­ne weni­ger stark von Schwan­kun­gen in Gefüh­len der Ein­sam­keit von Tag zu Tag beglei­tet wurden.

Krea­ti­vi­tät trat rela­tiv häu­fig auf: Auf einer Ska­la von 0 bis 100 berich­te­ten die Pro­ban­den von einer durch­schnitt­li­chen all­täg­li­chen Krea­ti­vi­tät von 36. Dies deu­tet dar­auf hin, dass die meis­ten Men­schen klei­ne Gele­gen­hei­ten ergrei­fen, im All­tag krea­tiv zu sein, auf ihre ganz eige­ne Art und Wei­se. Inter­es­san­ter­wei­se berich­te­ten älte­re Men­schen höhe­re Krea­ti­vi­tät als jün­ge­re Erwach­se­ne. Zudem fühl­ten sich die Teil­neh­men­den an Tagen, an wel­chen sie die glei­che Zeit allein ver­brach­ten, aber krea­ti­ver waren als sonst, tat­säch­lich auch weni­ger ein­sam – und es mach­te ihnen weni­ger aus, allein zu sein!

Lassen Sie Ihrer Kreativität freien Lauf!

Was bedeu­tet das jetzt? Soll­ten wir ein­fach alle öfters wie­der Bunt­stif­te zur Hand neh­men oder unse­re Woh­nung deko­rie­ren? Ganz so ein­fach ist es ver­mut­lich nicht. Durch das kor­re­la­ti­ve For­schungs­de­sign ist näm­lich noch nicht aus­zu­ma­chen, wie der Zusam­men­hang zustan­de gekom­men ist; also ob die gestei­ger­te Krea­ti­vi­tät die Ein­sam­keit direkt beein­flusst hat, oder ob die­ser Zusam­men­hang gege­be­nen­falls durch ande­re Fak­to­ren zu erklä­ren ist oder auch anders­her­um die Ein­sam­keit die Krea­ti­vi­tät beein­flusst. Wei­ter gilt zu klä­ren, wel­che Art und Dau­er von krea­ti­ven Akti­vi­tä­ten beson­ders hilf­reich sein könn­te. Um die­se Fra­gen zu beant­wor­ten, wären Inter­ven­ti­ons­stu­di­en nötig, in wel­chen man bei­spiels­wei­se durch Inspi­ra­tio­nen und Vor­schlä­ge die Pro­ban­den ermu­tigt Zeit allein im All­tag mit krea­ti­ven Tätig­kei­ten zu fül­len und dann unter­sucht, ob sich das begüns­ti­gend auf die Ein­sam­keits­ge­füh­le aus­wirkt. Die­se Erkennt­nis­se wären ins­be­son­de­re für Per­so­nen wich­tig, wel­che ein erhöh­tes Risi­ko haben, sich ein­sam zu füh­len – ob mit oder ohne Pandemie!

Was man aber sagen kann: Zu wis­sen, wie man Zeit allein für sich sinn­voll nut­zen kann, ist eine gute Vor­aus­set­zung gegen Ein­sam­keit — und Krea­ti­vi­tät wird einem dabei bestimmt zu Gute kom­men! Oder etwas ver­ein­facht aus­ge­drückt: Krea­ti­vi­tät kann einem dabei hel­fen, Ideen zu bekom­men, was man gegen Ein­sam­keit unter­neh­men könn­te. In die­sem Sin­ne: «Las­sen Sie Ihrer Krea­ti­vi­tät frei­en Lauf!»


Refe­renz:

  • Pau­ly, T., Chu, L., Zam­bra­no, E., Gerstorf, D., & Hopp­mann, C. A. (2021). COVID-19, time to oneself, and lone­li­ness: Crea­ti­vi­ty as a resour­ce. The Jour­nals of Geron­to­lo­gy, Seri­es B: Psy­cho­lo­gi­cal Sci­en­ces and Social Sci­en­ces. Advan­ce online publi­ca­ti­on. https://doi.org/10.1093/geronb/gbab070

Bild: unsplash.com

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