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Kreativität gegen Einsamkeit?

Theresa Pauly, Nathalie Appenzeller
1st Februar 2022

Verbringen Sie gerne Zeit alleine? – Tatsächlich würde ein beachtlicher Teil der Bevölkerung diese Frage mit «Ja» beantworten. Oder zumindest mit «kommt darauf an». Auf was es ankommt, versuchten Forschende der Universität Zürich, Stanford University, University of British Columbia und Humboldt-Universität zu Berlin herauszufinden. Dabei setzten sie auf eine vielversprechende Eigenschaft, die bereits in uns allen schlummert: Die Kreativität.

Die Covid-Pandemie hat die Einstellung bezüglich «Zeit alleine» wohl beträchtlich beeinflusst. Im Vergleich zu früher, wo manche nicht selten Zeit alleine bewusst einholen mussten, wurden viele durch die Social Distancing Massnahmen förmlich dazu gezwungen, mehr Zeit mit sich selbst zu verbringen. Doch wie ist damit umzugehen?

Umfragen zufolge wird Zeit alleine von vielen Menschen nicht per se als negativ oder schlimm empfunden, sondern sogar als wichtig. Es ist eine Gelegenheit, sich von sozialen Verpflichtungen und Erwartungen zurück zu ziehen und Zeit für sich selbst nutzen zu können: um zu entspannen, Energie zu tanken und sich besser auf sich selbst zu konzentrieren. Vielleicht auch, um einem Hobby nachzugehen oder Dinge zu erledigen, die bisher zu kurz gekommen sind. Was macht also den Unterschied, dass man die Zeit allein in gewissen Momenten als wichtig und bereichernd einschätzt und in anderen als unangenehm und unerwünscht? 

Ein wichtiger Aspekt ist die freie Wahl: Hat man gerne hin und wieder «Zeit für sich» oder ist dies einem sogar wichtig, so wird man sich wohl bewusst dafür entscheiden, Zeit allein zu verbringen und sich diese aktiv einholen. Ein anderer wichtiger Aspekt ist das Ausmass: Je mehr Zeit man mit sich allein verbringt, desto wahrscheinlicher ist es, dass man sich auch einsam fühlt. Einsamkeit ist von Alleinsein dahingehend zu unterscheiden, dass neben der objektiven physischen Abwesenheit von Mitmenschen dies auch subjektiv als Mangel an sozialen Kontakten empfunden wird. Man ist nicht nur allein, man fühlt sich auch einsam. Einsamkeit kann das Wohlbefinden und die Gesundheit erheblich beeinträchtigen und geht mit einem erhöhten Risiko für Herzkrankheiten, Depressionen und Suchtverhalten einher.

Mit Buntstiften gegen Einsamkeit?

Durch die Social Distancing Massnahmen aufgrund der Covid-Pandemie wurde die Zeit mit sich allein für Viele plötzlich um ein Vielfaches (unfreiwillig) erhöht, und somit auch das Risiko für Einsamkeit. Doch was kann man gegen Einsamkeit tun – allein?

Eine vielversprechende Ressource, die jeder Person zugänglich wäre, sehen Forschende in der Kreativität. Dazu zählen die Wohnung dekorieren, neue Rezepte ausprobieren oder innovative Lösungen bei der Arbeit finden. Es liegen auch bereits Studienergebnisse vor, welche darauf hindeuten, dass alltägliche Kreativität das Wohlbefinden und emotionale Zufriedenheit bei jungen Erwachsenen stärken kann. Auch bei älteren Erwachsenen scheint Kreativität ein wichtiger Teil des Lebens zu bleiben: Es gibt Befunde, die darauf hindeuten, dass kreative Aktivitäten besonders bei älteren Erwachsenen vorteilhaft sein können, da sie mit einer besseren körperlichen und geistigen Gesundheit, sowie einer höheren Lebensqualität einhergehen. Könnte also Kreativität während Zeiten des Alleinseins vor Einsamkeit bewahren?

Daten und Methode
Um das herauszufinden, haben Forschende der Universität Zürich eine Tagebuchstudie durchgeführt: Von April bis August 2020 wurden insgesamt 126 Erwachsene zwischen 18 bis 84 Jahren während 10 Tagen täglich dazu befragt, wie viele Stunden sie allein verbracht haben, wie einsam sie sich gefühlt haben und zu welchem Ausmass sie an diesem Tag kreativen Tätigkeiten nachgegangen sind.

Tatsächlich konnte der bereits oben erwähnte Zusammenhang zwischen dem Ausmass der Zeit alleine und der Einsamkeit gefunden werden: Je mehr Zeit die Teilnehmenden insgesamt alleine verbracht haben, desto eher fühlten sie sich einsam. Dieser Zusammenhang verschärfte sich mit steigendem Alter. Auf alltäglicher Ebene fühlten sich die Teilnehmenden auch an Tagen einsamer, an denen sie mehr Zeit alleine verbrachten. Dieser Zusammenhang war mit steigendem Alter schwächer. Das bedeutet, dass ältere Erwachsene im Vergleich zu Jüngeren ein erhöhtes Risiko an Einsamkeit aufwiesen, wenn sie viel Zeit alleine verbrachten, aber dass täglichen Schwankungen in Zeit alleine weniger stark von Schwankungen in Gefühlen der Einsamkeit von Tag zu Tag begleitet wurden.

Kreativität trat relativ häufig auf: Auf einer Skala von 0 bis 100 berichteten die Probanden von einer durchschnittlichen alltäglichen Kreativität von 36. Dies deutet darauf hin, dass die meisten Menschen kleine Gelegenheiten ergreifen, im Alltag kreativ zu sein, auf ihre ganz eigene Art und Weise. Interessanterweise berichteten ältere Menschen höhere Kreativität als jüngere Erwachsene. Zudem fühlten sich die Teilnehmenden an Tagen, an welchen sie die gleiche Zeit allein verbrachten, aber kreativer waren als sonst, tatsächlich auch weniger einsam – und es machte ihnen weniger aus, allein zu sein!

Lassen Sie Ihrer Kreativität freien Lauf!

Was bedeutet das jetzt? Sollten wir einfach alle öfters wieder Buntstifte zur Hand nehmen oder unsere Wohnung dekorieren? Ganz so einfach ist es vermutlich nicht. Durch das korrelative Forschungsdesign ist nämlich noch nicht auszumachen, wie der Zusammenhang zustande gekommen ist; also ob die gesteigerte Kreativität die Einsamkeit direkt beeinflusst hat, oder ob dieser Zusammenhang gegebenenfalls durch andere Faktoren zu erklären ist oder auch andersherum die Einsamkeit die Kreativität beeinflusst. Weiter gilt zu klären, welche Art und Dauer von kreativen Aktivitäten besonders hilfreich sein könnte. Um diese Fragen zu beantworten, wären Interventionsstudien nötig, in welchen man beispielsweise durch Inspirationen und Vorschläge die Probanden ermutigt Zeit allein im Alltag mit kreativen Tätigkeiten zu füllen und dann untersucht, ob sich das begünstigend auf die Einsamkeitsgefühle auswirkt. Diese Erkenntnisse wären insbesondere für Personen wichtig, welche ein erhöhtes Risiko haben, sich einsam zu fühlen – ob mit oder ohne Pandemie!

Was man aber sagen kann: Zu wissen, wie man Zeit allein für sich sinnvoll nutzen kann, ist eine gute Voraussetzung gegen Einsamkeit - und Kreativität wird einem dabei bestimmt zu Gute kommen! Oder etwas vereinfacht ausgedrückt: Kreativität kann einem dabei helfen, Ideen zu bekommen, was man gegen Einsamkeit unternehmen könnte. In diesem Sinne: «Lassen Sie Ihrer Kreativität freien Lauf!»


Referenz:

  • Pauly, T., Chu, L., Zambrano, E., Gerstorf, D., & Hoppmann, C. A. (2021). COVID-19, time to oneself, and loneliness: Creativity as a resource. The Journals of Gerontology, Series B: Psychological Sciences and Social Sciences. Advance online publication. https://doi.org/10.1093/geronb/gbab070

Bild: unsplash.com